Die afghanischen Taliban sind Inbegriff eines rigiden Islamismus. Seit sie 1996 die Macht in Kabul übernommen haben, ist das Land zur Drehscheibe des internationalen Terrorismus geworden. Der Krieg gegen die Taliban nach den Anschlägen vom 11. September 2001 war nur scheinbar ein Erfolg. Erneut kontrollieren die bärtigen Gotteskämpfer große Teile Afghanistans, verhindern den Wiederaufbau und terrorisieren die Bevölkerung. Erneut ist Afghanistan weltpolitischer Krisenherd Nr. 1, und dieses Mal kämpfen - und sterben - auch deutsche Soldaten. Angesichts der Zuspitzung der Situation hat der pakistanische Journalist Ahmed Rashid sein hochspannendes Buch über die Taliban erweitert und aktualisiert. Er legt dar, woher die Taliban kommen, wie sie ihre heutige Machtstellung erlangt und gegen den Westen verteidigt haben und in welches komplizierte politische Spiel um Macht und Erdöl sie verstrickt sind.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2010Am Abgrund
Der pakistanische Journalist Rashid bietet aufschlussreiche Hintergründe über die Krisenregion Afghanistan
Deutsche Soldaten stehen in Afghanistan erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg in einem Kampfeinsatz. Trotz ausführlicher Berichterstattung fällt auf, dass es über Hintergründe und Ziele der ISAF-Operationen oft nur vage Kenntnisse gibt. Wer sind eigentlich die Taliban, wie steht der Kampf gegen die Al Qaida, welche Ziele verfolgen die unterschiedlichen Parteien am Hindukusch, welche Rolle spielt Pakistan, wie lange wird der Einsatz noch dauern - und mit welchem Ergebnis wird er enden? Der pakistanische Journalist Ahmed Rashid gibt in zwei Studien Antworten darauf. Sein im Jahr 2000 erstmals erschienenes Buch zu Entstehungsgeschichte und Machtübernahme sowie zu den Zielen und der Führungs- und Organisationsstruktur der Taliban (Koranschüler) wurde jetzt um ein die jüngste Entwicklung erfassendes Kapitel erweitert.
Rashid schildert die Entstehung der Taliban während des Dschihad gegen die sowjetische Besetzung (1979 bis 1989) in afghanischen und pakistanischen Flüchtlingslagern und den 1994 beginnenden unaufhaltsamen Aufstieg von einer "Bauernarmee" zur internationalen Terrororganisation, unterstützt durch den pakistanischen Geheimdienst (ISI). Im Süden beginnend, gewannen die Taliban bald die Kontrolle nahezu über ganz Afghanistan. Ihre Herrschaft brachte nach dem Ende des Bürgerkrieges (1992 bis 1994) zwar Sicherheit und Ordnung, aber um welchen Preis? Die Kehrseite war die Durchsetzung eines rigorosen religiösen Regimes, das mit der kompromisslosen Durchsetzung des islamischen Rechts (Scharia) die Bevölkerung terrorisierte. Frauen wurden Ausbildung und Arbeit verwehrt, Vergnügungen aller Art verboten. Verstöße zogen drakonische Strafen nach sich. Finanzielle Grundlage der archaischen Ordnung waren, neben Zuwendungen aus Pakistan und anderen arabischen Staaten, Steuern aus der gigantischen Opiumproduktion Afghanistans. Die Taliban gaben dem islamischen Fundamentalismus eine Form, "die jeden Kompromiss und jedes politische System, abgesehen vom eigenen, strikt ablehnt."
Ausführlich beleuchtet Rashid die Rolle der Vereinigten Staaten und Pakistans. Die Vereinigten Staaten ermöglichten den Aufstieg der Taliban, indem sie nach dem Rückzug der Sowjetunion Afghanistan im Stich ließen. Die zunehmend antiwestliche Ausrichtung der Bewegung beeinflusste vor allem Osama Bin Ladin, dessen Al Qaida die Taliban seit 1997 Unterschlupf in Südafghanistan gewährten. Afghanistan wurde damit zur Drehscheibe des internationalen Terrors. Pakistan trug zu dieser Entwicklung entscheidend bei, weil es die Taliban aus außenpolitischen und strategischen Gründen unterstützte.
