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Im Jahre 1919 läuft die Ruslan, die israelische Mayflower, mit dem Ziel Palästina aus dem Hafen von Odessa aus, an Bord Menschen aus ganz Europa. Unter ihnen Ezra Marinsky, ein Architekt, der auf Sand und Ruinen einen neuen Staat aufbauen helfen will. Es sind Suche und Flüchte, die wie Marinsky ihr altes Leben hinter sich lassen, versprengt durch Kriege und persönliche Schicksale, auf der Suche nach dem gelobten Land. Bis tief zurück ins 19. Jahrhundert und bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts, als Marinsky stirbt, wirkt Dan Tsalka sein Erzählgewebe - von Dresden bis Samarkand, von…mehr

Produktbeschreibung
Im Jahre 1919 läuft die Ruslan, die israelische Mayflower, mit dem Ziel Palästina aus dem Hafen von Odessa aus, an Bord Menschen aus ganz Europa. Unter ihnen Ezra Marinsky, ein Architekt, der auf Sand und Ruinen einen neuen Staat aufbauen helfen will. Es sind Suche und Flüchte, die wie Marinsky ihr altes Leben hinter sich lassen, versprengt durch Kriege und persönliche Schicksale, auf der Suche nach dem gelobten Land. Bis tief zurück ins 19. Jahrhundert und bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts, als Marinsky stirbt, wirkt Dan Tsalka sein Erzählgewebe - von Dresden bis Samarkand, von Polen bis Südamerika. Und immer laufen die Fäden in Israel zusammen. Über hundert Jahre jüdischer Geschichte, verwoben in einem großen literarischen Epos. In vier Teilen erzählt Dan Tsalka die Schicksale der Menschen um den polnischen Architekten Ezra Marinsky, der nach Palästina aufbricht, um einen neuen Staat mit aufzubauen, und läßt so ein beispielloses Panorama jüdisch-europäischer Ku ltur und Geschichte entstehen.
Autorenporträt
Dan Tsalka, 1936 in Warschau geboren, floh mit den Eltern vor den Deutschen nach Kasachstan. 1946 kehrte die Familie nach Polen zurück, 1957 emigrierte sie nach Israel. Tsalka hat Geschichte, Philosophie und Literatur in Tel Aviv und Grenoble studiert. Sein literarisches Werk, für das er vielfach ausgezeichnet wurde, umfaßt Prosa, Lyrik, Theaterstücke und Essays.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.07.2003

Auf der israelischen Mayflower
Dan Tsalka hat "Tausend Herzen" für Einwanderer und Emigranten

Tausend Herzen, tausend Seiten und weitaus mehr als hundert verschiedene Figuren: wer sich an die Lektüre von Dan Tsalkas Romanepos macht, braucht einen langen Atem, viel Zeit und ein gutes Gedächtnis, zumal der Verlag auf die nützliche Hilfe eines beigefügten Personenverzeichnisses verzichtet hat. Die Anstrengung allerdings lohnt sich, denn Tsalka entwirft ein buntes Mosaik des modernen Israel. Es reicht von der Einwanderung osteuropäischer Juden nach Palästina zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts über die Staatsgründung 1948 bis hinein in die sechziger Jahre, wo die Kinder der Einwanderer sich von den Erinnerungen ihrer Eltern befreien wollen und nun ihrerseits das gelobte Land suchen. Das liegt für diese junge Generation jedoch tief im Westen; seine Metropolen heißen London und New York.

Am Anfang der Romanhandlung steht der zionistische Traum. Im Jahr 1919 bricht die "Ruslan" von Odessa nach Palästina auf - der Name des Schiffes stammt aus einem märchenhaften Poem Puschkins und wird zur Chiffre für Tsalkas eigenes phantasievolles Erzählen, dessen ausschweifende Ausführlichkeit mitunter vergessen läßt, daß hier handfeste Zeitgeschichte geschildert wird.

An Bord des Schiffes, das in der Erinnerung der Reisenden bald zur isrealischen "Mayflower" stilisiert wird, befindet sich eine buntgemischte Schar von Auswanderern. Landwirte und Pilger, Kaufleute, Künstler und Handwerker, sie alle träumen von einem malerischen Orient und müssen doch bald lernen, daß das Leben in Palästina kaum mit ihren Wunschbildern übereinstimmt. Mit jüdischem Selbstbewußtsein allein ist der Alltag in der Vielvölkerregion nicht zu bewältigen, und unter Arabern, Briten und den Angehörigen etlicher anderer Nationen haben es die zionistischen Einwanderer schwer, allmählich einen Platz für sich zu finden. Die Verwirrung, die unter den Neuankömmlingen herrscht, spiegelt sich auch in der Erzählweise: Im ersten Teil seines Buches hält sich Tsalka nie lange bei einzelnen seiner Figuren auf, sondern springt unbekümmert von einem Handlungsstrang zum anderen.

Erst allmählich gewinnen manche Gestalten eigene Konturen. Dazu gehört Ezra Marinsky, ein ehrgeiziger Architekt aus Simferopol, der sich unverdrossen an die Errichtung der noch jungen Stadt Tel Aviv macht. Seine kühnen Träume von einer Stadt im Geist der europäischen Moderne muß er allerdings bald den klimatischen und geographischen Gegebenheiten wie den pragmatischen Wünschen seiner Kunden anpassen: Im Wüstensand verändern sich die Fundamente und Fassaden des klaren Bauhausstils. Nach fast fünfzig Jahren kann Marinsky dennoch auf ein beeindruckendes Lebenswerk zurückblicken, hat er doch wortwörtlich viel zum Aufbau des neuen Staates beigetragen.

