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Nach langen Wanderjahren als Kriegsflüchtlinge hatten sich Arno und Alice Schmidt 1956 in ihrem neuen Wohnort Darmstadt etabliert. Der Maler Eberhard Schlotter und Schriftstellerkollegen wie Ernst Kreuder und Kasimir Edschmid zählten zu ihrem Freundes- und Bekanntenkreis - es war Arno Schmidts geselligste Zeit. Der Autor ließ sich sogar zu seiner einzigen öffentlichen Lesung aus seinen Werken überreden. Alice Schmidt schildert dieses außergewöhnliche Ereignis genauso eindringlich wie die mühsame »Brotarbeit« ihres Mannes als Übersetzer und Zeitungsautor und seine Versuche, Sendungen über…mehr

Produktbeschreibung
Nach langen Wanderjahren als Kriegsflüchtlinge hatten sich Arno und Alice Schmidt 1956 in ihrem neuen Wohnort Darmstadt etabliert. Der Maler Eberhard Schlotter und Schriftstellerkollegen wie Ernst Kreuder und Kasimir Edschmid zählten zu ihrem Freundes- und Bekanntenkreis - es war Arno Schmidts geselligste Zeit. Der Autor ließ sich sogar zu seiner einzigen öffentlichen Lesung aus seinen Werken überreden. Alice Schmidt schildert dieses außergewöhnliche Ereignis genauso eindringlich wie die mühsame »Brotarbeit« ihres Mannes als Übersetzer und Zeitungsautor und seine Versuche, Sendungen über Lieblingsautoren im Rundfunk unterzubringen. Und sie spart auch jene Ehestreitigkeiten nicht aus, die im Juli 1956 wohl zum Abbruch ihres Tagebuches führten. Erst Jahre später in Bargfeld wird sie es neu beginnen. Alice Schmidt erweist sich in diesem Tagebuch einmal mehr als treue Chronistin eines anstrengenden Schriftsteller- und Ehealltags - und als geschäftstüchtige Partnerin, die ihren Teil beiträgt zur Sicherung einer kargen und entbehrungsreichen Existenz. Dem Band beigelegt ist eine CD mit der Aufnahme der einzigen öffentlichen Lesung Arno Schmidts am 18. Februar 1956 in der Waldschule Kronberg.
Autorenporträt
Alice Schmidt wurde 1916 in Greiffenberg geboren. Sie arbeitete in einer Textilfabrik, als sie den Lagerbuchhalter Arno Schmidt kennenlernte und 1937 heiratete. Nach dem Krieg lebten Arno und Alice Schmidt als Flüchtlinge, ehe sie sich 1958 in Bargfeld niederließen. Als Arno Schmidt sich 1947 entschloss, als freier Schriftsteller zu leben, arbeitete Alice Schmidt für ihren Mann. Sie starb 1983 in Bargfeld. Susanne Fischer, 1960 in Hamburg geboren, Journalistin und Schriftstellerin, arbeitet als Geschäftsführerin der Arno Schmidt Stiftung. Sie ist u.a. Mitherausgeberin der Bargfelder Ausgabe der Werke Arno Schmidts und Herausgeberin der Tagebücher von Schmidts Ehefrau Alice. 2013 wurde sie mit dem Ben-Witter-Preis ausgezeichnet. Susanne Fischer lebt in einem kleinen Dorf bei Celle.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2011

Wem widme ich mein steinernes Herz?

Je mehr sie sich vom Leben ihres Mannes löst, desto interessanter werden ihre Notizen: Das Tagebuch von Alice Schmidt aus dem Jahr 1956.

Von Tilman Spreckelsen

Natürlich gibt es leichtere Schicksale, als die Ehefrau Arno Schmidts zu sein. Vor allem, wenn man Interesse für das Werk des Gatten mitbringt, aber nicht blind ist für die Schwächen der Texte. Im Tagebuch Alice Schmidts findet sich unter dem 28. März 1956 der Eintrag: "A rennt und fliegt nur so in der Stube rum: ,Habe 6 verlorene Militärjahre einzuholen!'" Am nächsten Tag kriegt sie dann das Ergebnis zu lesen, den ersten Entwurf für eine Auslegung von Schnabels "Die Insel Felsenburg", der, wie sie ebenfalls notiert, unter Alkoholeinfluss entstanden ist: "Lese den Entwurf dann und bin doch etwas enttäuscht. Ich hatte mir, nachdem Arno wochenlang v. der gr. Begeisterung gesprochen, mit der er da ran gehen wollte, das überredend schwungvoll, und eben in ganz anderer Form gedacht. Wie sag ich ihm das aber? Vielleicht habe ich auch Unrecht? Verflucht: es ist doch ein schweres Amt, einziger Ratgeber zu sein, wo Arno so sehr empfindlich ist und die Gefahr besteht, beim geringsten Widerspruch Alles zu vernichten."

Es bedarf keiner besonderen Hellsicht, um zu dieser Einschätzung Arno Schmidts zu kommen, wenn man Tag für Tag mit ihm lebt - so jedenfalls schildern es Alice Schmidts Tagebücher, von denen nun, nach den Bänden aus den Jahren 1954 und 1955, der gut sechs Monate umfassende Band von 1956 erschienen ist.

Warum Alice Schmidt ihre Notizen nach dem 3. Juli für viele Jahre abbricht, ist nicht überliefert. Es geschieht aber vielleicht nicht zufällig in einem weiteren Krisenmoment: "Brief an Krawehl", Schmidts Verleger, heißt es an diesem 3. Juli und auch, dass Arno trinkt, bevor er den Antwortbrief verfasst. Krawehl hatte große Bedenken, Schmidts Roman "Das Steinerne Herz" nach dem Typoskript zu publizieren, und war nach einer grundsätzlichen Einigung mit dem Autor über Änderungen noch mit weiteren Vorschlägen gekommen, was Schmidt, glaubt man seiner Frau, zu einer Art Tobsuchtsanfall brachte, in dessen Verlauf sie fürchten musste, der Autor werde sein Werk zerstören.

Die Sache ging glücklicherweise anders aus, und damit könnte es sein Bewenden haben. Wer sich für das Hin und Her genauer interessiert, findet in den publizierten Briefen und Dokumenten Material genug. Braucht man also dieses Tagebuch mit seinen peniblen Notaten über Wäsche, Einkäufe, Bibliotheksbesuche und Spaziergänge, Schachpartien, Alkoholkonsum und körperliche Liebe (diskret mit "L" festgehalten)? Muss man erfahren, wie das Ehepaar über den Kauf von Schuhen berät, überraschend eilig einen Kühlschrank erwirbt oder gemeinsam gerade noch rechtzeitig einen Vogel aus dem Rachen der abgöttisch geliebten Katze Purzel befreit?

Es wäre ermüdend, derlei über Seiten und Seiten zu lesen, wäre Alice Schmidt erstens nicht selbst eine Erzählerin, die ihren Stoff glücklich zu formen wusste und sich dabei - nimmt man die drei publizierten Tagebuchbände als fortlaufenden Text - zunehmend von der Aufgabe löst, das Leben ihres Mannes für die Nachwelt festzuhalten. Je mehr sie und ihre Perspektive an Raum gewinnt, umso interessanter werden die Notizen und umso mehr nimmt man Anteil an der knapp vierzigjährigen Frau und ihren Strategien, das Nachkriegsleben zu meistern.

Und zweitens entsteht dabei in dem hier geschilderten Jahr 1956 eben nicht nur ein Lebensbild des aus Schlesien vertriebenen, anfangs bettelarmen Ehepaars Schmidt, das sich nun gerade zu einem bescheidenen Wohlstand hocharbeitet, sondern eine mit wenigen, prägnanten Strichen gezeichnete Skizze von Darmstadt und einiger seiner Bewohner wie Kasimir Edschmid, Ernst Kreuder oder Eberhard Schlotter. Derjenigen also, die in den fünfziger Jahren den Ruf der Stadt als Musensitz nach Kräften beförderten, auch wenn sie, wie Schlotter, bald wieder gegangen sind. In Alice Schmidts Notizen findet sich ein ferner Nachhall von kulturpolitischen Streitigkeiten und Fraktionsbildungen, aber umso kräftiger gemalte Porträts etwa des mürrischen Kreuder oder der jeweiligen Entouragen der Künstler.

