DIE UNIVERSITÄTEN IM DRITTEN REICH - DIE ERSTE GESAMTDARSTELLUNG
Lange Zeit haben sich die deutschen Universitäten vor allem als Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft gesehen. Erst allmählich und widerstrebend setzte sich die Einsicht durch, dass das nicht die ganze Geschichte ist. Inzwischen sind zahlreiche Untersuchungen zu einzelnen Universitäten, Disziplinen, Wissenschaftlern erschienen. Michael Grüttner legt mit diesem Buch auf der Grundlage jahrelanger Quellenforschung erstmals eine Gesamtdarstellung zu den Universitäten im Dritten Reich vor.
Die 23 Universitäten, die am Ende der Weimarer Republik in Deutschland existierten, waren seit 1933 massiven «Säuberungen» ausgesetzt, die sich vor allem gegen Studierende und Wissenschaftler jüdischer Herkunft richteten. Dieser «Machtergreifung» von oben entsprach eine «Machtergreifung» von unten: Viele Professoren traten in die Partei ein, manche versuchten wie Carl Schmitt und Martin Heidegger, sich als Vordenker des NS-Regimes in Stellung zu bringen. Michael Grüttner schildert eindringlich die erstaunlich geräuschlose Machtübernahme der Nationalsozialisten, analysiert die Hochschulpolitik des Regimes, die sich ganz unterschiedlich auf die verschiedenen Fächer auswirkte, und erklärt, warum die Wissenschaften im Dienst des Nationalsozialismus nicht nur unfreier wurden, sondern mitunter sogar größere Handlungsspielräume besaßen als je zuvor. Ein Epilog zur Nachgeschichte rundet diese souveräne, längst überfällige Gesamtgeschichte ab.
Die erste Gesamtdarstellung zu den Universitäten im Dritten Reich Die Summe 30 Jahre langer Forschung eines führenden Experten Opfer oder Täter: Institutionen und Personen zwischen erzwungener Gleichschaltung und begeisterter Mitwirkung Was prominente Vordenker wie Martin Heidegger und Carl Schmitt über die Universitäten im Dritten Reich verraten
Die Universitäten: Berlin Bonn Breslau Erlangen Frankfurt am Main Freiburg Gießen Göttingen Graz Greifswald Halle Hamburg Heidelberg Innsbruck Jena Kiel Köln Königsberg Leipzig Marburg München Münster Rostock Tübingen Wien Würzburg "Reichsuniversitäten" Posen und Straßburg
Lange Zeit haben sich die deutschen Universitäten vor allem als Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft gesehen. Erst allmählich und widerstrebend setzte sich die Einsicht durch, dass das nicht die ganze Geschichte ist. Inzwischen sind zahlreiche Untersuchungen zu einzelnen Universitäten, Disziplinen, Wissenschaftlern erschienen. Michael Grüttner legt mit diesem Buch auf der Grundlage jahrelanger Quellenforschung erstmals eine Gesamtdarstellung zu den Universitäten im Dritten Reich vor.
Die 23 Universitäten, die am Ende der Weimarer Republik in Deutschland existierten, waren seit 1933 massiven «Säuberungen» ausgesetzt, die sich vor allem gegen Studierende und Wissenschaftler jüdischer Herkunft richteten. Dieser «Machtergreifung» von oben entsprach eine «Machtergreifung» von unten: Viele Professoren traten in die Partei ein, manche versuchten wie Carl Schmitt und Martin Heidegger, sich als Vordenker des NS-Regimes in Stellung zu bringen. Michael Grüttner schildert eindringlich die erstaunlich geräuschlose Machtübernahme der Nationalsozialisten, analysiert die Hochschulpolitik des Regimes, die sich ganz unterschiedlich auf die verschiedenen Fächer auswirkte, und erklärt, warum die Wissenschaften im Dienst des Nationalsozialismus nicht nur unfreier wurden, sondern mitunter sogar größere Handlungsspielräume besaßen als je zuvor. Ein Epilog zur Nachgeschichte rundet diese souveräne, längst überfällige Gesamtgeschichte ab.
Die erste Gesamtdarstellung zu den Universitäten im Dritten Reich Die Summe 30 Jahre langer Forschung eines führenden Experten Opfer oder Täter: Institutionen und Personen zwischen erzwungener Gleichschaltung und begeisterter Mitwirkung Was prominente Vordenker wie Martin Heidegger und Carl Schmitt über die Universitäten im Dritten Reich verraten
Die Universitäten: Berlin Bonn Breslau Erlangen Frankfurt am Main Freiburg Gießen Göttingen Graz Greifswald Halle Hamburg Heidelberg Innsbruck Jena Kiel Köln Königsberg Leipzig Marburg München Münster Rostock Tübingen Wien Würzburg "Reichsuniversitäten" Posen und Straßburg
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Für den Rezensenten Hans von Trotha ist diese Untersuchung das "opus magnum" des Historikers Michael Grüttner: Endlich wird eine Lücke geschlossen: die Geschichte der deutschen Universitäten im Nationalsozialismus. Im eindrücklichen und aufschlussreichen Wechsel zwischen Einzelbeispiel und Überblicksdarstellungen erforscht Grüttner, dass die Hochschulen sich durch Mithilfe aus allen Schichten sehr schnell gleichschalten ließen und auch die Universitätsdisziplinen, allen voran die Medizin, großen Anteil an der Verbreitung der völkischen Ideologeme hatten, erläuert Trotha. Am interessantesten und auch für die heutige Zeit als Warnung zu lesen sind für ihn die Überlegungen des Autors dazu, wie schnell sich eine eigentlich der Wissenschaft verpflichtete Institution für politische Ziele missbrauchen lässt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2024Da bekamen die Jungen die Hochschulen in die Hand
Überfällig und gelungen: Michael Grüttner legt eine umfassende Darstellung der Universitäten im NS-Staat vor.