Der von Al Qaida geplante Anschlag vom 11. September 2001 in New York, der zum militärischen Eingreifen der Vereinigten Staaten und der Nato sowie zum Sturz der Taliban führte, bildet den Ausgangspunkt für die zweite Studie. Unter dem plakativen Titel "Sturz ins Chaos" zeichnet Rashid die Entwicklung Afghanistans und Pakistans bis in die Gegenwart nach und bewertet dabei das Vorgehen der Vereinigten Staaten und der Nato überaus kritisch. Zwar sei es gelungen, die Taliban zu vertreiben. Diese hätten jedoch nach Pakistan ausweichen, sich dort regenerieren und - unterstützt vom ISI - den Kampf um Afghanistan so erfolgreich wieder aufnehmen können, dass sie heute wieder erhebliche Teile des Landes kontrollieren. Rashid macht Fehler der Bush-Administration hierfür verantwortlich. Die Regierung in Washington habe sich zu sehr auf den Irak-Krieg und zu wenig auf Afghanistan konzentriert. Ziele wie Staatsaufbau, Stabilisierung und Wiederaufbau am Hindukusch blieben zweitrangig. Dabei hätten mehr Geld und mehr Truppen das Blatt zu einem frühen Zeitpunkt wenden können. Die internationale Gemeinschaft versuchte von Kabul aus einen Zentralstaat unter Präsident Karsai zu installieren. Aber auch dieser scheiterte an den Problemen des Landes - wie Drogen oder Korruption. Auf den Raum Kabul begrenzt, verlor die afghanische Regierung die Kontrolle über den Rest des Landes an die Warlords und die wieder erstarkten Taliban. Auch die Nato zeigte sich außerstande, die von ihr gesteckten Ziele zu erreichen, da es an der Bereitschaft fehlte, Truppen und Geld im notwendigen Umfang bereitzustellen. Aber auch nationale Vorbehalte - Rashid nennt besonders Deutschland - lähmten den Streitkräfteeinsatz. Erst Präsident Obama leitete durch die Entsendung substantieller Verstärkungen einen Kurswechsel ein, kündigte aber gleichzeitig auch den Beginn des Rückzugs für 2011 an.
Pakistans permanente Unterstützung der Terroristen zog eine Talibanisierung und Destabilisierung des eigenen Landes nach sich, das heute ebenso wie Afghanistan am Abgrund steht. Bei einem weiteren Zerfall des pakistanischen Staates kann nicht ausgeschlossen werden, dass selbst die gut gehüteten pakistanischen Atomwaffen in die Hände von Terroristen gelangen. Die Unentschlossenheit des Westens - so das Fazit - habe die Erfolge der Taliban überhaupt erst ermöglicht. Vor diesem Hintergrund warnt Rashid die westliche Staatengemeinschaft vor einem "Run zum Raus". Vielmehr könnten zunächst allein weitere Truppenverstärkungen zum Erfolg führen. Wer sich über Afghanistan und die überaus komplexe Lage in der zentralasiatischen Krisenregion informieren will, dem bieten Rashids sachkundige Bücher einen exzellenten Einstieg.
HANS EHLERT.
Ahmed Rashid: Taliban. Afghanistans Gotteskämpfer und der neue Krieg am Hindukusch. C. H. Beck Verlag, München 2010. 480 S., 14,95 [Euro].
Ahmed Rashid: Sturz ins Chaos. Afghanistan, Pakistan und die Rückkehr der Taliban. Leske Verlag, Düsseldorf 2010. 340 S., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der pakistanische Journalist Rashid bietet aufschlussreiche Hintergründe über die Krisenregion Afghanistan
Deutsche Soldaten stehen in Afghanistan erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg in einem Kampfeinsatz. Trotz ausführlicher Berichterstattung fällt auf, dass es über Hintergründe und Ziele der ISAF-Operationen oft nur vage Kenntnisse gibt. Wer sind eigentlich die Taliban, wie steht der Kampf gegen die Al Qaida, welche Ziele verfolgen die unterschiedlichen Parteien am Hindukusch, welche Rolle spielt Pakistan, wie lange wird der Einsatz noch dauern - und mit welchem Ergebnis wird er enden? Der pakistanische Journalist Ahmed Rashid gibt in zwei Studien Antworten darauf. Sein im Jahr 2000 erstmals erschienenes Buch zu Entstehungsgeschichte und Machtübernahme sowie zu den Zielen und der Führungs- und Organisationsstruktur der Taliban (Koranschüler) wurde jetzt um ein die jüngste Entwicklung erfassendes Kapitel erweitert.
