Es ist mehr als nur ein neues Auto. Für Appa und Amma der indischen Kleinfamilie beglaubigt der weiße Honda Civic - »Weiß ist gut. Das wirkt sauber« - den Aufstieg. Mittelschicht, harter Arbeit Lohn, die Kinder werden es mal besser haben. Natürlich sollen die Nachbarn das sehen! Doch Sreenath, ihr Ältester, verhält sich seltsam, kommt nicht mal runter in die Einfahrt, und sehr bald wissen sie und ihr Jüngster sowieso: Ein Video ist aufgetaucht, eins von Sreenath und seiner Freundin, auf einer dieser Seiten. Seit Jahren sind sie ein Paar, trotzdem bedeutet dieses heimlich gefilmte Video eine unerhörte Schande, und eine sagenhafte Eskalation nimmt seinen Lauf ...
Teen Couple Have Fun Outdoors ist ein beißender Generationenroman aus Indien. Aravind Jayan erzählt darin mit der Lässigkeit der Jungen von Scham, Repression und Tradition im Angesicht von Klasse, Sex, dem Internet. Und doch beschreibt er mit Zärtlichkeit eine Heimat, die fortwährend mit der eigenen Modernisierung kämpft.
Teen Couple Have Fun Outdoors ist ein beißender Generationenroman aus Indien. Aravind Jayan erzählt darin mit der Lässigkeit der Jungen von Scham, Repression und Tradition im Angesicht von Klasse, Sex, dem Internet. Und doch beschreibt er mit Zärtlichkeit eine Heimat, die fortwährend mit der eigenen Modernisierung kämpft.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensent Tobias Lehmkuhl hat beim Lesen von Aravind Jayans Debüt "teen couple have fun outdoors" nicht einen einzigen Satz unterstrichen. Das ist ihm zufolge hier aber ausnahmsweise kein negatives Zeichen, sondern betont lediglich die geradlinige Schreibweise des Autors, der in seinem Roman von einem Skandal in einer indischen Provinzhauptstadt erzählt: Ein junger Mann wurde beim Sex mit seiner Freundin gefilmt und das Video ins Netz gestellt. Die Eltern schmeißen ihn raus, worunter nur der kleine Bruder zu leiden scheint, aus dessen Perspektive erzählt wird. Eigentlich eine perfekte Novelle, meint Lehmkuhl, der das Buch gern gelesen zu haben scheint. Besonders gut gefällt ihm, dass der Autor dennoch nicht den Ehrgeiz entwickeln, mit den ganz großen auf diesem Gebiet mitzuhalten. Der Leser fragt sich allerdings entgeistert, warum Lehmkuhl das für ein Kompliment hält.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.2022Indische Nachbarn
Aravind Jayans Familienroman
Kerala in Südindien gehört zu den progressiven indischen Bundesländern mit einem hohen Bildungsniveau. In der Hauptstadt Trivandrum, in einer Siedlung des aufstrebenden Mittelstandes, genannt Blue Hills, spielt sich ein Familiendrama ab, das daherkommt, als sei es ein Spiegel des modernen städtischen Alltags in Indien. Schaut her, das sind wir! Wir treffen Appa, den Besitzer eines Textilladens, Amma, die in einer Schule unterrichtet, außerdem ihrem Ehemann zuarbeitet, schließlich zwei Söhne - den gerade mal zweiundzwanzigjährigen Sreenath und den noch jüngeren Ich-Erzähler. Soeben haben sie ein neues Auto gekauft, einen Honda Civic, Aushängeschild für frisch erworbenen bürgerlichen Wohlstand. Kaum hatten die Eltern Gelegenheit, das Prestigeobjekt zu bestaunen, da stürzte ihr Leben ins Chaos ab. Ohne es zu wissen, war Sreenath dabei gefilmt worden, wie er hinter ein paar Büschen mit seiner Freundin Anita Sex hatte. Das Video geriet ins Internet und vervielfältigte sich dort in Windeseile.
