In seinem Debütroman »Tage in Burma« zeichnet George Orwell ein verheerendes Bild der britischen Kolonialherrschaft. Er beschreibt Korruption und imperiale Bigotterie in einer Gesellschaft, in der »immerhin Eingeborene Eingeborene waren - interessant, kein Zweifel, aber schließlich ... ein minderwertiges Volk«.Als John Flory, ein weißer Teakholzhändler, sich mit dem Inder Dr. Veraswami anfreundet, widersetzt er sich dieser Doktrin. Der Arzt ist in Gefahr: U Po Kyin, ein korrupter Magistrat, plant seinen Untergang. Das Einzige, was ihn retten kann, ist die Mitgliedschaft im europäischen Club, und Flory kann ihm dabei helfen. Die Begegnung mit der schönen Elizabeth Lackersteen verändert Florys Leben grundlegend. Sie zeigt ihm einen Ausweg aus der Einsamkeit und der »Lüge« des Koloniallebens.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Tobias Döring gefällt George Orwells erster Roman von 1934 für seine Darstellung eines scheiternden Idealisten in der Tropenhitze von Hinterindien. Allerdings langt der Autor an vergleichbare Kolonialerzählungen von Kipling oder Conrad nicht heran, findet er. Zu wenig komplex ist Orwells auf eigenen Erfahrungen im kolonialen Dienst basierender satirischer Zugriff, meint er. Die Beschreibungen des lähmenden Tropenkollers, den die Kolonialbeamten im Alkohol ertränken, scheinen Döring allerdings durchaus scharf, alles andere als romantisierend, wie der Titel suggerieren könnte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.08.2021Von der Traurigkeit des Imperiums
George Orwells Debüt "Tage in Burma" in neuer Übersetzung
Schon der Titel war ein starker Teaser: "Burmese Days" klang 1934, als dieser Roman erstmals erschien, ganz nach Drink auf der Veranda in tropischer Abendsonne, nach Rückblick auf ein buntes und bewegtes Leben an der Vorderfront der Zivilisation, nach Selbstgefälligkeit und Nostalgie - nach genau jener Sorte Buch, mit denen sich verdiente Kolonialbeamte gern den Ruhestand vertrieben. Bei George Orwell werden solcherlei Erwartungen brutal enttäuscht. Sein Cocktail aus Fernweh, Selbsthass und Entzauberung ist toxisch.
"Es ist eine einfältige, lähmende Welt", heißt es über das Provinznest irgendwo im Dschungel Hinterindiens, in dem der Roman spielt, "eine Welt, in der jedes Wort, jeder Gedanke zensiert ist." Dort lebt ein Häuflein Engländer, um die Rituale einer vermeintlich höherwertigen Kultur zu pflegen, und kann doch den sinnentleerten Fortgang ihrer Kolonialroutine nur im Alkohol ertränken. Wer dafür überhaupt noch ein Gespür hat, hofft auf zwischenmenschliche Beziehungen, auf Freundschaften oder gar Liebe. "Aber auch Freundschaft kann es kaum geben, wenn jeder Weiße nichts als ein Rädchen im Getriebe des despotischen Systems ist." Statt gepflegter Club- und Empireromantik also bietet Orwells Burma-Buch uns tristen Tropenalltag, Szenerien von Gewalt und Illusion, Unterdrückung und verfehlter Hoffnung, scharfe Selbstanklagen und Zynismus: "Im Dunkel des Abends, nach einem gänzlich müßig zugebrachten Tag, erreicht der Überdruss fieberhafte, selbstmörderische Ausmaße. Arbeit, Gebet, Bücher, Alkohol, Gespräche - alle sind machtlos dagegen; nur durch die Poren der Haut lässt dieses Gefühl sich ausschwitzen."
