Solange es währt, fühlt sie sich in einem fort glücklich, doch tatsächlich ist es ein bizarres Liebesverhältnis, das da gerade gescheitert ist. Das Scheitern ist nichts Neues, immerhin endeten auch alle früheren Verhältnisse unglücklich, aber warum das Unglück gerade diesmal so unendlich groß ist, verwundert sie nun doch. Immerhin war das ein Verhältnis, in dem sie in Wirklichkeit gar nicht existierte. Noch größer aber ist die Frage, warum sie sich auf dieses Verhältnis überhaupt eingelassen hatte warum sie sich überhaupt seit vielen Jahren nur auf heimliche Verhältnisse eingelassen und geglaubt hatte, darin "a whole lotta love" zu finden. Aber ebenso brachial wie das Stück von Led Zeppelin war auch jeweils die Liebe.
Obwohl Iris Hanika ein weiteres Mal die Technik der Psychoanalyse vorführt und am konkreten Beispiel zeigt, wie das auf der Couch gelernte Handwerkszeug hilft, durchs Leben zu kommen, ist es keine Fallgeschichte, die sie hier vorlegt, sondern vielmehr ein kluger Roman im typischen Hanika-Sound nicht nur über Formen der Liebe, sondern vor allem auch über Musik und die Unerträglichkeit der Gegenwart, und nicht zuletzt über die Folgen sexueller Gewalt, die ein Leben lang fortwirken und es durchaus bestimmen können.
Obwohl Iris Hanika ein weiteres Mal die Technik der Psychoanalyse vorführt und am konkreten Beispiel zeigt, wie das auf der Couch gelernte Handwerkszeug hilft, durchs Leben zu kommen, ist es keine Fallgeschichte, die sie hier vorlegt, sondern vielmehr ein kluger Roman im typischen Hanika-Sound nicht nur über Formen der Liebe, sondern vor allem auch über Musik und die Unerträglichkeit der Gegenwart, und nicht zuletzt über die Folgen sexueller Gewalt, die ein Leben lang fortwirken und es durchaus bestimmen können.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2012Kaskaden von immer neuen Fragen
In ihrem Roman "Tanzen auf Beton" erzählt Iris Hanika von einer Frau, die von ihrem Geliebten nicht loskommt: Hier wird Psychoanalyse zu einem poetischen Verfahren, das ständig neue Erinnerungen generiert.
Lassen sich Bücher wie Pflanzen züchten? Etwa auf der Grundlage Mendelscher Gesetze? Die Familienähnlichkeit von Iris Hanikas drei bislang erschienenen Romanen legt diesen Gedanken nahe. Hanikas Debüt "Treffen sich zwei" erzählte eine Liebesgeschichte, wie sie gegenwärtiger nicht sein konnte. In "Das Eigentliche" erprobte die Autorin einen waghalsigen Grenzgang entlang der deutschen Gedächtniskultur. Kreuzt man beide Romane, ermendelt sich ein Liebesgedächtnishybrid: Hanikas dritter Roman "Tanzen auf Beton" besteht aus Erinnerungen an eine längst vergangene Liebe.
Hauptfigur ist eine knapp fünfzig Jahre alte, namenlose Ich-Erzählerin, die vom Dichterberuf bis zum Geburtsjahr auffällig viele Eigenschaften mit ihrer Autorin teilt. Autobiographische Spuren zu legen hat schon deshalb seinen Reiz, weil Hanika eine befremdliche Liebesbeziehung entwirft: "Ich sah ihn nicht oft, wir hatten ein heimliches Verhältnis. Wir haben dann immer miteinander gevögelt, obwohl wir das eigentlich gar nicht können, also nicht miteinander. Wir haben wenig miteinander geredet, denn das können wir nun wirklich nicht, und das war viel klarer als die körperliche Inkompatibilität." Zwischen den beiden passt überhaupt nichts: "Länger als zwei Stunden halten wir uns nicht aus." Einem Verhältnis, das ausschließlich auf schlechtem Sex beruht, traut man wenig Dauer zu.
