Alexander Osang ist der Frage nachgegangen, wer Tamara Danz eigentlich war und was sie in den Köpfen ihrer Freunde und Feinde hinterlassen hat. Er sprach mit Liebhabern und Rivalinnen, mit Managern und Politikern, mit Kollegen und Ärzten. Entstanden ist ein facettenreiches Porträt, das zugleich Auskunft gibt über menschliches Verhalten in einer Zeit schwieriger Umbrüche. Originaltexte von Tamara Danz, das letzte Interview mit ihr, zahlreiche Fotos aus ihren verschiedenen Lebensabschnitten, ein umfassender Lebenslauf und eine Discografie ihrer Band "Silly" komplettieren den Band.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.08.1997Schnoddriger Pfau
Wege zum Ostrock: Alexander Osang nähert sich Tamara Danz
Es gibt Journalisten, die so gut schreiben, daß es einen ekelt. Ihre Wendungen und Formulierungen erwecken den Eindruck ballettanzender Pfauen. Ihre Sätze beginnen halsbrecherisch und landen dennoch immer wieder auf den Füßen - man bewundert die Kunst, man verabscheut die Performance. Und es gibt andere Journalisten, die so gut schreiben, daß sie es gar nicht mehr richtig tun. Nicht in dem Sinn, daß sie das Publizieren eingestellt hätten, nein, sie schreiben bloß so, daß der Aufwand unkenntlich bleibt, sie schütteln Texte scheinbar schnoddrig aus dem Handgelenk, sie geben vor, bloß Interview-Tonbänder abgetippt zu haben. Vielleicht ist das ja nur eine andere, schwerer beweisbare Form der Eitelkeit. So einer jedenfalls ist Alexander Osang.
Osang, Reporter der "Berliner Zeitung", genießt in Ostberlin einen besonderen journalistischen Ruf. Mit großer Beobachtungsgabe, feinem Gehör und kalter Skepsis, die seine sentimentale Liebe zu manchen Menschen und Traditionen verbergen soll, ist er vielleicht das, was seine Leser gerne wären: einer, der sich weder duckt noch reckt, sondern mit Sturheit aufrecht geht. Und einer, der in kleinen Geschichten das große Unbehagen nach der Wende ausdrücken kann.
Nach dem Tod von Tamara Danz, der bekanntesten Rocksängerin der DDR, hat sich Osang auf ihre Spuren gesetzt. Er hat ihren Vater, ihre erste Schulfreundin, ihre Freunde, Bandmitglieder und einige ihrer Liebhaber besucht, er hat mit ihren Förderern gesprochen und mit jenem Politiker, der nach ihrem Tod meinte behaupten zu müssen, daß die Danz "eine beeindruckende Persönlichkeit" war, die "mit kritischen Worten und populärem Rock einer ganzen Generation aus der Seele gesungen hat".
Dieser Politiker, Manfred Stolpe, ging im direkten Gespräch mit seinen gut geölten Phrasen Osang exemplarisch auf den Leim: ",Die Besten sterben jung', sagt Manfred Stolpe plötzlich und lächelt nachdenklich. ,Ich war ja ein Fan von James Dean.' - Ich versuche das Gespräch wieder auf Tamara Danz zu bringen."
Natürlich hat dieses Buch über Tamara Danz auch etwas mit dem James-Dean-Syndrom zu tun. Früher Tod fasziniert, und wir machen uns erst die Mühe, alles über einen anderen wissen zu wollen, wenn wir ihn selbst nicht mehr fragen können. Diesem Dilemma wollte sich Osang sichtlich entziehen, indem er das Buch im Untertitel "Legenden" nannte, aber dieser Hinweis auf die Fragwürdigkeit des vorgeblich Dokumentarischen ist im Grunde nicht genug.
Denn man will ihm gern glauben: Er hat die Gespräche in eine besonders leichte, vorgeblich kunstlose Form gebracht, seine Recherchen scheinbar nur ein bißchen für die Schriftform zurechtgezupft. Jedes Kapitel beginnt mit ein paar Reportage-Elementen: Zeit, Ort, Verfassung des Gegenübers. Dann laufen vor allem Monologe jener Menschen ab, die Tamara Danz auf die eine oder andere Weise gekannt haben. Und diese formale Stereotypie, gepaart mit Osangs nachlässigem Stil, genauer: seinem inszenierten Stilverzicht, hat etwas Verführerisches: Sie imaginiert Objektivität und Authentizität. Als wäre einem Reporter wirklich möglich, nur zu berichten, was zu sehen war, und nur niederzuschreiben, was ihm gesagt wurde.
Aber auf diesem Betrug beruht schließlich gute Reportage: Wenn plötzlich nahegeht, was einem vorher völlig fern lag. In diesem Fall Tamara Danz, eine schrille, sture, starke Persönlichkeit, eine ungebärdige Identifikationsfigur der DDR-Jugend und ihr schnelles Sterben am Krebs: "Sie war so, wie der Westen sich den aufmüpfigen Osten vorstellen wollte. Und sie war, wie der Osten sich selbst gern gesehen hätte."
Dieses Buch ist in vielem ungeheuer undiszipliniert, schwankend zwischen Banalitäten, Kitsch und Brillanz. Die ausufernden Befindlichkeiten einer DDR-Rockband, die im übrigen genauso aussieht, wie man sich eine DDR-Rockband immer vorgestellt hat, sind streckenweise entnervend. Aber Alexander Osang schreibt nicht, wie die meisten Journalisten, um zu gefallen, zu unterhalten oder gar zu informieren. Mit anachronistischer, egoistischer Nachdenklichkeit sucht er seine eigene Beziehung zu den von ihm beschriebenen Menschen, er erforscht sein persönliches Verhältnis zu Tamara Danz. Er wollte kein Buch schreiben, das ein für allemal deren historische Bedeutung, für wen auch immer, feststellt, und keines über die verschwindenden kulturellen Besonderheiten der DDR. Auch keines über die gewendeten Menschen und wie man sie an ihren Worthülsen erkennt. Aber weil er es gar nicht darauf angelegt hat, steckt von all dem etwas in diesen Legenden. EVA MENASSE
Alexander Osang: "Tamara Danz. Legenden". Links Verlag, Berlin 1997. 200 S., Abb., br., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wege zum Ostrock: Alexander Osang nähert sich Tamara Danz
Es gibt Journalisten, die so gut schreiben, daß es einen ekelt. Ihre Wendungen und Formulierungen erwecken den Eindruck ballettanzender Pfauen. Ihre Sätze beginnen halsbrecherisch und landen dennoch immer wieder auf den Füßen - man bewundert die Kunst, man verabscheut die Performance. Und es gibt andere Journalisten, die so gut schreiben, daß sie es gar nicht mehr richtig tun. Nicht in dem Sinn, daß sie das Publizieren eingestellt hätten, nein, sie schreiben bloß so, daß der Aufwand unkenntlich bleibt, sie schütteln Texte scheinbar schnoddrig aus dem Handgelenk, sie geben vor, bloß Interview-Tonbänder abgetippt zu haben. Vielleicht ist das ja nur eine andere, schwerer beweisbare Form der Eitelkeit. So einer jedenfalls ist Alexander Osang.
Osang, Reporter der "Berliner Zeitung", genießt in Ostberlin einen besonderen journalistischen Ruf. Mit großer Beobachtungsgabe, feinem Gehör und kalter Skepsis, die seine sentimentale Liebe zu manchen Menschen und Traditionen verbergen soll, ist er vielleicht das, was seine Leser gerne wären: einer, der sich weder duckt noch reckt, sondern mit Sturheit aufrecht geht. Und einer, der in kleinen Geschichten das große Unbehagen nach der Wende ausdrücken kann.
