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Über die Zeit im Konzentrationslager Auschwitz hat sein Großvater nie gesprochen. Und auch nicht über seine Gründe, in Brasilien ein neues Leben zu beginnen. Stattdessen hat er sich eingeschlossen, um die Welt so zu beschreiben, wie sie hätte aussehen können. Bis er sich eines Tages umgebracht hat. Wie ein Fluch zieht sich das Nichterinnernkönnen durch die Familie, denn der Sohn erkrankt an Alzheimer. Erst dem Enkel, dem Tagebuchschreiber, gelingt es nach einer Lebenskrise, aus dem Nebel des Ungesagten herauszufinden. Michel Laub schildert in seinem fulminanten Roman den Sturz dreier…mehr

Produktbeschreibung
Über die Zeit im Konzentrationslager Auschwitz hat sein Großvater nie gesprochen. Und auch nicht über seine Gründe, in Brasilien ein neues Leben zu beginnen. Stattdessen hat er sich eingeschlossen, um die Welt so zu beschreiben, wie sie hätte aussehen können. Bis er sich eines Tages umgebracht hat. Wie ein Fluch zieht sich das Nichterinnernkönnen durch die Familie, denn der Sohn erkrankt an Alzheimer. Erst dem Enkel, dem Tagebuchschreiber, gelingt es nach einer Lebenskrise, aus dem Nebel des Ungesagten herauszufinden. Michel Laub schildert in seinem fulminanten Roman den Sturz dreier Generationen einer Familie. Und führt dem Leser damit eindringlich vor Augen, wie sehr unsere Wurzeln und Erinnerungen uns bestimmen.
Autorenporträt
Michael Kegler, geboren 1967 in Gießen, ist Übersetzer portugiesischsprachiger Literatur, unter anderem von José Eduardo Agualusa (Angola), Paulina Chiziane (Mosambik) und Luiz Ruffato (Brasilien). 2014 erhielt er gemeinsam mit Marianne Gareis den Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW und 2016 den "Internationalen Hermann-Hesse-Preis".
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Auch wenn Michaela Metz am Ende das im Text so oft wiederholte Wort "Auschwitz" wie ein "moralischer Overkill" vorkommt (ob das eine so glückliche Wendung ist?), den Roman von Michel Laub hält sie für ausdrucksstark. Laubs Versuch, den Gewissenskonflikt eines Heranwachsenden nachzuzeichnen, sein Ringen mit der Erinnerung, der eigenen und der der anderen, älteren Familienmitglieder, gelingt laut Metz dank der Sensibilität des Autors, der die Frage nach der Schuld sich im Kreis drehen lässt und dem "Trumpf" Auschwitz seinen Stachel nimmt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.09.2013

LITERATURLAND
BRASILIEN
Ein Sandkorn der
Schuld: Michel Laub
„Der Boden im Festsaal an Joãos Geburtstag war mit kleinen Fliesen belegt. Als er auf dem Boden aufschlug, knackte etwas. Ich konnte es hören, weil ich daneben stand und weil wir gerade alle aufgehört hatten, dreizehn zu rufen.“ Dreizehn Mal wird João auf seiner Geburtstagsparty von seinen Mitschülern in die Luft geworfen, wie es eigentlich bei einer Bar-Mizwa Brauch ist. Doch beim dreizehnten Mal fangen sie ihn nicht auf.
  Michel Laubs Roman „Tagebuch eines Sturzes“ kreist um die Frage, wie Menschen mit Schuld umgehen. Im großen und im kleinen Kontext. Es ist ein böser Streich, der João fast zum Krüppel macht. Er ist kein Jude, er ist ein Goi, und er ist arm. Deshalb wird er zum Mobbingopfer an der jüdischen Schule in der Stadt Porto Alegre, die auch der Ich-Erzähler besucht. Der Sohn eines Omnibuskassierers – seine Mutter ist tot – hatte zu seinem Geburtstag die ganze Klasse eingeladen. All die, die ihn Tag für Tag im Sandkasten des Pausenhofes eingruben, sein Brot auf den Boden warfen oder darauf spuckten.
  Doch dieser fatale Sturz verfolgt den Ich-Erzähler, der einer von denen war, die João fallen ließen. Schließlich werden sie Freunde. Als sie gemeinsam auf eine nichtjüdische Schule wechseln wollen, kommt dem geläuterten Täter die Weltgeschichte in die Quere. Schließlich, so der Vater, sei der Großvater in Auschwitz gewesen, die Juden müssten zusammenhalten.
  Michel Laub verwebt das Schicksal dreier Generationen: das des Großvaters, der Auschwitz nie verwunden hat, das des Vaters, der den Selbstmord des Großvaters als Jugendlicher erlebte. Und das des Erzählers. Im Streit mit seinem Vater um den Schulwechsel provoziert er ihn. Er solle sich Auschwitz, die Nazis und den Großvater in den Arsch schieben. Der Vater ist außer sich und verprügelt seinen Sohn.
  Die Frage nach Schuld, wer Täter ist und wer Opfer, dreht sich in Laubs Roman im Kreis. Wiegt ein monströses Verbrechen wie die Gräuel in Auschwitz für den einzelnen Menschen immer schwerer als jedes andere Schicksal? Schwerer etwa als der Krebstod seiner Mutter für João? Der Ich-Erzähler konnte seinen Großvater wegen Auschwitz nie kennenlernen. Der hatte sich jahrelang in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen und schließlich sein Leben beendet. Aber war auch der Großvater schuldig, weil er seine Familie mit dem Trauma seines Freitods zurückgelassen hatte? Durfte er aufgeben? Darf Auschwitz ein Trumpf sein, der immer sticht? Auch in der nächsten und übernächsten Generation? Laub argumentiert dagegen: „Es ist einfacher, Auschwitz die Schuld zu geben, als (. . .) in meinem Großvater nicht das Opfer zu sehen, nicht ein dem Lauf der Geschichte unterworfenes Sandkorn, was automatisch auch meinen Vater zu einem Sandkorn in dieser Geschichte gemacht hätte, denn nichts ist leichter, als sogar Stolz zu empfinden, dieses Sandkorn zu sein, das die Hölle überstanden hat.“ Gleichzeitig fragt der Autor, der selbst Jude ist: Kann man noch immer über Auschwitz schreiben? Nach all dem, was bereits dazu gesagt worden ist? Und er zitiert als herausragenden Beitrag dazu Primo Levis Lagerbericht „Ist das ein Mensch?“.
  Es ist aber auch ein Roman über die Erinnerung. Der Großvater negierte die Erinnerungen an Auschwitz. Jahrelang hatte er versucht, das Trauma mittels seiner Umkehrung in kleine Hefte zu bannen. Eine Art Schönschrift seines Lebens. Auch der Vater hält seine Erinnerungen fest. Doch er will sein bisheriges Leben materialisieren. Er klammert sich an sie, denn er ist an Alzheimer erkrankt. Der alkoholkranke Sohn, der die Geschichte erzählt, trinkt seit er vierzehn ist. Er verbindet in seinem „Tagebuch“ die drei Leben. Auch er rechtfertigt seine Unfähigkeit dem Leben gegenüber mit diesem Trauma, „weil du damit alles rechtfertigen kannst; auch die schlimmsten, abwegigsten Dinge, die zu gestehen du dir bis zum Ende aufsparst“.
  „Tagebuch eines Sturzes“ ist ein ausdrucksstarker Roman, der den Gewissenskonflikt eines Heranwachsenden sensibel nachzeichnet. Allerdings wiederholt Michel Laub das Wort „Auschwitz“ so oft, dass das auf deutsche Leser wie ein moralischer Overkill wirken könnte. Dieser Autor verwickelt einen in immer neue Reflexionen, wie Menschen das, was sie tun, und das, was ihnen widerfährt, einordnen. „Auschwitz, ein Selbstmord und eine zerknitterte Heftseite,“ schreibt er, „allein die Tatsache, dass für mich dies alles auf einmal gleichrangig war, ist letztlich auch ein Beweis für die Unzulänglichkeit menschlicher Erfahrung an jedem Ort und zu jeder Zeit.“
MICHAELA METZ
Michel Laub: Tagebuch eines Sturzes. Roman. Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler, Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2013. 176 Seiten, 19,95 Euro, E-Book 15,99.
Michel Laub wurde 1973 in Porto Alegre geboren und lebt in São Paulo. Der Autor, Journalist und Jurist war Chefredakteur des brasilianischen Kulturmagazins Bravo! und ist Kolumnist der Tageszeitung Folha de S. Paulo . FOTO: RENATO PARADA
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