Hanikas Erzählerin aber bleibt - trotz mehrerer Unterbrechungen - zwanzig Jahre in dem Beziehungsgeflecht gefangen. Selbst als sie den Geliebten nicht mehr trifft, behauptet das Erlebte seinen Platz: "The memory of all that - No, no - they can't take that away from me" lautet das Motto des Buches. Da die Flucht vor sich selbst ausgeschlossen ist, fruchten die verschiedenen Ersatzdrogen nur bedingt: Reisen (Schanghai, Moskau, Sankt Petersburg, Frankfurt, Mainz und so weiter), Russophilie und Heavy Metal verdrängen die Erinnerung zeitweise. Auf Dauer hilft, sich dem Rätsel der eigenen Vergangenheit zu stellen. Zwei Jahre benötigt die Erzählerin, um das Geschehene zu begreifen und um eine Haltung zu finden, aus der sie berichten kann. Mit dem Schreibbeginn setzt der Roman ein.
Den Hintergrund der literarischen Selbstenträtselung bildet Sophokles' Ödipus-Drama. Formal, weil im Drama alle Ereignisse vor dem Einsatz der Handlung abgeschlossen sind. Das Schauspiel stellt zur Schau, wie Ödipus die schmerzliche Wahrheit von Vatermord und Mutterliebe enthüllt. Hanika übersetzt das analytische Drama in einen analytischen Roman. Thematisch, weil Ödipus, obwohl er das Menschenrätsel der Sphinx löst, sich bis zuletzt ein Rätsel bleibt. Er stellt den Prototyp des Menschen dar, der alles versteht, außer sich selbst. Man kann dieses Faszinosum durch alle Künste verfolgen, bis hin zu Freud und Lacan, die Ödipus' Prozess nachhaltig vom öffentlichen Gericht und aus dem Juristischen in das Intime und Psychologische verlagern. In der Antike endete die ödipale Nabelschau in Schuldspruch und Strafe. Später führte sie auf die Couch des Psychiaters. Bei Hanika mündet sie in den Schreibakt der weiblichen Protagonistin.
Zu einem ambitionierten Gegenwartsroman avanciert "Tanzen auf Beton", weil die Rückblicke sich mit subtilschnoddrigen Gedanken zur Einsamkeit, zum Älterwerden, zur sexuellen Unlust und zum Gefühl überlagern, irgendwie nicht mehr in Clubs wie ins Berghain zu gehören. Die Erzählerin nimmt die Aporien von Gedächtniskultur, romantischem Liebesmodell und Sprache in den Blick. Für sie gibt es kein Zurück hinter die Postmoderne. Aber anstatt in Jämmerlichkeit zu versinken, setzt sie dem Aporetischen ein "Dennoch" entgegen: Wir wissen um die Problematik von Erinnerung, Liebe und Sprache. Wir erinnern, lieben, schreiben und sprechen aber doch. Erinnerungsarbeit bedeutet unter diesen Voraussetzungen, punktuelle Einsichten immer nur zu erlangen, indem sie Kaskaden neuer Fragen aufwerfen.
Warum hat die Erzählerin sich auf diese Beziehung eingelassen? Wieso hat sie dieses Leben und Lieben über zwanzig Jahre hinweg ertragen? Aus welchen Gründen hat sie es gewollt und als Glück (im Unglück) empfunden? Ist das - damit sind wir zurück bei der Vererbungslehre - vielleicht genetisch determiniert? Oder fallen die Würfel in der Prägungsphase? Durch ein - wie die Erzählerin einmal mutmaßt - misogynes Elternhaus? Oder in dem Moment, als die Erzählerin einmal um ein Haar vergewaltigt wurde? Die Selbstenträtselung bleibt offen und fungiert nur als "weiterer Bericht von der unendlichen Analyse". Aus literarischer Sicht ist das ein Gewinn. Hanika instrumentalisiert die Psychoanalyse als hochproduktives poetisches Verfahren, das am laufenden Band neue Erinnerungen, Szenen und Reflexionen generiert.