Es war Orwells Debütroman oder jedenfalls der erste, mit dem er seinem Lebenstraum, ein großer Schriftsteller zu sein, der wie Balzac seine Epoche in ein erzählerisches Panorama bannt, ein Stückchen näher kommen mochte (zwei frühere Manuskripte hat er vernichtet). Und es besteht kein Zweifel, dass der aufstrebende Autor mit diesem Romanprojekt selbst eine ganze Menge auszuschwitzen hatte. "Tage in Burma" verarbeitet traumatische Erfahrungen, die er, ein Eton-Absolvent, der 1903 in Britisch-Indien geboren wurde und fließend Burmesisch sprach, mit Anfang zwanzig als Polizist im Kolonialdienst am Irrawaddy-Delta gemacht hatte. Geschrieben nach der Rückkehr in eine gleichermaßen ungeliebte englische Alltagsroutine als Provinzlehrer, sollte der Roman allen Daheimgebliebenen die Augen öffnen für den Wahnsinn eines Weltreichs, das sich längst überlebt hatte. Doch es dauerte eine ganze Generation, bis diese Botschaft durchdrang; da war der Autor seinem Lungenleiden längst erlegen.
Im Zuge des aktuellen Orwell-Booms, den uns das Auslaufen des Copyrights in diesem Jahr beschert hat (F.A.Z. vom 27. Februar), ist es besonders zu begrüßen, wenn auch seine bei uns eher unbekannten Texte wiederentdeckt werden. Manfred Alliés Neuübersetzung schärft dazu die sprachlichen Konturen und lässt die Drastik der satirischen Darstellung nur umso greller hervortreten: "Scheißloch, Scheißloch, Scheißloch, Scheißloch ist das hier" (im Original steht "Bloody, bloody hole!"). Dennoch liest man dieses Buch mit einer Mischung aus Faszination und Unbehagen. Literarisch kann es sich von der Übermacht starker Kolonialerzähler wie Kipling oder Conrad nie lossagen, ohne deren Komplexität auch nur annähernd zu erreichen, und psychologisch unterliegt es den Geschichten eines Somerset Maugham ebenso klar wie der abgründigen Ironie eines Evelyn Waugh, denen es ansonsten nahesteht.
Am spannendsten wird die Lektüre immer dann, wenn wir in dem einsamen Kolonialholzhändler Flory, um dessen traurige Existenz die Romanhandlung kreist, eine frühe Version jenes scheiternden Idealisten sehen, dem wir mit Winston Smith in "1984" begegnen: Verzweifelnde, die noch im Sturz das System stützen, das sie doch niederreißen wollten - zugleich Selbstbilder eines Zeitgenossen der Extreme, der seinen Antiimperialismus sehnsuchtsvoll an englischen Patriotismus band. TOBIAS DÖRING
George Orwell: "Tage in Burma". Roman.
Aus dem Englischen von Manfred Allié. Mit einem Nachwort von Manfred Papst. Dörlemann Verlag, Zürich 2021. 464 S., geb., 30,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
George Orwells Debüt "Tage in Burma" in neuer Übersetzung
Schon der Titel war ein starker Teaser: "Burmese Days" klang 1934, als dieser Roman erstmals erschien, ganz nach Drink auf der Veranda in tropischer Abendsonne, nach Rückblick auf ein buntes und bewegtes Leben an der Vorderfront der Zivilisation, nach Selbstgefälligkeit und Nostalgie - nach genau jener Sorte Buch, mit denen sich verdiente Kolonialbeamte gern den Ruhestand vertrieben. Bei George Orwell werden solcherlei Erwartungen brutal enttäuscht. Sein Cocktail aus Fernweh, Selbsthass und Entzauberung ist toxisch.
