Erster Eindruck
Wer in den Werken von Sabine Reifenstahl schmökert, stößt unweigerlich auf queere Elemente. Obwohl queere Literatur weder zu meinen Kernkompetenzen als Leser noch als Autor gehört, war ich gespannt, wie die Autorin in ihrem Fantasyroman „Die Bärenkönigin“ mit dem Genre umgeht.
Meine anfangs kritische Erwartung war unangebracht, so feinfühlig und sacht schleicht sich die Liebe…mehrErster Eindruck
Wer in den Werken von Sabine Reifenstahl schmökert, stößt unweigerlich auf queere Elemente. Obwohl queere Literatur weder zu meinen Kernkompetenzen als Leser noch als Autor gehört, war ich gespannt, wie die Autorin in ihrem Fantasyroman „Die Bärenkönigin“ mit dem Genre umgeht. Meine anfangs kritische Erwartung war unangebracht, so feinfühlig und sacht schleicht sich die Liebe zwischen Männern in dieses Buch. Ein schriftstellerisches Kunstwerk, wenn man bedenkt, dass die Ablehnung solcher Zuneigung den gesamten Handlungsverlauf überhaupt erst ermöglicht! Doch gefesselt haben mich allein schon Setting, Handlung und die gefühlvolle Vorstellung der Hauptfiguren.
Inhalt
Als Achtjährige wird Prinzessin Annrai von Ewan, dem König vom Volk der „Bärenhäuter“ in Hochfels, zu seiner künftigen Gemahlin auserwählt, und er gewährt ihr dazu die Gabe der Verwandlung in eine Bärin. Entsprechend verläuft ihre Ausbildung, die mehr eine Kriegerin als die Königin von Weitmark zum Ziel hat. Dennoch stellt sich Annrai nach dem Tod ihres Vaters der Führung des Reiches, das sie auch in vorderster Linie gegen die seelenlosen Horden der finsteren Zauberin Idis verteidigt. Dabei kreuzt sie die Klinge mit Loris, einem hünenhaften Kämpfer, den sie später aus der Gefangenschaft ihres verräterischen Verbündeten befreit. Doch kann ihre aufflammende Liebe der Trennung standhalten, die ihr durch Ewans Eheversprechen und ihre daraus entstehende Verpflichtung an seinem Hofe aufgezwungen wird?
Schreibstil
Gewohnt vielschichtig bereitet Sabine Reifenstahl ihren Roman auf. Aus der Sicht Annrais zeigt das Buch nicht nur ihre eigene Geschichte, die durch dramatische Elemente wie Verhöhnung, Opfer, Kampf, Pflicht und gegen sie gerichtete Intrigen alles andere als einfach verläuft. Neben ihrer Zerrissenheit zwischen ihrer Zuneigung zu Ewan und ihrer Liebe zu Loris muss sie sich dafür einsetzen, dass die verpönte gleichgeschlechtliche Liebe in ihrem Reich der Toleranz weichen soll, um endlich einen allumfassenden Frieden zu ermöglichen. Auch das erleichtert es dem Leser, sich mit Annrai oder anderen Figuren zu identifizieren. Facettenreich, immer feinfühlig und bildreich gestaltet Reifenstahl die Fantasywelt, ihre Bewohner und deren Leben zwischen Entbehrung, Furcht und Hoffnung. Zahlreiche Figuren ziehen so ins Blickfeld des Lesers, wobei zwei schriftstellerische Dogmen stärker als in vielen Romanen zur Geltung kommen: „Show, don’t tell!“ und „Kill your Darlings!“ Bildhaft, spannend und authentisch bleibt die Sprache allemal, und wenn eine vom Leser liebgewonnene Figur fällt, bleibt ein Stückchen Leere, das sich jedoch sofort mit fesselnden Momenten füllt. Symbolisch für die Verluste, aber auch für bevorstehende Siege mag das Schachspiel stehen, dass Annrai in mehreren Kapiteln mit einigen ihrer Vertrauten spielt. Erst allmählich lüftet die Autorin die Geheimnisse um den Fluch der Bärenhäuter und offenbart nur in kleinsten Schritten die Beziehungen der Figuren zueinander und ihre miteinander verknüpften Schicksale. So bleibt der Roman fesselnd und lesenswert bis zur letzten Seite.
Fazit
Mich als Fantasyfan luden das mittelalterlich anmutende Ambiente und die mystisch-magisch bestimmte Handlung ohnehin zum Träumen und zum Mitfiebern und Mitleiden ein. In der Aufmachung nicht so spektakulär, aber amerikanischer Bestseller-Fantasy zumindest ebenbürtig finde ich „Die Bärenkönigin“ von Sabine Reifenstahl. Ein verständliches und nicht überladenes Setting ermöglicht ein entspanntes Lesen, das träumerische Eintauchen in die Welt von Weitmark und Hochfels und das Mitfühlen nicht nur mit den Hauptfiguren. Als weiteren Pluspunkt bewerte ich das zarte, weil unterschwellige Werben um Toleranz gegenüber Menschen, die wir nicht gänzlich unseren üblichen Normen unterwerfen wollen. Alles in Allem beste Fantasy, zu deren erwarteten Elementen sich die Forderung nach Aufgeschlossenheit gesellt.