Was wäre die Welt ohne Tante Tilli! Manchmal denkt David, dass sie ein bisschen meschugge ist oder einfach durchgeknallt und hin und wieder sogar richtig peinlich, aber eigentlich ist er doch stolz auf sie. Zwar ist Tante Tilli gar nicht wirklich Davids Tante und sie will auch nicht Tante genannt werden, aber sie ist eben eine echte Tante, wie er in einem Schulaufsatz schreibt. Mit ihr ist immer was los, und als David nach einem Unfall im Krankenhaus liegt, spielt sie für die kranken Kinder Theater. Tante Tilli ist es aber auch, die die Briefe von Davids Vater fälscht. David fällt seine folgenschwere Entscheidung trotzdem für sie.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997Wer hat Angst vor Tante Tilli?
Peter Härtling gibt die Bühne frei für eine alternde Diva
Peter Härtlings neues Kinderbuch hat einen schweren Start. Wieder so eine ausgeflippte Alte, denkt man, eine "Tante Tilli macht Theater". Auch lesen sich die ersten Erzählpassagen mehr als holprig, da einzelne Aussagen und Sprachbilder merkwürdig knapp und unverbunden aneinandergereiht stehen. Doch es lohnt sich durchzuhalten.
Außergewöhnliche alte Menschen sind oft die heimlichen Helden in Härtlings Kinderbüchern. Den "alten John" hat er einmal als seine Lieblingsfigur bezeichnet, weil er kindlich und frisch, zugleich aber weise sei. Diese Beschreibung paßt gleichermaßen auf Tante Tilli, nur bewundert der Autor noch einiges mehr an ihr. Die künstlerische Ader zum Beispiel: Sie war Opernsängerin und ist nun eine alternde Diva mit Spaß an Verkleidungen, Spiel und Rampenlicht. Ihre lärmige Farbigkeit und quirlige Exotik plaziert Härtling in eine stille und zerrissene Familie. Beide Eltern arbeiten viel, der Vater sogar weit entfernt in Brasilien. Vor zwölf Jahren holte die Mutter Tante Tilli in den vaterlosen Alltag, damit David nicht so oft alleine sei. Seitdem sorgt Tilli fürsorglich wie eine Oma für ihn, obwohl sie nicht verwandt sind. In der Figur der Tante ist ein Frauentyp der Nachkriegszeit verkörpert: die Heimatvertriebene, die überlebt hatte und sich eine Ersatzfamilie suchte. Die Verbindung aus weiblicher Diva und patenter Ersatzoma macht Tante Tilli darüber hinaus zur Vertreterin einer neuen eigenständigeren, aber immer noch selbstlosen Großelterngeneration.
Der erste Teil des Buches erzählt von den zwei Wochen, die Tante Tilli und David alleine sind. Mit einem schweren Unfall beginnt der zweite Abschnitt, in dem allmählich die Konflikte dieser Familie zum Vorschein kommen. Das äußere Geschehen wendet sich allmählich nach innen, in die Seelenwelt und Wahrnehmungsweise eines heranwachsenden Großstadtjungen. Härtling schildert dicht und expressiv, wie David einmal von der originellen Tante befremdet oder fast peinlich berührt ist und wie er dann wieder vor Stolz und Liebe beinahe platzt. Mutter und Vater bleiben dagegen schemenhaft, weil sie sich dem Jungen nur ansatzweise mitteilen können. Als es schließlich zu einer Konfrontation kommt, trifft David eine Entscheidung, die allen weiterhilft. Peter Härtling beschreibt dieses Familiendrama mit einem Ernst, in dem viel Heiterkeit mitschwingt. INA NEFZER
Peter Härtling: "Tante Tilli macht Theater". Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 1997. 109 S., 19,80 DM. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Peter Härtling gibt die Bühne frei für eine alternde Diva
Peter Härtlings neues Kinderbuch hat einen schweren Start. Wieder so eine ausgeflippte Alte, denkt man, eine "Tante Tilli macht Theater". Auch lesen sich die ersten Erzählpassagen mehr als holprig, da einzelne Aussagen und Sprachbilder merkwürdig knapp und unverbunden aneinandergereiht stehen. Doch es lohnt sich durchzuhalten.
Außergewöhnliche alte Menschen sind oft die heimlichen Helden in Härtlings Kinderbüchern. Den "alten John" hat er einmal als seine Lieblingsfigur bezeichnet, weil er kindlich und frisch, zugleich aber weise sei. Diese Beschreibung paßt gleichermaßen auf Tante Tilli, nur bewundert der Autor noch einiges mehr an ihr. Die künstlerische Ader zum Beispiel: Sie war Opernsängerin und ist nun eine alternde Diva mit Spaß an Verkleidungen, Spiel und Rampenlicht. Ihre lärmige Farbigkeit und quirlige Exotik plaziert Härtling in eine stille und zerrissene Familie. Beide Eltern arbeiten viel, der Vater sogar weit entfernt in Brasilien. Vor zwölf Jahren holte die Mutter Tante Tilli in den vaterlosen Alltag, damit David nicht so oft alleine sei. Seitdem sorgt Tilli fürsorglich wie eine Oma für ihn, obwohl sie nicht verwandt sind. In der Figur der Tante ist ein Frauentyp der Nachkriegszeit verkörpert: die Heimatvertriebene, die überlebt hatte und sich eine Ersatzfamilie suchte. Die Verbindung aus weiblicher Diva und patenter Ersatzoma macht Tante Tilli darüber hinaus zur Vertreterin einer neuen eigenständigeren, aber immer noch selbstlosen Großelterngeneration.
Der erste Teil des Buches erzählt von den zwei Wochen, die Tante Tilli und David alleine sind. Mit einem schweren Unfall beginnt der zweite Abschnitt, in dem allmählich die Konflikte dieser Familie zum Vorschein kommen. Das äußere Geschehen wendet sich allmählich nach innen, in die Seelenwelt und Wahrnehmungsweise eines heranwachsenden Großstadtjungen. Härtling schildert dicht und expressiv, wie David einmal von der originellen Tante befremdet oder fast peinlich berührt ist und wie er dann wieder vor Stolz und Liebe beinahe platzt. Mutter und Vater bleiben dagegen schemenhaft, weil sie sich dem Jungen nur ansatzweise mitteilen können. Als es schließlich zu einer Konfrontation kommt, trifft David eine Entscheidung, die allen weiterhilft. Peter Härtling beschreibt dieses Familiendrama mit einem Ernst, in dem viel Heiterkeit mitschwingt. INA NEFZER
Peter Härtling: "Tante Tilli macht Theater". Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 1997. 109 S., 19,80 DM. Ab 10 J.
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"Peter Härtling entwirft mit Tante Tilli eine wunderbare Figur, die vor Leben sprüht."Der Tagesspiegel