Rashid schildert die Entstehung der Taliban während des Dschihad gegen die sowjetische Besetzung (1979 bis 1989) in afghanischen und pakistanischen Flüchtlingslagern und den 1994 beginnenden unaufhaltsamen Aufstieg von einer "Bauernarmee" zur internationalen Terrororganisation, unterstützt durch den pakistanischen Geheimdienst (ISI). Im Süden beginnend, gewannen die Taliban bald die Kontrolle nahezu über ganz Afghanistan. Ihre Herrschaft brachte nach dem Ende des Bürgerkrieges (1992 bis 1994) zwar Sicherheit und Ordnung, aber um welchen Preis? Die Kehrseite war die Durchsetzung eines rigorosen religiösen Regimes, das mit der kompromisslosen Durchsetzung des islamischen Rechts (Scharia) die Bevölkerung terrorisierte. Frauen wurden Ausbildung und Arbeit verwehrt, Vergnügungen aller Art verboten. Verstöße zogen drakonische Strafen nach sich. Finanzielle Grundlage der archaischen Ordnung waren, neben Zuwendungen aus Pakistan und anderen arabischen Staaten, Steuern aus der gigantischen Opiumproduktion Afghanistans. Die Taliban gaben dem islamischen Fundamentalismus eine Form, "die jeden Kompromiss und jedes politische System, abgesehen vom eigenen, strikt ablehnt."
Ausführlich beleuchtet Rashid die Rolle der Vereinigten Staaten und Pakistans. Die Vereinigten Staaten ermöglichten den Aufstieg der Taliban, indem sie nach dem Rückzug der Sowjetunion Afghanistan im Stich ließen. Die zunehmend antiwestliche Ausrichtung der Bewegung beeinflusste vor allem Osama Bin Ladin, dessen Al Qaida die Taliban seit 1997 Unterschlupf in Südafghanistan gewährten. Afghanistan wurde damit zur Drehscheibe des internationalen Terrors. Pakistan trug zu dieser Entwicklung entscheidend bei, weil es die Taliban aus außenpolitischen und strategischen Gründen unterstützte.
Der von Al Qaida geplante Anschlag vom 11. September 2001 in New York, der zum militärischen Eingreifen der Vereinigten Staaten und der Nato sowie zum Sturz der Taliban führte, bildet den Ausgangspunkt für die zweite Studie. Unter dem plakativen Titel "Sturz ins Chaos" zeichnet Rashid die Entwicklung Afghanistans und Pakistans bis in die Gegenwart nach und bewertet dabei das Vorgehen der Vereinigten Staaten und der Nato überaus kritisch. Zwar sei es gelungen, die Taliban zu vertreiben. Diese hätten jedoch nach Pakistan ausweichen, sich dort regenerieren und - unterstützt vom ISI - den Kampf um Afghanistan so erfolgreich wieder aufnehmen können, dass sie heute wieder erhebliche Teile des Landes kontrollieren. Rashid macht Fehler der Bush-Administration hierfür verantwortlich. Die Regierung in Washington habe sich zu sehr auf den Irak-Krieg und zu wenig auf Afghanistan konzentriert. Ziele wie Staatsaufbau, Stabilisierung und Wiederaufbau am Hindukusch blieben zweitrangig. Dabei hätten mehr Geld und mehr Truppen das Blatt zu einem frühen Zeitpunkt wenden können. Die internationale Gemeinschaft versuchte von Kabul aus einen Zentralstaat unter Präsident Karsai zu installieren. Aber auch dieser scheiterte an den Problemen des Landes - wie Drogen oder Korruption. Auf den Raum Kabul begrenzt, verlor die afghanische Regierung die Kontrolle über den Rest des Landes an die Warlords und die wieder erstarkten Taliban. Auch die Nato zeigte sich außerstande, die von ihr gesteckten Ziele zu erreichen, da es an der Bereitschaft fehlte, Truppen und Geld im notwendigen Umfang bereitzustellen. Aber auch nationale Vorbehalte - Rashid nennt besonders Deutschland - lähmten den Streitkräfteeinsatz. Erst Präsident Obama leitete durch die Entsendung substantieller Verstärkungen einen Kurswechsel ein, kündigte aber gleichzeitig auch den Beginn des Rückzugs für 2011 an.
