Wenn dieses Büchlein das Niveau akademischen Arbeitens in der Physiotherapie darstellen soll, dann wird mir als Physiotherapeutin himmelangst ob unseres Berufstands! Die Autorin, PT mit Bachelor-Grade, beschreibt ihre Studie zur Wirksamkeit der im Titel benannten Übungen bei betroffenen Frauen mit
Belastungsinkontinenz. Abgesehen davon, dass dieses DIN-A-5-"Büchlein" überteuerte € 39,90 für knapp…mehrWenn dieses Büchlein das Niveau akademischen Arbeitens in der Physiotherapie darstellen soll, dann wird mir als Physiotherapeutin himmelangst ob unseres Berufstands! Die Autorin, PT mit Bachelor-Grade, beschreibt ihre Studie zur Wirksamkeit der im Titel benannten Übungen bei betroffenen Frauen mit Belastungsinkontinenz. Abgesehen davon, dass dieses DIN-A-5-"Büchlein" überteuerte € 39,90 für knapp 48 Seiten kostet, ist es eine peinlich schlecht recherchierte Zusammenfassung mehrerer anderer Arbeiten. Eine der 10 aufgeführten Quellen ist eine Studie von Heena Bhatt et. al. aus 2013 zur Wirkung von Tanzberger-Übungen, die nahezu vollständig in Wort und Bild übernommen wurde. 5 der 10 Quellen befassen sich mit Übungen nach Pilates, Was erstaunlicherweise unter den Quellen nicht zu finden ist, ist das Fachbuch zum Tanzberger-Konzept "Der Beckenboden - Funktion, Anpassung und Therapie", welches 2019 mittlerweile in der 4. Auflage im renommierten Elsevier Verlag erschienen ist. Immerhin sollen die Übungsangebote dieses Konzepts laut Titel untersucht und Pilates-Übungen gegenübergestellt werden, so wäre es doch von einer Akademikerin zu erwarten, sich mit dem Konzeptgedanken auseinanderzusetzen. Der Verdacht, dass dies nicht geschehen ist, drängt sich alleine dadurch auf, dass permanent von Tanzberger-Übungen gesprochen wird, wie dies umgangssprachlich oder im Breitensport üblich ist, aber kein einziges Mal die exakte Bezeichnung „Therapeutische Übungen aus dem Tanzberger-Konzept“ erwähnt wird, welche einer PT geläufig sein sollte. Genauso schlampig geht es weiter:
Fotos aus dem oben erwähnten Fachbuch zum Tanzberger-Konzept sind ohne Quellenangabe abgebildet. Zu den Original-Fotos werden Übungsabläufe beschrieben, die NICHTS mit den Originalübungen zu tun haben.
In der Studie wurden Ball-Übungen nach dem Tanzberger-Konzept auf platten Gymnastikbälle ausgeführt und nicht auf den von Renate Tanzberger ausdrücklich empfohlenen prall-elastischen Therapiebällen. Der Erfolg einer Therapeutischen Ballübung ist maßgeblich vom Material abhängig. Patientinnen mit diagnostizierter Belastungsinkontinenz auf schlappe Bälle zu setzen ist Erkrankungsgymnastik, denn es verstärkt die Problematik! Der Ablauf der sogenannten Tanzberger-Übungen wurde für die Studie folgendermaßen festgelegt. Zitat: „10 Wiederholungen mit 10 Sekunden Haltezeit und 30 Sekunden Pause dazwischen“. Wer sich mit dem Tanzberger-Konzept befasst, weiß, dass Haltearbeit dem Konzept diametral gegenübersteht, da sie der Physiologie widerspricht. Alle Übungen des Konzepts werden dynamisch ausgeführt, die Muskelaktivität wird reaktiv ausgelöst. Atmung und Atemführung ist ein grundlegender Baustein des Tanzberger-Konzepts (Fachbuch, Kapitel 2.2). In der Studie werden die Teilnehmerinnen, die der Gruppe mit den sogenannten Tanzberger-Übungen angehören, ausnahmslos ohne Atembegleitung angeleitet.
Die Qualität und Richtigkeit der Übungsanleitungen nach Pilates kann ich nicht bewerten, da ich mit Pilates nicht vertraut bin. Diese zu beurteilen fällt zudem schwer, da die Kriterien für die Übungsauswahl beider Gruppen nicht definiert wird. Sie erscheint vielmehr willkürlich und verfolgt keine festgelegten Therapieziele. Daher ist eigentlich ein Vergleich der Gruppen nach Ablauf der vorgegebenen Studienlaufzeit gar nicht möglich! Auffallend ist jedoch: Während die Hälfte der Studienteilnehmerinnen in 4 Wochen lediglich 5 sogenannte Tanzberger-Übungen in knappen Sätzen und 7 schlechten und z.T. verstörenden Fotografien auf gerade einmal 3 ½ Seiten angeleitet bekommen, arbeitet die zweite Gruppe mit 11 unterschiedlichen Übungen nach Pilates, die z.T. über mehrere Seiten ausführlich beschrieben werden. Zudem enthält jede dieser Übungen eine explizit angeleitete Atemführung. 10 der insgesamt 46-seitigen Studienbeschreibung widmen sich alleine den Anleitungen nach Pilates.
Mir drängen sich folgende Fragen auf:
Wen wundert es, dass das Ergebnis dieser unsäglichen Studie pro Pilates ausfällt