• Audio CD mit DVD

1 Kundenbewertung

Die ausgewählten Tagebücher Thea Sternheims - endlich wieder neu aufgelegt und jetzt ergänzend die gesamten Tagebuchaufzeichnungen auf CD-ROM: ein Panorama des kulturellen wie politischen Lebens im Deutschland und Frankreich des 20. Jahrhunderts. Thea Sternheim, intelligent, schön, hochgebildet, musisch begabt und reich, war die zweite Frau und Muse des Dramatikers Carl Sternheim. Mit ihm baute sie ein Schloss bei München, verkehrte in den Schriftsteller- und Künstlerkreisen der Belle Epoque und gehörte zu den ersten Van-Gogh-Sammlern Deutschlands.Die Ehe mit dem zunehmend größenwahnsinnig…mehr

Produktbeschreibung
Die ausgewählten Tagebücher Thea Sternheims - endlich wieder neu aufgelegt und jetzt ergänzend die gesamten Tagebuchaufzeichnungen auf CD-ROM: ein Panorama des kulturellen wie politischen Lebens im Deutschland und Frankreich des 20. Jahrhunderts. Thea Sternheim, intelligent, schön, hochgebildet, musisch begabt und reich, war die zweite Frau und Muse des Dramatikers Carl Sternheim. Mit ihm baute sie ein Schloss bei München, verkehrte in den Schriftsteller- und Künstlerkreisen der Belle Epoque und gehörte zu den ersten Van-Gogh-Sammlern Deutschlands.Die Ehe mit dem zunehmend größenwahnsinnig werdenden Sternheim zerbrach, zwei Kinder wurden drogensüchtig. Auf sich allein gestellt, emigrierte sie 1932 nach Paris, wo sie dank ihrer Freundschaft mit André Gide Zugang zu den französischen Intellektuellenkreisen hatte. Sie blieb, langsam verarmend, 30 Jahre in Paris - nur unterbrochen von der Internierung im französischen Lager Gurs. Mit 80 Jahren zog sie nach Basel, wo sie 1971 starb. Von 1903 bis 1971 schrieb sie Tagebuch, fast 34.000 Seiten. Diese Aufzeichnungen zeugen von einer Frau, die sich der Kunst und Literatur verschrieben hat, eine eigenwillige, kirchenferne Religiosität lebt und dabei politisch hellwach ist. Sie spiegeln das äußere wie das innere Leben: die Begegnungen mit Persönlichkeiten wie Benn, Picasso, Max Ernst, Max Reinhardt und die Chronik der politischen Katastrophen, daneben den Kampf um Selbständigkeit und geistige Orientierung in einer aus den Fugen geratenden Zeit.Die Buchausgabe enthält etwa ein Drittel des »Jahrhunderttagebuchs«, die CD-Rom erstmals den vollständigen transkribierten Text.Zu Thea Sternheim siehe auch Internetauftritt der Heinrich Enrique Beck-Stiftung, basierend auf dem Ausstellungs-Begleitband »Keiner wage, mir zu sagen: Du sollst«.
Autorenporträt
Thea Sternheim (1883-1971) war von 1907 bis 1927 mit dem Schriftsteller Carl Sternheim verheiratet. Außer ihrem Jahrhundert-Tagebuch schrieb sie den Roman »Sackgassen« sowie die Erzählung »Anna«, die unter dem Namen ihres Mannes erschien.

Thomas Ehrsam, geb. 1954,war bis 2014 Bibliotheksleiter der Museumsgesellschaft Zürich.Veröffentlichungen u. a. zu Gottfried Benn, Max Beckmann, J. M. R. Lenz, Thea Sternheim; im Wallstein-Verlag hat er »Thea Sternheim - Tagebücher 1903-1971« (Mithg., 2002) und zuletzt »Friedo Lampe: Briefe und Zeugnisse« (2018) herausgegeben.