Von Stephan Speicher
Im Juni 1933 war der Leipziger Studentenführer Eduard Klemt bester Stimmung: "Wir sehen uns mit genau derselben Frechheit, wie einst als SA-Leute auf der Straße, heute im Hörsaal um und entscheiden, ob ein Professor bleiben kann oder nicht. Kriterium wird sein: Jener Mann kann nicht mehr Professor sein, weil er uns nicht mehr versteht . . . Wir Jungen haben die Hochschule in der Hand und können daraus machen, was wir wollen." Dass die Studenten die Hochschulen 1933 in der Hand hatten, das war ein wenig zu viel gesagt. Aber ihr Einfluss war doch sehr groß, weit größer als je zuvor.
In Kiel drangen SA-Männer in die Wohnung des Astronomen Hans Rosenberg ein und erklärten ihm, dass er sich als "vom Amt suspendiert zu betrachten" habe. Die Veranstaltungen unliebsamer Professoren wurden gesprengt, der "Reichsführer" der Studenten forderte dazu auf, Informationen über jüdische, linke, liberale Professoren zu sammeln. In Berlin stellte sich der Rektor Eduard Kohlrausch den Studenten entgegen, aber zu seiner Wiederwahl trat er nicht mehr an: Er habe das Vertrauen der Studentenschaft nicht; ähnlich war es in Halle. Der Kieler Rektor August Skalweit, der sich von den nationalsozialistischen Studenten nichts sagen ließ, musste erleben, dass die Scheiben seines Dienstzimmers eingeworfen, Stinkbomben gelegt, Hydranten geöffnet wurden. Anfang März legte er sein Amt nieder.
Aus der Literatur zu einzelnen Hochschulen, Fakultäten, Disziplinen, Gelehrten im NS-Staat kann man Türme bauen. Was aber fehlte, war eine Überblicksdarstellung der Universitäten in diesen Jahren. Diese Lücke hat nun Michael Grüttner mit seinem Buch "Talar und Hakenkreuz" geschlossen. Das war keine originelle, aber eine fruchtbare Idee: ein erneuter Blick auf die nationalsozialistische Dynamik von Verführungs- und Zerstörungskraft. Unmittelbar nach dem 30. Januar 1933 greifen die Jungen nach der Macht, die Studenten, Assistenten, Privatdozenten. Die ordentlichen Professoren, mehrheitlich deutschnational, sind zurückhaltend, den "unruhigen Elementen" wie dem "Radauantisemitismus" abgeneigt (der Romanist Ernst Robert Curtius spricht von der "Revolution der Massen", der Philosoph Erich Rothacker von einem "kräftigen Schuss von Klassenhass"), die Politisierung der Wissenschaft geht gegen alles, wofür sie standen. Jetzt setzen sich die Jungen durch, und ihr Genuss der neuen Macht, die Freude, andere herabzusetzen, ja zu quälen, macht einen widerwärtigen Eindruck.
Diese Dynamik hat allerdings Ursachen. Die Universitäten der Zwanzigerjahre waren in einer heiklen Lage. Die Zahl der Studenten hatte sich gegenüber der Vorkriegszeit verdoppelt, aber die der Stellen im Lehrkörper waren der Finanznot wegen kaum gewachsen. Die Aussichten des wissenschaftlichen Nachwuchses waren kläglich, das machte die Vorstellung, die entlassenen jüdischen Hochschullehrer beerben zu können, so verführerisch. Aber auch die Wissenschaft selbst hatte an Kredit verloren; die wachsende Spezialisierung widersprach dem neuen Wunsch nach "ganzheitlicher" Erkenntnis; wer Gottfried Benns "Ithaka" kennt, hat einen Eindruck von der Stimmung. Und die Autonomie der Hochschulen bestand nicht zuletzt in den geradezu absolutistischen Vorrechten der Ordinarien. Wenn der "Geist der Volksgemeinschaft" beschworen wurde, die keinen Unterschied mehr mache "zwischen dem ältesten Ordinarius und dem jüngsten Privatdozenten", wie sollte das nicht eine Verheißung sein für alle, die es noch nicht geschafft hatten?
"Kampfstellung gegen alles Arrivierte, ein schönes Vorrecht der Jugend!", begeistert sich 1934 eine "Rede an die Mitglieder einer Dozentenschaft". Aus der Sicht der Alten schrieb der Historiker Siegfried Kaehler, selbst erst 48 Jahre alt, "als ob wir auf die Menschenschicht, die heute mit elementarer Gewalt in den Staat eingebrochen ist, den Eindruck von kostümierten Gestalten machten, die sich aus einem Museum in den hellichten Tag verirrt haben". Zu der "elementaren Gewalt" der Jungen kamen bald die Drangsalierungen von Staat und Partei, die den Professoren den "Klassendünkel" austreiben wollten. In Heidelberg wurde der Rektor am 1. Mai 1935 zusammen mit einem Arbeiter und einem Bauern an die Spitze eines Marschblocks gestellt. Nicht Duldung der neuen Verhältnisse war gefordert, sondern Aktivismus. Für alle, die nicht überzeugt waren, war das eine ungeheure Demütigung. "Ich bin kein freier Mensch mehr und kein ehrlicher", schrieb der Germanist Hermann Schneider.
War die Universitäts- und Wissenschaftspolitik ein Erfolg im Sinne der NSDAP? Sicherlich stärker, als man es sich nach dem Krieg eingestehen wollte. Die künftigen Hochschullehrer wurden auch tüchtig in die Mangel genommen. Wochenlange "Gemeinschaftslager" mit dem Schwerpunkt auf wehrsportlichem Drill und dazu Dozentenakademien sollte unter den Habilitierten - die Habilitation lag noch in den Händen der Fakultäten - diejenigen mit "nationalsozialistischer Veranlagung" und "allgemeiner Dienstfreudigkeit" ermitteln.
Und doch waren viele Nationalsozialisten bald enttäuscht. Man habe die eigene Sache "auf der ganzen Linie gründlich versiebt", schrieb der Frankfurter Rektor Ernst Krieck, ein handfester Parteimann. Das hatte seine Gründe. Ein Konzept nationalsozialistischer Wissenschaftspolitik gab es nicht. Die bekannte Polykratie hatte sich gerade auf diesem Gebiet besonders wild ausgebreitet. Das Reichserziehungsministerium unter dem schwachen Bernhard Rust, der "Stab Heß" (später Parteikanzlei genannt), das Amt Rosenberg, der Dozentenbund, gegebenenfalls die Gauleiter, sie alle kämpften regellos um Einfluss. Immerhin musste jede Berufung dem Stab Heß vorgelegt werden (ob diesem ein Vetorecht zustand, war nicht geklärt), so wurden politisch heikle Berufungen erst gar nicht versucht - was aber auch nicht ausnahmslos galt.