Pakistans permanente Unterstützung der Terroristen zog eine Talibanisierung und Destabilisierung des eigenen Landes nach sich, das heute ebenso wie Afghanistan am Abgrund steht. Bei einem weiteren Zerfall des pakistanischen Staates kann nicht ausgeschlossen werden, dass selbst die gut gehüteten pakistanischen Atomwaffen in die Hände von Terroristen gelangen. Die Unentschlossenheit des Westens - so das Fazit - habe die Erfolge der Taliban überhaupt erst ermöglicht. Vor diesem Hintergrund warnt Rashid die westliche Staatengemeinschaft vor einem "Run zum Raus". Vielmehr könnten zunächst allein weitere Truppenverstärkungen zum Erfolg führen. Wer sich über Afghanistan und die überaus komplexe Lage in der zentralasiatischen Krisenregion informieren will, dem bieten Rashids sachkundige Bücher einen exzellenten Einstieg.
HANS EHLERT.
Ahmed Rashid: Taliban. Afghanistans Gotteskämpfer und der neue Krieg am Hindukusch. C. H. Beck Verlag, München 2010. 480 S., 14,95 [Euro].
Ahmed Rashid: Sturz ins Chaos. Afghanistan, Pakistan und die Rückkehr der Taliban. Leske Verlag, Düsseldorf 2010. 340 S., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Lobend äußert sich Jörn Schulz über die Neuauflage von Ahmed Rashids Standardwerk über die Taliban. Er schätzt den pakistanischen Journalisten als exzellenten Kenner der Gotteskämpfer und der Konflikte in und um Afghanistan. Dass in der vorliegenden Neuauflage des 2000 veröffentlichten Buchs "Taliban" die historische Darstellung nicht aktualisiert wurde, hält er nicht für weiter tragisch, da nur Details hätten ergänzt werden können, die nichts am Gesamtbild änderten. Zudem hebt er die zwei ergänzenden Kapitel hervor, welche die weitere Entwicklung des Konflikts beschreiben. Schulz hebt hervor, dass Rashid Fehlentwicklungen klar benenne. Das Buch führt für ihn auch überzeugend die verheerende Entwicklung des Afghanistankriegs sowie die Destabilisierung Pakistan vor Augen. Er will nicht verschweigen, dass sich der Autor für die Intervention ausländischer Kräfte ausspricht, wenn er auch für eine klügere Intervention plädiert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ahmed Rashids "Taliban. Die Macht der afghanischen Gotteskrieger" stellt auch in der aktualisierten Neuauflage den Goldstandard dar, wenn man die alten, neuen Machthaber in Kabul verstehen will."
Süddeutsche Zeitung, Tobias Matern
"Ein beeindruckendes Standardwerk ..., das jetzt in einer aktualisierten Neuausgabe erschienen ist."
Der Tagesspiegel, Christian Böhme
"Standardwerk über die Bewegung [...] auch heute noch relevant"
Deutschlandfunk, Jasamin Ulfat-Seddiqzai
"Eine tiefgehende Analyse - unverzichtbar für diejenigen, die mit diskutieren wollen."
Gegenwind, Reinhard Pohl
Süddeutsche Zeitung, Tobias Matern
"Ein beeindruckendes Standardwerk ..., das jetzt in einer aktualisierten Neuausgabe erschienen ist."
Der Tagesspiegel, Christian Böhme
"Standardwerk über die Bewegung [...] auch heute noch relevant"
Deutschlandfunk, Jasamin Ulfat-Seddiqzai
"Eine tiefgehende Analyse - unverzichtbar für diejenigen, die mit diskutieren wollen."
Gegenwind, Reinhard Pohl