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"Alles hatte mit einem Kanonenschuß begonnen. Es war Krieg in Spanien..." Michel del Castillos berühmter Roman über die leidvolle Odysee des von seiner Mutter verlassenen Jungen Tanguy durch das Europa des Krieges.

Produktbeschreibung
"Alles hatte mit einem Kanonenschuß begonnen. Es war Krieg in Spanien..." Michel del Castillos berühmter Roman über die leidvolle Odysee des von seiner Mutter verlassenen Jungen Tanguy durch das Europa des Krieges.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.1996

Nicht ohne meine Mutter
Kindheit in Kriegstagen: Michel del Castillo tut Wahrheit kund

Das historische Umfeld dieser Leidensgeschichte eines Kindes ist leider sattsam bekannt und von einem solchen Grauen abgesteckt, daß man versucht sein könnte, die Augen abzuwenden. Doch was diesem kleinen Jungen in Mauthausen widerfuhr, wiederholt sich auf anderen Territorien immer wieder: in Ruanda, in Äthiopien, im ehemaligen Jugoslawien. Der Allgegenwart der Schmerzlaute vermag sich niemand zu entziehen, dessen Sinne und Gewissen wachsam genug geblieben sind.

Michel del Castillo, der Sohn einer auf republikanischer Seite engagierten Spanierin und eines bis zur Denunziation der eigenen Familie skrupellos feigen Franzosen, hat die Geschichte seiner Jugend zum ersten Mal 1957 unter dem Titel "Elegie der Nacht" veröffentlicht. Sie wurde ein internationaler Erfolg, der nur in Deutschland drei Jahre später durch das Verhalten des damaligen Bundesfamilienministeriums empfindlich geschmälert wurde: Auf Grund ungeprüfter und unhaltbarer Plagiatsvorwürfe drängte das Ministerium auf Aberkennung des del Castillo zugesprochenen Jugendbuch-Sonderpreises "Der junge Mensch in seiner Welt".

Der siebenundzwanzigjährige Schriftsteller erhielt nicht die Möglichkeit, sich zu rechtfertigen und den unsinnigen Vorwurf zu entkräften, daß eigentlich seine Mutter das Buch geschrieben habe. Dabei hatte diese längst richtiggestellt, daß davon keine Rede sein könne: "Als Schriftstellerin habe ich einem jungen Schriftsteller, dessen Mutter ich überdies war, Ratschläge geben können. Das ändert nichts an der Vaterschaft des Werks. Mein Sohn hat Persönlichkeit genug, nicht nur ein, sondern viele Bücher zu schreiben . . ."

Das hat Michel del Castillo nachhaltig bewiesen, zuletzt mit dem Roman "Straße der Erinnerung" - einer ohne Selbstschonung betriebenen Suche nach Gestalt und Wesen ebendieser Mutter. Wie er sie verlor und wie sie ihn - nach der gemeinsamen Internierung in einem südfranzösischen Sonderlager - nach seiner Deportation in das deutsche Konzentrationslager Mauthausen möglicherweise absichtlich verloren gab, das erzählt er erbarmungslos enthüllend in der "Elegie der Nacht". Und er erzählt es mit der gleichzeitig hoffnungslosen und doch erwartungsvollen Naivität eines Kindes, das die Leidenserfahrung noch nicht einzuordnen weiß in den übergeordneten Kreislauf einer immer ungerechten Geschichte.

Noch gibt es keine Einsicht, die das ständig wiederkehrende Leiden etwas mildert. Er sieht Opfer und Peiniger als Personal einer nur ihm zugedachten Hölle, deren Schrecken bei seiner Rückkehr nach Spanien in eine kirchliche Erziehungsanstalt fast nur die Gesichter wechselt. Erst die Aufnahme in ein Jesuitenkolleg in Ubeda gibt ihm seine Würde zurück, die wiederum sein Bewußtsein von Identität fördert. Endlich beginnt er sich als Kind seiner Zeit zu fühlen, als "dasselbe gequälte, so ausgelieferte und zugleich so starke Kind", von dem er als Autor im Nachwort der nun auch auf deutsch vorliegenden Neuausgabe der "Elegie" unter dem Titel "Tanguy" spricht.

Was einmal ganz autobiographisch als die Summe der Demütigungen und Erniedrigungen eines Heranwachsenden niedergeschrieben wurde, erweist sich nun dem, der es schrieb, ohne alle Selbstüberschätzung als ein exemplarisches Buch, dessen Bericht über die Zeitgeschichte in die Gegenwart hineinreicht und leider wohl auch für die Zukunft Gültigkeit besitzen wird. Die im "blutroten Widerschein" bitterster Erfahrungen bewahrten Erinnerungen des Michel del Castillo wirken um so eindringlicher, dem Leser unvergeßlich, als sie den Ton naiver Aufrichtigkeit, der Kindern eignet, auf keiner Zeile mit nachträglichen Reflexionen verfälschen. Hier berichtet noch immer ein kleiner Junge mit "vom Schmerz gebannten Blick" über die Beispielhaftigkeit einer Kindheit im Krieg und im Lager, in aller Reinheit und in all der glücklicherweise manchmal sogar unverwüstlichen Torheit, die "noch jenseits der Hoffnung auf der Suche nach Hoffnung" bleibt.

Schreibend ist es dem Autor gelungen, die "unerträgliche Wahrheit" seines früheren Lebens nicht in globale Anklage zu verkehren, sondern das für alle gegenwärtigen und kommenden Generationen glaubhaft und nachvollziehbar zu machen, was er "humanen Pazifismus" nennt: eine konsequente Haltung der Zuversicht, daß die Opfer den Peinigern auf der Ebene der Menschlichkeit immer überlegen sind, wenn sie nur die Hoffnung nicht verläßt. UTE STEMPEL

Michel del Castillo: "Tanguy". Elegie der Nacht. Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Leonharda Gescher. Überarbeitet und ergänzt von Roseli und Saskia Bontjes van Beek. Arche Verlag, Hamburg 1996. 362 S., geb., 38,- DM.

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