Vielleicht lässt sich aus dem Bilderstrom dennoch eines herauslösen. An einer Stelle erklärt sich die Erzählerin ihre Beziehung zu dem "ehemals Geliebten" damit, dass er ein Schmetterlingssammler sei: "Wie zart er die Dinge in die Hand nimmt, alle Dinge, jedes Ding. So zart wie einen Schmetterling. Wenn er einen Schmetterling in die Hand nimmt, dann drückt er ihn an einer bestimmten Stelle; dadurch wird der Schmetterling betäubt. Dann schaut er ihn sich genau an. Weil er immer alles auf einmal sieht, dauert es nicht lange, bis er entschieden hat, ob er den Schmetterling behalten will oder nicht. Wenn nicht, macht er die Hand auf und läßt ihn fliegen, sobald die Betäubung nachlässt. Wenn doch, dann macht er das Glas mit dem Giftgas auf und legt ihn zu den anderen." Der Schmetterling gilt als Attribut der Göttin Psyche. Er verkörpert die flüchtige Schönheit der Seele. Das Schmetterlingsbild schildert, wie die Erzählerin in die Fänge des Geliebten geraten ist. Allerdings löst es das Beziehungsrätsel nicht, sondern verwandelt es in einen poetischen Moment.
Tatsächlich lässt sich das Sammeln von Schmetterlingen als poetologische Metapher lesen. Denn die Erzählerin hält mit ihrem Bericht ihrerseits die flüchtigen Augenblicke ihres Lebens und ihres Erinnerns fest. Und dem Psychogramm selbst bleibt die Flüchtigkeit des Schmetterlings eigen. Der Roman verzichtet auf eine zusammenhängende Handlung. Er besteht ausschließlich aus Episoden, Miniaturen, Reflexionen und Notizen, mit denen die Erzählerin ihr Denken, Fühlen und Erleben in möglichst großer Intensität einzufangen versucht. Leben schreiben, darum geht es. Die Sprache dient einerseits als Betäubungsmittel, um des flüchtigen Moments habhaft zu werden. Andererseits ermöglicht sie, per Sprachspiel und Witz aufzufliegen und Erinnerungen, gegenwärtige Einsamkeit und Zukunftstristesse hinter sich zu lassen. Vielleicht ist seit Rolf Dieter Brinkmann, dem Hanika in ihrem Roman mehrfach huldigt, keiner mehr so wortmächtig an der Sprache verzweifelt wie diese Erzählerin, hat sich derart dringlich in die Musik hineingesehnt und war gleichzeitig doch jederzeit zum sprachlichen Glücksritt bereit. Punktuelle Raffinesse, gewagtes Sprachdribbling, Tanzen auf Beton lassen eines nicht vergessen: Augenblicke wie Schmetterlinge einfangen bleibt die Methode des ehemals Geliebten. Ob das einen Ausweg eröffnet? Und der Roman selbst? Degradiert der sich zum flatterhaften Leichtgewicht? Sicherlich nicht. Und spätestens im Zusammenspiel ihrer drei Romane hat Iris Hanikas literarische Stimme großes Gewicht.
CHRISTIAN METZ
Iris Hanika: "Tanzen auf Beton. Weiterer Bericht von der unendlichen Analyse". Roman.
Literaturverlag Droschl, Graz 2012. 167 S., geb., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In ihrem Roman "Tanzen auf Beton" erzählt Iris Hanika von einer Frau, die von ihrem Geliebten nicht loskommt: Hier wird Psychoanalyse zu einem poetischen Verfahren, das ständig neue Erinnerungen generiert.
Lassen sich Bücher wie Pflanzen züchten? Etwa auf der Grundlage Mendelscher Gesetze? Die Familienähnlichkeit von Iris Hanikas drei bislang erschienenen Romanen legt diesen Gedanken nahe. Hanikas Debüt "Treffen sich zwei" erzählte eine Liebesgeschichte, wie sie gegenwärtiger nicht sein konnte. In "Das Eigentliche" erprobte die Autorin einen waghalsigen Grenzgang entlang der deutschen Gedächtniskultur. Kreuzt man beide Romane, ermendelt sich ein Liebesgedächtnishybrid: Hanikas dritter Roman "Tanzen auf Beton" besteht aus Erinnerungen an eine längst vergangene Liebe.
Hauptfigur ist eine knapp fünfzig Jahre alte, namenlose Ich-Erzählerin, die vom Dichterberuf bis zum Geburtsjahr auffällig viele Eigenschaften mit ihrer Autorin teilt. Autobiographische Spuren zu legen hat schon deshalb seinen Reiz, weil Hanika eine befremdliche Liebesbeziehung entwirft: "Ich sah ihn nicht oft, wir hatten ein heimliches Verhältnis. Wir haben dann immer miteinander gevögelt, obwohl wir das eigentlich gar nicht können, also nicht miteinander. Wir haben wenig miteinander geredet, denn das können wir nun wirklich nicht, und das war viel klarer als die körperliche Inkompatibilität." Zwischen den beiden passt überhaupt nichts: "Länger als zwei Stunden halten wir uns nicht aus." Einem Verhältnis, das ausschließlich auf schlechtem Sex beruht, traut man wenig Dauer zu.