"Es ist eine einfältige, lähmende Welt", heißt es über das Provinznest irgendwo im Dschungel Hinterindiens, in dem der Roman spielt, "eine Welt, in der jedes Wort, jeder Gedanke zensiert ist." Dort lebt ein Häuflein Engländer, um die Rituale einer vermeintlich höherwertigen Kultur zu pflegen, und kann doch den sinnentleerten Fortgang ihrer Kolonialroutine nur im Alkohol ertränken. Wer dafür überhaupt noch ein Gespür hat, hofft auf zwischenmenschliche Beziehungen, auf Freundschaften oder gar Liebe. "Aber auch Freundschaft kann es kaum geben, wenn jeder Weiße nichts als ein Rädchen im Getriebe des despotischen Systems ist." Statt gepflegter Club- und Empireromantik also bietet Orwells Burma-Buch uns tristen Tropenalltag, Szenerien von Gewalt und Illusion, Unterdrückung und verfehlter Hoffnung, scharfe Selbstanklagen und Zynismus: "Im Dunkel des Abends, nach einem gänzlich müßig zugebrachten Tag, erreicht der Überdruss fieberhafte, selbstmörderische Ausmaße. Arbeit, Gebet, Bücher, Alkohol, Gespräche - alle sind machtlos dagegen; nur durch die Poren der Haut lässt dieses Gefühl sich ausschwitzen."
Es war Orwells Debütroman oder jedenfalls der erste, mit dem er seinem Lebenstraum, ein großer Schriftsteller zu sein, der wie Balzac seine Epoche in ein erzählerisches Panorama bannt, ein Stückchen näher kommen mochte (zwei frühere Manuskripte hat er vernichtet). Und es besteht kein Zweifel, dass der aufstrebende Autor mit diesem Romanprojekt selbst eine ganze Menge auszuschwitzen hatte. "Tage in Burma" verarbeitet traumatische Erfahrungen, die er, ein Eton-Absolvent, der 1903 in Britisch-Indien geboren wurde und fließend Burmesisch sprach, mit Anfang zwanzig als Polizist im Kolonialdienst am Irrawaddy-Delta gemacht hatte. Geschrieben nach der Rückkehr in eine gleichermaßen ungeliebte englische Alltagsroutine als Provinzlehrer, sollte der Roman allen Daheimgebliebenen die Augen öffnen für den Wahnsinn eines Weltreichs, das sich längst überlebt hatte. Doch es dauerte eine ganze Generation, bis diese Botschaft durchdrang; da war der Autor seinem Lungenleiden längst erlegen.
Im Zuge des aktuellen Orwell-Booms, den uns das Auslaufen des Copyrights in diesem Jahr beschert hat (F.A.Z. vom 27. Februar), ist es besonders zu begrüßen, wenn auch seine bei uns eher unbekannten Texte wiederentdeckt werden. Manfred Alliés Neuübersetzung schärft dazu die sprachlichen Konturen und lässt die Drastik der satirischen Darstellung nur umso greller hervortreten: "Scheißloch, Scheißloch, Scheißloch, Scheißloch ist das hier" (im Original steht "Bloody, bloody hole!"). Dennoch liest man dieses Buch mit einer Mischung aus Faszination und Unbehagen. Literarisch kann es sich von der Übermacht starker Kolonialerzähler wie Kipling oder Conrad nie lossagen, ohne deren Komplexität auch nur annähernd zu erreichen, und psychologisch unterliegt es den Geschichten eines Somerset Maugham ebenso klar wie der abgründigen Ironie eines Evelyn Waugh, denen es ansonsten nahesteht.
Am spannendsten wird die Lektüre immer dann, wenn wir in dem einsamen Kolonialholzhändler Flory, um dessen traurige Existenz die Romanhandlung kreist, eine frühe Version jenes scheiternden Idealisten sehen, dem wir mit Winston Smith in "1984" begegnen: Verzweifelnde, die noch im Sturz das System stützen, das sie doch niederreißen wollten - zugleich Selbstbilder eines Zeitgenossen der Extreme, der seinen Antiimperialismus sehnsuchtsvoll an englischen Patriotismus band. TOBIAS DÖRING
George Orwell: "Tage in Burma". Roman.
