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In den 120 Jahren seit seiner Erfindung hat das Automobil unser Leben gründlich verändert. Ob stinkende Benzinkutsche oder Statussymbol, ob Kraft-durch-Freude-Wagen oder High-Tech-Gefährt, ob umstrittene Erfindung oder Inbegriff des Wirtschaftswunders - die Deutschen haben zu jeder Zeit ein besonderes Verhältnis zum Automobil gehabt. Heute ist der Besitz eines Autos kein Privileg mehr, aber das Auto ist trotzdem kein beliebiger Allerweltsartikel geworden. Noch immer lassen sich Status, Reichtum oder Individualität mit dem richtigen Gefährt bestens ausdrücken und noch immer misst sich am Erfolg…mehr

Produktbeschreibung
In den 120 Jahren seit seiner Erfindung hat das Automobil unser Leben gründlich verändert. Ob stinkende Benzinkutsche oder Statussymbol, ob Kraft-durch-Freude-Wagen oder High-Tech-Gefährt, ob umstrittene Erfindung oder Inbegriff des Wirtschaftswunders - die Deutschen haben zu jeder Zeit ein besonderes Verhältnis zum Automobil gehabt.
Heute ist der Besitz eines Autos kein Privileg mehr, aber das Auto ist trotzdem kein beliebiger Allerweltsartikel geworden. Noch immer lassen sich Status, Reichtum oder Individualität mit dem richtigen Gefährt bestens ausdrücken und noch immer misst sich am Erfolg der deutschen Automobilindustrie das Selbstbewusstsein einer ganzen Nation. Zu den Tabus der Gesellschaftspolitik gehört weiterhin die freie Fahrt auf Autobahnen, obwohl auf den meisten Strecken längst ein Tempolimit gilt, und wie leidenschaftlich das Verhältnis zum Auto hierzulande noch immer ist, lässt sich täglich aufs Neue auf deutschen Straßen erfahren.
Aber nicht nur das Alltagsleben wurde von der Erfindung revolutioniert; das Automobil wurde seit seinen frühesten Anfängen zum Lieblingsobjekt von Malerei und Literatur, von Werbung und Film und hat seine zentrale Stellung trotz des vorzeitigen Abgesangs in Zeiten von Ölkrise, Umweltbewegung und drohendem Klimakollaps bis heute behauptet.

In seiner anregenden Kulturgeschichte des Autos unternimmt der Historiker und Publizist Bernd Ingmar Gutberlet einen Streifzug durch die sprichwörtlich bewegte Geschichte des Autos und erörtert seine Rolle in Kultur und Alltag. Entstanden ist eine vergnügliche Reise in zwanzig Kapiteln - voller Ansichten und Einsichten aus dem Leben des Automobils.
Autorenporträt
Bernd Ingmar Gutberlet studierte in Berlin und Budapest speziell mittelalterliche Geschichte und hat als Journalist, Lektor und Projektmanager im Kulturbereich gearbeitet. Der Autor lebt in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.11.2007

Fluchtfahrzeug für jedermann
Die Befreiung von der Enge der Tradition und des häuslichen Alltags: Bernd Ingmar Gutberlet erzählt die Geschichte des Autos, das so stark wie kein anderes Konsumgut die Lebensgestaltung verändert hat Von Andreas Zielcke
Liegt in dem geheimen Versprechen des Automobils, mit seiner Hilfe den Beklommenheiten und der erstickenden Nähe häuslicher und lokaler Vertraulichkeit zu entfliehen, seine eigentliche Suggestion, ja sein wirkungsmächtigster Zauber? Ist das Auto also nicht vor allem anderen dein Freund und Fluchthelfer? Marcel Proust jedenfalls hat, in einem seiner herrlichen Feuilletons im Figaro des Jahre 1907, diesen neuen technischen Fluchtweg des Eskapismus enthusiastisch gefeiert. „Diese bewundernswürdige Unabhängigkeit, die einem das Automobil verschafft . . . Jeder wird mich verstehen, der diese Freude kennt, wenn er, nachdem er lange gegen seine Seelenpein gekämpft hat und abends beim Hinaufsteigen in sein Zimmer, das Pochen seines Herzens niederringend, sich die Freiheit nimmt, innezuhalten und sich zu sagen: ‚Sei’s drum, ich werde nicht weiter hinaufsteigen . . . drunten steht das Auto bereit‘, um mit diesem dann nächtlich zu enteilen und alle Orte, in denen ihn die Bedrückung quälte, die er unter jedem kleinen schlafenden Dach vermutet, hinter sich zu lassen und unerkannt ihrem schädlichen Dunstkreis zu entkommen.”
