Albert Ostermaiers neue Gedichte kommen gerade zur rechten Zeit, da sie dringlich, bildkräftig und mit ungeheurer Intensität davon erzählen, »was das / war die zukunft und wie wir sie / zurückgewinnen«. Gegen die zähflüssige Monotonie der Corona-Gegenwart, gegen die Quarantäne des »ich lebe / in anführungszeichen« setzt er quicklebendige Gedichte, die den Alltag erhellen, wie aus dem Nichts Zuversicht zaubern und zum Aufbruch verlocken: »der / horizont setzt seine sieben / segel«.
Den Zumutungen der Zeit begegnet er hier mit erfrischendem Eigensinn (»die welt ist aus den fugen du / aber sagst wir fügen uns nicht«) und ansteckender Lebenslust (»schau nur über dein herz ist / gras gewachsen roll es ein / und rauch es«). Und ganz nebenbei entwirft er eine neue Arithmetik der Liebe, die nicht nur die Gesetze der Mathematik außer Kraft setzt.
Den Zumutungen der Zeit begegnet er hier mit erfrischendem Eigensinn (»die welt ist aus den fugen du / aber sagst wir fügen uns nicht«) und ansteckender Lebenslust (»schau nur über dein herz ist / gras gewachsen roll es ein / und rauch es«). Und ganz nebenbei entwirft er eine neue Arithmetik der Liebe, die nicht nur die Gesetze der Mathematik außer Kraft setzt.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Christiane Lutz liest in Albert Ostermaiers Gedichtband ein großes zuversichtliches "trotzdem". In stets kleingeschriebenen Sätzen ohne Interpunktion behandelt Ostermaier in seiner Lyrik die Vergänglichkeit der Liebe, übt Kritik am Theaterbetrieb und reflektiert über die Auswirkungen der Pandemie und das eigene Schreiben, resümiert die Rezensentin. Trotz der Sensibilität findet Lutz das nur selten kitschig und lobt, dass der Lyriker seine Inspirationsquellen darlegt, wobei ihr seine Texte auch mit eigenen Werken zu interagieren scheinen. Bei all der Emphase auf Natur und Emotionen wird der Rezensentin klar, dass Ostermaier ein Romantiker ist, sogar die Blaue Blume findet sie in einem Gedicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2022Autor sein
ist mühsam
Albert Ostermaier stellt der Dunkelheit des Daseins
trotzig hoffnungsvolle Gedichte entgegen
Auf dem mattschwarzen Cover steht in glänzenden, schwarzen Großbuchstaben das Wort „Teer“, man erwartet sich zwischen den Buchdeckeln also nicht ganz ohne Grund etwas eher Düsteres. Etwas, das lähmt und klebt, wie heißer Asphalt in einem viel zu kurzen Sommer. „Teer“ heißt der aktuelle Lyrikband des Dichters und Dramatikers Albert Ostermaier, er versammelt darin Gedichte, die zwischen 2016 und 2021 entstanden sind.
Ostermaier hat ein Faible für die Dunkelheit, nicht nur für die im übertragenen Sinne, sondern auch für die ganz physikalische, die Dunkelheit als Abwesenheit von Licht. Sie taucht als Motiv in vielen seiner Theaterstücken und Romanen auf, manchmal schon im Titel, etwa in seinem Roman „Schwarze Sonne scheine“ und gibt dabei den Startpunkt vor, von dem aus man als Lesende zu fühlen beginnen soll. Die Welt ist eine dunkle, aber auch, weil sich davor das Licht umso besser abzeichnen kann.
So ist dann das, was zwischen den Buchdeckeln von „Teer“ passiert, nicht annähernd so finster, wie das die Aufmachung vermuten lässt, zumindest nicht in letzter Konsequenz. „Teer“ ist der Zustand, dem sich der Dichter entgegenstemmt. Ein großes „Trotzdem“. Ja, die Zeiten sind schwierig, ABER!“. Ja, die Trennung schmerzt, Aber! Ja, Autor sein ist mühsam, aber! Ja, es herrscht immer noch Pandemie, aber lasst doch mal über die Zukunft reden. Vom Krieg in der Ukraine wusste Ostermaier beim Schreiben dieser Gedichte noch nichts, das muss man fairerweise dazu sagen, denn das Gedicht, welches er dazu vor Kurzem geschrieben und auch in der SZ veröffentlicht hat, lässt dann für den Moment zumindest doch deutlich weniger Hoffnung, sehr wenig Trotzdem zu.
Aber zurück zu „Teer“. In durchgehend kleingeschriebenen, punkt- und kommalosen Sätzen kreisen viele der Gedichte um die Dünnhäutigkeit der Liebe und den oft kläglichen Versuch, sich von einem eigentlich geliebten Menschen zu lösen. Im ersten Gedicht „comment est ta peine“, (übersetzt etwa: „wie geht es deinem Schmerz?“ übrigens gibt es einen schönen gleichnamigen Song von Benjamin Biolay) legt Ostermaier los: „der schmerz schmerzt nicht mehr nicht, der wind ist ein wind aber er kommt vom meer wie eine welle schlägt er mir ins gesicht mit glück“.
Das Meer, die Wellen (nicht die pandemischen, auch die buchstäblichen), der Sand, das sind wiederkehrende Motive. Er schreibt über den Trost, der im Schreiben liegt genauso wie über die gleichzeitige ungeheure Mühe, die es kostet. Es ist auch ein Corona-Lyrikband, eine Auseinandersetzung mit Ängsten und Sehnsüchten, die in der Zeit entstanden sind. Im Gedicht „gewichten“ dann konkret: „ich atme in die armbeuge aber ich lasse mich nicht brechen hinter vorgehaltener hand.“
Albert Ostermaier hat keine Angst davor, sich selbst ins Zentrum des beschriebenen Gefühls zu stellen. Seine Texte sind als unmittelbare Reaktionen auf die Welt zu lesen, die er erlebt. Befindlich ist das und sensibel, ja, aber nur an wenigen Stellen kitschig. Zumal hier einer am Werk ist, der auch uneitel Bezüge offenlegt und klar macht, wer ihn inspiriert. Immer wieder finden sich Verse, die mit anderen Werken Ostermaiers zu kommunizieren scheinen. Das Gedicht „Phädra schlaflos“ etwa beschreibt die unruhige Nacht der unglücklich Liebenden Phädra und erinnert an „Phädras Nacht“, eine Stückentwicklung für die Schauspielerin Bibiana Beglau am Münchner Residenztheater.
Überhaupt, das Theater. Daran hängt und leidet Ostermaier auch, vielleicht gerade während des Lockdowns, als die geschlossenen Theater anfingen, sich intensiv selbst zu befragen bis hin zur unangenehmen Nabelschau, unsicher, wo ihr Platz sein könnte in Zukunft. Im Gedicht „Spielplan“ toben Shakespeares Macbeth und Puck durch den Supermarkt, sitzt Falstaff im Biergarten, in „lichtzeichen“ aber grübelt Ostermaier: „das theater hat keine zukunft höre ich mich sagen“, „das theater ist die zurschaustellung des präsens.“
Dann wird er anklagend: „das theater ist rassistisch solang es nur vorgibt es nicht zu sein solang wir behaupten die besseren menschen zu sein die höhere moral zu haben statt die tiefere einsicht.“ Weiter: „die theater sind bleiben werden geschlossen wer sperrt sie wieder auf“. Doch am Ende folgt er auch da seinem eigenen Prinzip, vom Dunklen ins Helle zu blicken und beschwört er die Zukunft der Theatermacher: „wir müssen sie spüren und barfuss auf diesen brettern stehen und zu erzählen beginnen was das war die zukunft und wie wir sie zurückgewinnen.“ So viel Entschlossenheit wirkt anrühend.
Man kann es auch ganz kurz machen: Ostermaier ist Romantiker durch und durch. Die Hinwendung zur Natur, zum Gefühl als erweiterten Möglichkeitsraum über das Faktische hinaus, alles da. Sogar die Blaue Blume taucht auf, in einem Corona-Gedicht über ein Beatmungsgerät: „der himmel gestochen klar der äther eine blaue blume in der lunge warte nur balde ruhest auch du“, schreibt er in „der gipfel“ in Anlehnung an Goethes „Wandrers Nachtlied“. „aber bis dahin sei dankbar und schreibe es geht weiter.“ So ist es dann kein Zufall, dass das letzte Gedicht der Sammlung „hoffnung vielleicht“ heißt, ein angedeutetes Zögern, das für Ostermaier eigentlich keins ist.
CHRISTIANE LUTZ
Das Meer, die Wellen,
der Sand, das sind
wiederkehrende Motive
Das letzte Gedicht heißt
„hoffnung vielleicht“, ein
angedeutetes Zögern
Albert Ostermaier: Teer. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021.
119 Seiten, 18 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
ist mühsam
Albert Ostermaier stellt der Dunkelheit des Daseins
trotzig hoffnungsvolle Gedichte entgegen
Auf dem mattschwarzen Cover steht in glänzenden, schwarzen Großbuchstaben das Wort „Teer“, man erwartet sich zwischen den Buchdeckeln also nicht ganz ohne Grund etwas eher Düsteres. Etwas, das lähmt und klebt, wie heißer Asphalt in einem viel zu kurzen Sommer. „Teer“ heißt der aktuelle Lyrikband des Dichters und Dramatikers Albert Ostermaier, er versammelt darin Gedichte, die zwischen 2016 und 2021 entstanden sind.
Ostermaier hat ein Faible für die Dunkelheit, nicht nur für die im übertragenen Sinne, sondern auch für die ganz physikalische, die Dunkelheit als Abwesenheit von Licht. Sie taucht als Motiv in vielen seiner Theaterstücken und Romanen auf, manchmal schon im Titel, etwa in seinem Roman „Schwarze Sonne scheine“ und gibt dabei den Startpunkt vor, von dem aus man als Lesende zu fühlen beginnen soll. Die Welt ist eine dunkle, aber auch, weil sich davor das Licht umso besser abzeichnen kann.
So ist dann das, was zwischen den Buchdeckeln von „Teer“ passiert, nicht annähernd so finster, wie das die Aufmachung vermuten lässt, zumindest nicht in letzter Konsequenz. „Teer“ ist der Zustand, dem sich der Dichter entgegenstemmt. Ein großes „Trotzdem“. Ja, die Zeiten sind schwierig, ABER!“. Ja, die Trennung schmerzt, Aber! Ja, Autor sein ist mühsam, aber! Ja, es herrscht immer noch Pandemie, aber lasst doch mal über die Zukunft reden. Vom Krieg in der Ukraine wusste Ostermaier beim Schreiben dieser Gedichte noch nichts, das muss man fairerweise dazu sagen, denn das Gedicht, welches er dazu vor Kurzem geschrieben und auch in der SZ veröffentlicht hat, lässt dann für den Moment zumindest doch deutlich weniger Hoffnung, sehr wenig Trotzdem zu.
Aber zurück zu „Teer“. In durchgehend kleingeschriebenen, punkt- und kommalosen Sätzen kreisen viele der Gedichte um die Dünnhäutigkeit der Liebe und den oft kläglichen Versuch, sich von einem eigentlich geliebten Menschen zu lösen. Im ersten Gedicht „comment est ta peine“, (übersetzt etwa: „wie geht es deinem Schmerz?“ übrigens gibt es einen schönen gleichnamigen Song von Benjamin Biolay) legt Ostermaier los: „der schmerz schmerzt nicht mehr nicht, der wind ist ein wind aber er kommt vom meer wie eine welle schlägt er mir ins gesicht mit glück“.
