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Nobelpreis für Literatur 2013
Alice Munro: Jonathan Franzen zählt sie zu den größten Erzählern der Welt und stellt sie über Tschechow, und für Doris Dörrie »schärft sie die Sinne«. Doch wie hat Alice Munro ihre Kunst entdeckt? In ihrem großartigen Debüt 'Tanz der seligen Geister' finden wir die Antwort: Das erste Buch der großen Meisterin der kleinen Form, 15 Erzählungen davon, erwachsen zu werden und die eigene Stimme zu finden. Im Original 1968 erschienen, zeigt sich Alice Munro bereits hier als präzise, unsentimentale und abgründige Chronistin zeitgenössischen Alltagslebens.

Produktbeschreibung
Nobelpreis für Literatur 2013

Alice Munro: Jonathan Franzen zählt sie zu den größten Erzählern der Welt und stellt sie über Tschechow, und für Doris Dörrie »schärft sie die Sinne«. Doch wie hat Alice Munro ihre Kunst entdeckt? In ihrem großartigen Debüt 'Tanz der seligen Geister' finden wir die Antwort: Das erste Buch der großen Meisterin der kleinen Form, 15 Erzählungen davon, erwachsen zu werden und die eigene Stimme zu finden. Im Original 1968 erschienen, zeigt sich Alice Munro bereits hier als präzise, unsentimentale und abgründige Chronistin zeitgenössischen Alltagslebens.
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Autorenporträt
Alice Munro, geboren am 10. Juli 1931 in Wingham, Ontario, Kanada, ist eine der bedeutendsten Autorinnen der Gegenwart. Sie erhielt 2013 die höchste Auszeichnung für Literatur, den Nobelpreis. Ihr umfangreiches erzählerisches Werk wurde bereits zuvor mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Giller Prize, dem Book Critics Circle Award und dem Man Booker International Prize. Alice Munro starb am 13. Mai 2024 in Port Hope, Ontario.  Im S. FISCHER Verlag bzw. FISCHER Taschenbuch Verlag liegen vor: ¿Himmel und Hölle¿, ¿Die Liebe einer Fraü, ¿Der Traum meiner Mutter¿, ¿Tricks¿, ¿Wozu wollen Sie das wissen?¿, ¿Zu viel Glück¿, ¿Tanz der seligen Geister¿, ¿Offene Geheimnisse¿, ¿Glaubst du, es war Liebe?¿, ¿Das Bettlermädchen¿, ¿Der Mond über der Eisbahn¿, ¿Liebes Leben¿, ¿Was ich dir schon immer sagen wollte¿, ¿Die Jupitermonde¿, ¿Ferne Verabredungen. Die schönsten Erzählungen¿ und Munros einziger Roman ¿Kleine Aussichten¿. Literaturpreise (Auswahl):Canada-Australia Literary Prize (1977)Commonwealth Writers' Prize (1991)Giller Prize for Fiction (1998 und 2004)Man Booker International (2009)Trillium Award (2013)Nobelpreis für Literatur (2013)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.2010

Reden ist keine Kleinigkeit wie Berühren

Ihre Kurzgeschichten sind wie ein überstürztes, pubertäres Rendezvous: Jetzt liegt das Debüt der kanadischen Meistererzählerin Alice Munro in subtiler Übersetzung auf Deutsch vor.

Eine verschlafene Kleinstadt am See, wo sich das Leben nur zur Sommersaison auf der Promenade einstellt; ein verlassenes Café, wo sich die Aushilfskellnerin mehr für ihre Nagelpflege als für etwaige Gäste interessiert; zwei Halbwüchsige aus der Kreisstadt, erlebnishungrig und gefühlsgierig, die auf der Suche nach der passenden Gesellschaft für den Abend sind: das ist so eine typische Versuchsanordnung, mit der Alice Munro zu Werke geht. Viel braucht diese kanadische Erzählerin von Weltrang nicht, damit sich Spannung in ihren Geschichten aufbaut: keine große Bühne, kein heldenhaftes Personal, erst recht kein welterschütterndes Ereignis, das uns durch Schicksalhaftes aufwühlt oder packt.

