Ein wildes Spiel über die Täuschungen der Liebe. Beziehen sich die Notizen über eine exzessive erotische Beziehung, die die Ehefrau des Schriftstellers findet, auf eine wirkliche Geschichte - oder sind sie nur Material für einen Roman? Getäuscht sind am Ende alle - enttäuscht ist keiner. Denn die so beiläufig wirkenden Szenen sind kunstvoll miteinander verknüpft, und hinter dem burlesken erotischen Feuerwerk erscheint das gar nicht so komische Bild unserer Gesellschaft mit ihrem Ehrgeiz, ihrem Prestigedenken, ihren Vorurteilen, ihrer Kontaktarmut und ihrer sexuellen Gier.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.01.2008Lieben, um zu schreiben
Philip Roth: „Täuschung”
Ein Mann und Schriftsteller spricht, nach langer Zeit, mit einer alten Geliebten. Schon jenseits der Vorwürfe stellt sie fest: „Du liebst deine Schreibmaschine mehr, als du je irgendeine Frau lieben kannst.” Er erwidert: „Ich glaube, ich habe euch beide gleichermaßen geliebt.”
Das klingt lahm und ist doch ein großes Kompliment; mehr noch, es nennt das Leben dieses Mannes beim Namen, bei dem man am besten gar nicht fragt, was hier Autor, Erzähler, Figur ist; denn dass alles durcheinandergeht, das ist seine Daseinsform. Er liebt ausschließlich, um zu schreiben; aber er schreibt ausschließlich von der Liebe. Geschmeichelt und misstrauisch nehmen es die Frauen später zur Kenntnis, wie deutlich er sie gesehen und vor allem, wie genau er ihnen zugehört hat. Die Frau, die argwöhnte, sie sei um ihres Körpers willen geliebt worden, muss erkennen, dass es in Wahrheit um ihrer Sätze willen war: Ist das Betrug? Im Buch, das hinterher entsteht, ist sie so ganz da wie noch nie in ihrem Leben, aber sie gehört sich nicht mehr selbst – und ebensowenig der, der diese Verwandlung vollbracht hat. „Jede Frau ein Fick, und jeder Fick eine Scheherezade”, heißt das in Roths geradliniger Art. Doch solche Grobheiten sind die Pfahlwurzel, aus welcher das Fliederwerk der Gespräche keimt, die das Buch zur Gänze bilden, wie die Szenen eines Konversations-Dramas, das auf Regieanweisungen komplett verzichtet. Die „postkoitale Intimität”, die diese Szenen färbt, überbrückt einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren und stellt sicher, dass die beiden Beteiligten, da sie es hinter sich, aber gemeinsam haben, entspannt ihr Bestes geben, das heißt sagen können. Fast wird der Sex zum Angelhaken, der jenes viel kostbarere (manche würden sogar sagen: nichtexistente) Gut der Freundschaft zwischen Frau und Mann an Land zieht.
Der Titel „Täuschung” (englisch: „Deception”) hat etwas sehr Ironisches: Wer täuscht hier wen worüber? Sämtliche Liebesgeschichten vollziehen sich im Modus des Ehebruchs; damit wird der Liebe – oft zum Verdruss, öfter zur romantischen Wehmut der Frauen – ein komprimierter Sonderraum zugewiesen, in dem nur sie, die Liebe, verweilen darf und der Streit um den verbrannten Toast, der unter Eheleuten nicht ausbleibt, keinen Fuß in die Tür kriegt. Die Verwicklungen, die das geheime Verhältnis schafft, sind das Elixier eines intelligenten Menschen. Es hört sich, wenn die Geliebte einen blauen Fleck erklären soll, so an:
„,Was hast du gesagt?‘
‚Ich habe gesagt: Dieser blaue Fleck stammt aus einer stürmischen Umarmung mit einem beschäftigungslosen Schriftsteller in einem Wohnhaus ohne Fahrstuhl in Notting Hill.‘
‚Und?‘
‚Es klingt albern und man lacht.‘
‚Und du bewahrst dir die Illusion, dass du eine ehrliche Frau bist.‘
‚Genau.‘”
Macht das Leben so nicht gleich viel mehr Spaß? Es macht Spaß sogar dann, wenn es sich beim Beredeten um die schrecklichsten Dinge handelt. Eine Frau meint, dass ihr Vater sie angerufen habe, das allein sei ihren ganzen Krebs wert gewesen. Bei jedem anderen Autor wäre so etwas bloß niederschmetternd. Roth aber, der so sehr die menschliche Rede liebt, vermischt das Todtraurige mit dem Witz darüber in einer Weise, dass man beides, getröstet, gar nicht mehr auseinanderkennt. bmue
Philip Roth Foto: AP / Süddeutsche Zeitung Photo
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Philip Roth: „Täuschung”
Ein Mann und Schriftsteller spricht, nach langer Zeit, mit einer alten Geliebten. Schon jenseits der Vorwürfe stellt sie fest: „Du liebst deine Schreibmaschine mehr, als du je irgendeine Frau lieben kannst.” Er erwidert: „Ich glaube, ich habe euch beide gleichermaßen geliebt.”
