Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.01.2007Das ist die Liebe der Pädagogen
Im Klub der liebesmatten Dichter: R. A. Nelsons Schulroman
Hochnotpeinlich ist das, aber durch mehrfache Wiederholung inzwischen auch schon zur komischen Routine geworden: das "Bist du lesbisch?"-Gespräch der besorgten Eltern mit ihrer bohnenstangenlangen Tochter Nine auf dem Wohnzimmersofa. Nine heißt eigentlich Carolina, ist fast achtzehn (was die folgende Geschichte immerhin aus juristischen Querelen heraushält), hat einen IQ von einer Million und Haare wie braune Polsterwolle. Sie hat auch einen Freund, dessen IQ ähnlich hoch liegt, nur noch übertroffen von seinem Zartgefühl. Schuyler heißt er, und niemand nimmt die Regeln der hohen Minne so ernst wie er. Aber das, was sich die Eltern davon erwarten, weil sie ja hoffen, dass ihre Tochter diesbezüglich der Teenager-Hauptstraße folgt, genau das hat eben nicht stattgefunden - dass aus Freundschaft Liebe wird oder wenigstens Sex ohne Stress.
Daher die elterlichen Besorgnisse. Grundlos sind sie nicht, aber die Gründe liegen ganz woanders. Denn Nine hat sich mit gewaltiger emotionaler Energie in ihren Englischlehrer verliebt. In amerikanischen Jugendromanen scheinen Englischlehrer eine ganz besonders attraktive Spezies zu sein. Zwar haben sie mit Foot- und Basketball nichts zu tun, den Standard-Vergnügungen mit hohem sozialen Ansehen in Amerikas Highschools. Aber wenn sie die Aura von Gedichten wie etwa von Emily Dickinson magisch sichtbar machen können und sogar selbst Gedichte schreiben, dann gewinnen sie für intelligente und emotional unausgelastete Schülerinnen einen erotischen Nimbus. Mr. Mann, das Objekt von Nines Begierde, ist eher ein Hänfling, ein netter, schwacher Kerl. Aber er bringt Schwung in den Klub der toten Dichter. Von der mitreißenden Strahlkraft Nines lässt er sich nur zu gerne blenden. Ein Kuss auf dem Wal-Mart-Parkplatz, und schon umstrickt beide eine heiße Liebesgeschichte. Alle Zweifel an Nines Heterosexualität sind im Nu ausgeräumt.
Weil diese Geschichte im Süden der Vereinigten Staaten spielt, wo die Bigotterie in Sachen Sexualität etwas größer ist als anderswo, muss alles ganz und gar heimlich bleiben. Das erhöht zwar die Intensität dieser Beziehung, aber es verändert auch in Windeseile die inneren Koordinaten von Nines Leben. Diese Schieflage wächst sich zur Katastrophe aus, als sich Mr. Mann plötzlich und ohne Angabe von Gründen feige zurückzieht. Der zweite Teil des Buches schildert die gefährliche Krise, die dieser Bruch in Nines Leben bewirkt. Am Ende sind, nach vielen Turbulenzen, alle Beteiligten total erschöpft, zwar irgendwie gerettet, aber voller seelischer Narben.
Erschöpft ist man auch nach der Lektüre. Denn entweder hat man das Buch mit roten Ohren in einem Zug durchgelesen oder man bleibt an den vielen Windungen und Wirrungen der Geschichte hängen und hangelt sich nur mühsam zum Ende durch. R. A. Nelson polarisiert die Leserschaft, eine bemerkenswerte Fähigkeit. Das heiße Thema und vor allem die unermüdlichen Selbstreflexionen Nines, aus deren Perspektive die Geschichte sich abspult, regen an. Hier stößt man auf sprühenden Witz, scharfsinnige Beobachtungen, bodenlose Frechheiten und jede Menge kluge und altkluge, manchmal geradezu uraltkluge Bemerkungen. Das ist grandios gemacht. Dabei stellt sich im Übrigen auch bald heraus, dass es hier eher um eine Liebesverirrung geht und nicht so sehr um Sex - das "Teach me" des Titels hat nur andeutungsweise etwas mit Stellen und Stellungen zu tun.
Allerdings macht R. A. Nelson in seinem Erstling eine Menge Anfängerfehler. Es werden viel zu viele Probleme in die Handlung hineingepackt; der Zeitrahmen passt nicht ganz zusammen; die verbale Flamboyanz der Heldin in ihrer depressiven Phase ist unglaubwürdig und nervt. Und der geheimnisvolle Grund für Mr. Manns Ausstieg aus der verbotenen Liebe erweist sich als banal-ehrbar - was für eine niederschmetternde Mischung! Dennoch hat dieses Buch eine gute Chance, zum Kultbuch für heranwachsende Frauen zu werden. Die energiegeladene Heldin ist so wunderbar cool. Selbst dort, wo es heiß wird. Und wenn diese coolness zerbricht, dann folgen wir ihr mit großer Anteilnahme in die Wirren der Enttäuschung, der Wut und des Leids.
WILFRIED VON BREDOW
R. A. Nelson: "Teach me". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Katarina Ganslandt. Otto Maier Verlag, Ravensburg 2006. 351 S., geb., 14,95 [Euro]. Ab 13 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Klub der liebesmatten Dichter: R. A. Nelsons Schulroman
Hochnotpeinlich ist das, aber durch mehrfache Wiederholung inzwischen auch schon zur komischen Routine geworden: das "Bist du lesbisch?"-Gespräch der besorgten Eltern mit ihrer bohnenstangenlangen Tochter Nine auf dem Wohnzimmersofa. Nine heißt eigentlich Carolina, ist fast achtzehn (was die folgende Geschichte immerhin aus juristischen Querelen heraushält), hat einen IQ von einer Million und Haare wie braune Polsterwolle. Sie hat auch einen Freund, dessen IQ ähnlich hoch liegt, nur noch übertroffen von seinem Zartgefühl. Schuyler heißt er, und niemand nimmt die Regeln der hohen Minne so ernst wie er. Aber das, was sich die Eltern davon erwarten, weil sie ja hoffen, dass ihre Tochter diesbezüglich der Teenager-Hauptstraße folgt, genau das hat eben nicht stattgefunden - dass aus Freundschaft Liebe wird oder wenigstens Sex ohne Stress.
Daher die elterlichen Besorgnisse. Grundlos sind sie nicht, aber die Gründe liegen ganz woanders. Denn Nine hat sich mit gewaltiger emotionaler Energie in ihren Englischlehrer verliebt. In amerikanischen Jugendromanen scheinen Englischlehrer eine ganz besonders attraktive Spezies zu sein. Zwar haben sie mit Foot- und Basketball nichts zu tun, den Standard-Vergnügungen mit hohem sozialen Ansehen in Amerikas Highschools. Aber wenn sie die Aura von Gedichten wie etwa von Emily Dickinson magisch sichtbar machen können und sogar selbst Gedichte schreiben, dann gewinnen sie für intelligente und emotional unausgelastete Schülerinnen einen erotischen Nimbus. Mr. Mann, das Objekt von Nines Begierde, ist eher ein Hänfling, ein netter, schwacher Kerl. Aber er bringt Schwung in den Klub der toten Dichter. Von der mitreißenden Strahlkraft Nines lässt er sich nur zu gerne blenden. Ein Kuss auf dem Wal-Mart-Parkplatz, und schon umstrickt beide eine heiße Liebesgeschichte. Alle Zweifel an Nines Heterosexualität sind im Nu ausgeräumt.
Weil diese Geschichte im Süden der Vereinigten Staaten spielt, wo die Bigotterie in Sachen Sexualität etwas größer ist als anderswo, muss alles ganz und gar heimlich bleiben. Das erhöht zwar die Intensität dieser Beziehung, aber es verändert auch in Windeseile die inneren Koordinaten von Nines Leben. Diese Schieflage wächst sich zur Katastrophe aus, als sich Mr. Mann plötzlich und ohne Angabe von Gründen feige zurückzieht. Der zweite Teil des Buches schildert die gefährliche Krise, die dieser Bruch in Nines Leben bewirkt. Am Ende sind, nach vielen Turbulenzen, alle Beteiligten total erschöpft, zwar irgendwie gerettet, aber voller seelischer Narben.
Erschöpft ist man auch nach der Lektüre. Denn entweder hat man das Buch mit roten Ohren in einem Zug durchgelesen oder man bleibt an den vielen Windungen und Wirrungen der Geschichte hängen und hangelt sich nur mühsam zum Ende durch. R. A. Nelson polarisiert die Leserschaft, eine bemerkenswerte Fähigkeit. Das heiße Thema und vor allem die unermüdlichen Selbstreflexionen Nines, aus deren Perspektive die Geschichte sich abspult, regen an. Hier stößt man auf sprühenden Witz, scharfsinnige Beobachtungen, bodenlose Frechheiten und jede Menge kluge und altkluge, manchmal geradezu uraltkluge Bemerkungen. Das ist grandios gemacht. Dabei stellt sich im Übrigen auch bald heraus, dass es hier eher um eine Liebesverirrung geht und nicht so sehr um Sex - das "Teach me" des Titels hat nur andeutungsweise etwas mit Stellen und Stellungen zu tun.
Allerdings macht R. A. Nelson in seinem Erstling eine Menge Anfängerfehler. Es werden viel zu viele Probleme in die Handlung hineingepackt; der Zeitrahmen passt nicht ganz zusammen; die verbale Flamboyanz der Heldin in ihrer depressiven Phase ist unglaubwürdig und nervt. Und der geheimnisvolle Grund für Mr. Manns Ausstieg aus der verbotenen Liebe erweist sich als banal-ehrbar - was für eine niederschmetternde Mischung! Dennoch hat dieses Buch eine gute Chance, zum Kultbuch für heranwachsende Frauen zu werden. Die energiegeladene Heldin ist so wunderbar cool. Selbst dort, wo es heiß wird. Und wenn diese coolness zerbricht, dann folgen wir ihr mit großer Anteilnahme in die Wirren der Enttäuschung, der Wut und des Leids.
WILFRIED VON BREDOW
R. A. Nelson: "Teach me". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Katarina Ganslandt. Otto Maier Verlag, Ravensburg 2006. 351 S., geb., 14,95 [Euro]. Ab 13 J.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Die Rezensentin Roswitha Budeus-Budde hat nur Gutes zu berichten. Russell A. Nelsons Geschichte um die Liebe zwischen der 17-jährigen Außenseiterin Nine und ihrem Literatur-Lehrer ist keine gewöhnliche Teenager-Liebesgeschichte. Bemerkenswert findet sie insbesondere, dass Nelson nicht beschwichtigend eingreift, als die Liebe zur unglücklichen Liebe wird und Nine von Rachegelüsten heimgesucht ihrem Lehrer nachstellt und sich auch sprachlich von ihrer anfänglichen distanzierten Kühle in Hemmungslosigkeit wandelt. Dass nur ihr Kindheitsfreund Schuyler, der insgeheim in Nine verliebt ist, sie aus ihrer allmählichen Entfremdung von ihrer Umgebung und ihren Eltern retten kann, sieht die Rezensentin als Beleg für die Vielschichtigkeit des Romans, der die "unterschiedlichen Bedeutungen von 'teach me'" in all ihrer mitunter leidvollen Komplexität veranschaulicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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