Was hat Emma Bovary mit einer ehemaligen Vaudeville-Tänzerin zu tun? Und wie kommt eine seriöse Literaturdozentin dazu, vor einem mächtigen Filmproduzenten in die Knie zu gehen? In ihrem neuen Roman erzählt Cathleen Schine auf leichtfüßige Weise und mit sicherem Gespür für das Tragikomische die Geschichte der Madame Bovary neu. Als den Einbruch der Leidenschaft in den Alltag einer Familie. Als den Überlebenskampf der Romantik ein einer Welt der Klischees. Ein modernes Buch über die Liebe: hintergründig, humorvoll, lebensweise.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Von diesem Roman der amerikanischen Autorin Cathleen Schine ist Hannelore Schlaffer alles andere als begeistert. Sie findet, dass in der Geschichte, in deren Mittelpunkt die Dozentin und Schriftstellerin Elizabeth steht, die ein Drehbuch zu Flauberts "Madame Bovary" schreiben soll, ein Überangebot an "menschlichen Missgeschicken" herrscht. Schine, die ihren Roman schon mit dem Titel an "Madame Bovary" anbinden will, erreicht dennoch nicht das "tragisches Niveau" von Flauberts Roman, weil die dort geschilderten Verwicklungen und Leidenschaften niemals existenzielle Konsequenzen zeitigen, bemerkt die Rezensentin. Besonders stört Schlaffer der "rüde" und mitunter "vulgäre" Ton, in dem sich die Hauptfigur genauso selbstverständlich verständigt, wie ihre Mutter und ihre Tochter. Aber auch die Kette von Schicksalsschlägen von Krebserkrankungen bis zum Seitensprung, die unentwegt über die Familie hereinbrechen, sind der Rezensentin in der Fülle einfach zuviel. Zumal sie unzufrieden feststellt, dass sich Schine bei der Flut der Motive für Einzelheiten kaum Zeit nehmen kann und dadurch Figuren, Beweggründe und Atmosphäre nie genau geschildert werden. Sie sieht es dann auch der "Ereignisfülle" geschuldet, dass die Autorin neben der an ihre Figuren angelehnten Vulgärsprache aus Zeitmangel vor allem einen "kühlen Berichterstatterton" an den Tag legt, und das kann Schlaffer auch nicht gerade für diesen Roman einnehmen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.08.2004Drei Kilo Katastrophe, bitte
Cathleen Schines Roman „Tage mit Emma”
Viele Gegenwartsromane sind wie Fotoalben: Bildchen um Bildchen reiht sich da aneinander, Schnappschüsse allesamt aus dem Familienleben. In jedem Zimmer des Hauses, in der Küche am liebsten und, falls der Roman aus den USA kommt, am Swimmingpool, bei Ausflügen auch mit dem Auto oder dem Fahrrad hat der erzählende Fotograf Szenen geschossen, auf denen unschwer zu erkennen ist, dass sich die aufgenommenen Personen in einer gewissen Spannung zueinander befinden. Dem Betrachter der Fotos, dem Leser des Romans, bereitet es keinerlei Mühe, die problematische Konstellation zu durchschauen, denn bei sich und seinesgleichen hat er Ähnliches oft genug erlebt.
Als solch ein Allerweltstheater gibt die 1953 im amerikanischen Westport geborene Autorin und Journalistin Cathleen Schine ihren Roman „Tage mit Emma” schon im Vorspann zu erkennen; er handle davon, „was passiert, wenn Leidenschaft auf das Durcheinander und die Spannungen in einer Familie trifft”. Mit dem Titel „Emma” und der Anspielung auf Flauberts Ehebruchsroman ist das Stichwort gegeben, mit dem Hinweis auf die Familiensituation aber auch schon die Entschärfung des dramatischen Falls angekündigt.
Elizabeth, die Heldin des Romans, Dozentin und Schriftstellerin, hat den Auftrag, Flauberts „Madame Bovary” zum Filmskript umzuarbeiten. Die Aktualisierung kann nicht gelingen, denn weder Elizabeth selbst noch ihre Familienmitglieder, aus deren Leben sie ihre Erfahrungen bezieht, haben das tragische Niveau von Flauberts Liebesheldin. Die Leidenschaften in der Welt von Schines Roman bleiben Seitensprünge, die Verständnis finden und nie die wesentlichen, innigen und ernsten Beziehungen der einander zugeneigten Blutsverwandten, Freunde und Kumpels in Frage stellen. Immerhin sind diese lässlichen Sünden gerade das, was Seiten füllt.
Gott, du grausamer Hurensohn!