Aus dem Englischen von Manfred Allié. Mit einem Nachwort von Manfred Papst. Dörlemann Verlag, Zürich 2021. 464 S., geb., 30,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Manfred Alliés Neuübersetzung schärft dazu die sprachlichen Konturen und lässt die Drastik der satirischen Darstellung nur umso greller hervortreten ...«
Tobias Döring, Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Manfred Allié hat dieses vielversprechende Romandebüt mit bewährter Kompetenz übersetzt und ihm ein nützliches Glossar angloindischer Begriffe mitgegeben.«
Werner von Koppenfels, Neue Zürcher Zeitung
»Das 20-Jahre-Jubiläum des Dörlemann Verlags dient mir als willkommener Anlass, Tage in Burma, George Orwells Erstlingsroman, zu empfehlen. Die Neuübersetzung erschien 2021 und zeigt drastisch die Bigotterie der Kolonialgesellschaft.«
Heidi Glauser, Buchhandlung am Hottingerplatz
»Schonungslos beschreibt der Autor die Überheblichkeit der Weißen, die sich mit ihren kläglichen Privilegien von den Einheimischen abgrenzen. ... Der spätere Autor von Farm der Tiere und 1984 schafft nicht nur eine dichte Milieuschilderung mit farbenprächtigen Naturbeobachtungen und einprägsamen, vielleicht mitunter holzschnittartigen Charakteren, sondern auch eine spannende Geschichte.«
Stefan May, Forum - Das Wochenmagazin
»Unter den neu aufgelegten und neu übersetzten Büchern aus früheren Jahrzehnten oder Jahrhunderten hat uns Tage in Burma, der Debütroman des britischen Schriftstellers George Orwell, besonders überzeugt. ... Beim Sozialkritiker Orwell allerdings korrespondiert der innere Verfall besonders deutlich mit dem Niedergang des British Empire. Daneben beeindruckt Tage in Burma durch Landschaftsbeschreibungen, die die soziale Enge in der Weite des burmesischen Dschungels eindrücklich illustrieren.«
Peter Zimmermann, Ex libris, ORF Ö1
Tobias Döring, Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Manfred Allié hat dieses vielversprechende Romandebüt mit bewährter Kompetenz übersetzt und ihm ein nützliches Glossar angloindischer Begriffe mitgegeben.«
Werner von Koppenfels, Neue Zürcher Zeitung
»Das 20-Jahre-Jubiläum des Dörlemann Verlags dient mir als willkommener Anlass, Tage in Burma, George Orwells Erstlingsroman, zu empfehlen. Die Neuübersetzung erschien 2021 und zeigt drastisch die Bigotterie der Kolonialgesellschaft.«
Heidi Glauser, Buchhandlung am Hottingerplatz
»Schonungslos beschreibt der Autor die Überheblichkeit der Weißen, die sich mit ihren kläglichen Privilegien von den Einheimischen abgrenzen. ... Der spätere Autor von Farm der Tiere und 1984 schafft nicht nur eine dichte Milieuschilderung mit farbenprächtigen Naturbeobachtungen und einprägsamen, vielleicht mitunter holzschnittartigen Charakteren, sondern auch eine spannende Geschichte.«
Stefan May, Forum - Das Wochenmagazin
»Unter den neu aufgelegten und neu übersetzten Büchern aus früheren Jahrzehnten oder Jahrhunderten hat uns Tage in Burma, der Debütroman des britischen Schriftstellers George Orwell, besonders überzeugt. ... Beim Sozialkritiker Orwell allerdings korrespondiert der innere Verfall besonders deutlich mit dem Niedergang des British Empire. Daneben beeindruckt Tage in Burma durch Landschaftsbeschreibungen, die die soziale Enge in der Weite des burmesischen Dschungels eindrücklich illustrieren.«
Peter Zimmermann, Ex libris, ORF Ö1