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Nach 14 Jahren im Londoner Exil betrat Ernst Schoen im Oktober 1947 zum ersten Mal wieder deutschen Boden. Sein Reisetagebuch und der »Germany Report«, den er im Auftrag der BBC verfasste, zeichnen mit dem fassungslosen Blick des Emigranten Begegnungen mit Fremden, ehemaligen Kollegen, alten Bekannten und dem Personal der Besatzungsmächte auf.Ernst Schoen misstraute jenen, die sich zwölf Jahre mit den Nationalsozialisten arrangiert hatten und sich danach sofort an die neuen Verhältnisse anpassten. Melancholisch beschrieb er angesichts der Trümmer seines Frankfurter Hauses den schmerzhaften…mehr

Produktbeschreibung
Nach 14 Jahren im Londoner Exil betrat Ernst Schoen im Oktober 1947 zum ersten Mal wieder deutschen Boden. Sein Reisetagebuch und der »Germany Report«, den er im Auftrag der BBC verfasste, zeichnen mit dem fassungslosen Blick des Emigranten Begegnungen mit Fremden, ehemaligen Kollegen, alten Bekannten und dem Personal der Besatzungsmächte auf.Ernst Schoen misstraute jenen, die sich zwölf Jahre mit den Nationalsozialisten arrangiert hatten und sich danach sofort an die neuen Verhältnisse anpassten. Melancholisch beschrieb er angesichts der Trümmer seines Frankfurter Hauses den schmerzhaften Verlust, den die Zerstörung seiner beruflichen Existenz beim Rundfunk und die Vertreibung durch die Nazis bedeuteten.
Autorenporträt
Ernst Schoen (1894¿1960) hatte als Rundfunkredakteur in der Weimarer Republik unter anderem mit jungen Autoren wie Walter Benjamin und Bertolt Brecht zusammengearbeitet sowie die neue Musik von Berg und Schönberg ins Programm gebracht. 1933 wurde er denunziert und verhaftet unter dem Verdacht, er habe die Absicht, eine Radioansprache Hitlers zu sabotieren. Unter Gefahren konnte er nach Großbritannien emigrieren und dort Beiträge für die BBC senden, vor allem in der ¿¿Deutschen Stunde¿¿. 1952 übersiedelte Schoen nach langem Zögern wieder nach Berlin, konnte dort beruflich aber nicht mehr Fuß fassen. Sabine Schiller-Lerg studierte Schauspiel und Literaturwissenschaft. Sie veröffentlichte zu Benjamins Rundfunkarbeiten und Schoens Biografie. Sie arbeitet als Trainerin und Coach. Wolfgang Stenke arbeitet vor allem für Kulturredaktionen von WDR und DLF, mit Features zur Zeitgeschichte und Rezensionen historisch-politischer Literatur. Im Wagenbach Verlag hat er gemeinsam mit Claus Leggewie den Band »André Gorz und die zweite Linke« veröffentlicht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2023

Bittere Rückkehr
Ernst Schoen reist 1947 durch Deutschland

Deutschland in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg bot ein schreckliches Bild. Die Städte waren zerstört, die Bevölkerung wirkte seelisch verwüstet. Wer als auswärtiger Beobachter das Land bereiste oder als Remigrant zurückkehrte, stellte oft fest, dass kaum jemand, mit dem er sprach, ein Bewusstsein der deutschen Schuld hatte. Immer war das natürlich nicht der Fall. Carl Zuckmayer, der 1946/47 im Auftrag der amerikanischen Militäradministration fünf Monate Deutschland bereiste, gewann sehr viel günstigere Eindrücke - er suchte allerdings auch danach, wie er freimütig zugab.

Das war bei Ernst Schoen anders. In der Weimarer Zeit war er, 1894 geboren, ein Radiopionier von einigem Einfluss gewesen, ein Parteigänger der neuen Musik, man kennt ihn als Freund Walter Benjamins. Schon 1933 verließ er Deutschland, ihm wurde die Zusammenarbeit mit Juden und Kommunisten vorgeworfen, zudem galt er als "Halbjude". Kurz erwog er, nach Moskau ins Exil zu gehen, aber London schien ihm praktikabler. Als die BBC 1939 ein europäisches Programm startete, erhielt er eine Chance im German Service, 1947 schickte ihn der Sender auf eine Deutschlandreise von zweieinhalb Wochen, um die Lage von Rundfunk, Zeitschriften und Buchverlagen zu untersuchen. Als Gedächtnisstütze für die spätere Ausarbeitung führte Schoen ein Tagebuch, das nun erschienen ist.

