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Wie ist es zu erklären, daß viele, die in herausgehobener Weise Stützen und Nutznießer der sozialistischen Diktaturen waren und deren Verhalten nach allgemeiner Überzeugung als schuldbeladen gilt, zum Zeitpunkt ihrer Taten glaubten, etwas Richtiges zu tun? Wie ist das Verhalten solcher Personen - Täter mit gutem Gewissen - moralisch zu bewerten? Es ist eines der wesentlichen Ziele des Buches, diesem Typus von Täter zu zeigen, daß sein gutes Gewissen fälschlicherweise existierte oder noch existiert. Damit soll ein Beitrag zur Zersetzung des guten Gewissens von Tätern geleistet werden. Der Autor…mehr

Produktbeschreibung
Wie ist es zu erklären, daß viele, die in herausgehobener Weise Stützen und Nutznießer der sozialistischen Diktaturen waren und deren Verhalten nach allgemeiner Überzeugung als schuldbeladen gilt, zum Zeitpunkt ihrer Taten glaubten, etwas Richtiges zu tun? Wie ist das Verhalten solcher Personen - Täter mit gutem Gewissen - moralisch zu bewerten? Es ist eines der wesentlichen Ziele des Buches, diesem Typus von Täter zu zeigen, daß sein gutes Gewissen fälschlicherweise existierte oder noch existiert. Damit soll ein Beitrag zur Zersetzung des guten Gewissens von Tätern geleistet werden. Der Autor folgt dabei dem Prinzip einer möglichst optimalen Verteidigung: Schuldvorwürfe werden erst nach Aufbietung möglichst aller Entlastungsargumente erhoben. Die Analyse ergibt, daß der Grund für das Versagen der Täter vor allem in kognitiven Defiziten zu suchen ist. Insofern der Handelnde selbst für sie verantwortlich ist, ist sein Verhalten auch moralisch vorwerfbar. Der moralischen Entlastung der Täter dienen Verweise auf die unterschiedlichen Arten von Schwierigkeiten, sich im Bereich des Politischen ein Urteil zu bilden und angemessen zu handeln. Die Habilitationsschrift des Autors wurde 1998 mit dem Förderpreis der Gesellschaft für Deutschlandforschung ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.1999

Gewissens-Pragmatismus
Verantwortung in der Diktatur

Lothar Fritze: Täter mit gutem Gewissen. Über menschliches Versagen im diktatorischen Sozialismus. Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Band 6. Böhlau Verlag, Köln und Weimar 1998. 436 Seiten, 78,- Mark.

Ein in den neuen Bundesländern weit verbreiteter Schüttelreim verdeutlicht, was viele Eingeborene über das Verhältnis von Schein und Sein bei manchen ihrer westdeutschen "Kolonisatoren" denken: "Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm, beim Wessi ist es andersrum." Doch mittlerweile haben westliche Überlebenstechniken längst den früheren "Eisernen Vorhang" übersprungen, auch viele Ostdeutsche erweisen sich diesbezüglich als lernfähig.

Lothar Fritze, Privatdozent an der TU Chemnitz und Mitarbeiter des Hannah-Arendt-Instituts Dresden, hatte Ende der siebziger Jahre zunächst "Sozialistische Betriebswirtschaft" studiert und arbeitete anschließend als Ökonom. Seinem heutigen Betätigungsfeld näherte er sich autodidaktisch; kurz vor dem Zusammenbruch der SED-Herrschaft promovierte er mit einer Arbeit über "Bedürfnistheorie" an der Humboldt-Universität zu Berlin. Der Leser sucht solcherlei biographische Aspekte aus grauer Vorzeit in dem vorliegenden vierhundertseitigen Konvolut allerdings vergeblich, Fritze hält sie offenbar für nicht erwähnenswert. Er stellt sich nicht einmal die Frage, ob nicht seine Sicht auf Verhaltenstypen im Realsozialismus - die noch dazu vorwiegend aus den Verhältnissen im SED-Staat gewonnen wurden - von seinem eigenen Erfahrungshintergrund zumindest mitgeprägt sein könnte. Zugleich verzichtet er auf eine systematische Darstellung des Forschungsstandes, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen und eine Beschäftigung mit verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen nötig machen würde. Folgerichtig wirkt seine Literaturauswahl ausgesprochen beliebig, so fehlen nicht zuletzt die polarisierenden Thesen des Hallenser Psychotherapeuten Hans-Joachim Maaz, eines Pioniers der Erforschung der Mentalitäten der DDR-Bewohner.

Fritze meint, dass ein maßgeblicher Teil der aktiv an der Ausübung der Diktatur Beteiligten mit "gutem Gewissen" bei der Sache war. Es gehe mithin nicht an, sie wegen ihres politisch zweifellos falschen Handelns umstandslos moralisch zu verurteilen. Um das gute Gewissen der Täter zu "zersetzen", müsste ihnen vielmehr die Verletzung "kognitiver Pflichten" nachgewiesen werden. Darum bemüht er sich in langen, oft ermüdenden Argumentationsketten. Auch wenn einige Passagen durchaus mit Gewinn zu lesen sind, bleibt dennoch unverständlich, warum sich der Autor beispielsweise weigert, zumindest Grundlagen westlicher Politikwissenschaft zur Kenntnis zu nehmen. Der von ihm weitgehend unreflektiert verwendete, rein funktionale Demokratiebegriff hat mit dem (werteorientierten) Demokratiebegriff des Grundgesetzes jedenfalls wenig gemeinsam. Demokratie ist für ihn "kein Wert an sich", sondern in erster Linie von ihren Ergebnissen her zu beurteilen. Es sei "weder selbstverständlich noch notwendig, (. . .) ein Leben unter demokratischen Verhältnissen einem Leben in der Diktatur unter allen Umständen vorzuziehen".

Insgesamt verbreitet Fritze "pragmatische Skepsis", da "unser Wissen grundsätzlich unsicher" ist, es ein "Menschenrecht auf Irrtum" gäbe und deshalb für die Zukunft zu erwarten sei, dass sich sehr viele unter ähnlichen Bedingungen auch wieder ähnlich verhalten würden. Die Auszeichnung der Arbeit Fritzes mit dem Förderpreis der Gesellschaft für Deutschlandforschung (1998) verwundert schon. Einen wesentlichen Beitrag zur Analyse "realsozialistischer" Verhaltensmuster leistet das Buch nicht.

STEFFEN ALISCH

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