Mit unüberbietbarer Flapsigkeit und jugendlicher Frechheit beschreibt der junge Autor Aravind Jayan die Reaktion der Familie. Dass ihr Sohn Sex hatte, ist gar nicht das Problem, sondern die befürchtete gesellschaftliche Ächtung. Mit hysterischer Ängstlichkeit beobachten die Eltern die Reaktionen der Umgebung. Argwöhnisch schotten sie sich ab, hecken Überlebensstrategien aus, fühlen sich im Kriegszustand miteinander und mit der Außenwelt, die ihnen die Ehre abschneiden will, sich hinter vorgehaltener Hand über sie lustig macht, sich endlos das Maul zerreißt über die beiden Missetäter. Unbescholtenheit ist ein hohes Gut im indischen Familienleben und muss, koste es, was es wolle, erhalten bleiben, und sei's nur als Fassade. In extremen Fällen kommt es zum Rauswurf der aufmüpfigen Kinder aus dem schützenden Familienverband, sogar bis zum Ehrenmord.
Jayan malt diesen gehässigen Kleinkrieg in ermüdenden, immer ähnlichen Dialogen, gespickt mit Gemeinplätzen, Füllwörtern und umgangssprachlichen Klischees aus. Platt heißt es da: "Solche Dinge passieren manchmal." Hätte jemand geglaubt, dass in Indien das Familienleben noch ein intakter Organismus ist, dessen Mitglieder Geborgenheit und bedingungslose Zuneigung und Förderung genießen, Ältere geachtet und rücksichtsvoll behandelt werden, der fände sich in diesem Roman eines Besseren belehrt. Den Eltern begegnet man mit einem empathielosen Zynismus, nicht anders als diese ihre Kinder in aggressiven Schüben auf den Pfad einer scheinbaren Vorzeigetugend zerren wollen.
Irgendwann in der Mitte kommen Anitas Eltern ins Spiel, nachdem auch sie das Video entdeckt haben. Da sie sich größeren Reichtums erfreuen, beginnt nun auch noch eine Art Klassenkampf zwischen den Familien. Erzwungene Besuche hin und zurück, psychischer Terror, raffinierter Lug und Trug - bis die Familien ihr Ziel erreichen: die Heirat von Sreenath und Anita. Mit dieser Nachricht soll den Klatschbasen und Untergangspropheten das Maul gestopft werden.
Nicht genug damit. Die jungen Eheleute verlassen ihre Eltern, tauchen unter, bleiben monatelang verschwunden, trotz erregter Versuche, sie heimzulocken. Aber die Kinder setzen noch eins drauf, indem sie das ursprüngliche Video in ein Musikvideo umgestalten, sodass es neue Aktualität bekommt. Der Ich-Erzähler ist jemand, der zu vermitteln und auszugleichen sucht, für Verständnis wirbt, doch er kann die latente Aggressivität im Familienleben nicht mildern. "Ich würde nicht sagen, dass alles besser geworden ist, aber es ist auch nicht gerade schlechter geworden." Dieser unübertrefflich banale Satz bringt's auf den Punkt: Ein heikles Gleichgewicht ist das Beste, was man erhoffen kann.
Der Roman führt eine Jugendsprache vor, die dem Jargon hiesiger Jugendlicher erstaunlich ähnlich sieht; sie werden sich mit dem Lebensstil ihrer indischen Generationsgenossen gut identifizieren können. Über den Gebrauch von Internet, Videospielen, Mobiltelefonen entsteht eine Schnittmenge ähnlicher Erfahrungen, die global verbinden. MARTIN KÄMPCHEN
Aravind Jayan: "Teen Couple Have Fun Outdoors". Roman.
Aus dem Englischen von Daniel Beskos. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022 . 245 S., br., 18,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aravind Jayans Familienroman
Kerala in Südindien gehört zu den progressiven indischen Bundesländern mit einem hohen Bildungsniveau. In der Hauptstadt Trivandrum, in einer Siedlung des aufstrebenden Mittelstandes, genannt Blue Hills, spielt sich ein Familiendrama ab, das daherkommt, als sei es ein Spiegel des modernen städtischen Alltags in Indien. Schaut her, das sind wir! Wir treffen Appa, den Besitzer eines Textilladens, Amma, die in einer Schule unterrichtet, außerdem ihrem Ehemann zuarbeitet, schließlich zwei Söhne - den gerade mal zweiundzwanzigjährigen Sreenath und den noch jüngeren Ich-Erzähler. Soeben haben sie ein neues Auto gekauft, einen Honda Civic, Aushängeschild für frisch erworbenen bürgerlichen Wohlstand. Kaum hatten die Eltern Gelegenheit, das Prestigeobjekt zu bestaunen, da stürzte ihr Leben ins Chaos ab. Ohne es zu wissen, war Sreenath dabei gefilmt worden, wie er hinter ein paar Büschen mit seiner Freundin Anita Sex hatte. Das Video geriet ins Internet und vervielfältigte sich dort in Windeseile.
