Dreißig Jahre lang hat Frank McCourt, der Amerikaner mit der unglücklichen irischen katholischen Kindheit, in New Yorker Schulen unterrichtet. Jetzt erzählt er, was er von seinen insgesamt zwölftausend Schülern gelernt hat als Lehrer, als Geschichtenerzähler, als Schriftsteller. Ein »McCourt«, wie man ihn liebt: voll Witz und Charme, voll Verzweiflung, Ironie und Lebensweisheit.
Dreißig Jahre lang hat Frank McCourt an New Yorker Schulen unterrichtet. Hat versucht, launische, genervte oder aufsässige Schüler zu fesseln und ihre Herzen zu gewinnen - mit den unkonventionellsten Methoden, was ihm oft Ärger mit den Vorgesetzten einbrachte. Vor allem jedoch hat er ihnen Geschichten erzählt, Geschichten aus seiner Kindheit, aus Irland, aus seinem Leben - und verblüfft festgestellt, dass die Kinder immer mehr hören wollten. Mit entwaffnender Ehrlichkeit und viel Humor schildert er seinen Kampf im Klassenzimmer, offenbart Selbstzweifel und Unsicherheit, peinliche Niederlagen und erhebende Augenblicke. Die abendliche Flucht in die Kneipe, Gespräche mit anderen Schriftstellern, seinen ewigen unerfüllten Traum, selbst einer zu werden, verschweigt er ebensowenig wie das Scheitern seiner Ehe oder den misslungenen Versuch, am Trinity College in Dublin - das ihm einst als Gossenjunge aus Limerick so unerreichbar schien - zu promovieren.In der Schule, vor seinem strengsten Publikum, hat McCourt gelernt, dass man seine Zuhörer ernst nehmen muss, wenn man sie erreichen will. Hier hat er gelernt, sie mit der ihm eigenen Mischung aus Witz und Selbstironie, Offenheit und Lebensweisheit zu fesseln. Und hier hat er erstmals zum Erzählen seiner Lebensgeschichte gefunden, die ihn später mit "Die Asche meiner Mutter" weltberühmt machte.
Dreißig Jahre lang hat Frank McCourt an New Yorker Schulen unterrichtet. Hat versucht, launische, genervte oder aufsässige Schüler zu fesseln und ihre Herzen zu gewinnen - mit den unkonventionellsten Methoden, was ihm oft Ärger mit den Vorgesetzten einbrachte. Vor allem jedoch hat er ihnen Geschichten erzählt, Geschichten aus seiner Kindheit, aus Irland, aus seinem Leben - und verblüfft festgestellt, dass die Kinder immer mehr hören wollten. Mit entwaffnender Ehrlichkeit und viel Humor schildert er seinen Kampf im Klassenzimmer, offenbart Selbstzweifel und Unsicherheit, peinliche Niederlagen und erhebende Augenblicke. Die abendliche Flucht in die Kneipe, Gespräche mit anderen Schriftstellern, seinen ewigen unerfüllten Traum, selbst einer zu werden, verschweigt er ebensowenig wie das Scheitern seiner Ehe oder den misslungenen Versuch, am Trinity College in Dublin - das ihm einst als Gossenjunge aus Limerick so unerreichbar schien - zu promovieren.In der Schule, vor seinem strengsten Publikum, hat McCourt gelernt, dass man seine Zuhörer ernst nehmen muss, wenn man sie erreichen will. Hier hat er gelernt, sie mit der ihm eigenen Mischung aus Witz und Selbstironie, Offenheit und Lebensweisheit zu fesseln. Und hier hat er erstmals zum Erzählen seiner Lebensgeschichte gefunden, die ihn später mit "Die Asche meiner Mutter" weltberühmt machte.