Selbstverständlich konnten sich zumindest die Begüterten, denen ein Pferd oder eine Kutsche und eine Reisekasse zur Verfügung stand, schon vor dem Aufkommen des Automobils auf und davon machen und ihre räumliche Beweglichkeit und Freiheit genießen. Aber mit einem Schlag hatte sich diese uralte Freiheit in schnaufende und knarzende Umständlichkeit und unendliche Trägheit verwandelt. Und diese erniedrigende Abhängigkeit von Kutschern, Tieren und eigenen Füßen! Unabhängigkeit, die sich mit dem Starten des Motors buchstäblich im Handumdrehen anbot, erschien plötzlich wie eine Erlösung.
In der Tat, seine Fahrgäste in wenigen Augenblicken in eine anderen Horizont zu versetzen, weit hinter die Verbindlichkeiten des täglichen Daseins, versüßt zudem mit allen Vorzügen des leichten Wechsels zwischen anonymem Dahinziehen oder persönlicher Inszenierung, das war die wundersame Potenz des Wagens mit Explosivmotor. Tausende von Explosionen pro Minute sprengten den Weg in die Welt frei. Natürlich zerstörten sie zugleich jedes Geheimnis der Ferne.
Bernd Ingmar Gutberlets Buch darüber, „wie uns das Auto verändert hat”, berichtet von diesen verlorenen Geheimnissen nichts, erzählt auch nicht von Prousts – und unser aller – Phobie gegen die Enge des lokalen Lebens. Trotzdem ist es instruktiv, wie er noch einmal die Geschichte des Automobils und seines Einflusses auf die heutige Lebenswelt Revue passieren lässt – noch einmal, weil diese Geschichte geschrieben wird, seitdem das Auto im ausgehenden 19. Jahrhundert in den Alltag trat. Schwer zu sagen, ob es eine andere moderne Konsumtechnik gibt, die von einer derart extensiven Beschreibung und Kommentierung begleitet wird wie das Auto. Es scheint, als sei es mit seiner Mixtur aus dahinschießender Leichtigkeit und eiserner Brutalität noch immer nicht zu fassen, obwohl man ihm doch so viel Gewalt über die Lebensgestaltung einräumt.
Wie sehr das Auto kulturelle Differenzen nicht nivelliert, sondern akzentuiert, zeigt schon die erste Phase seiner Entwicklung. Die Deutschen, vor allem Otto, Daimler, Benz und Diesel, ragten als die entscheidenden Erfinder des Fahrzeugs mit eigenem Kraftstoffantrieb heraus. Doch beim Durchsetzen, Vermarkten, Popularisieren des neuen Vehikels versagten sie, hier waren die Franzosen wesentlich konsequenter und weitsichtiger. Sie erwarben von Daimler und Benz Lizenzen, entwickelten komfortable Luftreifen (Michelin) und sorgten für die zu allererst nötige Infrastruktur – Straßen, Tankstellen, Werkstätten- und Reiseführer. Das zentralistische französische Denken sah die Gesamtanforderung, das deutsche verlor sich, wenn auch noch so brillant, im technischen Detail.
Vor allem aber spürten die Franzosen sogleich, dass sich ein epochaler Wandel anbahnt, der mit einem Mentalitätswandel einhergehen müsse. Werbung wurde zum integralen Faktor des automobilen Erscheinungsbildes. Erst mit seiner künstlich geschaffenen Aura, mit seiner Inszenierung, die sich von Hubraum, Lärm, Öl, Schmiere und Anlasserproblemen löst und seinen Besitzer mit einem gesellschaftlichen, narzisstischen und ästhetischen Überschuss versorgt, wurde das Auto zum Auto. Von seinem Image ist es seither nicht mehr zu trennen.
Kein Zufall, dass für diese Inszenierung progressiver und aufregender Selbstdefinitionen ein neues Frauenbild hinzukam, beginnend in der Belle Epoque. Junge modische Frauen mit selbstbewusster Grazie am Steuer eines Automobils bei der Fahrt durch den Bois de Boulogne – hier trafen sich technische und emanzipatorische Vision weit vor ihrer Realisierung und doch im richtigen historischen Moment, um einen neuen Lebensstil sehr souveränen und sehr verführerischen Typs zu entwerfen. Später sandten Frauen wie Tamara de Lempicka oder Marlene Dietrich ihre raffinierte, kühle erotische Botschaft nur allzu gern im Fahrtwind einer mondänen Karosse aus. Spätestens seitdem ist Erotik auch ein Medium verfeinerter technischer Potenz und Geschwindigkeit.