Das Meer, die Wellen (nicht die pandemischen, auch die buchstäblichen), der Sand, das sind wiederkehrende Motive. Er schreibt über den Trost, der im Schreiben liegt genauso wie über die gleichzeitige ungeheure Mühe, die es kostet. Es ist auch ein Corona-Lyrikband, eine Auseinandersetzung mit Ängsten und Sehnsüchten, die in der Zeit entstanden sind. Im Gedicht „gewichten“ dann konkret: „ich atme in die armbeuge aber ich lasse mich nicht brechen hinter vorgehaltener hand.“
Albert Ostermaier hat keine Angst davor, sich selbst ins Zentrum des beschriebenen Gefühls zu stellen. Seine Texte sind als unmittelbare Reaktionen auf die Welt zu lesen, die er erlebt. Befindlich ist das und sensibel, ja, aber nur an wenigen Stellen kitschig. Zumal hier einer am Werk ist, der auch uneitel Bezüge offenlegt und klar macht, wer ihn inspiriert. Immer wieder finden sich Verse, die mit anderen Werken Ostermaiers zu kommunizieren scheinen. Das Gedicht „Phädra schlaflos“ etwa beschreibt die unruhige Nacht der unglücklich Liebenden Phädra und erinnert an „Phädras Nacht“, eine Stückentwicklung für die Schauspielerin Bibiana Beglau am Münchner Residenztheater.
Überhaupt, das Theater. Daran hängt und leidet Ostermaier auch, vielleicht gerade während des Lockdowns, als die geschlossenen Theater anfingen, sich intensiv selbst zu befragen bis hin zur unangenehmen Nabelschau, unsicher, wo ihr Platz sein könnte in Zukunft. Im Gedicht „Spielplan“ toben Shakespeares Macbeth und Puck durch den Supermarkt, sitzt Falstaff im Biergarten, in „lichtzeichen“ aber grübelt Ostermaier: „das theater hat keine zukunft höre ich mich sagen“, „das theater ist die zurschaustellung des präsens.“
Dann wird er anklagend: „das theater ist rassistisch solang es nur vorgibt es nicht zu sein solang wir behaupten die besseren menschen zu sein die höhere moral zu haben statt die tiefere einsicht.“ Weiter: „die theater sind bleiben werden geschlossen wer sperrt sie wieder auf“. Doch am Ende folgt er auch da seinem eigenen Prinzip, vom Dunklen ins Helle zu blicken und beschwört er die Zukunft der Theatermacher: „wir müssen sie spüren und barfuss auf diesen brettern stehen und zu erzählen beginnen was das war die zukunft und wie wir sie zurückgewinnen.“ So viel Entschlossenheit wirkt anrühend.
Man kann es auch ganz kurz machen: Ostermaier ist Romantiker durch und durch. Die Hinwendung zur Natur, zum Gefühl als erweiterten Möglichkeitsraum über das Faktische hinaus, alles da. Sogar die Blaue Blume taucht auf, in einem Corona-Gedicht über ein Beatmungsgerät: „der himmel gestochen klar der äther eine blaue blume in der lunge warte nur balde ruhest auch du“, schreibt er in „der gipfel“ in Anlehnung an Goethes „Wandrers Nachtlied“. „aber bis dahin sei dankbar und schreibe es geht weiter.“ So ist es dann kein Zufall, dass das letzte Gedicht der Sammlung „hoffnung vielleicht“ heißt, ein angedeutetes Zögern, das für Ostermaier eigentlich keins ist.
CHRISTIANE LUTZ
Das Meer, die Wellen,
der Sand, das sind
wiederkehrende Motive
Das letzte Gedicht heißt
„hoffnung vielleicht“, ein
angedeutetes Zögern
Albert Ostermaier: Teer. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021.
119 Seiten, 18 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Ostermaier überführt ein Lebensgefühl zwischen Isolation, Sehnsucht und Aufbegehren in einen eingängigen Sound.« Antje Weber Süddeutsche Zeitung 20220228