Nietzsche, Hofmannsthal und viele andere haben das Tagebuch von Henri-Frédéric Amiel gelesen, bewundert und diskutiert. Erst nach dem Tod des Genfer Philosophieprofessors sind Auszüge aus dem fast 17000 Seiten umfassenden und über 30 Jahre geführten Tagebuch publiziert worden. Es ist das Zeugnis einer bewegten Epoche und ihres Zeitgeistes. Und es ist eines der wichtigsten Werke der europäischen Literatur. Tolstoi war so begeistert, dass er eine Auswahl getroffen und sie auf russisch herausgebracht hat, übersetzt von seiner Tochter. Der renommierte Übersetzer und Herausgeber Felix Philipp Ingold macht die von Tolstoi getroffene Auswahl nun erstmals dem deutschsprachigen Publikum zugänglich.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Wir erfahren, erläutert Dieter Hildebrandt, in diesem "schönen" Band nicht nur etwas über den Genfer Philosophieprofessor und Schöngeist Henri-Frederic Amiel, sondern auch, anhand der hier beibehaltenen Auswahl, viel über ihren einstmaligen Herausgeber Leo Tolstoi. Der, weiß Hildebrandt, hatte 1894 - Amiel war da bereits tot - gerade beschlossen, selber nichts mehr zu schreiben und entdeckte in Amiel einen seiner Säulenheiligen. Einer, der sich gerade zurückzieht, findet zu einem, der "nie im Leben aus sich herausgegangen war"? Paradox, meint Hildebrandt, der Tolstois unbedingte Begeisterung für die penibel geführten Aufzeichnungen des einsamen Pflichtmenschen Amiel zwar nicht ganz nachvollziehen kann, der aber zugesteht: "Immerhin gelingen ihm aus der Position dessen, der vor sich selbst zum kritisch beäugten Außenseiter wird, Zeitdiagnosen, die auch noch nach hundert Jahren Aktualität besitzen (...); in manchem erinnert er dann an die Verve eines Karl Kraus."
© Perlentaucher Medien GmbH
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