Viel Gutes nimmt er nicht wahr. Die Deutschen klagen viel, Selbstkritik ist ihnen fremd. Sie wirken schwach, entschlusslos, verharren "in einer tief unheimlichen Wartestimmung", wollen einfach nicht "tüchtig die Hände regen", sie sind eben, anders, als sie es sich vormachen, nicht "zu hart", sondern "immer zu schleimig weich" und brauchen "Zuchtmeister". Wenig später zitiert er zustimmend einen Deutschen, der als eines der Grundprobleme der Zeit "das schlammige Menschenmaterial" beschreibt, "das widerstandslos und charakterlos jedem Einfluss sofort nachgibt".

Einen desaströsen Eindruck von den Deutschen hatten auch andere. Und trotzdem ist man sich nicht sicher, wie weit den Schoenschen Bemerkungen zu trauen ist. Denn die Briten sind Schoen gleichfalls zuwider und kaum weniger als die Deutschen. Seine Mitreisenden, alles Angehörige der Control Commission Germany (CCG): "ein tolles dämonisches D-Zugspublikum". Wenige Seiten später ist vom "CCG-Pöbel" die Rede. Überall "Besatzungsamtsschimmel, Besatzungshengste", die meisten Briten "ja überhaupt völlig unartikuliert"; "fast alle Engländer, die man hier sieht, sehen aus wie Deutsche". Die Juden schneiden ähnlich schlecht ab, nicht nur Einzelne, sondern der Typus. Eine Deutsche, die als Frau eines Polizeibeamten meint, sich groß aufspielen zu können, charakterisiert er als "eine gut aussehende dicke dummdreiste Frau (etwa wie eine jüdische Kaufmannsfrau)".

Man versteht den Autor besser, liest man das Nachwort der Herausgeber, "Die vier Leben des Ernst Schoen". Es war ein tief enttäuschter Mann, den die Briten 1946 in die alte Heimat schicken. In London hatte ihn der Kunsthistoriker Edgar Wind in die Gesellschaft einführen und insbesondere mit jüdischen Mäzenen bekannt machen wollen, aber für Schoen bedeutete das eine bloße Qual. Er litt unter Angst, Nervosität und Pessimismus, auf Abendgesellschaften "bleibt mir jeder Bissen und jedes Wort (. . .) im Halse stecken". Ein bescheidener, eher scheuer Mensch war er immer gewesen, aber im Frankfurt der Zwanzigerjahre hatte er als geistreicher, gewinnender Mann gegolten, das war vorbei. Auch außerhalb der großen Welt fand er kaum mehr Kontakte. Nur schwer konnte er sich beruflich behaupten; er vermisste die Solidarität derer, die er für seine Freunde hielt, und litt unter dem Verlust der Heimat: "Ach, dass ich mein Volk nicht mehr lieben darf! Das ist ja wohl die / Tiefste schmerzliche Bitternis, die es mir angetan." Das Exil war seine Rettung, aber ein Unglück war es auch. Als der Krieg endete, musste er feststellen, dass die Briten auf den Bruch mit den politischen Traditionen Deutschlands setzten, die sie in den Emigranten noch lebendig sahen. Auf Männer wie ihn wollten sie verzichten. Und als er 1952 nach Deutschland zurückkehrte, war es nicht anders, in Ost und West. STEPHAN SPEICHER

Ernst Schoen: "Tagebuch einer Deutschlandreise 1947". Aufzeichnungen eines Emigranten.

Hrsg. von W. Stenke und S. Schiller-Lerg. Wagenbach Verlag, Berlin 2023. 176 S., br., 13,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht nur die Deutschen kommen in Ernst Schoens Aufzeichnungen seiner Reise ins zerbombte Deutschland im Jahr 1947 schlecht weg, stellt Rezensent Stephan Speicher fest. "Schwach" und "schleimig weich" erscheinen sie dem Komponisten und Schriftsteller Schoen, der 1933 ins Exil nach Großbritannien gehen musste, dabei erstarrt in einer "tief unheimlichen Wartestimmung", zitiert der Rezensent den Autor. Aber auch Schoens Blick auf Briten und Juden ist zutiefst negativ, wundert sich der Kritiker. Mit dem Nachwort der Herausgeber wird ihm aber klar: Schoen war ein vom Leben und den Menschen schwer Enttäuschter. In den 20er Jahren als Mann von Geist und Charisma bekannt, litt er als Emigrant unter dem "Verlust der Heimat" und der Ablehnung, mit der ihm die Briten begegneten, weiß der Kritiker nun.

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