"Das beste Buch McCourts - ein hinreißendes Werk autobiographischer Erzählkunst." Los Angeles Times
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.12.2006Zu Gast bei Lehrer Lämpel
Die mochten ihn alle leiden: Frank McCourts Erinnerungen
Als der junge Frank McCourt im Jahre 1958 erstmals in seiner neuen Eigenschaft als Englischlehrer ein New Yorker Klassenzimmer voller lärmender Teenager betritt, fliegt ihm ein Sandwich vor die Füße. Er ermahnt den Verursacher: "Hör auf, mit Sandwiches um dich zu schmeißen." Sogleich wird er von den Schülern belehrt, es habe keinen Sinn, etwas zu verbieten, was schon geschehen sei. Nun greift er zu einer Überraschungstaktik: Er wickelt das von der italienischen Mamma des Schülers liebevoll belegte Brot aus der Verpackung und verspeist es mit Genuß. Unter den verblüfften Schülern kehrt Ruhe ein.
Aber just in diesem Moment blickt der auf dem Gang patrouillierende Rektor durch das in amerikanischen Schulzimmertüren wohl obligatorische Türfenster. Er bittet den jungen Kollegen auf ein Wort nach draußen. Es gehe nicht an, daß eine Lehrkraft im Unterricht ihr Mittagessen verspeise. Die Schüler empfinden McCourts Behandlung durch den Rektor als unfair. Der Sandwichwerfer tröstet ihn: Er werde seiner Mutter berichten, wie gut dem Lehrer das Pausenbrot geschmeckt habe. Er solle aber nicht erwähnen, daß er es weggeschmissen habe, rät der Pädagoge. Keinesfalls, meint der Schüler, schließlich gehe seine Mutter nach sizilianischer Art "immer gleich auf die Palme".
Mit dieser Episode von seinem ersten Schultag als Lehrer illustriert McCourt in seinem neuen Buch "Tag und Nacht und auch im Sommer" (im Original "Teacher Man") eine seiner Erkenntnisse aus dreißig Jahren Schuldienst: Lehrer und Schüler entwickeln Solidarität gegen Bedrohungen von außen, ob sie nun von Schulleitern oder von Eltern ausgehen. Seine zweite Einsicht lautet: Lehren heißt lernen, und zwar learning by doing. Auf die meisten Situationen im Klassenzimmer haben ihn seine Pädagogikprofessoren nicht vorbereitet. Auch die Ratschläge erfahrener Kollegen helfen selten. Bloß nicht zuviel Persönliches erzählen, raten die "alten Hasen".
Lehrer McCourt hingegen macht ausgiebige Berichte aus seiner Kindheit und Jugend in Irland zu seinem Markenzeichen. Als er doch einmal versucht, diesbezügliche Schülerfragen mit einem Scherz abzublocken, geht das gründlich schief: Ob er in Irland auch mit Mädchen ausgegangen sei, will ein Schüler wissen. "Wir sind mit Schafen ausgegangen. Was denkt ihr denn?" lautet die Antwort. Am nächsten Tag verweist der Schulleiter auf dreizehn Beschwerden von Eltern, der neue Lehrer propagiere Sodomie.
Frank McCourt, 1930 als Sohn irischer Eltern in Brooklyn geboren, seit seinem vierten Lebensjahr in Irland aufgewachsen, schließlich als Neunzehnjähriger nach New York zurückgekehrt, hat mit seinem ersten Erinnerungsbuch "Die Asche meiner Mutter" einen Welterfolg erzielt. Darin schreibt er: "Natürlich hatte ich eine unglückliche Kindheit; eine glückliche Kindheit lohnt sich ja kaum." Wenn er jetzt wieder auf seine Kinderzeit mit ihrer ungesunden Mischung aus Armut und irischem Katholizismus zu sprechen kommt, hat man den Eindruck, daß ein erfolgreiches Label bedient wird: McCourt, das ist doch der mit der unglücklichen Kindheit. Doch gewinnt er im Klassenzimmer auch diese Erkenntnis: "Auch für Elendsgeschichten gibt es irgendwo eine Grenze." Also geht es im weiteren Verlauf dann weniger um die Kindheit als um die Erfahrungen als Pädagoge. Deutlich wird, daß das erste Buch eine lange orale Vorbereitungsphase hatte: die Geburt der Literatur aus dem Geist der Schulstunde. Nebenbei erfährt man aber auch von früheren Veröffentlichungen in amerikanischen und irischen Zeitschriften, was das Bild vom spätberufenen Rentner-Schriftsteller korrigiert.