Seit etwa 1937 setzte sich nämlich die Einsicht durch, dass Gesinnung allein doch zu wenig sei. Die Industrie warnte vor dem einsetzenden wissenschaftlichen Niveauverlust, und selbst in der NSDAP ahnte man, dass es unmöglich sei, aus einer politisch empfohlenen Null "plötzlich einen Träger deutscher Wissenschaft herzustellen". Der politische Druck einschließlich der Lagererziehung wurde etwas zurückgenommen.
Aber die Feindseligkeit gegenüber Wissenschaft und Bildung war damit nicht vertrieben. Intellektualismus hielt Goebbels für eine "Degenerationserscheinung des gesunden Menschenverstandes". Hitler hatte in "Mein Kampf" seine drei Erziehungsideale bezeichnet: das "Heranzüchten kerngesunder Körper", dann die Charakterbildung und "erst als letztes die wissenschaftliche Schulung". Man versteht so auch, warum gerade die medizinischen Fakultäten besonders stark nazifiziert waren: Sie hatten es mit unmittelbar verwertbarem Wissen zu tun, nicht etwa mit dem "toten Wissenskrempel des liberalistischen Jahrhunderts". In dieser Stimmung war, so der Historiker Percy Ernst Schramm, der Professor zu einer "Spottfigur" geworden. Das spiegelte sich auch in den Studentenzahlen, die zwischen 1932/33 und 1937/38 um mehr als die Hälfte sanken. Wirtschaft und Wehrmacht boten neue Aufstiegschancen, die akademische Welt galt nicht mehr viel. Im Zweiten Weltkrieg erkannte man rasch, dass die Missachtung der Wissenschaften und die Vertreibung jüdischer Forscher Deutschland auch rüstungstechnisch weit hinter Großbritannien und die USA zurückgeworfen hatten, im Luft- und U-Boot-Krieg trat das offen zutage. Versuche, daran noch etwas zu ändern, waren natürlich fruchtlos.
Die nationalsozialistische Fähigkeit, modern zu erscheinen und zum Teil auch zu sein, das Verständnis für die Ansprüche weiter Schichten, die "Revolution der Massen" mitsamt der Lust, die Position der alten Eliten umzustoßen (die Abschaffung der Talare stand auch schon auf dem Programm), sie bekommen in Michael Grüttners reichhaltigem Buch ihren Auftritt - wie auch das komplette Desinteresse an der Wissenschaft, obwohl diese doch die Substanz des Fortschritts ist.
Michael Grüttner: "Talar und Hakenkreuz". Die Universitäten im Dritten Reich.
C. H. Beck Verlag, München 2024. 704 S., geb., 44,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Überfällig und gelungen: Michael Grüttner legt eine umfassende Darstellung der Universitäten im NS-Staat vor.
Von Stephan Speicher
Im Juni 1933 war der Leipziger Studentenführer Eduard Klemt bester Stimmung: "Wir sehen uns mit genau derselben Frechheit, wie einst als SA-Leute auf der Straße, heute im Hörsaal um und entscheiden, ob ein Professor bleiben kann oder nicht. Kriterium wird sein: Jener Mann kann nicht mehr Professor sein, weil er uns nicht mehr versteht . . . Wir Jungen haben die Hochschule in der Hand und können daraus machen, was wir wollen." Dass die Studenten die Hochschulen 1933 in der Hand hatten, das war ein wenig zu viel gesagt. Aber ihr Einfluss war doch sehr groß, weit größer als je zuvor.
In Kiel drangen SA-Männer in die Wohnung des Astronomen Hans Rosenberg ein und erklärten ihm, dass er sich als "vom Amt suspendiert zu betrachten" habe. Die Veranstaltungen unliebsamer Professoren wurden gesprengt, der "Reichsführer" der Studenten forderte dazu auf, Informationen über jüdische, linke, liberale Professoren zu sammeln. In Berlin stellte sich der Rektor Eduard Kohlrausch den Studenten entgegen, aber zu seiner Wiederwahl trat er nicht mehr an: Er habe das Vertrauen der Studentenschaft nicht; ähnlich war es in Halle. Der Kieler Rektor August Skalweit, der sich von den nationalsozialistischen Studenten nichts sagen ließ, musste erleben, dass die Scheiben seines Dienstzimmers eingeworfen, Stinkbomben gelegt, Hydranten geöffnet wurden. Anfang März legte er sein Amt nieder.
Aus der Literatur zu einzelnen Hochschulen, Fakultäten, Disziplinen, Gelehrten im NS-Staat kann man Türme bauen. Was aber fehlte, war eine Überblicksdarstellung der Universitäten in diesen Jahren. Diese Lücke hat nun Michael Grüttner mit seinem Buch "Talar und Hakenkreuz" geschlossen. Das war keine originelle, aber eine fruchtbare Idee: ein erneuter Blick auf die nationalsozialistische Dynamik von Verführungs- und Zerstörungskraft. Unmittelbar nach dem 30. Januar 1933 greifen die Jungen nach der Macht, die Studenten, Assistenten, Privatdozenten. Die ordentlichen Professoren, mehrheitlich deutschnational, sind zurückhaltend, den "unruhigen Elementen" wie dem "Radauantisemitismus" abgeneigt (der Romanist Ernst Robert Curtius spricht von der "Revolution der Massen", der Philosoph Erich Rothacker von einem "kräftigen Schuss von Klassenhass"), die Politisierung der Wissenschaft geht gegen alles, wofür sie standen. Jetzt setzen sich die Jungen durch, und ihr Genuss der neuen Macht, die Freude, andere herabzusetzen, ja zu quälen, macht einen widerwärtigen Eindruck.