Schine ist in der Erfindung lebensechter Missgeschicke überfleißig. Kein Motiv lässt sie aus, das irgend im Liebesleben der heutigen Menschheit vorkommen könnte. Das im Gegenwartsroman schon häufig durchgespielte Mutter-Tochter-Verhältnis erweitert sie genealogisch und führt also noch eine Großmutter ein. Die symbiotische Einheit dieser drei Frauen intensiviert sich außerdem noch, weil die Autorin sowohl Lotte, die Großmutter, wie auch Greta, die Mutter, an Krebs erkranken lässt. Die uralte Lotte bleibt dabei so burschikos, wie sie es offensichtlich in einer Jugend am Anfang des vorigen Jahrhunderts gelernt hat, wo ein maskuliner Stil zum ersten Mal schick für Frauen war, ja die Alte ist noch immer wendig genug, diesen Jargon dem der Jugend von heute anzupassen.
Vor vulgären Gotteslästerungen schreckt sie selbst angesichts des Todes nicht zurück; für ihre ebenfalls kranke Tochter bittet sie: „Gott, du grausamer Hurensohn, pass auf meine Tochter Greta auf, was zum Teufel ist eigentlich mit ihr los, verdammter Scheiß noch mal?” Aber auch die Enkelin erweist sich als emanzipierte Frau, der männliche Kraftsprüche nicht unbekannt sind, und gelegentlich stimmt sogar die Autorin, für die der Chirurg, der die alte Lotte operieren will, ein „großkotziger, streitsüchtiger, sturer Schlägertyp” ist, in den rüden Ton der Emanzen mit ein.
Rau, aber herzlich, wie die moderne Frau nun einmal ist, schimpft sie sich über alle Probleme, derer es in diesem Roman wahrhaft genug gibt, schwungvoll hinweg. Über diese Familie nämlich bricht außer den Krankheiten der Frauen ein Schicksalsschlag nach dem anderen herein. Die Hauptfigur, allein erziehende Mutter, kommt mit ihrem Skript nicht zurecht, ihr Freund, ein ehemaliger Student von ihr, der aber Gott sei dank dennoch älter ist als sie, bedrängt sie unentwegt mit Heiratsabsichten, sie verliebt sich deshalb mit schlechtem Gewissen in andere Männer, ihr Vater gar beleidigt die Mutter durch ein Verhältnis mit einer jungen Frau, während die Krebskranke sich einer Chemotherapie unterziehen muss, die dreiundfünfzigjährige Gattin wiederum wird bei diesem Heilungsversuch davon überrascht, dass sie sich zum ersten Mal in eine Frau verliebt und will, von der unbekannten Leidenschaft betäubt, ihren Mann verlassen - Familienkatastrophen also genug für mehr als einen Roman!
In der Tat nimmt Cathleen Schine ihren Schriftstellerkollegen, die ihre Leser mit stets neuen Beobachtungen aus dem Alltagsleben bei Interesse halten müssen, viel Stoff weg. Freilich kann sie sich zur Strafe dafür kaum Zeit nehmen, irgendeine Figur, ein Gesicht, eine Stimmung genauer zu zeichnen. Die Ereignisfülle drängt der Autorin, wenn sie nicht gerade vulgär redet wie ihre Figuren, einen kühlen Berichterstatterton auf. Umso mehr überrascht das lyrische Schlussbild, das zugleich die Metapher für das gesamte Chaos der Leidenschaften im Roman und der beste Satz darin überhaupt ist. Volfmann, der Filmproduzent, steht am Meersstrand „und dort sich bäumend und zurückziehend und wieder aufbäumend in unaufhörlichem Wechsel, lag der Pazifik, der, wie Volfmann befriedigt feststellte, bei all seinem Getöse und Unfug nicht ein Mal seinen Enthusiasmus verlor”.
HANNELORE SCHLAFFER
CATHLEEN SCHINE: Tage mit Emma. Roman. Aus dem Amerikanischen von Giovanni und Ditte Bandini. Claassen Verlag, München 2004. 320 Seiten, 21 Euro.
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Cathleen Schines Roman „Tage mit Emma”
Viele Gegenwartsromane sind wie Fotoalben: Bildchen um Bildchen reiht sich da aneinander, Schnappschüsse allesamt aus dem Familienleben. In jedem Zimmer des Hauses, in der Küche am liebsten und, falls der Roman aus den USA kommt, am Swimmingpool, bei Ausflügen auch mit dem Auto oder dem Fahrrad hat der erzählende Fotograf Szenen geschossen, auf denen unschwer zu erkennen ist, dass sich die aufgenommenen Personen in einer gewissen Spannung zueinander befinden. Dem Betrachter der Fotos, dem Leser des Romans, bereitet es keinerlei Mühe, die problematische Konstellation zu durchschauen, denn bei sich und seinesgleichen hat er Ähnliches oft genug erlebt.
Als solch ein Allerweltstheater gibt die 1953 im amerikanischen Westport geborene Autorin und Journalistin Cathleen Schine ihren Roman „Tage mit Emma” schon im Vorspann zu erkennen; er handle davon, „was passiert, wenn Leidenschaft auf das Durcheinander und die Spannungen in einer Familie trifft”. Mit dem Titel „Emma” und der Anspielung auf Flauberts Ehebruchsroman ist das Stichwort gegeben, mit dem Hinweis auf die Familiensituation aber auch schon die Entschärfung des dramatischen Falls angekündigt.