McCourts halbherzige Versuche, in die pädagogischen Erinnerungen Elemente der Fortschreibung seiner außerschulischen Biographie einzuflechten, tun dem Buch nicht gut. Zu unvermittelt und unverbunden werden sie zwischen die Schulszenen gepreßt. "Mit dreißig heiratete ich Alberta Small", heißt es da, aber Alberta Small ist zuvor kein einziges Mal erwähnt worden. Auch später gewinnt die Frau, mit der McCourt immerhin neunzehn Jahre verheiratet bleibt, nicht annähernd ein so klares Profil wie etwa Serena, die Wortführerin einer Klasse mit neunundzwanzig quirligen schwarzen Mädchen und zwei bedauernswerten puertoricanischen Jungen, oder Bob Stein, der Rabbinersohn, den es in die Landwirtschaft zieht.
Sein Leben außerhalb der Schule stellt der Autor, stets in munterem Tonfall, als eine Serie von Mißerfolgen dar. Und selbst bezüglich seiner Lehrertätigkeit kommt er immer wieder auf Selbstzweifel und Gefühle des Ungenügens zu sprechen, die er auf Schuldkomplexe aufgrund der katholischen Erziehung zurückführt. Ein wenig erfüllen diese Passagen aber wohl auch die rhetorische Funktion von Bescheidenheitstopoi: McCourt macht sich selbst gern klein, um sich dann in ein um so besseres Licht setzen zu können, indem er behaglich sein Lob durch Schüler und an seiner letzten Lehrerstation, der angesehenen Stuyvesant High School in Manhattan, endlich auch durch Vorgesetzte zitiert.
Wie sehr ihm, bei allen Schwierigkeiten, die Arbeit mit den Teenagern ans Herz gewachsen ist, wird klar, als er an einem College in Brooklyn Abendkurse für Berufstätige abhält. "Niemand mußte austreten. Niemand meldete sich, um einen anderen zu beschuldigen, er habe ihm ein Sandwich oder ein Buch oder seinen Platz weggenommen. Niemand versuchte, mich vom Thema abzubringen, indem er mich nach Irland im allgemeinen oder meiner unglücklichen Kindheit im besonderen fragte." Das ist nichts für diesen Lehrer.
Im pointierten anekdotischen und episodischen Erzählen, in den prägnanten und feinfühligen Schülerporträts liegen die Stärken dieses Buches. Um Analyse und Einordnung in größere Zusammenhänge bemüht es sich erst gar nicht. So beklagt der Autor die schlechte Bezahlung und mangelnde gesellschaftliche Anerkennung amerikanischer High-School-Lehrer, während für Universitätsprofessoren vergleichsweise paradiesische Zustände herrschten. Die Frage, warum das so ist, ob gar das eine mit dem anderen etwas zu tun hat, wirft er nicht auf. Gerade unter diesem Aspekt wäre aber aus deutscher Sicht ein Blick auf das amerikanische Bildungssystem interessant. Denn auch bei uns ist ja zu beobachten, daß die Gesellschaft immer mehr Probleme bei den Lehrern ablädt, deren Ansehen stetig abnimmt, während man zugleich auf dem Hochschulsektor krampfhaft versucht, das amerikanische Modell nachzuäffen.
Auch dieses dritte Buch von Frank McCourt hat hierzulande sogleich wieder den Sprung auf die Bestsellerliste geschafft, wo es, trotz seiner narrativen Konzeption, in der Sachbuch-Rubrik geführt wird. Das liegt wohl am Untertitel "Erinnerungen", im Original "A Memoir". Über die Reinheit dieser Gattungsbezeichnung wachen in Amerika selbsternannte Faktenkontrolleure, die jüngst dem Autor James Frey zusetzten, der einen als Roman von mehreren Verlagen abgelehnten Text als Erinnerungsbuch erfolgreich auf den Markt brachte. Der Skandal war groß: Wo "A Memoir" draufstehe, so hieß es, dürfe nichts als die reine Wahrheit enthalten sein. Natürlich, wie bei den Memoiren von Politikern und Filmstars! Doch McCourt hat hier gewiß nichts zu befürchten. Es ist kaum anzunehmen, daß jemand die Aufgabe auf sich nimmt, seine rund zwölftausend Schüler (soweit sie noch leben) zu befragen, ob sich auch alles wirklich so abgespielt hat wie vom Autor geschildert.