Beiläufig werden auch dessen Gründungsväter und politische Führer erwähnt. Wie flüchtige Schatten kreuzen Ben Gurion und Mosche Dajan immer wieder den Weg von Tsalkas fiktiven Figuren, die sich mit ihren Alltagsproblemen vor dem Panorama der Zeitgeschichte bewegen. Von den politischen Konflikten Israels, vor allem den andauernden Spannungen zwischen Arabern und Palästinensern, ist in dem voluminösen Roman allerdings erstaunlich wenig zu lesen.

Das Israel Dan Tsalkas ist ein "Staat der Bauern, Arbeiter und Kioskbesitzer", in dem jiddisch, hebräisch und englisch gesprochen wird, ein Land, bestimmt vom Gegensatz von Stadt und Wüste, für dessen Selbstverständnis das rustikale Leben im Kibbuz ebenso wichtig ist wie die allmähliche Einebnung der feinen gesellschaftlichen Unterschiede, die im fernen Europa einst so bedeutsam waren. Manche dieser Schilderungen klingen nach heiterer Folklore, vor deren Hintergrund der zionistische Gründungsmythos, wie Tsalka ihn zeichnet, zu einer Geschichte großer und kleiner Heldentaten wird, deren Heroen, so fehlbar sie auch sein mögen, am Ende mit der Verwirklichung ihres utopischen Traumes belohnt werden und ihren eigenen Staat bekommen.

Doch werden auch die dunklen Seiten der europäischen Geschichte keineswegs ausgeblendet. In einem zweiten großen Teil der Handlung schildert Tsalka die Odyssee des polnischen Knaben Alek, der als hochbegabter Schüler ein begehrtes Stipendium erhält. Aber Alek ist Jude. Er muß vor den deutschen Truppen fliehen und gerät auf abenteuerlichen Wegen tief nach Zentralasien, nach Samarkand und Taschkent wie in die persischen Städte Mehsched und Buchara. Es dauert viele Jahre, bis auch Alek nach Israel einwandert, geschwächt von schweren Krankheiten und ruhelos geworden durch seine lange Wanderschaft.

Die Stationen dieser Reise lesen sich wie eine Erzählung aus "Tausendundeiner Nacht", in der gefährliche Räuber, treue Freunde und schöne Frauen auftreten. Doch liegt gerade diesen so exotisch anmutenden Passagen vermutlich viel eigene Anschauung zugrunde: Wie sein Held Alek wurde der heute siebenundsechzigjährige Dan Tsalka in Polen geboren; seine Eltern flohen mit ihm vor den Deutschen nach Kasachstan und kehrten 1946 nach Polen zurück. 1957 emigierte Tsalka nach Israel und begann bald darauf in hebräischer Sprache zu schreiben, die er erstaunlich schnell zu seinem eigenen Idiom machte. Heute gehört er zu den bekanntesten Schriftstellern Israels.

Seit das hebräische Original des Romans 1991 erschien, hat sich die innen- und außenpolitische Lage Israels indes vielfach und dramatisch verändert. Angesichts der zahlreichen Berichte über die eskalierende Gewalt auf dem Boden des alten Palästina erscheint Tsalkas großes Epos heute wie ein Märchen aus einer glücklicheren Vergangenheit. Es gewinnt seine eigene poetische Wahrheit aus dem Nebeneinander vieler Einzelschicksale, deren sich der Erzähler mit liebevoller Geduld annimmt. Das dem Buch vorangestellte Mottto charakterisiert anschaulich dieses Programm: "Wer sich auf diese Reise begibt, muß tausend Herzen besitzen, um jeden Augenblick ein Herz opfern zu können." Allein mit einem kühlen Kopf und aus der Distanz eines unbeteiligten Chronisten heraus hätte sich ein solcher Roman wohl nicht schreiben lassen.

SABINE DOERING.

Dan Tsalka: "Tausend Herzen". Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Barbara Linner. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2002. 950 S., geb., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Zur Lektüre von Dan Tsalkas "voluminösen Roman" mit seinen über hundert verschiedenen Figuren brauche man "einen langen Atem, viel Zeit und ein gutes Gedächtnis", rät uns Sabine Doering. Doch die Mühe lohnt sich, verrät die Rezensentin weiter, entwerfe der Autor doch ein "buntes Mosaik des modernen Israels". Dem Verlag hingegen kreidet sie an, auf die nützliche Hilfe eines beigefügten Personenverzeichnisses verzichtet zu haben. Die von Tsalka behandelte geschichtliche Spanne reiche von den ersten Einwanderungswellen osteuropäischer Juden im Jahr 1919 bis hinein in die sechziger Jahre, erzählt Doering. Allerdings lasse Tsalkas "phantasievolles Erzählen" und seine "ausschweifende Ausführlichkeit" mitunter vergessen, dass sich die Figuren mit ihren Alltagsproblemen vor einem realen zeitgeschichtlichen Hintergrund bewegen. So führt die Rezensentin an, dass historische Gestalten wie Ben Gurion und Mosche Dajan allenfalls wie "flüchtige Schatten" auftreten. Auch vom Konflikt mit den Palästinensern hat sie "erstaunlich wenig" gelesen. Folglich werde der zionistische Gründungsmythos zu einer Geschichte großer und kleiner Heldentaten, die auf Doering wirkt wie "ein Märchen aus glücklicherer Vergangenheit".

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