Eine Bar ist vielleicht nicht der beste Ort für ein Kind, aber bei weitem nicht der schlechteste. Vor allem das »Dickens« nicht, mit seinen warmherzigen und skurrilen Figuren: Smelly, der Koch, Bob the Copund seine geheimnisvolle Vergangenheit oder Cager, der Vietnam-Veteran. Für den kleinen JR sind sie alle bessere Väter als seiner - wäre er da gewesen. Von ihnen lernt er Mut, Zuversicht und die Gewissheit, dass es nicht nur Gut und Böse gibt, dass Bücher Berge versetzen können und das man an gebrochenem Herzen nicht stirbt. In der Bar hört er zum ersten Mal Sinatra, sieht Baseballspiele im Fernsehen, und trinkt sein erstes Bier. Er lernt auch, dass Träume wahr werden können - wenn man für sie kämpft.»Komisch, ehrlich, traurig und lebensnah - JR Moehringer schreibt unwiderstehlich.« Vanity Fair
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2007Das Leben ist ein langer Tresen
J. R. Moehringer sitzt an der "Tender Bar" / Von Peter Körte
Das Leben ist kein Roman, aber man kann natürlich von ihm erzählen, als wäre es einer, und auch wenn ein Schriftsteller dabei seine Biographie als Rohmaterial benutzt, bleibt es doch ein Stück Fiktion. Insofern ist J. R. Moehringers in Amerika hochgelobtes Buch "Tender Bar" offenbar ein klarer Fall. Doch sobald man genau hinschaut, hat das Buch im Original auf einmal den Zusatz "A Memoir" - womit der deutsche Verlag nicht zufrieden war und deshalb einfach "Roman" hinter den Titel setzte. Und wenn man auch nicht wie das Einwohnermeldeamt prüfen will, wie viele Ichs das Buch denn nun bewohnen, so sollte man es doch ernst nehmen, dass Moehringer eben auch davon erzählt, wie er daran scheiterte, einen "Schlüsselroman" über die Bar zu schreiben.
"Tender Bar" ist eine Coming-of-age-Geschichte, die 1972 in dem kleinen Ort Manhasset auf Long Island beginnt und im Grunde eine buchlange Reportage ist, die im eigenen Leben recherchiert, wie es der 1964 geborene Moehringer selber gelernt hat, der als Reporter der "Los Angeles Times" in Denver lebt und für eine seiner Arbeiten bereits einen Pulitzer-Preis gewonnen hat. Er ist das vaterlose Kind John Joseph junior, das in der Bar viele Väter findet, von denen keiner dem entspricht, was eine amerikanische Fernsehserie als sittlich einwandfreies Oberhaupt akzeptieren würde. Er schweigt nicht über deren Schwächen, aber er porträtiert sie voller Milde, Zuneigung und Dankbarkeit: Onkel Charlie, den Cocktailmixer und Zocker, der dem Jungen immer wie ein Doppelgänger von Humphrey Bogart in Rick's Café Américain erscheint; Bob, den Cop; Colt, Bobo und all die anderen, die Spitznamen tragen, welche ihnen Steve, der Besitzer, verliehen hat. Und ganz gleich, ob er von fragmentierten Familien erzählt oder von den Großeltern, in deren ramponiertem Haus er den Großteil seiner Kindheit verbringt, von Baseball und erster Liebe, von Yale oder von einem ernüchternden Volontariat bei der "New York Times" - der nächste Weg führt immer an die Theke.
Moehringer hat die Dosis Ironie, die es braucht, wenn man von einer Bar "in einer schwer trinkenden Stadt" erzählt, die dem Kind und dem jungen Mann als verlorenes Paradies erscheint. Die Bar, die erst "Dickens" hieß und dann "Publicans", gibt es längst nicht mehr, aber sie ist ein Fluchtpunkt der Sehnsucht und der Erinnerung geblieben, wie es das "American Diner" war in Barry Levinsons Film: ein Ort, an dem sich eine Jugend verdichtet, 142 Schritte von zu Hause entfernt - und auf dem Rückweg auch schon mal 170, wenn der Heimkehrer zickzack lief.
Tender Bar" ist eine Erziehung nicht nur des Herzens, sondern auch der Leber, die irgendwann den Kalenderspruch bemüht, dass Erwachsenwerden wie Nüchternwerden sei und umgekehrt - was insofern plausibel ist, als J.R., wenn er so weitergetrunken hätte wie als junger Mann, kaum noch in der Lage gewesen wäre, dieses Buch zu schreiben. Das Erstaunliche ist, dass man Moehringer seine oft arg simplen Weisheiten nachsieht, und das hat dann doch damit zu tun, dass es sich nicht um einen Roman handelt. Es ist etwas anderes - eine Figur, die wie der Autor heißt und Lebensweisheiten in den Mund gelegt bekommt, oder der Autor selber, der ohne Masken und Mundstücke spricht.
