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Über den Holocaust ist viel geschrieben worden, aber die wichtigste Frage ist bis heute nicht beantwortet: Wie waren all die ganz normalen Männer imstande, massenhaft Menschen zu töten? Es gab keine Personengruppe, die sich der Aufforderung zum Morden verschlossen hätte, weshalb alle Erklärungsansätze, die sich auf die Persönlichkeiten der Täter, ihre Charaktereigenschaften, ihre psychische Verfassung richten, nicht weiterführen.
Harald Welzer untersucht Taten aus dem Holocaust - und auch aus anderen Genoziden (z.B. in Vietnam, Serbien, Kroatien, Bosnien und Ruanda) - in ihrem jeweiligen
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Produktbeschreibung
Über den Holocaust ist viel geschrieben worden, aber die wichtigste Frage ist bis heute nicht beantwortet: Wie waren all die ganz normalen Männer imstande, massenhaft Menschen zu töten? Es gab keine Personengruppe, die sich der Aufforderung zum Morden verschlossen hätte, weshalb alle Erklärungsansätze, die sich auf die Persönlichkeiten der Täter, ihre Charaktereigenschaften, ihre psychische Verfassung richten, nicht weiterführen.

Harald Welzer untersucht Taten aus dem Holocaust - und auch aus anderen Genoziden (z.B. in Vietnam, Serbien, Kroatien, Bosnien und Ruanda) - in ihrem jeweiligen sozialen und situativen Rahmen und zeigt, wie das Töten innerhalb weniger Wochen zu einer Arbeit hatte werden können, die erledigt wurde wie jede andere auch.

Mit seiner sozialpsychologischen Studie öffnet Welzer eine Perspektive auf die Täter, die auf beunruhigende Weise erhellt, wie Tötungsbereitschaft erzeugt wird, und wie wenig unseren moralischen Überzeugungen zu trauen ist.

Autorenporträt
Harald Welzer, geboren 1958, ist Sozialpsychologe und Direktor von FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit.
Seine Bücher sind in 15 Sprachen übersetzt worden.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Sehr interessant findet der Rezensent Norbert Frei das vorliegende Buch des Sozialpsychologen Harald Welzer. Welzer stelle sich die Frage, wie man das Verhalten derer erklären könne, die in der NS-Zeit zu "Direkttätern" wurden. Aufgrund seiner Vermutung, dass man nicht von einem wahrhaft verinnerlicherten und dann lediglich angewandten Judenhass ausgehen könne, suche er nach anderen Antworten. Er macht sich dazu die Erkenntnisse der Konformitäts- und Gehorsamsforschung zunutze, so der Rezensent, und verquickt diese mit einer "mikrohistorischen Rekonstruktion" der Abläufe der einzelnen Taten und deren Deutungen. Welzer, den dabei weniger das Spezifische, sondern das wiederkehrende Muster interessiert, kommt dabei zu dem Schluss, dass sich in einem dynamischen Prozess "Routinen" des Tötens ausbilden. "Alles ist möglich", laute das deprimierende Fazit des Autors, der jedoch jede Art von "anthropologisierendem Raunen" über die böse Natur des Menschen unterlässt, wie der Rezensent sich beeilt klarzustellen. De facto sei die NS-Moral so einnehmend gewesen, dass sie sogar die bürgerlichen Überzeugungen aufgehoben habe. Dafür, so der Rezensent, spräche in der Tat die extreme Rückkehr zur Bürgerlichkeit in den fünfziger Jahren, die man aus dieser Perspektive als "sozialpsychologische Rekonstruktionsleistung" deuten könnte.

© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.10.2005

Alles ist möglich
Wie Menschen zu Tätern werden: Harald Welzers Einfühlung
Als sechzehn Versuchspersonen im Rahmen eines Rorschach-Tests amorphe Tintenklecksbilder vorgelegt bekamen und sie nach ihren Assoziationen befragt wurden, wollten fünf von ihnen darin ein Chamäleon erkennen. Ansonsten fielen keine ungewöhnlichen psychischen Merkmale auf. Allerdings schien es sich bei den Untersuchten um Personen von überdurchschnittlicher Kreativität und Phantasie zu handeln - wahrscheinlich, wie einer der untersuchenden Psychologen anerkennend meinte, um Kollegen aus der eigenen Disziplin. Was die Gutachter nicht wussten: Man hatte ihnen die Akten eines Tests vorgelegt, der während der Nürnberger Prozesse an der überlebenden NS-Führungselite durchgeführt worden war.
Harald Welzer, der seine Studie über die Entwicklung von ganz normalen Menschen zu Massenmördern mit einer kleinen Geschichte dieser psychologischen Untersuchungen eröffnet, zieht die Distanz zwischen Tätern und Lesern ein. Er arbeitet viel mit Aussagen von Auftraggebern und Vollstreckern des Holocaust, aus der Zeit der Taten selbst ebenso wie aus späteren Rechtfertigungen vor Gerichten. Viele dieser Sätze glaubt man so oder ähnlich schon öfter gelesen zu haben. Üblicherweise werden sie jedoch im Modus von strafenden Zitaten präsentiert, die scheinbar nicht kommentiert werden müssen, weil der Leser gar nicht anders könne, als sich über den zynischen Wortlaut zu empören.
Welzer jedoch verweigert dem Leser diese einfache Empörung. Vielmehr zeigt er überzeugend, dass die meisten dieser Aussagen nicht etwa von pathologischen Sadisten stammen, sondern eine immanente Rationalität besitzen, die man Schritt für Schritt nachvollziehen muss, um etwas von der Dynamik zu verstehen, die zum Holocaust führen konnte. Welzer stützt sich dabei auf Grundannahmen der Sozialpsychologie, die er en passant einführt: Menschen handeln weder auf der Grundlage von anthropologischen Konstanten noch folgen sie ausschließlich ihren individuellen Triebschicksalen, sondern sie versuchen sich in einem sozialen Gefüge zu bewähren. Davon künden noch die Rechtfertigungen der Mörder.
Eine Sache des Pflichtgefühls
Hinsichtlich seiner Aufmerksamkeit auf den Wortlaut solcher Aussagen ist Welzers Buch ein Gegenstück zu Romuald Karmakars dreistündigem Film „Das Himmler-Projekt”, in dem der einzige Schauspieler Manfred Zapatka nichts anderes tut als Heinrich Himmlers berüchtigte Posener Rede von 1943 vorzulesen. Auch Welzer zitiert diese Rede bereits in einer Fußnote zum ersten Teil seines Buches, wenn er die nationalsozialistischen Moralkonventionen im Allgemeinen herausarbeitet. Äußerst anschaulich wird dies im Hauptteil des Buches, in einer ausführlichen Fallstudie über das Polizeibataillon 45, das unter anderem für die Ermordung von mehr als 33 000 ukrainischen Juden in der Nähe von Kiew mitverantwortlich war. Vor einem solchen Hintergrund erscheint die Logik der Posener Rede nachvollziehbar, aus der Welzer am Ende noch einmal einen langen Ausschnitt zitiert, mit dem berühmtesten Satz ziemlich genau in der Mitte: „Dies durchgehalten zu haben und dabei - abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen - anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht.”
Tatsächlich hat Welzer gezeigt, dass die Morde als unangenehme Arbeit empfunden wurden, zu der sich nur Wenige mit vorbehaltloser Begeisterung meldeten. Hat man einmal akzeptiert, dass die Vernichtung der Juden unumgänglich notwendig ist, so ist die Ausführung dieser Arbeit eine Sache des Pflichtgefühls. Die Massenmorde wurden durch fortschreitende Professionalisierung in Normalität überführt, nur selten im Blutrausch durchgeführt. „Unanständigkeiten” - dass also, mit Himmlers Beispiel, etwa einem Ermordeten eine Zigarette entwendet wurde - kamen zwar zweifellos häufiger vor als Himmler behauptete, waren aber zumindest phasenweise durchaus als solche markiert und wurden in Einzelfällen sogar gerichtlich untersucht. Etwas wie Moral war also keineswegs gänzlich verschwunden, nur hatte sich ihr „Referenzrahmen”, in einer allerdings unheimlichen Weise, verschoben.
