Ich war Schulleiter einer mittelgroßen Mittelschule in einer mittelgroßen Stadt in Bayern. Ich lebte also in geordneten Verhältnissen. An meiner Schule tummelten sich ca. 320 Schüler im Alter zwischen 11 und 17 Jahren. Betreut und unterrichtet wurden die Schüler von 35 Lehrern, von denen die meisten älter als 50 Jahre waren. Unsere Schule zählte offiziell nicht zu den sog. Brennpunktschulen, aber manchmal brannte es an allen Ecken und Enden. Die meisten unserer Schüler gingen gern zur Schule, aber viele hatten schon früh die Lust an der Schule verloren; das galt übrigens auch für einige Kollegen. Entgegen meinen Erwartungen, konnte ich als Schulleiter meist nur mehr verwalten und selten gestalten und nachdem ich 2004 damit angefangen hatte einzelne Ereignisse des Schultags aufzuschreiben, empfand ich bald das regelmäßige Schreiben eines Tagebuchs wie eine Art Befreiung. Durch das Tagebuch gewann ich wieder Abstand zu den Ereignissen des Tages und konnte mich zurückbesinnen auf das, was mir wichtig war. Das Schreiben machte mir eigene Stimmungen und Verhaltensweisen bewusst und ich denke, dass das auch zu einer ehrlichen Auseinandersetzung mit mir selbst führte. Das Aufschreiben wirkte auf jeden Fall entlastend und konnte manchmal sogar depressiven Stimmungen vorbeugen. Wann immer es eine Gelegenheit gab, schrieb ich auf, was ich erlebt hatte. Beim Aufschreiben folgte ich keinen Regeln und keinen formalen Normen, wenngleich ich mich manchmal dabei erwischte, dass ich Gefallen an der einen oder anderen Formulierung fand. Das war meist dann der Fall, wenn sich darin eine wohltuende Distanz zum Tagesgeschehen zeigte. Wenn es eine Regel beim Aufschreiben gab, dann war es die des Drauflosschreibens. Nicht lange überlegen, nicht reflektieren, nicht nach der optimalen Wendung suchen.