Moehringer macht sich nicht im Nachhinein klüger, er muss auch nicht mit Filmen, Büchern und Platten seine Zeitgenossenschaft dekorieren; er hat sich den Glauben an die schlichten Lebensregeln und die Macht des großen Augenblicks bewahrt, wenn J.R.s Tränen pünktlich an Vaters Grab strömen oder er beim Blick in den Spiegel auf einer Flughafentoilette bemerkt, dass seine Illusionen dahin sind. In einem Roman würde man solche Szenen als ziemlich abgestanden empfinden; in dieser Art Prosa lässt man sie durchgehen. Was wiederum nicht heißt, dass Moehringer einfach draufloserzählte. Da ist ein Gespür für Pointen und Dramaturgie, für die Untrennbarkeit von Komik und Rührung, wenn er von seinem ersten Mal berichtet, als er die Kondome vergessen hatte, mit dem Auto durch die Nacht raste, um welche zu holen, die Freundin kaum wiederfand, um hinterher mit dem ganzen Weltschmerz eines Siebzehnjährigen zu seufzen: "Ich blickte über das Tal, die vielen Lichter, die vielen Häuser, die vielen Fenster, in die ich als Junge gespäht hatte. Endlich ließ mich jemand rein."
Solche leicht und sicher erzählten Passagen entschädigen einen für gewisse Merksätze, obwohl man es schon für ziemlich prätentiös halten kann, dass J.R. nach dem 11. September, an dem auch Menschen aus seinem Heimatort starben, räsoniert, Manhasset sei nun "eine Stadt voller vaterloser Kinder". "Tender Bar" ist also eher ein lesenswertes Lebensabschnittsbuch als ein Roman, und wenn man es als solches liest, dann kommen auch seine literarischen Qualitäten besser in den Blick: Es erzählt einfach eine Geschichte, wie man sie in einer langen Nacht am Tresen einer Bar zu hören bekommen kann, ohne den Erzähler deshalb gleich für den kommenden Romancier zu halten.
J.R. Moehringer: "Tender Bar". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Brigitte Jakobeit. Verlag S. Fischer, Frankfurt 2007. 459 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
J. R. Moehringer sitzt an der "Tender Bar" / Von Peter Körte
Das Leben ist kein Roman, aber man kann natürlich von ihm erzählen, als wäre es einer, und auch wenn ein Schriftsteller dabei seine Biographie als Rohmaterial benutzt, bleibt es doch ein Stück Fiktion. Insofern ist J. R. Moehringers in Amerika hochgelobtes Buch "Tender Bar" offenbar ein klarer Fall. Doch sobald man genau hinschaut, hat das Buch im Original auf einmal den Zusatz "A Memoir" - womit der deutsche Verlag nicht zufrieden war und deshalb einfach "Roman" hinter den Titel setzte. Und wenn man auch nicht wie das Einwohnermeldeamt prüfen will, wie viele Ichs das Buch denn nun bewohnen, so sollte man es doch ernst nehmen, dass Moehringer eben auch davon erzählt, wie er daran scheiterte, einen "Schlüsselroman" über die Bar zu schreiben.
"Tender Bar" ist eine Coming-of-age-Geschichte, die 1972 in dem kleinen Ort Manhasset auf Long Island beginnt und im Grunde eine buchlange Reportage ist, die im eigenen Leben recherchiert, wie es der 1964 geborene Moehringer selber gelernt hat, der als Reporter der "Los Angeles Times" in Denver lebt und für eine seiner Arbeiten bereits einen Pulitzer-Preis gewonnen hat. Er ist das vaterlose Kind John Joseph junior, das in der Bar viele Väter findet, von denen keiner dem entspricht, was eine amerikanische Fernsehserie als sittlich einwandfreies Oberhaupt akzeptieren würde. Er schweigt nicht über deren Schwächen, aber er porträtiert sie voller Milde, Zuneigung und Dankbarkeit: Onkel Charlie, den Cocktailmixer und Zocker, der dem Jungen immer wie ein Doppelgänger von Humphrey Bogart in Rick's Café Américain erscheint; Bob, den Cop; Colt, Bobo und all die anderen, die Spitznamen tragen, welche ihnen Steve, der Besitzer, verliehen hat. Und ganz gleich, ob er von fragmentierten Familien erzählt oder von den Großeltern, in deren ramponiertem Haus er den Großteil seiner Kindheit verbringt, von Baseball und erster Liebe, von Yale oder von einem ernüchternden Volontariat bei der "New York Times" - der nächste Weg führt immer an die Theke.