Es kommt noch schlimmer. Das Pflichtgefühl der Mörder ist keineswegs mit blindem Gehorsam zu verwechseln, die Organisation nicht mit einer gänzlich unbefragbaren Befehlshierarchie. Vielmehr macht Welzer deutlich, dass zur Optimierung der Massenmorde gerade solche Qualitäten gehörten, die man auch in jedem demokratischen Staat und jedem kreativen Unternehmen schätzt: die Fähigkeiten, Konflikte zu moderieren, Verbesserungsvorschläge zu machen, das weitere Vorgehen diskursiv auszuhandeln, Aufgaben sozialverträglich zu verteilen usw.
Überzeugend ist etwa Welzers Analyse der Funktion von Vorgesetzten wie jenem „Papa Gutmann” (ein Pseudonym aus datenschutzrechtlichen Gründen), der die Tötungsbefehle zunächst nur zögerlich weiterleitet und noch später Verständnis mit jedem Exekutor zeigt, der sich übergeben muss, wenn ihm das Gehirn seines Opfers ins Gesicht spritzt: Gerade als „schwache Autorität” war dieser Major hilfreich für die allmähliche Eingewöhnung der Novizen in ihren Aufgabenbereich als Massenmörder.
Die Braven im Heimatland
Das Fazit ist alarmierend, wenngleich nicht ganz neu: „Alles ist möglich.” Allenfalls eine Beruhigung hält Welzer bereit, die er aus einer Interpretation des so genannten Milgram-Experimentes ableitet, bei dem sich gezeigt hat, wie leicht sich Probanden von Versuchsleitern befehlen lassen, als „Lehrer” anderen Probanden, den „Schülern”, Stromschläge zu verabreichen. Wenn sich jedoch „Lehrer” und „Schüler” untereinander kannten, habe die „soziale Nähe” zwischen beiden dazu geführt, dass sehr viel mehr „Lehrer” sich weigerten, die verordneten Stromschläge zu erteilen.
Es kommt aber noch schlimmer. Genau dieses Argument der sozialen Nähe nämlich hat Himmler schon vorweggenommen, um dagegen eine Ethik ins Feld zu führen, die von subjektiven Vorlieben gerade abzusehen habe. Denn auch die „braven 80 Millionen Deutschen” im Heimatland hätten ja im Prinzip kein Problem mit der „Ausrottung des jüdischen Volkes”: „ganz klar steht in unserem Programm, machen wir”, sagen sie Himmler zufolge. Nur führe dann „jeder seinen anständigen Juden” an, den er von der Vernichtung ausnehmen wolle. Ganz offensichtlich widerspricht dieser partikulare Wille der ebenso gewollten allgemeinen Gesetzgebung und kann deshalb nicht als deren Prinzip gelten. Nach Himmlers Logik handeln nur die aufopferungswilligen Mörder im Namen des kategorischen Imperativs, stehen es durch und bleiben anständig, indem sie bewusst davon absehen, dass es auch anständige Juden geben könnte.
Welzer vermeidet die Abgründe der philosophischen Letztbegründung weitgehend und lässt diese Sätze unkommentiert, obwohl sie Teil der zweimal zitierten Passage aus der Posener Rede sind. Er hat sich und seinen Lesern ohnehin sehr viel zugemutet; mancher wird ihm vorhalten, er habe sich in die Täter eingefühlt - und tatsächlich ist es schwer, die schmale Grenze zwischen der Rekonstruktion einer abgründigen Rationalität und der Einfühlung in diese durchgängig zu wahren. Das liegt nicht zuletzt daran, dass das Buch sehr gut geschrieben und komponiert ist. Zweifelhaft erscheint mir allerdings, ob es den Anspruch einlösen kann, exemplarisch auch für Massenmorde jenseits der nationalsozialistischen zu stehen. Dazu sind die anderen Ereignisse, auf die Welzer in einem letzten Kapitel vor dem Fazit kurz eingeht, doch teils zu schwer vergleichbar (das Massaker von My Lai während des Vietnamkriegs), teils zu wenig ausgeführt (der Genozid in Ruanda). Für weitere Studien im Rahmen der vergleichenden Genozidforschung werden die Gewichte der einzelnen Ereignisse gleichmäßiger zu verteilen sein. ROBERT STOCKHAMMER
HARALD WELZER: Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 323 Seiten, 19,90 Euro.
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