Diese Dynamik hat allerdings Ursachen. Die Universitäten der Zwanzigerjahre waren in einer heiklen Lage. Die Zahl der Studenten hatte sich gegenüber der Vorkriegszeit verdoppelt, aber die der Stellen im Lehrkörper waren der Finanznot wegen kaum gewachsen. Die Aussichten des wissenschaftlichen Nachwuchses waren kläglich, das machte die Vorstellung, die entlassenen jüdischen Hochschullehrer beerben zu können, so verführerisch. Aber auch die Wissenschaft selbst hatte an Kredit verloren; die wachsende Spezialisierung widersprach dem neuen Wunsch nach "ganzheitlicher" Erkenntnis; wer Gottfried Benns "Ithaka" kennt, hat einen Eindruck von der Stimmung. Und die Autonomie der Hochschulen bestand nicht zuletzt in den geradezu absolutistischen Vorrechten der Ordinarien. Wenn der "Geist der Volksgemeinschaft" beschworen wurde, die keinen Unterschied mehr mache "zwischen dem ältesten Ordinarius und dem jüngsten Privatdozenten", wie sollte das nicht eine Verheißung sein für alle, die es noch nicht geschafft hatten?
"Kampfstellung gegen alles Arrivierte, ein schönes Vorrecht der Jugend!", begeistert sich 1934 eine "Rede an die Mitglieder einer Dozentenschaft". Aus der Sicht der Alten schrieb der Historiker Siegfried Kaehler, selbst erst 48 Jahre alt, "als ob wir auf die Menschenschicht, die heute mit elementarer Gewalt in den Staat eingebrochen ist, den Eindruck von kostümierten Gestalten machten, die sich aus einem Museum in den hellichten Tag verirrt haben". Zu der "elementaren Gewalt" der Jungen kamen bald die Drangsalierungen von Staat und Partei, die den Professoren den "Klassendünkel" austreiben wollten. In Heidelberg wurde der Rektor am 1. Mai 1935 zusammen mit einem Arbeiter und einem Bauern an die Spitze eines Marschblocks gestellt. Nicht Duldung der neuen Verhältnisse war gefordert, sondern Aktivismus. Für alle, die nicht überzeugt waren, war das eine ungeheure Demütigung. "Ich bin kein freier Mensch mehr und kein ehrlicher", schrieb der Germanist Hermann Schneider.
War die Universitäts- und Wissenschaftspolitik ein Erfolg im Sinne der NSDAP? Sicherlich stärker, als man es sich nach dem Krieg eingestehen wollte. Die künftigen Hochschullehrer wurden auch tüchtig in die Mangel genommen. Wochenlange "Gemeinschaftslager" mit dem Schwerpunkt auf wehrsportlichem Drill und dazu Dozentenakademien sollte unter den Habilitierten - die Habilitation lag noch in den Händen der Fakultäten - diejenigen mit "nationalsozialistischer Veranlagung" und "allgemeiner Dienstfreudigkeit" ermitteln.
Und doch waren viele Nationalsozialisten bald enttäuscht. Man habe die eigene Sache "auf der ganzen Linie gründlich versiebt", schrieb der Frankfurter Rektor Ernst Krieck, ein handfester Parteimann. Das hatte seine Gründe. Ein Konzept nationalsozialistischer Wissenschaftspolitik gab es nicht. Die bekannte Polykratie hatte sich gerade auf diesem Gebiet besonders wild ausgebreitet. Das Reichserziehungsministerium unter dem schwachen Bernhard Rust, der "Stab Heß" (später Parteikanzlei genannt), das Amt Rosenberg, der Dozentenbund, gegebenenfalls die Gauleiter, sie alle kämpften regellos um Einfluss. Immerhin musste jede Berufung dem Stab Heß vorgelegt werden (ob diesem ein Vetorecht zustand, war nicht geklärt), so wurden politisch heikle Berufungen erst gar nicht versucht - was aber auch nicht ausnahmslos galt.
Seit etwa 1937 setzte sich nämlich die Einsicht durch, dass Gesinnung allein doch zu wenig sei. Die Industrie warnte vor dem einsetzenden wissenschaftlichen Niveauverlust, und selbst in der NSDAP ahnte man, dass es unmöglich sei, aus einer politisch empfohlenen Null "plötzlich einen Träger deutscher Wissenschaft herzustellen". Der politische Druck einschließlich der Lagererziehung wurde etwas zurückgenommen.
Aber die Feindseligkeit gegenüber Wissenschaft und Bildung war damit nicht vertrieben. Intellektualismus hielt Goebbels für eine "Degenerationserscheinung des gesunden Menschenverstandes". Hitler hatte in "Mein Kampf" seine drei Erziehungsideale bezeichnet: das "Heranzüchten kerngesunder Körper", dann die Charakterbildung und "erst als letztes die wissenschaftliche Schulung". Man versteht so auch, warum gerade die medizinischen Fakultäten besonders stark nazifiziert waren: Sie hatten es mit unmittelbar verwertbarem Wissen zu tun, nicht etwa mit dem "toten Wissenskrempel des liberalistischen Jahrhunderts". In dieser Stimmung war, so der Historiker Percy Ernst Schramm, der Professor zu einer "Spottfigur" geworden. Das spiegelte sich auch in den Studentenzahlen, die zwischen 1932/33 und 1937/38 um mehr als die Hälfte sanken. Wirtschaft und Wehrmacht boten neue Aufstiegschancen, die akademische Welt galt nicht mehr viel. Im Zweiten Weltkrieg erkannte man rasch, dass die Missachtung der Wissenschaften und die Vertreibung jüdischer Forscher Deutschland auch rüstungstechnisch weit hinter Großbritannien und die USA zurückgeworfen hatten, im Luft- und U-Boot-Krieg trat das offen zutage. Versuche, daran noch etwas zu ändern, waren natürlich fruchtlos.
Die nationalsozialistische Fähigkeit, modern zu erscheinen und zum Teil auch zu sein, das Verständnis für die Ansprüche weiter Schichten, die "Revolution der Massen" mitsamt der Lust, die Position der alten Eliten umzustoßen (die Abschaffung der Talare stand auch schon auf dem Programm), sie bekommen in Michael Grüttners reichhaltigem Buch ihren Auftritt - wie auch das komplette Desinteresse an der Wissenschaft, obwohl diese doch die Substanz des Fortschritts ist.
Michael Grüttner: "Talar und Hakenkreuz". Die Universitäten im Dritten Reich.