Regula Wyss, geb. 1949, ist Literaturwissenschaftlerin und war Lehrbeauftragte an der Berufsmaturitätsschule und an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel.Für ihre editorische Leistung wurde den Herausgebern 2003 der Carl-Otten-Preis verliehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.09.2011

Aufrecht durch dunkle Zeit
Zehntausend Seiten: Thea Sternheims Tagebücher

"Wie je und bis über die Ohren, bis in die Fingerspitzen bin ich von diesem eigenwilligen, aufsässigen und im schönsten Sinne des Wortes penetranten Geiste besessen, beglückt und getröstet." Das notierte über sich selbst am 7. November 1953, zweieinhalb Wochen vor ihrem 70. Geburtstag, Thea Sternheim in ihrem Tagebuch, das auf seinen insgesamt 10 000 Seiten ein faszinierendes Zeitdokument der ersten siebzig Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts bietet. 2002 hatte der Wallstein Verlag daraus 3000 Seiten in vier Bänden und dazu einen Kommentarband von 750 Seiten publiziert - eine von den Herausgebern Thomas Ehrsam und Regula Wyss vorbildlich gestaltete, mit dem Carl-Otten-Preis für ihre editorische Leistung ausgezeichnete Ausgabe, die in der Kritik einhellige Begeisterung hervorrief. Friedhelm Kemp schrieb damals in dieser Zeitung: "Eine unbeendbare Lektüre - man liest sich hinein, liest sich abermals fest, liest zurück, tagelang, wochenlang, als Zeitgenosse, als Überlebender, als einer, der zurückblickt in ein unvergesslich sprechendes Gesicht."

Thea, 1883 geboren in eine reiche Fabrikantenfamilie, begeistert sich früh für Literatur, für die Künste; erfährt früh auch schon die Brüchigkeit familiärer bürgerlicher Existenz, beginnt mit fünfzehn eine Liebesbeziehung zu dem zehn Jahre älteren Arthur Löwenstein, den sie mit achtzehn gegen den Willen des Vaters heimlich heiratet. Sie wird mit neunzehn erstmals Mutter einer Tochter. Wenig später, 1903, trifft sie den jungen Schriftsteller Carl Sternheim, ist von ihm beeindruckt, beginnt eine Korrespondenz, verliebt sich leidenschaftlich - der erste Eintrag ihres Tagebuchs, nach einigen Gedichten aus den Jahren 1903 und 1904, datiert vom 7. Januar 1905: "Ich fühle, daß es sich erfüllen wird. Nur noch Tage und ich werde sehr glücklich oder sehr unglücklich sein. Vielleicht beides; denn ich bin doch so allein mit diesem Kinde. Oder ob der süsse Begriff ,Mutterschaft' mich auch von dieser Sehnsucht und diesem Einsamsein erlöst?"

Drei Tage später bringt sie ihr und Sternheims Kind zur Welt: Dorothea, die den Familiennamen Löwenstein trägt. Thea verlässt Löwenstein, der die Fürsorge beider Töchter behält, und heiratet 1907 Sternheim: nun, nach dem Tode ihres Vaters, eine steinreiche Frau. Ein Jahr später wird ihr gemeinsamer Sohn Klaus geboren.

Thea und Carl Sternheim führen bei München ein großes Haus, in dem Literaten, Künstler, Musiker, Theaterleute verkehren - Sternheim schreibt seine das Bürgertum skandalisierenden Stücke und wird berühmt. Thea, die unter den ständigen Liebesaffären Carls leidet, beobachtet die Welt um sie herum scharfsichtig, registriert in ihrem Tagebuch genau die Ausschläge der Zeit, die Verhältnisse der Künstlerfreunde, Lektüren - zunehmend und intensiv setzt sie sich auch mit religiösen Fragen auseinander, die mehr und mehr die Tagebuchnotate bestimmen. Am Ende ihres Lebens, als ihr die Publikation ihres enormen Tagebuchwerks angetragen wird, mustert sie es noch einmal genau durch und schwärzt nahezu alle ihr religiöses Engagement betreffenden Stellen.