Ihr reichen Alltagsillusionen, Sehnsüchte und karge Existenzen, um immer wieder unerbittlich zu erkunden, wie eine Welt zum Einsturz kommt und wer sich wohl am besten in den Trümmern einrichtet. Oftmals ist es genau das Randständige, von dem sie uns erzählt, das umso stärker wirkt, sobald wir erst bemerken, dass jenseits dieses Randes nichts als Ungewissheit existiert. Wer erst ins Rutschen kommt, kann sich an nichts mehr klammern.

Den zugereisten Halbstarken zum Beispiel gelingt es schließlich, zwei Freundinnen ins Auto zu bekommen. Doch irgendwie verläuft die Sache nicht nach Plan: "Ein Mädchen lag in meinem Arm, verächtlich, gefügig, wütend, stumm und unerreichbar. Ich wollte lieber mit ihr reden, als sie zu berühren, aber das kam nicht in Frage; Reden war für sie nicht eine solche Kleinigkeit wie Berühren." Also besorgt man sich eine Flasche starken Fusel, man trinkt und fährt und schläft zusammen. Und als der Abend plötzlich endet, fragt man sich verwundert, wer wen benutzt und wer wem etwas vorgemacht hat.

Auf einmal nämlich redet dieses Mädchen doch noch: "Thanks for the Ride", ruft sie den Jungs im Auto hinterher. "Danke für die Schlittenfahrt" übersetzt Heidi Zerning diesen Schlusssatz, zugleich Titel der Geschichte, treffend. Denn wenn Worte größere Intimität als sinnliche Berührung haben sollen, kommt es auf deren Doppelsinn genauestens an. Das Abenteuer der Verführung kehrt sich um. Zu spät erkennt hier der verstörte männliche Erzähler, wie ihm die Überlegenheit genommen wurde.

Solche Desillusionierungen sind seit langem Markenzeichen der modernen Kurzgeschichte. Auf knappem Raum von vielleicht zwanzig oder dreißig Seiten, die kaum Gelegenheit zu langer psychologischer Entwicklung bieten, pointiert sich alles ganz im Momentanen eines plötzlichen Erkennens, einer Erfahrung der Enttäuschung, des Zerbrechens lang vertrauter Illusionen oder manchmal auch des kurzen Glücks. Die klassische Form der Kurzgeschichte hat deshalb selbst etwas von einem überstürzten, pubertären Rendezvous: zum allmählichen Kennenlernen, Annähern, Warmwerden und Reden miteinander bleibt hier kaum Zeit - sie muss schon zielstrebig zur Sache gehen, den Figuren schnell zu Leibe rücken und uns ohne langes Vorspiel mit ihnen intim werden lassen, bevor diese Gelegenheit gleich auch schon wieder endet. In ihren besten Ausprägungen allerdings gewinnt die Form bei Munro daraus ihre wahre Größe. Wenn ein Roman die Wirklichkeit vereinnahmt und umarmen will, dann lässt Munro ihr mit diesen Geschichten die Distanz: gefügig, stumm und unerreichbar ist ihnen die moderne Lebenswelt - sie bleibt ein Rätsel und bleibt eben dadurch spannend.

"Tanz der seligen Geister" ist der Band, mit dem die damals siebenunddreißigjährige Autorin 1968 in Toronto debütierte. Die fünfzehn Erzählungen darin entstanden in den Jahren ihrer ersten Ehe, als sie drei Kinder großzuziehen, einen Haushalt zu versorgen und eine ordentliche Mittelklasseexistenz zu führen hatte. Wie sie einmal bemerkte, blieb ihr darum jeden Tag nur sehr wenig Zeit zum Schreiben, weshalb sie sich angeblich auf die Kurzgeschichte, die überschaubar schien, verlegte. Im Debütband, der jetzt endlich auf Deutsch vorliegt, mögen solche Zwänge durchaus spürbar sein; manches darin wirkt ein wenig absehbar und zuweilen etwas vorschnell auf die Schlusspointe hingeschrieben. Das Erstaunliche ist aber, wie oft uns diese alten Texte überraschen und ergreifen und - zumal in Zernings subtiler Übersetzung - neu bewegen.

Längst gilt Munro neben Margret Atwood als bedeutendste Autorin Kanadas, ist vielfach preisgekrönt und mit mehr als einem Dutzend Bänden großartiger Erzählungen hervorgetreten. Wenn wir jetzt ihren Anfängen erneut begegnen, zeigt sich schon viel von dieser Meisterschaft. Die Geschichten spielen meist im Kleinbürgermilieu der kanadischen Provinz, um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts, fernab der Großstädte, fern auch der Zentren, wo die Standards von Kultur vermutet werden. Und dennoch rückt uns diese Welt sehr nah, wenn wir in ihr das Unstete, das Ungewisse einer Existenz erkennen, die ständig vor dem Einbruch steht und manchmal daraus ihre Freiheit neu gewinnt.