C. H. Beck Verlag, München 2024. 704 S., geb., 44,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2024Hitlers willige Gelehrte
Michael Grüttners große Geschichte der Rolle der Universitäten in der NS-Zeit zeigt
eindrücklich, in welchem Ausmaß Wissenschaft und Regime voneinander profitierten.
VON DANIEL SIEMENS
In einer Zeit, in der Zeitungen die Frage aufwerfen, ob deutsche Universitäten für jüdische Studierende zu „No-go-Areas“ werden, kommt einem Buch über die deutschen Universitäten im Nationalsozialismus nicht nur historische, sondern auch eine unerwartet aktuelle Bedeutung zu. In den Zwanzigerjahren waren die Universitäten schon einmal zu Orten gewaltsam ausgetragener politischer Konflikte geworden, hatte eine zunehmend nationalistisch gestimmte Studierendenschaft jüdische Kommilitonen und Dozenten eingeschüchtert und bedroht. Als 1933 dann die Nationalsozialisten die Macht im Staat übernahmen, gehörte die Entfernung jüdischer Hochschullehrer zu einer ihrer ersten Maßnahmen. Von der Mehrheit der Universitätsangehörigen wurde dies mit Schweigen hingenommen, sei es aus Zustimmung, mit Rücksicht auf die eigene Karriere oder schlicht aus Angst, ansonsten selbst ins Fadenkreuz der neuen Machthaber zu geraten.
Vor diesem Hintergrund ist das neue Buch des Historikers Michael Grüttner aus drei Gründen ein Glücksfall. Erstens ist Grüttner ein ausgewiesener Kenner der deutschen Universitätsgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Für sein Buch hat er eine große Menge an Informationen ausgewertet, die er in jahrzehntelangen Archivarbeiten zusammengetragen hat. Zweitens ist die Studie tatsächlich die erste Gesamtdarstellung zur Universitätsgeschichte im Dritten Reich, wobei einschränkend hinzuzufügen ist, dass es ausschließlich um die damaligen regulären Universitäten geht. Technische Universitäten, Handelshochschulen, Musik- und Bergakademien sind ausgespart, was arbeitsökonomisch nachvollziehbar ist, zumal nicht zu erwarten ist, dass sich am Gesamtbild wesentliche Änderungen ergeben hätten. Drittens ist das Buch sehr lesbar geschrieben, sodass ihm eine weite Verbreitung gerade unter aktuellen wie angehenden Studierenden zu wünschen ist. Grüttner informiert nicht nur umfassend darüber, wie Forschung und Lehre im Nationalsozialismus organisiert wurde, sondern man erfährt von ihm auch viel über das Selbstverständnis der deutschen Universitäten und ihrer Statusgruppen. Personelle Kontinuität über 1933 und 1945 hinweg war die Regel, ähnlich wie auch im Justizapparat oder in den Ministerien.
Die gut 500 Seiten umfassende Gesamtdarstellung ist in sechs große Abschnitte unterteilt. In den ersten beiden Kapiteln zeichnet Grüttner zunächst die Entwicklung der deutschen Universitäten von Mitte der Zwanziger bis zum Jahr 1934 nach, wobei die politische Einstellung der Professorenschaft, die zunehmend prekäre Lebenssituation und die sich verschlechternden Berufsaussichten vieler Studierender sowie die Gleichschaltungspolitik der Nationalsozialisten von 1933 an im Zentrum stehen. Grüttner argumentiert, dass die insgesamt willige (Selbst-)Gleichschaltung der Hochschulen vor dem Hintergrund der „Universitätskrise“ der späten Weimarer Republik gesehen werden muss. Diese Krise sei nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine „Legitimationskrise“ gewesen. Das habe mit dazu beigetragen, dass die Veränderungen ab 1933 entweder begrüßt oder zumindest, von wenigen Ausnahmen abgesehen, widerspruchslos hingenommen wurden. Solche historischen Einsichten sollten auch heutigen Wissenschaftspolitikern und Hochschulleitungen zu denken geben, die zwar unisono die wichtige Rolle der Universitäten für die Demokratie betonen, jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aber oft eine realistische Berufsperspektive verwehren.
Im dritten und vierten Kapitel steht die Hochschulpolitik in den Dreißigern und frühen Vierzigern im Zentrum und die Frage, welchen Einfluss das Reichserziehungsministerium auf die Universitäten nahm und welchen Machtfaktor die im NS-Dozentenbund organisierten Professoren darstellten. Dass die wichtige Rolle der SA an den Hochschulen 1933/34 ausgespart wird, ist allerdings eine auffällige Leerstelle. Besonders aufschlussreich ist ein Unterkapitel über die Berufungspraxis. Zwischen 1933 und 1945 wurden zwei Drittel der Lehrstühle neu besetzt, was dem Regime ausreichend Gelegenheit gab, politisch willfährige Wissenschaftler in Amt und Würden zu bringen. Anders als noch in der Weimarer Republik erfolgten viele Berufungen nun nicht mehr im Konsens mit den Fakultäten, sondern waren Ergebnis ministerieller Steuerung und später sogar von der Zustimmung der NSDAP (Stab Hess) abhängig. Die Partei verfügte damit de facto über ein Vetorecht bei der Neuberufung von Professoren.
Vergleichsweise kurz werden die Kriegsjahre abgehandelt, vor allem am Beispiel der beiden 1941 gegründeten „Reichsuniversitäten“ Posen und Straßburg, die einzigen Universitätsneugründungen im Dritten Reich. Beide Lehranstalten lagen in annektierten Gebieten und sollten einen Beitrag zur „geistigen Gewinnung des neuen Ostraums“ leisten beziehungsweise als „Bollwerk gegen den Westen und dessen untergehende Welt“ dienen. Nationalsozialistische Professoren zog es eher ins Elsass, wo das Leben deutlich angenehmer war als im besetzten Polen. Zu den heute noch bekannten Hochschullehrern an der Straßburger Reichsuniversität gehörten der Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker, der Mittelalterhistoriker Hermann Heimpel und der Staatsrechtler Ernst Rudolf Huber, ein Vertreter der stark nationalsozialistisch geprägten Kieler Schule.