Es bleibt ein unruhiges Leben mit den unterschiedlichen Wohnorten: Belgien, Deutschland, Holland, der Schweiz. Das Leben mit dem immer exzentrischer werdenden, von Wahnsinnsanfällen gepeinigten Sternheim ist kaum zu ertragen - 1927, an ihrem 44. Geburtstag, lässt sich Thea von Carl scheiden (der 1930 Pamela Wedekind heiratet) -, aber bis zu seinem Tod im November 1942 wird seine Krankheit, werden seine Anfälle ihr Leben begleiten. Die Tagebücher bezeugen, mit welcher Fürsorglichkeit sie sich seiner noch immer, und immer wieder annimmt.

All dies grundiert diese Tagebücher - und später auch die Sorgen um und die Auseinandersetzungen mit den Sternheimschen Kindern Dorothea, genannt "Mopsa", und Klaus, die beide, labil und drogenabhängig, ihr Leben beschweren. Und es macht einen großen Teil der Faszination dieser willensstarken, in ihren Urteilen unabhängigen, moralisch klaren und souveränen Frau aus, wie sie dieses persönliche Leben meistert und beschreibt. Es ist auch die Voraussetzung für ihr helles Gespür gegenüber der ferneren Welt um sie herum: den Künstlern, an deren Verhalten sie die politischen Ausschläge der Zeit registriert, den frühzeitigen Ahnungen: schon vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs; aber ganz entschieden vor dem Heraufdämmern des nationalsozialistischen Reichs, das sie schon Ende der zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre deutlich registriert. Und weil sie dieses verkommende Deutschland als "Gefängniszelle par excellence" wahrnimmt, geht sie im April 1932 mit den Kindern nach Paris, wo sie unter anderen Max Ernst, Julien Green, Frans Masereel begegnet und vor allem André Gide, mit dem sie bis zu seinem Tode freundschaftlich verbunden bleibt. Auch ihre alte, in der Brüsseler Zeit um 1917 begründete Freundschaft mit Gottfried Benn, dem sie freilich seine 1933 kurzfristig verblendete Hinwendung zum "neuen" Deutschland übel ankreidet, bleibt bis zu dessen Tod 1956 erhalten.

Thea Sternheim übersteht, in verarmten Verhältnissen, in Paris den Krieg, sie überlebt ihre Sternheim-Kinder, und zieht als Achtzigjährige 1963 zu ihrer ersten Tochter Agnes nach Basel, wo sie am 5. Juli 1971 stirbt.

Dieses Tagebuch, das 65 Jahre eines 87 Jahre dauernden Lebens begleitet hat, liest man als Zeugnis einer aufregenden, dabei zutiefst unmoralischen, menschenverachtenden Epoche. Man erkennt darin eine so seltene Erscheinung: eine Frau, die sich empörte gegen Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit, gegen die korrupte Amoralität auch und gerade in ihrer künstlerischen Umgebung und die bei der Beschreibung der Welt, die sie mitfeiernd und mitleidend erfahren hat, im persönlichen, im politischen, im moralischen und im künstlerischen Urteil unbestechlich geblieben ist - weil es da für sie keine unterschiedlichen Maßstäbe gab, sondern nur den einen: menschliche Anständigkeit. Dieses großartige Tagebuchwerk ist nun in einer durchgesehenen zweiten Auflage abermals erschienen - nun aber begleitet von einer CD, die den gesamten Tagebuchtext, also alle 10 000 Tagebuchseiten in einer Arbeitsfassung, als Datenbank enthält, versehen auch mit einer Volltextsuche.

HEINZ LUDWIG ARNOLD.

Thea Sternheim: "Tagebücher 1903 - 1971".

Mit Gesamttext auf CD-ROM. Hg. und ausgewählt von Thomas Ehrsam und Regula Wyss. Wallstein Verlag, Göttingen 2011. 3699 S., 80 Abb., 5 Bde. im Schuber 128,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr