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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.05.2005

Der Geruch brennender Hexen
Elisabethanische Dolchstoßlegende: Louise Welsh schickt Christopher Marlowe zur Hölle

Die Ermordung Christopher Marlowes gehört zu den spannendsten Kriminalfällen der Literaturgeschichte. Am 30. Mai 1593 starb der elisabethanische Dramatiker im Hinterzimmer der Schenke von Witwe Bull in Deptford so grausam, wie er gelebt und geschrieben hatte: Beim Streit um die Rechnung stach ihm ein Zechkumpan den Dolch ins Auge. Der Mörder wurde wegen "erwiesener Notwehr" freigesprochen; für die Zeitgenossen war der Fall klar. Durch Gottes Willen, schrieb Thomas Beard 1597, wurde "das Messer in seiner eigenen Hand, die all dies Gotteslästerliche geschrieben hatte, zum Werkzeug seiner eigenen Bestrafung und drang in das Hirn, welches selbiges ersonnen".

Literaturhistoriker und konspirative Leichenbeschauer gaben sich mit dieser Theorie nie zufrieden. Immerhin war Marlowe alias Thomas Kyd nicht nur berüchtigt als Schläger, Falschmünzer, bisexueller Hurenbock, Verfasser blutrünstiger Tragödien und blasphemischer Pamphlete, sondern auch Geheimagent Ihrer Majestät, und so ranken sich bis heute die wildesten Gerüchte um den ersten poète maudit. Fürchtete Sir Walter Raleigh, der Marlowe nachweislich in die Mysterien des Tabaks und seine Schule der Atheisten eingeführt hatte, daß der Logenbruder unter der Folter zu plaudern beginnen könnte? Wollte Raleighs Feind, Lord Essex, ein Exempel statuieren? Hatte Tom Walsingham, Gönner und Geliebter Marlowes, informeller Mitarbeiter und Vetter des Geheimdienstchefs, die Mörder gedungen, oder fiel "Sweet Kit" einem eifersüchtigen Galan zum Opfer? Nach einer unter Verschwörungstheoretikern vieldiskutierten Hypothese hat Marlowe seinen Tod nur vorgetäuscht, um seine literarische Laufbahn in Oberitalien unter dem Pseudonym William Shakespeare fortzusetzen.

Der Dichter, aus dessen Theaterstücken die Zuschauer "mit zuckender Fechthand", geballten Fäusten und Erektionen kamen, hat jedenfalls Kollegen von jeher fasziniert. Anthony Burgess etwa, ein Seelenbruder des "Hurenschreibers", der Gott und die Welt herausforderte, machte die Dolchstoßlegende 1993 zum Vorwurf seines letzten Romans "Der Teufelspoet". "Dieser Dolch sticht immer noch", schrieb Burgess da, "und wird niemals stumpf." Das gilt auch für Louise Welshs Roman "Tamburlaine muß sterben".

Die schottische Autorin hat schon in ihrem preisgekrönten Prosadebüt "Dunkelkammer" (2004) um den homosexuellen, bibliophilen Hobbydetektiv Rilke bewiesen, daß sie sich in den dunkelsten Abgründen von Gewalt, Pornographie und Bücherlust zu Hause fühlt, und so geht sie auch in ihrem zweiten Roman ohne übertriebenes Zartgefühl ans Werk. Ihr London ist eine stinkende Eiterbeule voll sadistischer Grausamkeiten und Perversionen. In den Bordellen und Kneipen tummeln sich Spitzel, Spitzbuben und Teufelsbeschwörer, im Kronrat intrigante Schurken, und weil offenbar alle ihren Marlowe gelesen haben, verwandelt sich das "armselige Schauspiel der Leidenschaften" alsbald in ein festliches "Theater des Blutes".

Louise Welshs Held schätzt große Auftritte und geistreiche Bosheiten, aus denen sein gotteslästerlicher Hochmut spricht. Jesus ist für ihn der Bastard einer Hure, der keine Ahnung vom Theater hatte; überhaupt sollte man heute "besser Gott mit Tabak denn mit Hostien preisen". Kurz bevor der Teufelsdichter zur Hölle fährt, bricht er seinem verräterischen Freund, einem zweitklassigen Schauspieler, noch rasch alle Knochen und Kiefer.

Der Roman erzählt die letzten 72 Stunden im kurzen Leben des tollwütigen Genies aus Marlowes eigener Sicht. Eben noch von seinem Mäzen Walshingham ins Lotterbett gezogen, wird er von einem reitenden Boten der Königin vor den Thronrat zitiert. Marlowe kommt noch einmal mit dem Schrecken davon, aber seine Tage sind gezählt: Verrät er Sir Walter, werden ihn dessen Handlanger töten; schweigt er im peinlichen Verhör, will Raleigh wenigstens für seinen Nachruhm sorgen. Mit dem Leben ist Marlowe so oder so fertig: Tamburlaine, der barbarische Welteroberer, den er in seinem ersten Theaterstück feierte, sitzt ihm längst als Dämon im Nacken, und so bleibt ihm nur ein letzter Fluch: "Fahr zur Hölle, Gott und Mensch."

Welshs historischer Thriller ist so düster, schwarzromantisch und zynisch wie ihre "Dunkelkammer" oder Marlowes Monsterdramen. "Der Tod läßt die Welt heller erstrahlen": die aufgespießten Köpfe vor dem Tower, die italienischen Pornos auf dem Büchermarkt vor St. Paul's Cathedral, die Pesttoten auf den Leichenkarren. Schon die Lebenden sind vom Geruch der Verwesung umwittert; im Haus des Magiers Dee erschnüffelt Marlowe eine "Mixtur aus Schwefel und Dung", und selbst wenn seine Vermieterin nur Innereien brät, sitzt der Ekel mit am Tisch: "Wie ein zappeliger Haufen Maden hüpfte und zuckte das gehäckselte Gedärm in seinem eigenen Fett und erfüllte den Raum mit dem süßlich fauligen Geruch von brennenden Hexen."

Louise Welsh tischt also starken Tobak aus Sir Walters Horror-Humidor auf; sie beherrscht freilich auch die leiseren Töne der elisabethanischen Gossenpoesie und kann mit knappen Worten alle Furien in Marlowes Brust beschwören. "Tamburlaine muß sterben" ist ein kurz angebratenes, scharf gewürztes Ragout aus Literaturkrimi, Künstlernovelle und Sittenroman, aber dank Welshs Hexenkünsten - und einer überdies sehr ordentlichen Übersetzung - ist der Teufelsbraten am Ende doch genießbar geworden.

Louise Welsh: "Tamburlaine muß sterben". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Müller. Verlag Antje Kunstmann, München 2005. 142 S., geb., 14,90 [Euro].

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