Ihr Herz aber - und bald auch das des Lesers - gehört dem jungen Eberhard Schlotter, der dem Autor mit ehrlicher Bewunderung und ohne einen Schatten von Rivalität gegenübertritt: "Doch netter Kerl, der Schlotter", schreibt sie am 30. März und hält noch einen Ausspruch ihres Mannes fest, vielleicht müsse er Schlotter "doch das steinerne Herz widmen. Wie der sich tatkräftig für mich eingesetzt hat und noch einsetzt. Der einzig Verläßliche."

Natürlich kann ein Tagebuch die Dinge nur so schildern, wie sie der Schreiber erlebt oder gehört hat. In diesem Fall hat die Herausgeberin Susanne Fischer die Notizen über zwei Besuche bei Schmidts durch die Berichte der Besucher gespiegelt, was ein reizvolles Bild einer völlig verkorksten Kommunikation liefert. Im Frühjahr stand die Sendung von Schmidts Funkessay über Karl May an, in dem die Editionspraxis des Bamberger Karl-May-Verlags angeprangert wurde. Daraufhin setzte sich der Verlagsleiter Roland Schmid zwei Mal nach Darmstadt in Bewegung und brachte das erste Mal seinen Bruder, das zweite Mal seine Mutter mit ("sie gefiel mir recht gut", schreibt Alice Schmid, "sprach allerdings sehr sächselnd"). Sie "klagten gar erbärmlich: ihre großen Schwierigkeiten und nun käme noch Arno und macht ihnen neue". Dass es Schmidt um die zahlreichen Eingriffe in Mays Texte durch den Verlag gehe, sei nicht so recht durchgedrungen - die Verlegerin hätte gar geäußert, sie könne doch mit den Büchern machen, was sie wolle.

Im Verlag notiert man dagegen, Schmidt argumentiere "sehr breit und spitzfindig, immer mit seiner unerträglichen Selbstgefälligkeit", wolle doch nur "Geld verdienen" und versuche, auf den Karl-May-Verlag einen leichten, fast erpresserischen Druck auszuüben. Zur avisierten Zusammenarbeit an einer historisch-kritischen Ausgabe des von Schmidt so geschätzten Alterswerks Karl Mays sollte es nicht kommen.

Man versteht vollkommen, warum. Dies ist nicht der geringste Ertrag dieser vielversprechenden Edition. Warten wir also auf die Tagebücher der Jahre 1948 bis 1953.

Alice Schmidt: "Tagebuch aus dem Jahr 1956".

Herausgegeben von Susanne Fischer. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 180 S., geb., 28.- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Es ist schon der dritte Band des Tagebuchs von Alice Schmidt. Rezensent Tilman Spreckelsen liest ihn mit Rührung, ja mit Interesse, denn neben der Beschäftigung mit dem aufbrausenden und manchmal offenbar recht nervenden Arno Schmidt, bietet er auch einen Einblick in die Atmosphäre der fünfziger Jahre, in denen sich die Verhältnisse für das Paar festigten - wie für so viele andere Leute auch. Spreckelsen sagt es ausdrücklich: Je mehr sich Alice Schmidt von der bloßen Kümmerei um den genialischen Gatten entfernt, je mehr sie sich vom eigenen Schreiben davontragen lässt, desto interessanter liest sich das Tagebuch.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Je mehr ... ihre Perspektive an Raum gewinnt, umso interessanter werden die Notizen und umso mehr nimmt man Anteil an der knapp vierzigjährigen Frau.« Tilman Spreckelsen Frankfurter Allgemeine Zeitung 20111126
»Je mehr [Alice Schmidt] und ihre Perspektive an Raum gewinnt, umso interessanter werden die Notizen und umso mehr nimmt man Anteil an der knapp vierzigjährigen Frau und ihren Strategien, das Nachkriegsleben zu meistern.«