Die Spur eines ungewöhnlichen Verbrechens führt den suspendierten Kommissar Simon Tanner von Marokko ins romantische Grenzland zur französischen Schweiz: die grausamen Morde an kleinen Mädchen. Mithilfe des dicken Kommissars Michel und des zwergenhaften Butlers Honoré, der bei der reichen und verdächtigen Familie Finidori arbeitet, wühlt Tanner die Provinzidylle schnell auf und gerät dabei selbst in Lebensgefahr ...
Ein Kriminalroman von hinreißender Üppigkeit und seltener erzählerischer Kraft.
Ein Kriminalroman von hinreißender Üppigkeit und seltener erzählerischer Kraft.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.2003Mündchen nimmersatt
Wie es dem Schweizer gefällt: Urs Schaubs Romandebüt
"Keiner von all diesen phantastischen Schelmen zusammen", sagt Pfarrer Textdreher in "Wie es euch gefällt", "soll mich aus meinem Beruf herausnecken." Der Schweizer Theaterregisseur Urs Schaub hat sich durch Shakespeares Komödie aus seinem Beruf necken und zu einem neckischen Krimi inspirieren lassen. "Tanner" kann seine Vorlage nicht verleugnen. Wie in "Wie es euch gefällt" gibt es zwei rivalisierende Herzöge, melancholische Narren und Schäfergetändel in Wald und Feld. Aber von der übermütigen Tollheit im Ardennerwald ist nur kindische Albernheit geblieben, von Shakespeares sexueller Ambivalenz verschwiemelte, verschwitzte "Sinnlichkeit" und von seinen derben Sprachspielen Zötchen und Kalauer. "Skäkes-Bier, haha."
Simon Tanner, ein überaus fröhlicher und, wie zahllose Rezepte, Eß- und Bettszenen belegen, durchaus sinnenfreudiger Eidgenosse, hat sich in einem Dorf einquartiert, um sich von anstrengenden Frauengeschichten zu erholen und eine weltumspannende Kindermordserie aufzuklären. Daraus wird nichts. Die Damen mit ihren "Pelzchen" und "Nippelchen" reizen ihn zu den "blödesten Blödeleien", niedliche Kinder, Vögelchen und Kätzchen zu intimen Zwiegesprächen und Predigten an die Kreatur in der Art des heiligen Franziskus. Kaum daß ein "Grappa in ihrem Mündchen nimmersatt" verschwindet, zieht es die "Weibchen" auch schon ins Bettchen: "Quak, gähn. Entchen mut früh aufstehen morgen." Da lachen Tannerli und sein Freund Michelchen, bis ihnen die Tränchen kommen.
Schaub hat eine starke Vorliebe für jene kleinen Scherze, Kosenamen und Diminutive, die wir sonst eher für den Umgang mit Hunden und Kleinkindern reservieren. "Brav, Tanner, brav", lobt er seinen Detektiv, wenn er einen Verdächtigen apportiert. "Tanner", stupst er ihn an, "bevor du noch Mitleid mit diesem Kerl hast, solltest du einen Blick in den Schreibtisch werfen!" "Tannerli! Aufwachen!" ruft er erschrocken, wenn sein Schnüffler schläft. "Tanner, du mußt was machen, deine Geliebte stirbt . . . Jetzt spinnst du aber total, Tanner! . . . Raschel, raschel, bist du noch da?"
Es raschelt im Papier und rappelt im Karton, aber richtig zur Sache geht es nur, wenn Tanner, ein veritables Sexteufelchen, starke Frauenhände "fordernd in seinen Hintern" greifen spürt. Ruth, die glubschäugige Vermieterin, macht es so, die jungfräuliche Rosalind, Emmalein, die Staatsanwältin, eine zickige Primadonna aus Stuttgart, aber Elsie, die japanische Bäuerin, kann Tannerlis Weichteile doch am zärtlichsten kraulen. Selbst die alte Generalin treibt es mit ihrem Hofzwerg, der allerdings alsbald bestialisch ermordet wird. Schuld daran ist allerlei lichtscheues Gesindel, darunter ein Dunkelmann mit Sonnenallergien, ein "rechtes Politiker-Arschloch" und vier Neonazis in einem Golf GTI.
