15 Jahre lang, von 1910 bis 1924 hat Erich Mühsam, der berühmteste deutsche Anarchist sein Leben festgehalten - ausführlich, stilistisch pointiert, schonungslos auch sich selbst gegenüber - und niemals langweilig. Was diese Tagebücher so fesselnd macht, ist der wache Blick des Weltveränderers. Mühsam wollte Anarchie praktisch ausprobieren. Anarchie hieß für ihn: Leben ohne moralische Scheuklappen, ohne Rücksicht auf Konventionen - und er bewies, dass es geht. Auch das Schreiben ist Aktion, in allen Sätzen schwingt die Erwartung des Umbruchs mit, den er tatsächlich mit herbeiführt: Die Münchner Räterevolution ist auch die seine, und die Rache der bayerischen Justiz trifft ihn hart.Mühsam Tagebuch ist ein Jahrhundertwerk, das es noch zu entdecken gilt, es erscheint in 15 Bänden - und zugleich als Online-Edition. Die gewissenhaft edierten Textbände werden im Netz unter http://www.muehsam-tagebuecher.de/ begleitet von einem Anmerkungsapparat mit kommentiertem Namenregister, Sacherklärungen, ergänzenden Materialien, Suchfunktionen - so entsteht eine historisch kritische Ausgabe!
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Als das große, eingenständige Werk, wie angekündigt, möchte Burkhard Müller Erich Mühsams Tagebücher, nach allem, was er nun gelesen hat, nicht bezeichnen. Wohl aber als amüsante Lektüre und praktische Einsicht in das Leben eines Bohemien zwischen Saufgelage, Hadern mit dem "Virginitätsideal" (der Frau natürlich) und sozialrevolutionären Ambitionen. Vor allem mit Letzteren ist es gar nicht immer so irre weit her bei Mühsam, wie Müller erschrocken feststellen muss. Da wird schon mal ein billiger Sarkasmus auf Kosten der anderen der Selbstironie vorgezogen. Immerhin gefällt Müller Mühsams Zaudern viel besser als der seinerzeit herrschende Hurra-Patriotismus. Und als Tratschkompendium, Stadtplan und Who-is-Who Münchens vor 100 Jahren taugen die Tagebücher laut Rezensent darüber hinaus auch noch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.07.2019ohne_Titel
Erich Mühsam: Tagebücher. Herausgegeben von Chris Hirte und Conrad Piens. Band 15: 1924. Verbrecher Verlag, Berlin 2019. 359 Seiten, 32 Euro.
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