Moehringer hat die Dosis Ironie, die es braucht, wenn man von einer Bar "in einer schwer trinkenden Stadt" erzählt, die dem Kind und dem jungen Mann als verlorenes Paradies erscheint. Die Bar, die erst "Dickens" hieß und dann "Publicans", gibt es längst nicht mehr, aber sie ist ein Fluchtpunkt der Sehnsucht und der Erinnerung geblieben, wie es das "American Diner" war in Barry Levinsons Film: ein Ort, an dem sich eine Jugend verdichtet, 142 Schritte von zu Hause entfernt - und auf dem Rückweg auch schon mal 170, wenn der Heimkehrer zickzack lief.
Tender Bar" ist eine Erziehung nicht nur des Herzens, sondern auch der Leber, die irgendwann den Kalenderspruch bemüht, dass Erwachsenwerden wie Nüchternwerden sei und umgekehrt - was insofern plausibel ist, als J.R., wenn er so weitergetrunken hätte wie als junger Mann, kaum noch in der Lage gewesen wäre, dieses Buch zu schreiben. Das Erstaunliche ist, dass man Moehringer seine oft arg simplen Weisheiten nachsieht, und das hat dann doch damit zu tun, dass es sich nicht um einen Roman handelt. Es ist etwas anderes - eine Figur, die wie der Autor heißt und Lebensweisheiten in den Mund gelegt bekommt, oder der Autor selber, der ohne Masken und Mundstücke spricht.
Moehringer macht sich nicht im Nachhinein klüger, er muss auch nicht mit Filmen, Büchern und Platten seine Zeitgenossenschaft dekorieren; er hat sich den Glauben an die schlichten Lebensregeln und die Macht des großen Augenblicks bewahrt, wenn J.R.s Tränen pünktlich an Vaters Grab strömen oder er beim Blick in den Spiegel auf einer Flughafentoilette bemerkt, dass seine Illusionen dahin sind. In einem Roman würde man solche Szenen als ziemlich abgestanden empfinden; in dieser Art Prosa lässt man sie durchgehen. Was wiederum nicht heißt, dass Moehringer einfach draufloserzählte. Da ist ein Gespür für Pointen und Dramaturgie, für die Untrennbarkeit von Komik und Rührung, wenn er von seinem ersten Mal berichtet, als er die Kondome vergessen hatte, mit dem Auto durch die Nacht raste, um welche zu holen, die Freundin kaum wiederfand, um hinterher mit dem ganzen Weltschmerz eines Siebzehnjährigen zu seufzen: "Ich blickte über das Tal, die vielen Lichter, die vielen Häuser, die vielen Fenster, in die ich als Junge gespäht hatte. Endlich ließ mich jemand rein."
Solche leicht und sicher erzählten Passagen entschädigen einen für gewisse Merksätze, obwohl man es schon für ziemlich prätentiös halten kann, dass J.R. nach dem 11. September, an dem auch Menschen aus seinem Heimatort starben, räsoniert, Manhasset sei nun "eine Stadt voller vaterloser Kinder". "Tender Bar" ist also eher ein lesenswertes Lebensabschnittsbuch als ein Roman, und wenn man es als solches liest, dann kommen auch seine literarischen Qualitäten besser in den Blick: Es erzählt einfach eine Geschichte, wie man sie in einer langen Nacht am Tresen einer Bar zu hören bekommen kann, ohne den Erzähler deshalb gleich für den kommenden Romancier zu halten.
J.R. Moehringer: "Tender Bar". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Brigitte Jakobeit. Verlag S. Fischer, Frankfurt 2007. 459 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als Roman möchte Peter Körte das Buch eigentlich nicht lesen, lieber als Kneipenstory. Den Zusatz "a memoir", der das Buch im Original ziert, den der deutsche Verlag aber wegließ, vermisst er. Als ironisch überzuckerte "buchlange Reportage" aus dem eigenen Leben nämlich funktioniert J. R. Moehringers "Tender Bar" für Körte durchaus. In einem Roman dagegen hätte er die vorgetragenen so simplen wie augenscheinlich alkoholseligen Weisheiten schnell für abgestanden gehalten, das dem Autor zugestandene "Gespür für Pointen und Dramaturgie" hin oder her. Verstanden als "lesenswertes Lebensabschnittsbuch" zeigt das Buch sogar literarische Klasse, wenn auch von der eher bodenständigen Sorte: "Es erzählt einfach eine Geschichte".
© Perlentaucher Medien GmbH
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ganz nah erzählt, bewegend, berührend, dramatisch und komisch zugleich. Eine unwiderstehliche Mischung. Westdeutscher Rundfunk, WDR 5 (Bücher) 202310