Hanikas Erzählerin aber bleibt - trotz mehrerer Unterbrechungen - zwanzig Jahre in dem Beziehungsgeflecht gefangen. Selbst als sie den Geliebten nicht mehr trifft, behauptet das Erlebte seinen Platz: "The memory of all that - No, no - they can't take that away from me" lautet das Motto des Buches. Da die Flucht vor sich selbst ausgeschlossen ist, fruchten die verschiedenen Ersatzdrogen nur bedingt: Reisen (Schanghai, Moskau, Sankt Petersburg, Frankfurt, Mainz und so weiter), Russophilie und Heavy Metal verdrängen die Erinnerung zeitweise. Auf Dauer hilft, sich dem Rätsel der eigenen Vergangenheit zu stellen. Zwei Jahre benötigt die Erzählerin, um das Geschehene zu begreifen und um eine Haltung zu finden, aus der sie berichten kann. Mit dem Schreibbeginn setzt der Roman ein.
Den Hintergrund der literarischen Selbstenträtselung bildet Sophokles' Ödipus-Drama. Formal, weil im Drama alle Ereignisse vor dem Einsatz der Handlung abgeschlossen sind. Das Schauspiel stellt zur Schau, wie Ödipus die schmerzliche Wahrheit von Vatermord und Mutterliebe enthüllt. Hanika übersetzt das analytische Drama in einen analytischen Roman. Thematisch, weil Ödipus, obwohl er das Menschenrätsel der Sphinx löst, sich bis zuletzt ein Rätsel bleibt. Er stellt den Prototyp des Menschen dar, der alles versteht, außer sich selbst. Man kann dieses Faszinosum durch alle Künste verfolgen, bis hin zu Freud und Lacan, die Ödipus' Prozess nachhaltig vom öffentlichen Gericht und aus dem Juristischen in das Intime und Psychologische verlagern. In der Antike endete die ödipale Nabelschau in Schuldspruch und Strafe. Später führte sie auf die Couch des Psychiaters. Bei Hanika mündet sie in den Schreibakt der weiblichen Protagonistin.
Zu einem ambitionierten Gegenwartsroman avanciert "Tanzen auf Beton", weil die Rückblicke sich mit subtilschnoddrigen Gedanken zur Einsamkeit, zum Älterwerden, zur sexuellen Unlust und zum Gefühl überlagern, irgendwie nicht mehr in Clubs wie ins Berghain zu gehören. Die Erzählerin nimmt die Aporien von Gedächtniskultur, romantischem Liebesmodell und Sprache in den Blick. Für sie gibt es kein Zurück hinter die Postmoderne. Aber anstatt in Jämmerlichkeit zu versinken, setzt sie dem Aporetischen ein "Dennoch" entgegen: Wir wissen um die Problematik von Erinnerung, Liebe und Sprache. Wir erinnern, lieben, schreiben und sprechen aber doch. Erinnerungsarbeit bedeutet unter diesen Voraussetzungen, punktuelle Einsichten immer nur zu erlangen, indem sie Kaskaden neuer Fragen aufwerfen.
Warum hat die Erzählerin sich auf diese Beziehung eingelassen? Wieso hat sie dieses Leben und Lieben über zwanzig Jahre hinweg ertragen? Aus welchen Gründen hat sie es gewollt und als Glück (im Unglück) empfunden? Ist das - damit sind wir zurück bei der Vererbungslehre - vielleicht genetisch determiniert? Oder fallen die Würfel in der Prägungsphase? Durch ein - wie die Erzählerin einmal mutmaßt - misogynes Elternhaus? Oder in dem Moment, als die Erzählerin einmal um ein Haar vergewaltigt wurde? Die Selbstenträtselung bleibt offen und fungiert nur als "weiterer Bericht von der unendlichen Analyse". Aus literarischer Sicht ist das ein Gewinn. Hanika instrumentalisiert die Psychoanalyse als hochproduktives poetisches Verfahren, das am laufenden Band neue Erinnerungen, Szenen und Reflexionen generiert.
