Produktdetails
  • Verlag: Dressler Verlag GmbH
  • Seitenzahl: 208
  • Altersempfehlung: 12 bis 15 Jahre
  • Gewicht: 320g
  • ISBN-13: 9783791519777
  • Artikelnr.: 07612117
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1998

Die Taube in der Hand
Ein Junge will dazugehören, aber nicht mitmachen

Halsumdreher, "Wringer", heißt der schonungslose Originaltitel. Die erste Seite ist eine dieser alltäglichen Zeitungsmeldungen aus dem Ekel-Kabinett. Eine Kleinstadt veranstaltet alljährlich ein Taubenschießen. Nicht Tontauben, sondern echte, fünftausend Stück. Düngemittel heißt ihr zweites Leben. Alles ist gut organisiert. Die toten Körper werden in Plastiktüten gesammelt, die angeschossenen, noch torkelnden Tiere von begeisterten Kindern gejagt, um ihnen den Hals umzudrehen. Jetzt setzt die Geschichte ein, der Schrecken wird komplett. "Seidenweich" fühlt sich das Morden an, es erzeugt nur ein "leises Knistern, als hätte jemand auf einen dürren Zweig getreten", danach: Augen "wie auf Hochglanz polierte Hemdenknöpfe".

Kommt nach diesem furiosen Auftakt jetzt der Gegenpart, das Feinfühlige, das Gute, die Moral? Tatsächlich bedient der Autor dieses konservative und in der Regel nicht mehr überzeugende Muster. Um so erstaunlicher ist allerdings, daß trotzdem ein wunderbares Buch entstanden ist. Hierfür reichen anderthalb Gründe: Es ist hervorragend geschrieben und genauso gut übersetzt.

An seinem neunten Geburtstag wird Palmer in die Straßenbande aufgenommen. Eine qualvolle Initiation besteht er mit Bravour. Dazugehören ist alles, und Mädchen ärgern gilt als I-Tüpfelchen. Nur einen Schönheitsfehler gibt es: Die Szene von der Taubenjagd, die er als Vierjähriger zum ersten Mal erlebte, will nicht aus seinem Kopf. Der Schrecken von damals ist gefangen im Tag- wie Nachttraum. Aber darüber kann er mit seinen neuen Freunden nicht sprechen. Denn die fiebern schon alle der nächsten Taubenjagd entgegen, an der sie erstmals als Halsumdreher teilnehmen dürfen.

Der Konflikt spitzt sich zu, als in einer strengen Winternacht eine Taube an Palmers Fenster pickt. Er läßt sie herein, füttert sie, spielt mit ihr. Sie kommt jede Nacht. Er verheimlicht sie vor den Freunden und vor den Eltern. Das bedarf allerlei Vorkehrung. Die Angelegenheit wird schwierig. Nur Dorothy, einem Mädchen von nebenan, erzählt er von der Taube und von seinem Widerwillen, Halsumdreher zu werden. "Dann laß es", ist ihr präziser Rat. Für Palmer wäre das Verrat an seinen Freunden und an der ganzen Gemeinde. Man ahnt schon wieder, was kommt.

Und wieder ist es nicht langweilig, sondern packend und überzeugend. Denn das Wichtigste hat der Autor Jerry Spinelli längst ganz unpathetisch und genau erzählt: die beiden Kräfte sind gleich stark, die Anerkennung, die Palmer in der Bande findet, und die Rührung, die aus der Taubenfreundschaft entsteht. Es siegt nicht das Gute über das Grausame. Es siegt der Mut, ich zu sagen. Daß es auch das Gute ist, macht die Geschichte tröstlich. Mehr nicht. Von der dunklen Seite der Geschichte bleibt dem Leser das mulmige Gefühl: Das kenne ich und nenne es häufig nicht einmal feige. JÜRGEN STAHLBERG

Jerry Spinelli: "Taubenjagd". Aus dem Amerikanischen von Andreas Steinhöfel. Cecilie Dressler Verlag, Hamburg, 1998. 206 S., geb., 22,- DM. Ab 12 J.

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