Die meisten Hochschullehrer konnten ihre Karrieren bald nach Kriegsende fortsetzen, während nur wenige, unter ihnen der Historiker Reinhard Wittram, bereit waren, sich kritisch mit ihrer Rolle im NS-Staat auseinanderzusetzen.
In den letzten beiden Kapiteln untersucht Grüttner die Gruppe der Lehrenden ausführlich, wobei er nach Statusgruppen wie Fächerzugehörigkeit genau differenziert. Vom Regime besonders gefördert wurden die Agrarwissenschaften, die „Rassenhygiene“ (Eugenik), die Volkskunde und die sogenannten Auslandswissenschaften, da sie den geo- und bevölkerungspolitischen Zielen der Nationalsozialisten besonders nützlich waren. Dennoch ist es laut Grüttner mit Blick auf die Lehrenden schwierig zu entscheiden, wer überzeugter Nationalsozialist war und wer sich mehr aus Notwendigkeit angepasst hatte. Die Großordinarien oder „Mandarine“ büßten einen Teil ihrer Macht ein, wovon vor allem der neue Typus des jungen NS-Karrieristen profitierte, der sich in vielen Fällen rasch und hemdsärmelig einen festen Platz im Hochschulsystem sichern konnte.
Während jüdische Dozenten entlassen wurden, nutzen andere die Gelegenheit, ihre hochschulpolitische Karriere voranzutreiben. Der Fall des Philosophen Martin Heidegger, der von April 1933 an für ein Jahr Rektor der Freiburger Universität wurde, ist der bekannteste. Heidegger wie auch der Jurist Carl Schmitt halfen in den ersten Jahren des Regimes, „den Nationalsozialismus im Bildungsbürgertum salonfähig zu machen“, so Grüttner. Ihre Universitätskarrieren konnten davon jedoch nicht dauerhaft profitieren. Die Anpassungsbereitschaft der Hochschullehrerschaft war insgesamt hoch. Bis zum Ende des Regimes traten knapp 60 Prozent der Dozenten der NSDAP bei.
Grüttners Studie zeigt, dass von einer generellen Wissenschaftsfeindlichkeit der Nationalsozialisten keine Rede sein konnte, dass sie die Wissenschaft aber parteilicher und auch in praktisch-politischer Hinsicht anschlussfähiger machten. Das Regime förderte die Fächer je nach politischer Nützlichkeit; eine „flächendeckende Nazifizierung“ der Universitäten gelang aber nicht, so Grüttner. Die Verschiebung des Sag- und Machbaren eröffnete gerade für Mediziner aber Spielräume, die mit ethischer Wissenschaft nichts mehr zu tun hatten, etwa wenn sie Humanexperimente in den Konzentrationslagern abhielten oder als Gutachter in Euthanasiemorde involviert waren.
Die deutschen Universitäten, die sich selbst gerne als „Hüterinnen von Wahrheit und Gerechtigkeit“ priesen, nutzten die neuen Forschungsmöglichkeiten, die ihnen das Regime bot, hatten aber mit einem starken Rückgang der Studierendenzahlen zu kämpfen. Die Politisierung der Forschung im Dritten Reich und die Vertreibung herausragender Gelehrter trugen mittelfristig dazu bei, dass die deutschen Universitäten ihre zuvor auch international anerkannte hervorragende Stellung einbüßten. Die moralische Kompromittierung kam hinzu.
Nach dem Krieg gingen die Alliierten zunächst daran, die Universitäten grundlegend zu „säubern“, besonders in der sowjetischen Besatzungszone. Aber auch in der amerikanischen Besatzungszone, etwa in Heidelberg und München, kam es zu einem „veritablen Kahlschlag“. Es dauerte jedoch Jahrzehnte, bis sich einzelne Wissenschaftler und später dann auch Fachvertreter selbstkritisch mit der Geschichte ihrer Disziplin und führender Protagonisten im Dritten Reich auseinandersetzten. Dieser Prozess begann in der Regel erst, als die NS-belastete akademische Lehrergeneration gestorben war. Auch an die vertriebenen Wissenschaftler erinnerte man sich am liebsten posthum, während ihre Wiedereingliederung nach 1945 in vielen Fällen unerwünscht war.
Dies zeigt, dass die Universitäten ungeachtet aller postulierten Objektivitäts- und Wissenschaftsideale immer auch Personenverbünde von mitunter großer Stabilität sind. Wer im Wissenschaftssystem reüssieren will, muss Allianzen schmieden und Loyalität demonstrieren. Die so geschaffenen Abhängigkeiten und Dankbarkeiten halten mitunter Jahrzehnte, über politische Zäsuren hinweg. Die Universitäten waren daher immer auch ein Abbild der Gesellschaft – im Dritten Reich wie über 1945 hinaus.
Die NSDAP hatte
bald ein Vetorecht
bei Neuberufungen
Kaum ein Ordinarius
hinterfragte nach 1945
seine eigene Rolle
Michael Grüttner:
Talar und Hakenkreuz.
Die Universitäten im
Dritten Reich.
C.H. Beck, München 2024. 704 Seiten, 44 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Michael Grüttners große Geschichte der Rolle der Universitäten in der NS-Zeit zeigt
eindrücklich, in welchem Ausmaß Wissenschaft und Regime voneinander profitierten.
VON DANIEL SIEMENS
In einer Zeit, in der Zeitungen die Frage aufwerfen, ob deutsche Universitäten für jüdische Studierende zu „No-go-Areas“ werden, kommt einem Buch über die deutschen Universitäten im Nationalsozialismus nicht nur historische, sondern auch eine unerwartet aktuelle Bedeutung zu. In den Zwanzigerjahren waren die Universitäten schon einmal zu Orten gewaltsam ausgetragener politischer Konflikte geworden, hatte eine zunehmend nationalistisch gestimmte Studierendenschaft jüdische Kommilitonen und Dozenten eingeschüchtert und bedroht. Als 1933 dann die Nationalsozialisten die Macht im Staat übernahmen, gehörte die Entfernung jüdischer Hochschullehrer zu einer ihrer ersten Maßnahmen. Von der Mehrheit der Universitätsangehörigen wurde dies mit Schweigen hingenommen, sei es aus Zustimmung, mit Rücksicht auf die eigene Karriere oder schlicht aus Angst, ansonsten selbst ins Fadenkreuz der neuen Machthaber zu geraten.