Auf der Bestsellerliste findet sich McCourts Buch in der Nachbarschaft eines anderen Lehrerbuchs: "Lob der Disziplin" von Bernhard Bueb. Ob dem langjährigen Internatsleiter "Tag und Nacht und auch im Sommer" gefallen könnte? Mit McCourts kritischer Haltung gegenüber Schulleitern kann er sich sicher nur schwer anfreunden. Und daß ein Lehrer gefälschte Entschuldigungsschreiben zum Anlaß nimmt, seine Schüler kreative Entschuldigungen für historische und mythologische Personen schreiben zu lassen, anstatt disziplinarische Maßnahmen zu ergreifen, liegt wohl auch nicht gerade auf der Linie von "Deutschlands strengstem Lehrer". Doch den von ihm geforderten "pädagogischen Eros" wird auch Bueb seinem unkonventionellen irisch-amerikanischen Kollegen nicht gänzlich absprechen können.
HARDY REICH
Frank McCourt: "Tag und Nacht und auch im Sommer". Erinnerungen. Aus dem Englischen übersetzt von Rudolf Hermstein. Luchterhand Literaturverlag, München 2006. 331 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die mochten ihn alle leiden: Frank McCourts Erinnerungen
Als der junge Frank McCourt im Jahre 1958 erstmals in seiner neuen Eigenschaft als Englischlehrer ein New Yorker Klassenzimmer voller lärmender Teenager betritt, fliegt ihm ein Sandwich vor die Füße. Er ermahnt den Verursacher: "Hör auf, mit Sandwiches um dich zu schmeißen." Sogleich wird er von den Schülern belehrt, es habe keinen Sinn, etwas zu verbieten, was schon geschehen sei. Nun greift er zu einer Überraschungstaktik: Er wickelt das von der italienischen Mamma des Schülers liebevoll belegte Brot aus der Verpackung und verspeist es mit Genuß. Unter den verblüfften Schülern kehrt Ruhe ein.
Aber just in diesem Moment blickt der auf dem Gang patrouillierende Rektor durch das in amerikanischen Schulzimmertüren wohl obligatorische Türfenster. Er bittet den jungen Kollegen auf ein Wort nach draußen. Es gehe nicht an, daß eine Lehrkraft im Unterricht ihr Mittagessen verspeise. Die Schüler empfinden McCourts Behandlung durch den Rektor als unfair. Der Sandwichwerfer tröstet ihn: Er werde seiner Mutter berichten, wie gut dem Lehrer das Pausenbrot geschmeckt habe. Er solle aber nicht erwähnen, daß er es weggeschmissen habe, rät der Pädagoge. Keinesfalls, meint der Schüler, schließlich gehe seine Mutter nach sizilianischer Art "immer gleich auf die Palme".
Mit dieser Episode von seinem ersten Schultag als Lehrer illustriert McCourt in seinem neuen Buch "Tag und Nacht und auch im Sommer" (im Original "Teacher Man") eine seiner Erkenntnisse aus dreißig Jahren Schuldienst: Lehrer und Schüler entwickeln Solidarität gegen Bedrohungen von außen, ob sie nun von Schulleitern oder von Eltern ausgehen. Seine zweite Einsicht lautet: Lehren heißt lernen, und zwar learning by doing. Auf die meisten Situationen im Klassenzimmer haben ihn seine Pädagogikprofessoren nicht vorbereitet. Auch die Ratschläge erfahrener Kollegen helfen selten. Bloß nicht zuviel Persönliches erzählen, raten die "alten Hasen".
Lehrer McCourt hingegen macht ausgiebige Berichte aus seiner Kindheit und Jugend in Irland zu seinem Markenzeichen. Als er doch einmal versucht, diesbezügliche Schülerfragen mit einem Scherz abzublocken, geht das gründlich schief: Ob er in Irland auch mit Mädchen ausgegangen sei, will ein Schüler wissen. "Wir sind mit Schafen ausgegangen. Was denkt ihr denn?" lautet die Antwort. Am nächsten Tag verweist der Schulleiter auf dreizehn Beschwerden von Eltern, der neue Lehrer propagiere Sodomie.
