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In Labors und Gerichtssälen bahnt sich eine Revolution an. Grund dafür ist die kriminalistische Hirnforschung, die mit Forschungsprogrammen und modernster Technik den Ursprung des Verbrechens untersucht. Ob es um Terroristenfahndung oder um neuropsychologische Gerichtsgutachten über Verbrecher geht die gesellschaftliche Relevanz dieser Hirnforschung ist hoch. Und die ethischen Fragen, die sich aus ihr ergeben, sind gravierend: Lassen sich die neuen Forschungen für die Prävention von Verbrechen nutzen? Sollten wir das tun? Wie und in welchem Ausmaß? Mit vielen spannenden Fallbeispielen ist dieses Buch auf dem aktuellen Stand der Forschung.…mehr

Produktbeschreibung
In Labors und Gerichtssälen bahnt sich eine Revolution an. Grund dafür ist die kriminalistische Hirnforschung, die mit Forschungsprogrammen und modernster Technik den Ursprung des Verbrechens untersucht. Ob es um Terroristenfahndung oder um neuropsychologische Gerichtsgutachten über Verbrecher geht die gesellschaftliche Relevanz dieser Hirnforschung ist hoch. Und die ethischen Fragen, die sich aus ihr ergeben, sind gravierend: Lassen sich die neuen Forschungen für die Prävention von Verbrechen nutzen? Sollten wir das tun? Wie und in welchem Ausmaß? Mit vielen spannenden Fallbeispielen ist dieses Buch auf dem aktuellen Stand der Forschung.
Autorenporträt
Hans J. Markowitsch ist Professor für Physiologische Psychologie an der Universität Bielefeld. Er ist Autor oder Herausgeber von einem Dutzend Büchern und mehr als 400 Buch- und Zeitschriftenartikeln zu den Themen Gedächtnis und Gedächtnisstörungen sowie Wechselwirkungen zwischen Gedächtnis und Emotion.

Werner Siefer, Diplom-Biologe, ist Redakteur im Ressort Forschung und Technik des "Focus". Eines seiner Spezialgebiete ist die Hirnforschung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2007

Am Gehirn sollt ihr sie erkennen

Kann man eines Menschen Gedanken lesen? Selbstverständlich kann man, wir versuchen es im alltäglichen Leben zumindest andauernd. Dabei täuschen wir uns natürlich manchmal. Aber das gehört zum Spiel. Außerdem können wir seit einiger Zeit im halbwegs wörtlichen Sinn hinter Stirnen und in Köpfe lebendiger Menschen blicken. Was wir sehen, sind freilich keine Gedanken, weil diese nun einmal nicht in Köpfen sind, sondern Aktivitätsmuster von Gehirnen.

Mit diesen funktionellen Hirnbildern lassen sich interessante Fragestellungen zur Funktionsweise des Gehirns verfolgen, und sie geben manchen überraschenden Wink, wie die plastische Architektur und die Prozessverläufe aussehen könnten, dank derer unser mentaler Haushalt funktioniert. Manche Hirnforscher erwarten sich freilich vom "Blick ins Gehirn" noch ganz andere Dinge. Zum Beispiel die Einsicht in die Notwendigkeit eines grundlegend neuen Verständnisses von Schuld, Strafe und Recht. "Unser Rechtssystem bedarf einer neurowissenschaftlichen Reform", so schreiben der Hirnforscher Hans Markowitsch und der Wissenschaftsjournalist Werner Siefer in ihrem neuen Buch ("Tatort Gehirn". Auf der Suche nach dem Ursprung des Verbrechens. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2007. 261 S., geb., 22,- [Euro]).

Der Weg von der Hirnforschung zur angemuteten Justizreform ist im Grunde kurz und hat mit empirischen Belegen allenfalls am Rande zu tun. Der Ausgangspunkt ist eine bei Hirnforschern manchmal zu beobachtende déformation professionelle: die Ansicht, dass jede individuelle Regung, jeder Gedanke letztlich im Gehirn ihren Ursprung haben, weil sie ohne Gehirn ja nicht zustande kämen. Nun entspringen auch Verbrechen Regungen und Gedanken, also liegen, wie gleich eingangs dezidiert erklärt wird, "die eigentlichen Ursachen von Gewaltverbrechen im Gehirn". Nimmt man hinzu, dass im Gehirn alles seinen gesetzmäßig ursächlichen Gang geht, den der Hirnforscher offenlege, hat man fast auch schon den Zielpunkt des angepeilten neurowissenschaftlichen Reformwerks erreicht. Denn dann sehen wir, von der Hirnforschung angeleitet, überall nur Ursachen für verbrecherische Gewalt, aber keine Freiheits- und Verantwortungsspielräume, wie sie unser Rechtssystem voraussetzt, um Schuld von Tätern festzustellen und Strafen zu verhängen. Was es stattdessen für die Autoren braucht, sind Therapie und Verwahrung. "Fest, aber gnädig" hätte diese neue Justiz mit denen umzugehen, die so handelten, wie sie eben mussten. Es gibt gute Gründe, ein solches Regime nicht unbedingt für menschlicher zu halten.

Vor allem aber spricht nichts dafür, die Grundvoraussetzung mitzumachen, nämlich im Gehirn "Ursachen" für Gedanken zu suchen. Gedanken haben viele Ursachen, aber das Gehirn zählt nicht dazu. Wir brauchen es, um zu denken, wahrzunehmen und zu fühlen. Und wenn es geschädigt ist, sind bestimmte mentale Fähigkeiten eingeschränkt oder ausgefallen. Daraus kann man viel lernen, wenn man nicht vergisst, was gerade die neuere Hirnforschung vor Augen führt: dass nämlich Gehirn und Umwelt nicht voneinander zu trennen sind und es mit Blick auf die Entwicklung von kognitiven und sozialen Kompetenzen sinnlos ist, diese Wechselwirkung einfach zugunsten eines "eigentlich" verursachenden Gehirns aufzulösen. Und das gilt auch, wenn es um kriminelle Gedanken und Taten geht.

Eigentlich wissen das die Autoren auch. Denn wenn sie sich bemühen, empirische Belege dafür zu sammeln, dass extreme Gewaltverbrechen oft lebensgeschichtlich fast unausweichlich angebahnt waren, dann beschreiben sie im Wesentlichen bekannte soziale Indikatoren: zerrüttete Familienverhältnisse, Verwahrlosung, mit Vorsicht zu interpretierende Angaben über frühen sexuellen Missbrauch und Kopfverletzungen. Die Kopfverletzungen sind dann allerdings das Stichwort für den Hirnforscher, gegen alle eingefügten Beschwörungen der Wechselwirkung von Umwelt und Gehirn Letzteres zum letztlich ausschlaggebenden Faktor zu stilisieren. Der Hirnforscher sichert sich seinen Gegenstand. Im nächsten Schritt sind dann Gewaltverbrechen allgemein neurowissenschaftlich als Pathologie klassifiziert. Und natürlich müsste Markowitsch, nimmt man ihn beim Wort, auch den Scheckbetrüger seiner fest, aber gnädig therapierenden Justiz empfehlen. Doch Schlüssigkeit darf man in diesem Buch nicht erwarten.

Es geht eher um Rhetorik. Ihre Mittel sind die Verallgemeinerung und Hochsteigerung von neurowissenschaftlichen Einsichten, die für die Beurteilung von menschlichem Verhalten und Krankheitsbildern durchaus von Bedeutung sind. Auch vor Gericht wird ihr Stellenwert wohl wachsen und Grenzen der Verantwortlichkeit verschieben. Aber es braucht keine neurowissenschaftlich angeleitete Totalrevision unseres Rechtssystems, um solche Abwägungen innerhalb eines Kontinuums von Freiheit und Verantwortung vorzunehmen. Sie würden im Gegenteil durch die empfohlene Revision einseitig aufgelöst - und mit ihnen auch unser lebensweltlich verankertes Grundvokabular zur Beschreibung menschlicher Fähigkeiten und Handlungen, das von der Neurowissenschaft nicht als bloße "Alltagspsychologie" widerlegt, sondern von ihr nur mehr oder minder erfolgreich expliziert werden kann.

HELMUT MAYER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Auf die professionelle Fehlleistung der Hirnforschung, den Ursprung unserer Gedanken im Gehirn zu lokalisieren, stößt Rezensent Helmut Mayer auch in diesem Buch. Der von den Autoren angepeilten neurowissenschaftlich gestützten Rechtsreform begegnet Mayer deshalb mit Skepsis. Zwar ahnt er, dass den Autoren die Wechselwirkung von Gehirn und Umwelt durchaus bekannt ist, doch sucht er eine dementsprechend schlüssige Argumentation im Text vergebens. Die angewandte Rhetorik ("Verallgemeinerung und Hochsteigerung") stößt ihm bitter auf. Und er hofft, dass die Begegnung von Neurowissenschaft und Recht so einseitig, wie hier dargelegt, nicht verlaufen möge.

© Perlentaucher Medien GmbH