Elizabeth, die Heldin des Romans, Dozentin und Schriftstellerin, hat den Auftrag, Flauberts „Madame Bovary” zum Filmskript umzuarbeiten. Die Aktualisierung kann nicht gelingen, denn weder Elizabeth selbst noch ihre Familienmitglieder, aus deren Leben sie ihre Erfahrungen bezieht, haben das tragische Niveau von Flauberts Liebesheldin. Die Leidenschaften in der Welt von Schines Roman bleiben Seitensprünge, die Verständnis finden und nie die wesentlichen, innigen und ernsten Beziehungen der einander zugeneigten Blutsverwandten, Freunde und Kumpels in Frage stellen. Immerhin sind diese lässlichen Sünden gerade das, was Seiten füllt.
Gott, du grausamer Hurensohn!
Schine ist in der Erfindung lebensechter Missgeschicke überfleißig. Kein Motiv lässt sie aus, das irgend im Liebesleben der heutigen Menschheit vorkommen könnte. Das im Gegenwartsroman schon häufig durchgespielte Mutter-Tochter-Verhältnis erweitert sie genealogisch und führt also noch eine Großmutter ein. Die symbiotische Einheit dieser drei Frauen intensiviert sich außerdem noch, weil die Autorin sowohl Lotte, die Großmutter, wie auch Greta, die Mutter, an Krebs erkranken lässt. Die uralte Lotte bleibt dabei so burschikos, wie sie es offensichtlich in einer Jugend am Anfang des vorigen Jahrhunderts gelernt hat, wo ein maskuliner Stil zum ersten Mal schick für Frauen war, ja die Alte ist noch immer wendig genug, diesen Jargon dem der Jugend von heute anzupassen.
Vor vulgären Gotteslästerungen schreckt sie selbst angesichts des Todes nicht zurück; für ihre ebenfalls kranke Tochter bittet sie: „Gott, du grausamer Hurensohn, pass auf meine Tochter Greta auf, was zum Teufel ist eigentlich mit ihr los, verdammter Scheiß noch mal?” Aber auch die Enkelin erweist sich als emanzipierte Frau, der männliche Kraftsprüche nicht unbekannt sind, und gelegentlich stimmt sogar die Autorin, für die der Chirurg, der die alte Lotte operieren will, ein „großkotziger, streitsüchtiger, sturer Schlägertyp” ist, in den rüden Ton der Emanzen mit ein.
Rau, aber herzlich, wie die moderne Frau nun einmal ist, schimpft sie sich über alle Probleme, derer es in diesem Roman wahrhaft genug gibt, schwungvoll hinweg. Über diese Familie nämlich bricht außer den Krankheiten der Frauen ein Schicksalsschlag nach dem anderen herein. Die Hauptfigur, allein erziehende Mutter, kommt mit ihrem Skript nicht zurecht, ihr Freund, ein ehemaliger Student von ihr, der aber Gott sei dank dennoch älter ist als sie, bedrängt sie unentwegt mit Heiratsabsichten, sie verliebt sich deshalb mit schlechtem Gewissen in andere Männer, ihr Vater gar beleidigt die Mutter durch ein Verhältnis mit einer jungen Frau, während die Krebskranke sich einer Chemotherapie unterziehen muss, die dreiundfünfzigjährige Gattin wiederum wird bei diesem Heilungsversuch davon überrascht, dass sie sich zum ersten Mal in eine Frau verliebt und will, von der unbekannten Leidenschaft betäubt, ihren Mann verlassen - Familienkatastrophen also genug für mehr als einen Roman!
In der Tat nimmt Cathleen Schine ihren Schriftstellerkollegen, die ihre Leser mit stets neuen Beobachtungen aus dem Alltagsleben bei Interesse halten müssen, viel Stoff weg. Freilich kann sie sich zur Strafe dafür kaum Zeit nehmen, irgendeine Figur, ein Gesicht, eine Stimmung genauer zu zeichnen. Die Ereignisfülle drängt der Autorin, wenn sie nicht gerade vulgär redet wie ihre Figuren, einen kühlen Berichterstatterton auf. Umso mehr überrascht das lyrische Schlussbild, das zugleich die Metapher für das gesamte Chaos der Leidenschaften im Roman und der beste Satz darin überhaupt ist. Volfmann, der Filmproduzent, steht am Meersstrand „und dort sich bäumend und zurückziehend und wieder aufbäumend in unaufhörlichem Wechsel, lag der Pazifik, der, wie Volfmann befriedigt feststellte, bei all seinem Getöse und Unfug nicht ein Mal seinen Enthusiasmus verlor”.
HANNELORE SCHLAFFER
CATHLEEN SCHINE: Tage mit Emma. Roman. Aus dem Amerikanischen von Giovanni und Ditte Bandini. Claassen Verlag, München 2004. 320 Seiten, 21 Euro.
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