Mit unüberbietbarer Flapsigkeit und jugendlicher Frechheit beschreibt der junge Autor Aravind Jayan die Reaktion der Familie. Dass ihr Sohn Sex hatte, ist gar nicht das Problem, sondern die befürchtete gesellschaftliche Ächtung. Mit hysterischer Ängstlichkeit beobachten die Eltern die Reaktionen der Umgebung. Argwöhnisch schotten sie sich ab, hecken Überlebensstrategien aus, fühlen sich im Kriegszustand miteinander und mit der Außenwelt, die ihnen die Ehre abschneiden will, sich hinter vorgehaltener Hand über sie lustig macht, sich endlos das Maul zerreißt über die beiden Missetäter. Unbescholtenheit ist ein hohes Gut im indischen Familienleben und muss, koste es, was es wolle, erhalten bleiben, und sei's nur als Fassade. In extremen Fällen kommt es zum Rauswurf der aufmüpfigen Kinder aus dem schützenden Familienverband, sogar bis zum Ehrenmord.
Jayan malt diesen gehässigen Kleinkrieg in ermüdenden, immer ähnlichen Dialogen, gespickt mit Gemeinplätzen, Füllwörtern und umgangssprachlichen Klischees aus. Platt heißt es da: "Solche Dinge passieren manchmal." Hätte jemand geglaubt, dass in Indien das Familienleben noch ein intakter Organismus ist, dessen Mitglieder Geborgenheit und bedingungslose Zuneigung und Förderung genießen, Ältere geachtet und rücksichtsvoll behandelt werden, der fände sich in diesem Roman eines Besseren belehrt. Den Eltern begegnet man mit einem empathielosen Zynismus, nicht anders als diese ihre Kinder in aggressiven Schüben auf den Pfad einer scheinbaren Vorzeigetugend zerren wollen.
Irgendwann in der Mitte kommen Anitas Eltern ins Spiel, nachdem auch sie das Video entdeckt haben. Da sie sich größeren Reichtums erfreuen, beginnt nun auch noch eine Art Klassenkampf zwischen den Familien. Erzwungene Besuche hin und zurück, psychischer Terror, raffinierter Lug und Trug - bis die Familien ihr Ziel erreichen: die Heirat von Sreenath und Anita. Mit dieser Nachricht soll den Klatschbasen und Untergangspropheten das Maul gestopft werden.
Nicht genug damit. Die jungen Eheleute verlassen ihre Eltern, tauchen unter, bleiben monatelang verschwunden, trotz erregter Versuche, sie heimzulocken. Aber die Kinder setzen noch eins drauf, indem sie das ursprüngliche Video in ein Musikvideo umgestalten, sodass es neue Aktualität bekommt. Der Ich-Erzähler ist jemand, der zu vermitteln und auszugleichen sucht, für Verständnis wirbt, doch er kann die latente Aggressivität im Familienleben nicht mildern. "Ich würde nicht sagen, dass alles besser geworden ist, aber es ist auch nicht gerade schlechter geworden." Dieser unübertrefflich banale Satz bringt's auf den Punkt: Ein heikles Gleichgewicht ist das Beste, was man erhoffen kann.
Der Roman führt eine Jugendsprache vor, die dem Jargon hiesiger Jugendlicher erstaunlich ähnlich sieht; sie werden sich mit dem Lebensstil ihrer indischen Generationsgenossen gut identifizieren können. Über den Gebrauch von Internet, Videospielen, Mobiltelefonen entsteht eine Schnittmenge ähnlicher Erfahrungen, die global verbinden. MARTIN KÄMPCHEN
Aravind Jayan: "Teen Couple Have Fun Outdoors". Roman.
Aus dem Englischen von Daniel Beskos. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022 . 245 S., br., 18,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Mit unüberbietbarer Flapsigkeit und jugendlicher Frechheit [schreibt] der junge Autor Aravind Jayan ... Der Roman führt eine Jugendsprache vor, die dem Jargon hiesiger Jugendlicher erstaunlich ähnlich sieht; sie werden sich mit dem Lebensstil ihrer indischen Generationsgenossen gut identifizieren können.« Martin Kämpchen Frankfurter Allgemeine Zeitung 20220928