In der Titelgeschichte wird die Ballettmusik von Gluck, unerwartet dargeboten auf dem Sommerfest einer Klavierlehrerin, für einen flüchtigen Moment zum Zeichen einer solchen wunderbaren Wendung: Alle hören dem Musikstück gebannt zu, "als seien sie an etwas erinnert worden, von dem sie vergessen hatten, dass sie es vergessen hatten". Solche Wunder vollbringt auch das Erzählen. Alice Munro erinnert uns daran.

TOBIAS DÖRING

Alice Munro: "Tanz der seligen Geister". Erzählungen. Aus dem Englischen von Heidi Zerning. Dörlemann Verlag, Zürich 2010. 384 S., geb., 23,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Tobias Döring freut sich, dass Alice Munros Debütband mit Erzählungen nun endlich auch auf Deutsch vorliegt, zumal er die Übersetzerin Heidi Zerning nachdrücklich für die Feinfühligkeit ihrer Übertragung lobt. Als erfreuliche Überraschung dieser Kurzgeschichten macht der Rezensent aus, dass die 1968 erstmals in Toronto veröffentlichen Texte immer noch zu berühren und erstaunen vermögen, auch wenn er einräumt, dass einige der Geschichten vielleicht allzu gradlinig auf ihre Pointe zielen. Alles in allem aber zeige sich schon hier die "Meisterschaft" der kanadischen Autorin, in ihren in der abgeschiedenen Provinz angesiedelten Geschichten die Unsicherheit der Existenz und die Brüche, aus denen sich manchmal neue Freiräume entwickeln, wirkungsvoll zu evozieren, so Döring fasziniert.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Ich denke vor allem an die Kanadierin Alice Munro, mit der es auf
diesem Planeten allenfalls eine Handvoll Schriftsteller aufnehmen kann.
Ich meine, sie hat im Bereich der Kurzgeschichte Tschechow übertroffen,
und der war nicht gerade ein Anfänger.«
Jonathan Franzen in einem Interview in der Zeit auf die Frage nach möglichen nordamerikanischen Nobelpreisträgern

»Munro ist einfach immer perfekt, jede Geschichte ist ein Kleinod.«
Philipp Tingler, Literaturclub, SRF1

»Mir gefällt die Erzählhaltung, die umsichtig bleibt, wie bei Anton
Tschechow;die Würde der Figuren wird gewahrt. Es sind fast immer
Protagonistinnen ..., delikat, ja zerbrechlich, aber keck und mit
unbestechlichem Blick für die Welt.«
Dana Grigorcea, BÜCHERmagazin

»Es gibt ein neues Alice Munro-Buch und das erleichtert uns alle in
einem Punkt: Wenn wir mal gefragt werden, was man jemandem für ein Buch
zu Weihnachten oder zum Geburtstag schenken kann, haben wir jetzt eine
Antwort. Alice Munro kann jeder lesen ... Ich finde, sie ist sowohl
spannend als auch packend als auch unglaublich weltweise und klug. Alice
Munro beantwortet uns die allerwichtigsten Fragen, sie erklärt uns, was
und wie Menschen sind und wie komplex und vielschichtig die Realität
ist - und das ist die Königsklasse von dem, was Dichtung kann.«
Traudl Bünger, Literaturclub, SRF1

»Der Erstling der Kanadierin Alice Munro, der erst jetzt übersetzt
wurde, ist ein Fund ... Das Buch ist eine starke Einstiegsdroge für
alle, die Alice Munro noch nicht kennen. Aber auch wer dieser
Schriftstellerin bereits verfallen ist, sollte es sich auf keinen Fall
entgehen lassen.«
Gunhild Kübler, NZZ am Sonntag

»Wenn ein Roman die Wirklichkeit vereinnahmt und umarmen will, dann
lässt Munro ihr mit diesen Geschichten die Distanz: gefügig, stumm und
unerreichbar ist ihnen die moderne Lebenswelt«
Tobias Döring, Frankfurter Allgemeine Zeitung
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