Frank McCourt, 1930 als Sohn irischer Eltern in Brooklyn geboren, seit seinem vierten Lebensjahr in Irland aufgewachsen, schließlich als Neunzehnjähriger nach New York zurückgekehrt, hat mit seinem ersten Erinnerungsbuch "Die Asche meiner Mutter" einen Welterfolg erzielt. Darin schreibt er: "Natürlich hatte ich eine unglückliche Kindheit; eine glückliche Kindheit lohnt sich ja kaum." Wenn er jetzt wieder auf seine Kinderzeit mit ihrer ungesunden Mischung aus Armut und irischem Katholizismus zu sprechen kommt, hat man den Eindruck, daß ein erfolgreiches Label bedient wird: McCourt, das ist doch der mit der unglücklichen Kindheit. Doch gewinnt er im Klassenzimmer auch diese Erkenntnis: "Auch für Elendsgeschichten gibt es irgendwo eine Grenze." Also geht es im weiteren Verlauf dann weniger um die Kindheit als um die Erfahrungen als Pädagoge. Deutlich wird, daß das erste Buch eine lange orale Vorbereitungsphase hatte: die Geburt der Literatur aus dem Geist der Schulstunde. Nebenbei erfährt man aber auch von früheren Veröffentlichungen in amerikanischen und irischen Zeitschriften, was das Bild vom spätberufenen Rentner-Schriftsteller korrigiert.
McCourts halbherzige Versuche, in die pädagogischen Erinnerungen Elemente der Fortschreibung seiner außerschulischen Biographie einzuflechten, tun dem Buch nicht gut. Zu unvermittelt und unverbunden werden sie zwischen die Schulszenen gepreßt. "Mit dreißig heiratete ich Alberta Small", heißt es da, aber Alberta Small ist zuvor kein einziges Mal erwähnt worden. Auch später gewinnt die Frau, mit der McCourt immerhin neunzehn Jahre verheiratet bleibt, nicht annähernd ein so klares Profil wie etwa Serena, die Wortführerin einer Klasse mit neunundzwanzig quirligen schwarzen Mädchen und zwei bedauernswerten puertoricanischen Jungen, oder Bob Stein, der Rabbinersohn, den es in die Landwirtschaft zieht.
Sein Leben außerhalb der Schule stellt der Autor, stets in munterem Tonfall, als eine Serie von Mißerfolgen dar. Und selbst bezüglich seiner Lehrertätigkeit kommt er immer wieder auf Selbstzweifel und Gefühle des Ungenügens zu sprechen, die er auf Schuldkomplexe aufgrund der katholischen Erziehung zurückführt. Ein wenig erfüllen diese Passagen aber wohl auch die rhetorische Funktion von Bescheidenheitstopoi: McCourt macht sich selbst gern klein, um sich dann in ein um so besseres Licht setzen zu können, indem er behaglich sein Lob durch Schüler und an seiner letzten Lehrerstation, der angesehenen Stuyvesant High School in Manhattan, endlich auch durch Vorgesetzte zitiert.
Wie sehr ihm, bei allen Schwierigkeiten, die Arbeit mit den Teenagern ans Herz gewachsen ist, wird klar, als er an einem College in Brooklyn Abendkurse für Berufstätige abhält. "Niemand mußte austreten. Niemand meldete sich, um einen anderen zu beschuldigen, er habe ihm ein Sandwich oder ein Buch oder seinen Platz weggenommen. Niemand versuchte, mich vom Thema abzubringen, indem er mich nach Irland im allgemeinen oder meiner unglücklichen Kindheit im besonderen fragte." Das ist nichts für diesen Lehrer.