Vor diesem Hintergrund ist das neue Buch des Historikers Michael Grüttner aus drei Gründen ein Glücksfall. Erstens ist Grüttner ein ausgewiesener Kenner der deutschen Universitätsgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Für sein Buch hat er eine große Menge an Informationen ausgewertet, die er in jahrzehntelangen Archivarbeiten zusammengetragen hat. Zweitens ist die Studie tatsächlich die erste Gesamtdarstellung zur Universitätsgeschichte im Dritten Reich, wobei einschränkend hinzuzufügen ist, dass es ausschließlich um die damaligen regulären Universitäten geht. Technische Universitäten, Handelshochschulen, Musik- und Bergakademien sind ausgespart, was arbeitsökonomisch nachvollziehbar ist, zumal nicht zu erwarten ist, dass sich am Gesamtbild wesentliche Änderungen ergeben hätten. Drittens ist das Buch sehr lesbar geschrieben, sodass ihm eine weite Verbreitung gerade unter aktuellen wie angehenden Studierenden zu wünschen ist. Grüttner informiert nicht nur umfassend darüber, wie Forschung und Lehre im Nationalsozialismus organisiert wurde, sondern man erfährt von ihm auch viel über das Selbstverständnis der deutschen Universitäten und ihrer Statusgruppen. Personelle Kontinuität über 1933 und 1945 hinweg war die Regel, ähnlich wie auch im Justizapparat oder in den Ministerien.
Die gut 500 Seiten umfassende Gesamtdarstellung ist in sechs große Abschnitte unterteilt. In den ersten beiden Kapiteln zeichnet Grüttner zunächst die Entwicklung der deutschen Universitäten von Mitte der Zwanziger bis zum Jahr 1934 nach, wobei die politische Einstellung der Professorenschaft, die zunehmend prekäre Lebenssituation und die sich verschlechternden Berufsaussichten vieler Studierender sowie die Gleichschaltungspolitik der Nationalsozialisten von 1933 an im Zentrum stehen. Grüttner argumentiert, dass die insgesamt willige (Selbst-)Gleichschaltung der Hochschulen vor dem Hintergrund der „Universitätskrise“ der späten Weimarer Republik gesehen werden muss. Diese Krise sei nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine „Legitimationskrise“ gewesen. Das habe mit dazu beigetragen, dass die Veränderungen ab 1933 entweder begrüßt oder zumindest, von wenigen Ausnahmen abgesehen, widerspruchslos hingenommen wurden. Solche historischen Einsichten sollten auch heutigen Wissenschaftspolitikern und Hochschulleitungen zu denken geben, die zwar unisono die wichtige Rolle der Universitäten für die Demokratie betonen, jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aber oft eine realistische Berufsperspektive verwehren.
Im dritten und vierten Kapitel steht die Hochschulpolitik in den Dreißigern und frühen Vierzigern im Zentrum und die Frage, welchen Einfluss das Reichserziehungsministerium auf die Universitäten nahm und welchen Machtfaktor die im NS-Dozentenbund organisierten Professoren darstellten. Dass die wichtige Rolle der SA an den Hochschulen 1933/34 ausgespart wird, ist allerdings eine auffällige Leerstelle. Besonders aufschlussreich ist ein Unterkapitel über die Berufungspraxis. Zwischen 1933 und 1945 wurden zwei Drittel der Lehrstühle neu besetzt, was dem Regime ausreichend Gelegenheit gab, politisch willfährige Wissenschaftler in Amt und Würden zu bringen. Anders als noch in der Weimarer Republik erfolgten viele Berufungen nun nicht mehr im Konsens mit den Fakultäten, sondern waren Ergebnis ministerieller Steuerung und später sogar von der Zustimmung der NSDAP (Stab Hess) abhängig. Die Partei verfügte damit de facto über ein Vetorecht bei der Neuberufung von Professoren.
Vergleichsweise kurz werden die Kriegsjahre abgehandelt, vor allem am Beispiel der beiden 1941 gegründeten „Reichsuniversitäten“ Posen und Straßburg, die einzigen Universitätsneugründungen im Dritten Reich. Beide Lehranstalten lagen in annektierten Gebieten und sollten einen Beitrag zur „geistigen Gewinnung des neuen Ostraums“ leisten beziehungsweise als „Bollwerk gegen den Westen und dessen untergehende Welt“ dienen. Nationalsozialistische Professoren zog es eher ins Elsass, wo das Leben deutlich angenehmer war als im besetzten Polen. Zu den heute noch bekannten Hochschullehrern an der Straßburger Reichsuniversität gehörten der Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker, der Mittelalterhistoriker Hermann Heimpel und der Staatsrechtler Ernst Rudolf Huber, ein Vertreter der stark nationalsozialistisch geprägten Kieler Schule.
Die meisten Hochschullehrer konnten ihre Karrieren bald nach Kriegsende fortsetzen, während nur wenige, unter ihnen der Historiker Reinhard Wittram, bereit waren, sich kritisch mit ihrer Rolle im NS-Staat auseinanderzusetzen.
In den letzten beiden Kapiteln untersucht Grüttner die Gruppe der Lehrenden ausführlich, wobei er nach Statusgruppen wie Fächerzugehörigkeit genau differenziert. Vom Regime besonders gefördert wurden die Agrarwissenschaften, die „Rassenhygiene“ (Eugenik), die Volkskunde und die sogenannten Auslandswissenschaften, da sie den geo- und bevölkerungspolitischen Zielen der Nationalsozialisten besonders nützlich waren. Dennoch ist es laut Grüttner mit Blick auf die Lehrenden schwierig zu entscheiden, wer überzeugter Nationalsozialist war und wer sich mehr aus Notwendigkeit angepasst hatte. Die Großordinarien oder „Mandarine“ büßten einen Teil ihrer Macht ein, wovon vor allem der neue Typus des jungen NS-Karrieristen profitierte, der sich in vielen Fällen rasch und hemdsärmelig einen festen Platz im Hochschulsystem sichern konnte.