Aber das sind nur Marionetten an Schaubs Hundeleine. Wenn die ganze Welt eine Bühne ist und alle Menschen Schauspieler, denkt sich der Shakespeare-Kenner, darf ich wohl auch mein Ensemble herumscheuchen, ausschelten und tätscheln, wie es mir gefällt: "Was ist schöner gegen die Langeweile und Einsamkeit der Götter, als wenn es knallt und kracht. Und das Blut spritzt." Schaub muß beim Schreiben viel Spaß und kindliche Allmachtsphantasien gehabt haben: Alles tanzt nach seiner Pfeife; alles lacht, wenn er Grimassen schneidet und seine Japanerchen "gulgeln" statt "gurgeln" sagen. "Der Tanner versteht!", aber "die Folgen sind schröcklich". Auf sprachliche oder logische Ungereimtheiten kommt es dem Spielleiter nämlich nicht an. Wenn ihm die richtigen Worte fehlen, sagt er ins Blaue: "Sagen wir mal" und: "Übergänge gibt es nur in den Alpen." Hauptsache, "der Apfel fällt nicht weit aus der Migrospackung".
"Tanner" ist eine Mogelpackung: Shakespeare als Kinderüberraschungsei. Schaub weiß, wie man spektakuläre Effekte inszeniert, Kasperl, des Teufels Großmutter und hin und wieder auch ein Rilke- oder Wedekind-Zitat aus dem Zylinder zaubert. Er beschreibt Drogenräusche im Schloßturm, Zweikämpfe im Eiskeller, dämonische Puppenspieler, Dornröschen und die lieben Zwerge und läßt als politisch korrekter Nikolaus keine "obergemeine Unverschämtheit" ungestraft durchgehen. Aber er verwechselt dabei knuddelige Infantilität mit heiterem Übermut, seitenlange Beischlafprotokolle und saloppe Sprachschnitzerchen mit Unverkrampftheit. "Abgesehen von der Romantik", heißt es einmal, "hätte der Raum gut einen wärmenden Beitrag an seinen Klimahaushalt vertragen. Tanner fröstelte und ihm dämmerte die Bedeutung der Wolldecke." Den Leser friert's auch. "Wo ist der Sinn? Und vermöchte dieser Sinn all die aufgerissenen und zerbrochenen Herzen zu trösten?"
MARTIN HALTER
Urs Schaub: "Tanner". Roman. Pendo Verlag. Zürich 2003. 388 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie es dem Schweizer gefällt: Urs Schaubs Romandebüt
"Keiner von all diesen phantastischen Schelmen zusammen", sagt Pfarrer Textdreher in "Wie es euch gefällt", "soll mich aus meinem Beruf herausnecken." Der Schweizer Theaterregisseur Urs Schaub hat sich durch Shakespeares Komödie aus seinem Beruf necken und zu einem neckischen Krimi inspirieren lassen. "Tanner" kann seine Vorlage nicht verleugnen. Wie in "Wie es euch gefällt" gibt es zwei rivalisierende Herzöge, melancholische Narren und Schäfergetändel in Wald und Feld. Aber von der übermütigen Tollheit im Ardennerwald ist nur kindische Albernheit geblieben, von Shakespeares sexueller Ambivalenz verschwiemelte, verschwitzte "Sinnlichkeit" und von seinen derben Sprachspielen Zötchen und Kalauer. "Skäkes-Bier, haha."
Simon Tanner, ein überaus fröhlicher und, wie zahllose Rezepte, Eß- und Bettszenen belegen, durchaus sinnenfreudiger Eidgenosse, hat sich in einem Dorf einquartiert, um sich von anstrengenden Frauengeschichten zu erholen und eine weltumspannende Kindermordserie aufzuklären. Daraus wird nichts. Die Damen mit ihren "Pelzchen" und "Nippelchen" reizen ihn zu den "blödesten Blödeleien", niedliche Kinder, Vögelchen und Kätzchen zu intimen Zwiegesprächen und Predigten an die Kreatur in der Art des heiligen Franziskus. Kaum daß ein "Grappa in ihrem Mündchen nimmersatt" verschwindet, zieht es die "Weibchen" auch schon ins Bettchen: "Quak, gähn. Entchen mut früh aufstehen morgen." Da lachen Tannerli und sein Freund Michelchen, bis ihnen die Tränchen kommen.
