Die aus Georgien stammende und auf Deutsch schreibende Autorin Nino Haratischwili wurde für ihren Roman »Mein sanfter Zwilling« als »neue Heldin der deutschsprachigen Literatur« gefeiert und erhielt den Preis der Hotlist 2011 für den besten Roman unabhängiger Verlage. Und Tamta Melaschwili gelang 2012 mit »Abzählen« (Unionsverlag) ein außergewöhnliches und vielbeachtetes Debüt. Die sprachliche Kraft und der Erfolg nicht nur dieser Autorinnen zeigen, dass Georgien ein Land ist, das literarisch im Aufbruch begriffen ist. In den letzten Jahren hat sich dort eine lebendige und vielstimmige Literatur herausgebildet, die vor allem von jungen Autorinnen bestimmt wird. Mit Lakonie, Scharfsinn und ungeheurer Erzählfreude porträtieren sie Leben und gesellschaftliche Umbrüche in ihrem Land. »Techno der Jaguare. Neue Erzählerinnen aus Georgien« versammelt die aufregendsten neuen Stimmen der aktuellen georgischen Literatur: wunderbare Prosatexte und ein Einakter. Autorinnen, die von den Fallstricken bei der Suche nach modernen weiblichen Lebensentwürfen, von der Selbstbehauptung im Exil und nicht zuletzt von der magischen Kraft des geschriebenen Worts berichten.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Ulrich M. Schmid legt jedem Leser den neuen, nun unter dem Titel "Techno der Jaguare" erschienenen Erzählband mit Texten von sieben jungen Autorinnen aus Georgien ans Herz. Allein die stilistische Vielfalt der begabten Schriftstellerinnen - Surrealismus, Gesellschaftskritik oder Bewusstseinsausdruck - beeindruckt Schmid sichtlich. Ob er hier in Nino Haratischwilis Kurzdrama einer vom Krebs zerfressenen Dame bei ihren letzten Tagen folgt, oder mit Maka Mikeladze beobachtet, wie einer Frau ein Buch aus dem Kopf wächst - eines steht für den Kritiker außer Frage: Diese Autorinnen sollten auch in Westeuropa mehr gelesen werden.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.03.2014Blinde Lügner in Tbilissi
Bloß kein „Dialog der Kulturen“! Die Anthologie „Techno der Jaguare“ stellt junge Erzählerinnen aus Georgien vor
Nur selten erreichen uns Nachrichten aus Georgien, und wenn, dann meist keine guten. Das Land im Kaukasus, das sich in seiner nationalen Mythologie als „Balkon Europas“ versteht, hat seit 1991 eine Million seiner Staatsbürger durch Auswanderung verloren. Literarisch ist Georgien, das eine uralte Schrifttradition hat, bei uns weitgehend Terra Incognita geblieben. Die beiden Autoren, die wir noch am ehesten kennen, schreiben beide auf Deutsch: der großartige Giwi Margwelaschwili, der 1927 in Berlin geboren wurde, von der Roten Armee nach Georgien, in die Heimat seines von den Stalinisten erschossenen Vaters, verschleppt wurde und seit 1989 wieder die meiste Zeit in Berlin lebt; und Nino Haratischwili, die, 1983 in Tiflis geboren, mit den Romanen „Juja“ und „Mein sanfter Zwilling“ einiges Aufsehen erregte und in Hamburg zu Hause ist.
Da ist es erfreulich, dass die Frankfurter Verlagsanstalt eine großzügig gestaltete Prosa-Anthologie herausgebracht hat, die „Neue Erzählerinnen aus Georgien“ vorstellt. Darin sind sieben Frauen zwischen dreißig und fünfzig Jahren mit sieben ausgezeichneten literarischen Texten vertreten, die allesamt nur einen einzigen Nachteil haben: dass man aus ihnen kaum etwas über Georgien erfährt.
Man kann es den Autorinnen freilich nicht verübeln, dass sie nicht das Interesse westlicher Leser an einer Art von literarischer Landeskunde befriedigen möchten; andrerseits ist der Anspruch, über die Dichtung eines Landes auch dieses selbst ein wenig kennen zu lernen, so vermessen auch wieder nicht. Die georgische Gesellschaft spielt in den rundum stimmigen Geschichten jedoch nur eine kulissenhafte Rolle, sodass diese statt in Tbilissi genauso gut in München oder Amsterdam angesiedelt sein könnten. Laut den Biographien haben alle Beiträgerinnen des Lesebuchs irgendetwas mit universitären Genderstudien, praktiziertem Feminismus, gesellschaftlichem Kampf um Frauen- und Menschenrechte zu tun. Liest man ihre Erzählungen, kann man keine spezifisch georgischen Tönung dieser Grundfragen erkennen: Es scheint, Frauen träumen und lieben in Georgien nicht anders als in Deutschland oder Holland, und es sind auch dieselben Dinge, um die sie da wie dort kämpfen müssen.
Mit lässigem Humor erzählt Anna Kordzaia-Samadaschwili von einer gebildeten, selbstbewussten Übersetzerin, die auf einen Kongress zum Thema „Dialog der Kulturen“ geladen wird und dort aus der lähmenden Langeweile in Erinnerungen an diverse Kongressmänner flüchtet. Das ist mit scharfem Witz und doch mit nachsichtiger Freundlichkeit erzählt, was dem Text gut tut, zumal die Übersetzerin ein kleines Problem mit sich und ihrem erotischen Begehren hat: Sie verschaut sich gerne in Männer, denen sie weltanschaulich nicht unbedingt trauen kann, am neuen Kongress zum Beispiel in einen Muslim, von dem sie vermutet, dass es nicht ihre emanzipierte Selbstständigkeit sein wird, die er an ihr anziehend findet.
In einer anderen Erzählung, verfasst von Tamta Melaschwili, die am ehesten noch Fährten in die georgische Gegenwart und Vergangenheit legt, berichtet eine Auftragskillerin von ihrem ungewöhnlichen Beruf. Schon zu sowjetischen Zeiten hatte sie als Schülerin ihre männlichen Kollegen im Übungsfach „Zivilverteidigung“ an Zielgenauigkeit übertroffen, allerdings „habe ich damals Pappkameraden in Gestalt ausländischer Kapitalisten erschossen, heute, als Profikiller, erschieße ich echte einheimische Kapitalisten“. Ihre Auftraggeber sind nämlich Oligarchen, die andere Oligarchen aus dem Weg räumen wollen. Ihr Geschäft floriert, bis sie eines Tages den Auftrag erhält, die geschiedene Frau eines dieser neuen Kapitalisten zu ermorden . . .
Vielleicht die beste Erzählung des Bandes stammt von der jüngsten Autorin, Ekaterine Togonidze, von der es heißt, sie habe als erste die Diskriminierung von Behinderten in der georgischen Literatur thematisiert. Das spielt auch in ihre Erzählung „Der andere Weg“ hinein, in der sich eine junge, sehr an ihrem beruflichen Aufstieg orientierte Journalistin das Vertrauen eines blinden Bildhauers erschleicht.
Ein Star im georgischen Kulturleben, meidet er doch jede Öffentlichkeit. Nach ein paar Besuchen steht sie ihm Modell, und wie der blinde Künstler sich nach und nach mehr als nur die Proportionen der jungen Frau ertastet, das hat die Autorin mit literarischer Sinneslust dargestellt. Allerdings geht es um mehr, nämlich um doppelten Betrug: den von ihr, die hauptsächlich an der skandalträchtigen Story interessiert ist, und den von ihm, der gar nicht blind ist, sondern diese Behinderung nur vorspielt, wobei er selbst Augenärzte zu übertölpeln vermag. Seine schlichte, nicht immer leicht zu befolgende Strategie: „selbst an seine eigene Lüge zu glauben“.
„Techno der Jaguare“, wie der Band nach einem seiner Beiträge heißt, ist eine kundig zusammengestellte Sammlung ironischer, lakonischer, spannender Geschichten. Geben wir uns damit zufrieden, dass ihre Verfasserinnen alle aus Georgien stammen, aber in Zeiten der Globalisierung nicht die Verpflichtung verspüren, dieser Tatsache fortwährend den literarischen Tribut zu zollen.
KARL-MARKUS GAUSS
„Als Profikiller erschieße ich
echte einheimische Kapitalisten“
Manana Tandaschwili und Jost Gippert (Hrsg.): Techno der Jaguare. Neue Erzählerinnen aus Georgien. Frankfurter Verlagsanstalt,
Frankfurt am Main 2013.
249 Seiten, 19,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Bloß kein „Dialog der Kulturen“! Die Anthologie „Techno der Jaguare“ stellt junge Erzählerinnen aus Georgien vor
Nur selten erreichen uns Nachrichten aus Georgien, und wenn, dann meist keine guten. Das Land im Kaukasus, das sich in seiner nationalen Mythologie als „Balkon Europas“ versteht, hat seit 1991 eine Million seiner Staatsbürger durch Auswanderung verloren. Literarisch ist Georgien, das eine uralte Schrifttradition hat, bei uns weitgehend Terra Incognita geblieben. Die beiden Autoren, die wir noch am ehesten kennen, schreiben beide auf Deutsch: der großartige Giwi Margwelaschwili, der 1927 in Berlin geboren wurde, von der Roten Armee nach Georgien, in die Heimat seines von den Stalinisten erschossenen Vaters, verschleppt wurde und seit 1989 wieder die meiste Zeit in Berlin lebt; und Nino Haratischwili, die, 1983 in Tiflis geboren, mit den Romanen „Juja“ und „Mein sanfter Zwilling“ einiges Aufsehen erregte und in Hamburg zu Hause ist.
Da ist es erfreulich, dass die Frankfurter Verlagsanstalt eine großzügig gestaltete Prosa-Anthologie herausgebracht hat, die „Neue Erzählerinnen aus Georgien“ vorstellt. Darin sind sieben Frauen zwischen dreißig und fünfzig Jahren mit sieben ausgezeichneten literarischen Texten vertreten, die allesamt nur einen einzigen Nachteil haben: dass man aus ihnen kaum etwas über Georgien erfährt.
Man kann es den Autorinnen freilich nicht verübeln, dass sie nicht das Interesse westlicher Leser an einer Art von literarischer Landeskunde befriedigen möchten; andrerseits ist der Anspruch, über die Dichtung eines Landes auch dieses selbst ein wenig kennen zu lernen, so vermessen auch wieder nicht. Die georgische Gesellschaft spielt in den rundum stimmigen Geschichten jedoch nur eine kulissenhafte Rolle, sodass diese statt in Tbilissi genauso gut in München oder Amsterdam angesiedelt sein könnten. Laut den Biographien haben alle Beiträgerinnen des Lesebuchs irgendetwas mit universitären Genderstudien, praktiziertem Feminismus, gesellschaftlichem Kampf um Frauen- und Menschenrechte zu tun. Liest man ihre Erzählungen, kann man keine spezifisch georgischen Tönung dieser Grundfragen erkennen: Es scheint, Frauen träumen und lieben in Georgien nicht anders als in Deutschland oder Holland, und es sind auch dieselben Dinge, um die sie da wie dort kämpfen müssen.
Mit lässigem Humor erzählt Anna Kordzaia-Samadaschwili von einer gebildeten, selbstbewussten Übersetzerin, die auf einen Kongress zum Thema „Dialog der Kulturen“ geladen wird und dort aus der lähmenden Langeweile in Erinnerungen an diverse Kongressmänner flüchtet. Das ist mit scharfem Witz und doch mit nachsichtiger Freundlichkeit erzählt, was dem Text gut tut, zumal die Übersetzerin ein kleines Problem mit sich und ihrem erotischen Begehren hat: Sie verschaut sich gerne in Männer, denen sie weltanschaulich nicht unbedingt trauen kann, am neuen Kongress zum Beispiel in einen Muslim, von dem sie vermutet, dass es nicht ihre emanzipierte Selbstständigkeit sein wird, die er an ihr anziehend findet.
In einer anderen Erzählung, verfasst von Tamta Melaschwili, die am ehesten noch Fährten in die georgische Gegenwart und Vergangenheit legt, berichtet eine Auftragskillerin von ihrem ungewöhnlichen Beruf. Schon zu sowjetischen Zeiten hatte sie als Schülerin ihre männlichen Kollegen im Übungsfach „Zivilverteidigung“ an Zielgenauigkeit übertroffen, allerdings „habe ich damals Pappkameraden in Gestalt ausländischer Kapitalisten erschossen, heute, als Profikiller, erschieße ich echte einheimische Kapitalisten“. Ihre Auftraggeber sind nämlich Oligarchen, die andere Oligarchen aus dem Weg räumen wollen. Ihr Geschäft floriert, bis sie eines Tages den Auftrag erhält, die geschiedene Frau eines dieser neuen Kapitalisten zu ermorden . . .
Vielleicht die beste Erzählung des Bandes stammt von der jüngsten Autorin, Ekaterine Togonidze, von der es heißt, sie habe als erste die Diskriminierung von Behinderten in der georgischen Literatur thematisiert. Das spielt auch in ihre Erzählung „Der andere Weg“ hinein, in der sich eine junge, sehr an ihrem beruflichen Aufstieg orientierte Journalistin das Vertrauen eines blinden Bildhauers erschleicht.
Ein Star im georgischen Kulturleben, meidet er doch jede Öffentlichkeit. Nach ein paar Besuchen steht sie ihm Modell, und wie der blinde Künstler sich nach und nach mehr als nur die Proportionen der jungen Frau ertastet, das hat die Autorin mit literarischer Sinneslust dargestellt. Allerdings geht es um mehr, nämlich um doppelten Betrug: den von ihr, die hauptsächlich an der skandalträchtigen Story interessiert ist, und den von ihm, der gar nicht blind ist, sondern diese Behinderung nur vorspielt, wobei er selbst Augenärzte zu übertölpeln vermag. Seine schlichte, nicht immer leicht zu befolgende Strategie: „selbst an seine eigene Lüge zu glauben“.
„Techno der Jaguare“, wie der Band nach einem seiner Beiträge heißt, ist eine kundig zusammengestellte Sammlung ironischer, lakonischer, spannender Geschichten. Geben wir uns damit zufrieden, dass ihre Verfasserinnen alle aus Georgien stammen, aber in Zeiten der Globalisierung nicht die Verpflichtung verspüren, dieser Tatsache fortwährend den literarischen Tribut zu zollen.
KARL-MARKUS GAUSS
„Als Profikiller erschieße ich
echte einheimische Kapitalisten“
Manana Tandaschwili und Jost Gippert (Hrsg.): Techno der Jaguare. Neue Erzählerinnen aus Georgien. Frankfurter Verlagsanstalt,
Frankfurt am Main 2013.
249 Seiten, 19,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de