Nach dem Tod von Tamara Danz, der bekanntesten Rocksängerin der DDR, hat sich Osang auf ihre Spuren gesetzt. Er hat ihren Vater, ihre erste Schulfreundin, ihre Freunde, Bandmitglieder und einige ihrer Liebhaber besucht, er hat mit ihren Förderern gesprochen und mit jenem Politiker, der nach ihrem Tod meinte behaupten zu müssen, daß die Danz "eine beeindruckende Persönlichkeit" war, die "mit kritischen Worten und populärem Rock einer ganzen Generation aus der Seele gesungen hat".
Dieser Politiker, Manfred Stolpe, ging im direkten Gespräch mit seinen gut geölten Phrasen Osang exemplarisch auf den Leim: ",Die Besten sterben jung', sagt Manfred Stolpe plötzlich und lächelt nachdenklich. ,Ich war ja ein Fan von James Dean.' - Ich versuche das Gespräch wieder auf Tamara Danz zu bringen."
Natürlich hat dieses Buch über Tamara Danz auch etwas mit dem James-Dean-Syndrom zu tun. Früher Tod fasziniert, und wir machen uns erst die Mühe, alles über einen anderen wissen zu wollen, wenn wir ihn selbst nicht mehr fragen können. Diesem Dilemma wollte sich Osang sichtlich entziehen, indem er das Buch im Untertitel "Legenden" nannte, aber dieser Hinweis auf die Fragwürdigkeit des vorgeblich Dokumentarischen ist im Grunde nicht genug.
Denn man will ihm gern glauben: Er hat die Gespräche in eine besonders leichte, vorgeblich kunstlose Form gebracht, seine Recherchen scheinbar nur ein bißchen für die Schriftform zurechtgezupft. Jedes Kapitel beginnt mit ein paar Reportage-Elementen: Zeit, Ort, Verfassung des Gegenübers. Dann laufen vor allem Monologe jener Menschen ab, die Tamara Danz auf die eine oder andere Weise gekannt haben. Und diese formale Stereotypie, gepaart mit Osangs nachlässigem Stil, genauer: seinem inszenierten Stilverzicht, hat etwas Verführerisches: Sie imaginiert Objektivität und Authentizität. Als wäre einem Reporter wirklich möglich, nur zu berichten, was zu sehen war, und nur niederzuschreiben, was ihm gesagt wurde.
Aber auf diesem Betrug beruht schließlich gute Reportage: Wenn plötzlich nahegeht, was einem vorher völlig fern lag. In diesem Fall Tamara Danz, eine schrille, sture, starke Persönlichkeit, eine ungebärdige Identifikationsfigur der DDR-Jugend und ihr schnelles Sterben am Krebs: "Sie war so, wie der Westen sich den aufmüpfigen Osten vorstellen wollte. Und sie war, wie der Osten sich selbst gern gesehen hätte."
Dieses Buch ist in vielem ungeheuer undiszipliniert, schwankend zwischen Banalitäten, Kitsch und Brillanz. Die ausufernden Befindlichkeiten einer DDR-Rockband, die im übrigen genauso aussieht, wie man sich eine DDR-Rockband immer vorgestellt hat, sind streckenweise entnervend. Aber Alexander Osang schreibt nicht, wie die meisten Journalisten, um zu gefallen, zu unterhalten oder gar zu informieren. Mit anachronistischer, egoistischer Nachdenklichkeit sucht er seine eigene Beziehung zu den von ihm beschriebenen Menschen, er erforscht sein persönliches Verhältnis zu Tamara Danz. Er wollte kein Buch schreiben, das ein für allemal deren historische Bedeutung, für wen auch immer, feststellt, und keines über die verschwindenden kulturellen Besonderheiten der DDR. Auch keines über die gewendeten Menschen und wie man sie an ihren Worthülsen erkennt. Aber weil er es gar nicht darauf angelegt hat, steckt von all dem etwas in diesen Legenden. EVA MENASSE
Alexander Osang: "Tamara Danz. Legenden". Links Verlag, Berlin 1997. 200 S., Abb., br., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main