Schaub hat eine starke Vorliebe für jene kleinen Scherze, Kosenamen und Diminutive, die wir sonst eher für den Umgang mit Hunden und Kleinkindern reservieren. "Brav, Tanner, brav", lobt er seinen Detektiv, wenn er einen Verdächtigen apportiert. "Tanner", stupst er ihn an, "bevor du noch Mitleid mit diesem Kerl hast, solltest du einen Blick in den Schreibtisch werfen!" "Tannerli! Aufwachen!" ruft er erschrocken, wenn sein Schnüffler schläft. "Tanner, du mußt was machen, deine Geliebte stirbt . . . Jetzt spinnst du aber total, Tanner! . . . Raschel, raschel, bist du noch da?"
Es raschelt im Papier und rappelt im Karton, aber richtig zur Sache geht es nur, wenn Tanner, ein veritables Sexteufelchen, starke Frauenhände "fordernd in seinen Hintern" greifen spürt. Ruth, die glubschäugige Vermieterin, macht es so, die jungfräuliche Rosalind, Emmalein, die Staatsanwältin, eine zickige Primadonna aus Stuttgart, aber Elsie, die japanische Bäuerin, kann Tannerlis Weichteile doch am zärtlichsten kraulen. Selbst die alte Generalin treibt es mit ihrem Hofzwerg, der allerdings alsbald bestialisch ermordet wird. Schuld daran ist allerlei lichtscheues Gesindel, darunter ein Dunkelmann mit Sonnenallergien, ein "rechtes Politiker-Arschloch" und vier Neonazis in einem Golf GTI.
Aber das sind nur Marionetten an Schaubs Hundeleine. Wenn die ganze Welt eine Bühne ist und alle Menschen Schauspieler, denkt sich der Shakespeare-Kenner, darf ich wohl auch mein Ensemble herumscheuchen, ausschelten und tätscheln, wie es mir gefällt: "Was ist schöner gegen die Langeweile und Einsamkeit der Götter, als wenn es knallt und kracht. Und das Blut spritzt." Schaub muß beim Schreiben viel Spaß und kindliche Allmachtsphantasien gehabt haben: Alles tanzt nach seiner Pfeife; alles lacht, wenn er Grimassen schneidet und seine Japanerchen "gulgeln" statt "gurgeln" sagen. "Der Tanner versteht!", aber "die Folgen sind schröcklich". Auf sprachliche oder logische Ungereimtheiten kommt es dem Spielleiter nämlich nicht an. Wenn ihm die richtigen Worte fehlen, sagt er ins Blaue: "Sagen wir mal" und: "Übergänge gibt es nur in den Alpen." Hauptsache, "der Apfel fällt nicht weit aus der Migrospackung".
"Tanner" ist eine Mogelpackung: Shakespeare als Kinderüberraschungsei. Schaub weiß, wie man spektakuläre Effekte inszeniert, Kasperl, des Teufels Großmutter und hin und wieder auch ein Rilke- oder Wedekind-Zitat aus dem Zylinder zaubert. Er beschreibt Drogenräusche im Schloßturm, Zweikämpfe im Eiskeller, dämonische Puppenspieler, Dornröschen und die lieben Zwerge und läßt als politisch korrekter Nikolaus keine "obergemeine Unverschämtheit" ungestraft durchgehen. Aber er verwechselt dabei knuddelige Infantilität mit heiterem Übermut, seitenlange Beischlafprotokolle und saloppe Sprachschnitzerchen mit Unverkrampftheit. "Abgesehen von der Romantik", heißt es einmal, "hätte der Raum gut einen wärmenden Beitrag an seinen Klimahaushalt vertragen. Tanner fröstelte und ihm dämmerte die Bedeutung der Wolldecke." Den Leser friert's auch. "Wo ist der Sinn? Und vermöchte dieser Sinn all die aufgerissenen und zerbrochenen Herzen zu trösten?"
MARTIN HALTER
Urs Schaub: "Tanner". Roman. Pendo Verlag. Zürich 2003. 388 S., geb., 19,90 [Euro].
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"Urs Schaubs Kriminalromane sind eine Liebeserklärung an die Landschaft und den Murtensee.", Basler Zeitung, 30.04.2010 20151120