Das klingt lahm und ist doch ein großes Kompliment; mehr noch, es nennt das Leben dieses Mannes beim Namen, bei dem man am besten gar nicht fragt, was hier Autor, Erzähler, Figur ist; denn dass alles durcheinandergeht, das ist seine Daseinsform. Er liebt ausschließlich, um zu schreiben; aber er schreibt ausschließlich von der Liebe. Geschmeichelt und misstrauisch nehmen es die Frauen später zur Kenntnis, wie deutlich er sie gesehen und vor allem, wie genau er ihnen zugehört hat. Die Frau, die argwöhnte, sie sei um ihres Körpers willen geliebt worden, muss erkennen, dass es in Wahrheit um ihrer Sätze willen war: Ist das Betrug? Im Buch, das hinterher entsteht, ist sie so ganz da wie noch nie in ihrem Leben, aber sie gehört sich nicht mehr selbst – und ebensowenig der, der diese Verwandlung vollbracht hat. „Jede Frau ein Fick, und jeder Fick eine Scheherezade”, heißt das in Roths geradliniger Art. Doch solche Grobheiten sind die Pfahlwurzel, aus welcher das Fliederwerk der Gespräche keimt, die das Buch zur Gänze bilden, wie die Szenen eines Konversations-Dramas, das auf Regieanweisungen komplett verzichtet. Die „postkoitale Intimität”, die diese Szenen färbt, überbrückt einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren und stellt sicher, dass die beiden Beteiligten, da sie es hinter sich, aber gemeinsam haben, entspannt ihr Bestes geben, das heißt sagen können. Fast wird der Sex zum Angelhaken, der jenes viel kostbarere (manche würden sogar sagen: nichtexistente) Gut der Freundschaft zwischen Frau und Mann an Land zieht.
Der Titel „Täuschung” (englisch: „Deception”) hat etwas sehr Ironisches: Wer täuscht hier wen worüber? Sämtliche Liebesgeschichten vollziehen sich im Modus des Ehebruchs; damit wird der Liebe – oft zum Verdruss, öfter zur romantischen Wehmut der Frauen – ein komprimierter Sonderraum zugewiesen, in dem nur sie, die Liebe, verweilen darf und der Streit um den verbrannten Toast, der unter Eheleuten nicht ausbleibt, keinen Fuß in die Tür kriegt. Die Verwicklungen, die das geheime Verhältnis schafft, sind das Elixier eines intelligenten Menschen. Es hört sich, wenn die Geliebte einen blauen Fleck erklären soll, so an:
„,Was hast du gesagt?‘
‚Ich habe gesagt: Dieser blaue Fleck stammt aus einer stürmischen Umarmung mit einem beschäftigungslosen Schriftsteller in einem Wohnhaus ohne Fahrstuhl in Notting Hill.‘
‚Und?‘
‚Es klingt albern und man lacht.‘
‚Und du bewahrst dir die Illusion, dass du eine ehrliche Frau bist.‘
‚Genau.‘”
Macht das Leben so nicht gleich viel mehr Spaß? Es macht Spaß sogar dann, wenn es sich beim Beredeten um die schrecklichsten Dinge handelt. Eine Frau meint, dass ihr Vater sie angerufen habe, das allein sei ihren ganzen Krebs wert gewesen. Bei jedem anderen Autor wäre so etwas bloß niederschmetternd. Roth aber, der so sehr die menschliche Rede liebt, vermischt das Todtraurige mit dem Witz darüber in einer Weise, dass man beides, getröstet, gar nicht mehr auseinanderkennt. bmue
Philip Roth Foto: AP / Süddeutsche Zeitung Photo
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"Ein dolles Buch. Dieser Philip Roth - er ist schon ein Witzbold hohen Ranges, also ein seltener Vogel. In Berlin sagt man: Ich habe mir amüsiert wie Bolle. Ein außergewöhnlicher, ein hochintelligenter Autor, der unbeirrt seinen Weg geht und uns eine Überraschung nach der anderen bereitet, ist Philip Roth mit Sicherheit." Marcel Reich-Ranicki, FAZ, 13.03.1993