Was aber den Massenmarkt betraf, waren die Vereinigten Staaten den Europäern im Nu um mehr als eine Generation voraus. Während die Deutschen noch bis weit in die zwanziger Jahre das Auto mit Vorliebe als technisch ambitioniertes Luxusgefährt für Herrenfahrer konzipierten, hatten Ford und dann auch seine heimischen Konkurrenten längst das Fließband und den Massenmarkt etabliert.
Kläglich sind bis dahin in Deutschland jedoch nicht nur die Autobauer an dem immer wieder neu belebten Versuch gescheitert, einen „Volkswagen” zu konstruieren und unter eben dieses Volk zu bringen (mit Ausnahmen wie dem ziemlich erfolgreichen „Laubfrosch” von Opel). Kläglich ist vielmehr nachher auch Hitler gescheitert, obwohl er von Anfang an mit größter Energie daran ging – seine erste Amtshandlung war die Eröffnung einer Autoausstellung, auf der er eine programmatische Rede über die Motorisierung des kleinen Mannes hielt. Nicht zuletzt an diesem Fehlschlag kann man nachvollziehen, um wie viel eher eine Diktatur zu gewaltigen destruktiven Leistungen fähig ist als zu konstruktiven. Zwölf Jahre wurde mit riesigem Aufwand das Projekt des Volkswagens verfolgt, eine eigene Stadt, Wolfsburg (damals noch „Stadt des KdF-Wagens”), wurde gebaut, und doch kam die Produktion erst nach dem Kriege zustande. Ausgerechnet Deutschland brachte es nicht zur automobilen „Masse”.
Erst die Nachkriegszeit, das macht Gutberlet bei aller episodischen Erzählweise anschaulich, hat den deutschen Erfolg, darüberhinaus aber jene Überfülle technischer und marktkonformer Fortentwicklungen hervorgebracht, deren Merkmale den heutigen Verkehrsalltag weltweit prägen. Im Moment halten sich fortdauernde Faszination und zunehmendes automobiles Krisenbewusstsein wohl noch die Waage, auch wenn schon der Faszination selbst immer mehr Spurenelemente von Trotz und Verdrängung beigemischt sind.
Der heutige Massenmarkt hat mit seiner früheren schlichten Form nur wenig gemein, listig hat er das Paradox eines jedermann zugänglichen ästhetischen und sozialen Distinktionsgewinns bei der Auswahl des Autos durchgesetzt – anders darum auch als zu Prousts Zeiten, in denen die sozialen Eliten noch unter sich waren. Noch immer jedoch lockt der tiefe Traum, sich mit dem Auto von den Bedrängnissen des Hier und Jetzt abzusetzen. Wohin aber nur? Längst versperrt das Auto selbst den Fluchtweg, den es so unbeirrbar zu öffnen verspricht.
Bernd Ingmar Gutberlet
Tempo!
Wie uns das Auto verändert hat.
WJS Verlag, Berlin 2007. 329 Seiten, 24,90 Euro.
Die Deutschen sahen noch bis in die Zwanziger das Auto als Luxusgefährt für Herrenfahrer
Ohne die souveränen Frauen am Steuer – hier die Filmschauspielerin Betty Compson, 1921 – wäre das Auto nie attraktiv und nie populär geworden. Foto: Scherl
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Zufrieden zeigt sich Rezensent Andreas Zielcke mit dieser Geschichte des Autos. Auch wenn es wahrlich nicht die erste ist, scheint ihm Gutberlets Arbeit recht aufschlussreich. Eingehend rekapituliert Zielcke die Anfänge der technischen Entwicklung des Autos in Deutschland, berichtet über die Popularisierung und Vermarktung in Frankreich, über die Inszenierung des Autos und die Erschaffung eines Images sowie über den ersten Massenmarkt in den USA. Zwar scheint ihm die Erzählweise des Autors ein wenig "episodisch". Dennoch macht er in seinen Augen deutlich, wie stark dieses moderne Konsumgut unsere Lebenswelt verändert hat.

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