Vielleicht lässt sich aus dem Bilderstrom dennoch eines herauslösen. An einer Stelle erklärt sich die Erzählerin ihre Beziehung zu dem "ehemals Geliebten" damit, dass er ein Schmetterlingssammler sei: "Wie zart er die Dinge in die Hand nimmt, alle Dinge, jedes Ding. So zart wie einen Schmetterling. Wenn er einen Schmetterling in die Hand nimmt, dann drückt er ihn an einer bestimmten Stelle; dadurch wird der Schmetterling betäubt. Dann schaut er ihn sich genau an. Weil er immer alles auf einmal sieht, dauert es nicht lange, bis er entschieden hat, ob er den Schmetterling behalten will oder nicht. Wenn nicht, macht er die Hand auf und läßt ihn fliegen, sobald die Betäubung nachlässt. Wenn doch, dann macht er das Glas mit dem Giftgas auf und legt ihn zu den anderen." Der Schmetterling gilt als Attribut der Göttin Psyche. Er verkörpert die flüchtige Schönheit der Seele. Das Schmetterlingsbild schildert, wie die Erzählerin in die Fänge des Geliebten geraten ist. Allerdings löst es das Beziehungsrätsel nicht, sondern verwandelt es in einen poetischen Moment.
Tatsächlich lässt sich das Sammeln von Schmetterlingen als poetologische Metapher lesen. Denn die Erzählerin hält mit ihrem Bericht ihrerseits die flüchtigen Augenblicke ihres Lebens und ihres Erinnerns fest. Und dem Psychogramm selbst bleibt die Flüchtigkeit des Schmetterlings eigen. Der Roman verzichtet auf eine zusammenhängende Handlung. Er besteht ausschließlich aus Episoden, Miniaturen, Reflexionen und Notizen, mit denen die Erzählerin ihr Denken, Fühlen und Erleben in möglichst großer Intensität einzufangen versucht. Leben schreiben, darum geht es. Die Sprache dient einerseits als Betäubungsmittel, um des flüchtigen Moments habhaft zu werden. Andererseits ermöglicht sie, per Sprachspiel und Witz aufzufliegen und Erinnerungen, gegenwärtige Einsamkeit und Zukunftstristesse hinter sich zu lassen. Vielleicht ist seit Rolf Dieter Brinkmann, dem Hanika in ihrem Roman mehrfach huldigt, keiner mehr so wortmächtig an der Sprache verzweifelt wie diese Erzählerin, hat sich derart dringlich in die Musik hineingesehnt und war gleichzeitig doch jederzeit zum sprachlichen Glücksritt bereit. Punktuelle Raffinesse, gewagtes Sprachdribbling, Tanzen auf Beton lassen eines nicht vergessen: Augenblicke wie Schmetterlinge einfangen bleibt die Methode des ehemals Geliebten. Ob das einen Ausweg eröffnet? Und der Roman selbst? Degradiert der sich zum flatterhaften Leichtgewicht? Sicherlich nicht. Und spätestens im Zusammenspiel ihrer drei Romane hat Iris Hanikas literarische Stimme großes Gewicht.
CHRISTIAN METZ
Iris Hanika: "Tanzen auf Beton. Weiterer Bericht von der unendlichen Analyse". Roman.
Literaturverlag Droschl, Graz 2012. 167 S., geb., 19,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Schwer zu sagen, worum es in den Buch geht, Rezensentin Barbara Weitzel macht es einem nicht gerade leicht, dies herauszufinden. Es hat auf jeden Fall etwas mit Analyse, Berlin, Led Zeppelin und der unglücklichen Liebe zu tun. Weitzels Begeisterung ist dagegen offensichtlich. Denn Iris Hanika schreibt in diesem neuen Buch irgendwie ganz genau wie in ihren großen Erfolgen "Treffen sich zwei" oder die "Die Wette auf das Unbewusste", aber eigentlich auch ganz anders, etwas albern, aber auch sehr hart gegenüber sich selbst oder "voller Erfahrungslust". Oder wie Weitzel weiter das poetische Konzept umreißt: Manche Sätze sind in Stein gemeißelt, andere "watteleicht", nichts wird ausgelassen, vieles Weggelassen. Hanika eben: irritierend und beglückend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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