Im pointierten anekdotischen und episodischen Erzählen, in den prägnanten und feinfühligen Schülerporträts liegen die Stärken dieses Buches. Um Analyse und Einordnung in größere Zusammenhänge bemüht es sich erst gar nicht. So beklagt der Autor die schlechte Bezahlung und mangelnde gesellschaftliche Anerkennung amerikanischer High-School-Lehrer, während für Universitätsprofessoren vergleichsweise paradiesische Zustände herrschten. Die Frage, warum das so ist, ob gar das eine mit dem anderen etwas zu tun hat, wirft er nicht auf. Gerade unter diesem Aspekt wäre aber aus deutscher Sicht ein Blick auf das amerikanische Bildungssystem interessant. Denn auch bei uns ist ja zu beobachten, daß die Gesellschaft immer mehr Probleme bei den Lehrern ablädt, deren Ansehen stetig abnimmt, während man zugleich auf dem Hochschulsektor krampfhaft versucht, das amerikanische Modell nachzuäffen.
Auch dieses dritte Buch von Frank McCourt hat hierzulande sogleich wieder den Sprung auf die Bestsellerliste geschafft, wo es, trotz seiner narrativen Konzeption, in der Sachbuch-Rubrik geführt wird. Das liegt wohl am Untertitel "Erinnerungen", im Original "A Memoir". Über die Reinheit dieser Gattungsbezeichnung wachen in Amerika selbsternannte Faktenkontrolleure, die jüngst dem Autor James Frey zusetzten, der einen als Roman von mehreren Verlagen abgelehnten Text als Erinnerungsbuch erfolgreich auf den Markt brachte. Der Skandal war groß: Wo "A Memoir" draufstehe, so hieß es, dürfe nichts als die reine Wahrheit enthalten sein. Natürlich, wie bei den Memoiren von Politikern und Filmstars! Doch McCourt hat hier gewiß nichts zu befürchten. Es ist kaum anzunehmen, daß jemand die Aufgabe auf sich nimmt, seine rund zwölftausend Schüler (soweit sie noch leben) zu befragen, ob sich auch alles wirklich so abgespielt hat wie vom Autor geschildert.
Auf der Bestsellerliste findet sich McCourts Buch in der Nachbarschaft eines anderen Lehrerbuchs: "Lob der Disziplin" von Bernhard Bueb. Ob dem langjährigen Internatsleiter "Tag und Nacht und auch im Sommer" gefallen könnte? Mit McCourts kritischer Haltung gegenüber Schulleitern kann er sich sicher nur schwer anfreunden. Und daß ein Lehrer gefälschte Entschuldigungsschreiben zum Anlaß nimmt, seine Schüler kreative Entschuldigungen für historische und mythologische Personen schreiben zu lassen, anstatt disziplinarische Maßnahmen zu ergreifen, liegt wohl auch nicht gerade auf der Linie von "Deutschlands strengstem Lehrer". Doch den von ihm geforderten "pädagogischen Eros" wird auch Bueb seinem unkonventionellen irisch-amerikanischen Kollegen nicht gänzlich absprechen können.
HARDY REICH
Frank McCourt: "Tag und Nacht und auch im Sommer". Erinnerungen. Aus dem Englischen übersetzt von Rudolf Hermstein. Luchterhand Literaturverlag, München 2006. 331 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ist es nun ein Verriss, den uns Rezensent Ulrich Baron unterbreitet, oder doch nicht? Frank McCourts Erinnerungen an seine Zeit als Lehrer beschreibt er als "anekdotenreiches Buch", in dem sich der Autor rückwirkend und humorvoll verklärend als lustiger Bursche inszeniert. Kurzweilig erzähle McCourt von kreativem Grammatikunterricht, von pädagogischen Tricks und von Schülern. Gewisse Aussparungen, etwa über die Zeit an der Universität, seien vermutlich darauf zurückzuführen, dass der Autor sein zweites Buch nicht noch einmal schreiben wollte. Doch auch bei diesem sympathischen Lehrer vermisst der Rezensent sozialpolitisches Engagement, schließlich habe er vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des Vietnam-Krieges und der Bürgerrechtsbewegung gelehrt. Was den Rezensenten in seiner Meinung bestärkt, dass zum Leben "mehr gehört als alte Schulgeschichten." Es ist wohl doch ein Verriss.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"So steht am Ende dieses an Geschichte und Geschichten unglaublich reichen Buches die schlichte Erkenntnis: Frank McCourt zu lesen macht glücklich." marie claire
"Ja, Frank McCourt hat es wieder geschafft - überwältigend."