Das Museum ist kein Ponyhof. Denn die Kunst offenbart in ihren Bildern eine Fülle von kriminellen Taten. Nicht selten wird der Betrachter unmittelbar Zeuge skandalöser Handlungen und mörderischer Verbrechen. Ein Vater vergreift sich an seinen Töchtern, eine nackte Frau erhebt ihr Schwert gegen ihren hilflos am Boden liegenden Liebhaber. Doch nicht immer sind die "Täter im Bild" eindeutig zu identifizieren. Und nicht alles was unmoralisch oder verwerflich ist, ist auch strafbar. Mit kriminologischem Spürsinn diskutieren die Autorinnen Fragen der Moral und Strafbarkeit und spannen dabei einen Bogen von der Kunst des 17. Jahrhunderts über die Avantgarde bis zur Gegenwart.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.01.2021Das Schwert steht still
Zwei Schwerinerinnen, die Kunsthistorikern Katharina Uhl und Ulrike Tabbert, Oberamtsanwältin bei der Staatsanwaltschaft, hatten vor einiger Zeit die Idee, bei öffentlichen Führungen Kunst unter dem Blickwinkel von Verbrechen und Strafe zu deuten. Jetzt haben sie ihre Einsichten in einem Buch zusammengestellt, das zur Hand zu nehmen schon wegen seiner Gestaltung lohnt. Auf dem Buchumschlag den Titel "Täter im Bild" in blutroter Schrift über Franz von Stucks "Judith und Holofernes" zu legen, das hat Witz. Zumal das Gemälde eine Mörderin zeigt, oder genauer eine potentielle Mörderin, denn das Schwert hat sein Ziel, den Hals des Holofernes, ja noch nicht getroffen, trifft ihn vielleicht nie. Das Gemälde, dessen Fassung von 1926 im Staatlichen Museum Schwerin hängt, wird ausführlich im Kapitel "Selbstjustiz" beschrieben. Stucks Bild kommt hier gleichsam auf dem Weg zur Gleichberechtigung zu stehen, belege "das neue Selbstbewusstsein der Frau in ihrer (Sexual-)Beziehung eindrücklich". Die Autorinnen erzählen in ihren anregenden Bildinterpretationen auch immer Rechtsgeschichte. Bei Stucks "Judith" etwa so: "Es ist ein Verdienst der zweiten Welle der Frauenbewegung, welche ihren Ausfluss unter anderem im feministischen Ansatz in der Kriminologie hat, dass auf der einen Seite Prostitution legalisiert und auf der anderen Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt worden ist." Selbstjustiz freilich, für die Judith als historisches Beispiel herangezogen wird, ist strafbar, denn "der Konflikt zwischen Opfer und Täter geht in die Hände staatlicher Strafverfolgung über". Gern zitieren Uhl und Tabbert jeweils auch die entsprechenden Gesetze, in Judiths Fall Paragraph 151, 152 der Strafprozessordnung. Und Mord ist es bei Judiths Umgang mit Holofernes sowieso. Was in ihrem sehr besonderen Fall natürlich nichts daran ändert, dass sie als Heldin in die Geschichte einging und Bildgeschichte schrieb.
F.P.
Katharina Uhl, Ulrike Tabbert: "Täter im Bild". Betrachtungen zwischen Kunstgeschichte und Kriminologie.
Illustrationen von Leonard Ermel.
Verlag für moderne Kunst. Wien 2020. 82 S., Abb., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwei Schwerinerinnen, die Kunsthistorikern Katharina Uhl und Ulrike Tabbert, Oberamtsanwältin bei der Staatsanwaltschaft, hatten vor einiger Zeit die Idee, bei öffentlichen Führungen Kunst unter dem Blickwinkel von Verbrechen und Strafe zu deuten. Jetzt haben sie ihre Einsichten in einem Buch zusammengestellt, das zur Hand zu nehmen schon wegen seiner Gestaltung lohnt. Auf dem Buchumschlag den Titel "Täter im Bild" in blutroter Schrift über Franz von Stucks "Judith und Holofernes" zu legen, das hat Witz. Zumal das Gemälde eine Mörderin zeigt, oder genauer eine potentielle Mörderin, denn das Schwert hat sein Ziel, den Hals des Holofernes, ja noch nicht getroffen, trifft ihn vielleicht nie. Das Gemälde, dessen Fassung von 1926 im Staatlichen Museum Schwerin hängt, wird ausführlich im Kapitel "Selbstjustiz" beschrieben. Stucks Bild kommt hier gleichsam auf dem Weg zur Gleichberechtigung zu stehen, belege "das neue Selbstbewusstsein der Frau in ihrer (Sexual-)Beziehung eindrücklich". Die Autorinnen erzählen in ihren anregenden Bildinterpretationen auch immer Rechtsgeschichte. Bei Stucks "Judith" etwa so: "Es ist ein Verdienst der zweiten Welle der Frauenbewegung, welche ihren Ausfluss unter anderem im feministischen Ansatz in der Kriminologie hat, dass auf der einen Seite Prostitution legalisiert und auf der anderen Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt worden ist." Selbstjustiz freilich, für die Judith als historisches Beispiel herangezogen wird, ist strafbar, denn "der Konflikt zwischen Opfer und Täter geht in die Hände staatlicher Strafverfolgung über". Gern zitieren Uhl und Tabbert jeweils auch die entsprechenden Gesetze, in Judiths Fall Paragraph 151, 152 der Strafprozessordnung. Und Mord ist es bei Judiths Umgang mit Holofernes sowieso. Was in ihrem sehr besonderen Fall natürlich nichts daran ändert, dass sie als Heldin in die Geschichte einging und Bildgeschichte schrieb.
F.P.
Katharina Uhl, Ulrike Tabbert: "Täter im Bild". Betrachtungen zwischen Kunstgeschichte und Kriminologie.
Illustrationen von Leonard Ermel.
Verlag für moderne Kunst. Wien 2020. 82 S., Abb., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main