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Produktdetails
  • BVT Bd.122
  • Verlag: Berlin Verlag Taschenbuch
  • Seitenzahl: 256
  • Deutsch
  • Abmessung: 186mm x 116mm x 190mm
  • Gewicht: 215g
  • ISBN-13: 9783833301223
  • ISBN-10: 3833301228
  • Artikelnr.: 13449968
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2002

Testbild des Bewußtseins
Sturmwarnung: John Barth in der Roman-AG / Von Peter Körte

In seinem Gaddis-Essay entwickelt Jonathan Franzen auch eine kleine Theorie über die Leser-Autor-Bindung. Während im "Kontraktmodell" Harmonie zwischen Autor und Lesergemeinde herrsche, bleibe im "Statusmodell" das große Werk für sich, unabhängig vom Leser - und wenn der es nicht versteht, dann ist er ein Philister. Franzens Überlegungen lassen sich leicht auch auf John Barth anwenden. Barth wird zwar gern in einem Atemzug mit DeLillo, Pynchon oder Gaddis genannt, doch man wird schnell kurzatmig, wenn es um die Titel seiner Bücher geht. Nur wenige sind ins Deutsche übersetzt, auch in Amerika ist der Großteil längst vergriffen. Prominenter wurde Barth ohnehin durch seinen Aufsatz "The Literature of Exhaustion" von 1967, der als erstes Manifest der postmodernen Literatur gilt.

Trotz dieser wenig aussichtsreichen Lage hat sich der junge Münchner Liebeskind Verlag entschlossen, die beiden ersten Romane von Barth herauszugeben. "Die schwimmende Oper" erschien im vergangenen Herbst, nun folgt "The End of the Road" (1958) unter dem Titel "Tage ohne Wetter", der ganz apart zwischen Tiefsinn und Nonsens pendelt. Doch das Buch erfüllt entsprechende Hoffnungen nicht, und man tut ihm kaum unrecht, wenn man frei nach Habermas sagt, bei der Lektüre betrete man verlassene Stufen der Reflexion, von denen sich schwer sagen läßt, wie gangbar sie einst waren. Die Hauptfigur Jacob Horner gibt das Betriebsgeheimnis ihrer kleinen Ich-AG bereits im ersten Satz preis: "Ich bin Jacob Horner, gewissermaßen." Er hat so viele Ansichten und Meinungen, wie eine Firma Aktien zirkulieren läßt, und er mag sich so wenig festlegen, daß sogar andere an seiner Existenz zweifeln. So ist der Kurs der Ich-AG schon bei der Erstemission im Keller, und wenn es darauf ankommt, ist Horner insolvent. Auch die new economy des postmodernen Romans, so scheint es retrospektiv, war oft eine große Blase, die irgendwann platzen mußte.

Die übrige Figurenkonstellation hat Barth aus seinem Erstling übernommen, auf den er 45 Jahre später in "Coming Soon!!!" noch einmal zurückkommen sollte. Horner, der eines Tages einfach auf einer Bahnhofsbank sitzen blieb und von einem obskuren Arzt aus seiner Paralyse erlöst wurde, kommt zu therapeutischen Zwecken als Grammatiklehrer an ein College namens Wicomico. Kurzfristig euphorisiert, freundet er sich mit seinem Kollegen Joe an und beginnt bald ein Verhältnis mit dessen Frau Rennie. Seine Teilnahmslosigkeit trägt er wie eine Monstranz vor sich her, und in dichten Schwaden zieht der Weihrauch des Existentialismus durch die Seiten. Man liest endlose Dialoge unter College-Menschen, die sich dauernd mit ihren Ansichten über Gott, die Welt, die Ehe und die Widerspruchsfreiheit des eigenen Lebensentwurfs traktieren müssen. So wirken sie wie mühsam animierte Thesenpapiere, und man begreift daher, daß Horner mitunter nur das "Testbild meines Bewußtseins" sieht, das im Aufsagen des Slogans "Pepsi-Cola ist doch toll" besteht.

Gewiß soll dieser enervierende Austausch etwas demonstrieren, und man muß es wohl auch als parodistische Einlage verstehen, wenn Horners Arzt mal wie Wittgenstein daherredet und seinem Patienten dann wieder empfiehlt, Sartre zu lesen, um sich wenigstens eine Haltung zuzulegen. Keine Frage, daß die moralische Abstinenz, mit der Barth die seltsame menage à trois schildert, für die späten fünfziger Jahre eine Provokation war. Frischer werden die verbalen Verausgabungen dadurch nicht, die jeden Ansatz von Plot ganz offenkundig wie ein geheimnisvoller Nebel verdecken sollen. Doch auf einmal schlägt dann in diese "Tage ohne Wetter" der Blitz ein. Knapp, ohne selbstreferentielle Salti beschreibt Horner da eine Abtreibung, in deren Verlauf Rennie unter den Händen eines Kurpfuschers stirbt, und in diesen acht Seiten liegen eine Härte und Grausamkeit, welche die ganzen Geschwätzigkeiten konterkarieren. Wenn dieser Tod in einem halben Kapitel das ganze Geplänkel wegfegen kann, dann allerdings werden die Proportionen zwischen dem Erzählten und der Erzählweise endgültig schief.

Es ist daher, wie man so gern mit interesselosem Wohlgefallen sagt, "verdienstvoll", die alten Romane John Barths erstmals auf deutsch zugänglich zu machen. Aber es darf schon ein wenig mehr als die Befriedigung philologischer Interessen dabei herauskommen. Es scheint, als habe John Barth eine Ahnung davon gehabt: "Postmodernismus", hat er einmal geschrieben, "ist, wenn man sich eine Krawatte bindet, während man gleichzeitig Schritt für Schritt den Vorgang des Krawattenbindens erläutert und über die Geschichte der Krawatte plaudert - und dennoch einen perfekten Windsorknoten zustande bringt". Das mag einigermaßen komisch sein, wenn man sich einen Comedy-Profi bei dieser Prozedur vorstellt; in der Literatur führen solche Übungen meist dazu, daß der Ausführende sich allmählich die Luft abschnürt oder sich den Hals verrenkt, weil er sich beim Erzählen ständig selbst über die Schulter schauen möchte.

John Barth: "Tage ohne Wetter". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Matthias Müller. Liebeskind Verlag, München 2002. 256 S., geb., 20,- [Euro].

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