Während jüdische Dozenten entlassen wurden, nutzen andere die Gelegenheit, ihre hochschulpolitische Karriere voranzutreiben. Der Fall des Philosophen Martin Heidegger, der von April 1933 an für ein Jahr Rektor der Freiburger Universität wurde, ist der bekannteste. Heidegger wie auch der Jurist Carl Schmitt halfen in den ersten Jahren des Regimes, „den Nationalsozialismus im Bildungsbürgertum salonfähig zu machen“, so Grüttner. Ihre Universitätskarrieren konnten davon jedoch nicht dauerhaft profitieren. Die Anpassungsbereitschaft der Hochschullehrerschaft war insgesamt hoch. Bis zum Ende des Regimes traten knapp 60 Prozent der Dozenten der NSDAP bei.
Grüttners Studie zeigt, dass von einer generellen Wissenschaftsfeindlichkeit der Nationalsozialisten keine Rede sein konnte, dass sie die Wissenschaft aber parteilicher und auch in praktisch-politischer Hinsicht anschlussfähiger machten. Das Regime förderte die Fächer je nach politischer Nützlichkeit; eine „flächendeckende Nazifizierung“ der Universitäten gelang aber nicht, so Grüttner. Die Verschiebung des Sag- und Machbaren eröffnete gerade für Mediziner aber Spielräume, die mit ethischer Wissenschaft nichts mehr zu tun hatten, etwa wenn sie Humanexperimente in den Konzentrationslagern abhielten oder als Gutachter in Euthanasiemorde involviert waren.
Die deutschen Universitäten, die sich selbst gerne als „Hüterinnen von Wahrheit und Gerechtigkeit“ priesen, nutzten die neuen Forschungsmöglichkeiten, die ihnen das Regime bot, hatten aber mit einem starken Rückgang der Studierendenzahlen zu kämpfen. Die Politisierung der Forschung im Dritten Reich und die Vertreibung herausragender Gelehrter trugen mittelfristig dazu bei, dass die deutschen Universitäten ihre zuvor auch international anerkannte hervorragende Stellung einbüßten. Die moralische Kompromittierung kam hinzu.
Nach dem Krieg gingen die Alliierten zunächst daran, die Universitäten grundlegend zu „säubern“, besonders in der sowjetischen Besatzungszone. Aber auch in der amerikanischen Besatzungszone, etwa in Heidelberg und München, kam es zu einem „veritablen Kahlschlag“. Es dauerte jedoch Jahrzehnte, bis sich einzelne Wissenschaftler und später dann auch Fachvertreter selbstkritisch mit der Geschichte ihrer Disziplin und führender Protagonisten im Dritten Reich auseinandersetzten. Dieser Prozess begann in der Regel erst, als die NS-belastete akademische Lehrergeneration gestorben war. Auch an die vertriebenen Wissenschaftler erinnerte man sich am liebsten posthum, während ihre Wiedereingliederung nach 1945 in vielen Fällen unerwünscht war.
Dies zeigt, dass die Universitäten ungeachtet aller postulierten Objektivitäts- und Wissenschaftsideale immer auch Personenverbünde von mitunter großer Stabilität sind. Wer im Wissenschaftssystem reüssieren will, muss Allianzen schmieden und Loyalität demonstrieren. Die so geschaffenen Abhängigkeiten und Dankbarkeiten halten mitunter Jahrzehnte, über politische Zäsuren hinweg. Die Universitäten waren daher immer auch ein Abbild der Gesellschaft – im Dritten Reich wie über 1945 hinaus.
Die NSDAP hatte
bald ein Vetorecht
bei Neuberufungen
Kaum ein Ordinarius
hinterfragte nach 1945
seine eigene Rolle
Michael Grüttner:
Talar und Hakenkreuz.
Die Universitäten im
Dritten Reich.
C.H. Beck, München 2024. 704 Seiten, 44 Euro.
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"Eine großartige Gesamtdarstellung über die Universitäten in der NS-Zeit ... Ein Glücksfall."
Süddeutsche Zeitung, Daniel Siemens
"Michael Grüttners Buch darf als neues Standardwerk angesehen werden, das den aktuellen Forschungsstand aus einem reichen Quellenfundus kompiliert."
Deutschlandfunk Andruck, Marcus Heumann
"Ein wichtiges, beeindruckend opulentes Werk."
HÖRZU
"Eine umfassende, fundierte und überzeugende Analyse der Universitäten in der NS-Zeit."
Ian Kershaw
"Souveräner Überblick."
h-soz-kult, Heinz-Elmar Tenorth
"Eine neue Studie des deutschen Historikers Michael Grüttner destilliert den Stand der Forschung ... zu einer klug gegliederten und gut lesbaren Gesamtdarstellung. ... Er überzeugt auch mit seinen Kommentaren und Wertungen."
journal21.ch, Urs Meier
"Grüttner ist ein lange erwartetes Standardwerk gelungen."
Badische Neueste Nachrichten
"Es ist die Stärke von Grüttners Buch, nirgends in pauschale Urteile zu verfallen, sondern stets zu differenzieren."
Badische Zeitung
"Überfällig und gelungen."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Stephan Speicher
"Michael Grüttner ist ein wissenschaftlich fundiertes, beeindruckendes Sachbuch gelungen, das auch interessierte Laien mit hohem Erkenntnisgewinn lesen können."
SWR2 Lesenswert, Claudia Fuchs
"Immer wieder räumt der Autor mit Mythen auf"
Sächsische Zeitung, Christian Ruf
"Das wissenschaftliche Standardwerk zum Thema das dringend notwendig war und auf das wir gewartet haben. Sehr gut lesbar und liest sich ... wirklich ungemein spannend und eindringlich. ... Als Lektüre sehr zu empfehlen."
Deutschlandfunk Kultur Buchkritik, Hans von Trotha
"Gelungene Gesamtdarstellung des Themas Universität im Nationalsozialismus. Sie ist hervorragend geschrieben und jenseits ihres wissenschaftlichen Standards eine spannende Lektüre."
ZFG, Wolfgang Benz
"Lässt sich ungewöhnlich gut lesen und kann als exzellente Zusammenführung der bisherigen Forschung gelten."
Damals, Sebastian Rojek
Süddeutsche Zeitung, Daniel Siemens
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