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Zeit, dass Polizei und Justiz aufwachen!
In Deutschland hat man sich an Zustände gewöhnt, an die man sich niemals gewöhnen darf: Jüdische Schulen müssen von Bewaffneten bewacht werden, jüdischer Gottesdienst findet unter Polizeischutz statt, Bedrohungen sind alltäglich. Der Staat hat zugelassen, dass es so weit kommt - durch eine Polizei, die diese Gefahr nicht effektiv abwehrt, sondern verwaltet; durch eine Justiz, die immer wieder beschönigt.
Der jüdische Autor Ronen Steinke, selbst Jurist, ist durch Deutschland gereist und erzählt von jüdischem Leben im Belagerungszustand. Er trifft
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Produktbeschreibung
Zeit, dass Polizei und Justiz aufwachen!

In Deutschland hat man sich an Zustände gewöhnt, an die man sich niemals gewöhnen darf: Jüdische Schulen müssen von Bewaffneten bewacht werden, jüdischer Gottesdienst findet unter Polizeischutz statt, Bedrohungen sind alltäglich. Der Staat hat zugelassen, dass es so weit kommt - durch eine Polizei, die diese Gefahr nicht effektiv abwehrt, sondern verwaltet; durch eine Justiz, die immer wieder beschönigt.

Der jüdische Autor Ronen Steinke, selbst Jurist, ist durch Deutschland gereist und erzählt von jüdischem Leben im Belagerungszustand. Er trifft Rabbinerinnen und Polizisten, konfrontiert Staatsschützer, Geheimdienstler und Minister mit dem Staatsversagen. Viel muss sich ändern in Deutschland. Was zu tun wäre, erklärt dieses Buch.
Autorenporträt
Ronen Steinke ist Investigativ-Reporter der 'Süddeutschen Zeitung'. Der promovierte Jurist recherchiert seit Jahren zu Extremismus und Terrorismus. Zuletzt erschien sein Buch 'Der Muslim und die Jüdin. Die Geschichte einer Rettung in Berlin' (2017) sowie seine Biografie über Fritz Bauer, den mutigen Ermittler und Ankläger der Frankfurter Auschwitz-Prozesse, die mit 'Der Staat gegen Fritz Bauer' preisgekrönt verfilmt und in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Ronen Steinke lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.2020

Hinter dem Antizionismus lauert der Hass
Gemeindeleben im Belagerungszustand: Ronen Steinke fordert mehr und anderes staatliches Eingreifen im Kampf gegen antijüdische Gewalt

Einen Monat nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019, bei dem nur eine stabile Holztür verhinderte, dass ein rechtsextremistischer Attentäter ein Massaker unter den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde anrichtete, sagte Innenminister Seehofer, es gelte, entschieden gegen antisemitische Gewalt und Hetze vorzugehen, "ganz gleich, aus welcher Richtung sie kommt". Für ein "lebendiges und unbeschwertes jüdisches Leben in Deutschland" müssten Staat und Gesellschaft noch enger als bisher zusammenwirken, forderte Seehofer unter Hinweis auf ein gerade beschlossenes "Sicherheitspaket".

"Unbeschwertes jüdisches Leben in Deutschland", das zeigt der als Jurist ausgebildete Journalist Ronen Steinke, hat es in der Bundesrepublik freilich nie gegeben. Die im Anhang seines Buches abgedruckte, hundert Seiten umfassende "Chronik antisemitischer Gewalttaten" beginnt 1945 (!) mit drei Grabschändungen und endet im Januar 2020, als vor dem Eingang einer KZ-Gedenkstätte ein Paket mit einem Sprengsatz niedergelegt wurde. Schon das Erstellen der Chronik ist angesichts der Quellenlage eine Leistung; es ist zu befürchten, dass, wie Steinke in seinem Buch zeigt, das "Dunkelfeld" groß ist.

Jüdische Gemeinden und ihre Vertreter brauchen seit jeher Polizeischutz, der allerdings, wie in Halle, oft unzureichend ist. So sind viele Gemeinden gezwungen, zusätzlich Sicherheitsdienste zu engagieren, die sie selbst bezahlen. Jüdische Kinder werden in gesicherten Bussen zur Schule gefahren, die Gemeindezentren und Synagogen müssen durch elektronische Kontrollen abgesichert werden. "Judentum in Deutschland, das ist heute Religionsausübung im Belagerungszustand", resümiert Steinke.

Der erste Mord gegen einen Vertreter der deutschen Juden geschah in Erlangen, im Dezember 1980, als Shlomo Lewin, der Vorsitzender der jüdischen Gemeinde gewesen war, und seine Frau Frida Poeschke erschossen wurden. Die Ermittlungen erinnern Steinke an die späteren Vorgänge bei der Aufklärung der NSU-Mordserie: Lange wurde mit peinlichen und beschämenden Unterstellungen im Umfeld der Opfer nach Verdächtigen gesucht. Erst nach acht Monaten wurde ein Haftbefehl gegen ein Mitglied der rechtsextremistischen "Wehrsportgruppe Hoffmann" erlassen; der Mann war da schon längst in einem palästinensischen Ausbildungslager im Libanon untergetaucht.

1984 verlief ein Prozess gegen Hoffmann selbst als mutmaßlichen Anstifter der Tat mangels Beweisen im Sand. Das sind Muster, die sich in vielen Fällen, über die Steinke berichtet, wiederholen. Einseitige Polizeiarbeit, Ermittlungen, die auf "Einzeltäter" gerichtet sind, dann Gerichtsurteile, die, solange es nicht um schwerste Straftaten geht, erstaunlich mild ausfallen. Erst vor kurzem haben die Sicherheitsbehörden das Paradigma vom "Einzeltäter" aufgegeben und gehen von rechtsextremistischen Netzwerken aus. Die Erkenntnis, dass sie heute die größte Gefahr darstellen, setzte sich letztlich erst 2019 nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch.

Neben Netzwerken rechtsextremistischer Antisemiten hat sich in den vergangenen Jahren eine "Neue Rechte" formiert, etwa in der "Identitären Bewegung" und in der AfD, die sogar eine Gruppierung "Juden in der AfD" hat. Für Steinke ist das nur ein Tarnmanöver: "Man beteuert gewissermaßen, dass man stubenrein sei, und man erleichtert es bürgerlichen Vielleicht-Wählern, ihren Ressentiments gegen andere Minderheiten - in erster Linie Muslime - freieren Lauf zu lassen. Juden kommt in diesem Spiel nur die Rolle der nützlichen Idioten zu." Was da in Wirklichkeit gedacht wird, zeigen die geschichtsrevisionistischen Bemerkungen der Höckes ("Mahnmal der Schande") und Gaulands ("Fliegenschiss"), deren antisemitische Untertöne nur überhören kann, wer sich taub stellt.

Ausführlich beschreibt Steinke den linken Antisemitismus in der Nachfolge des "antiimperialistischen Kampfes" der 68er-Bewegung. Dabei schildert er die üble Rolle, die der "Kommunarde" Dieter Kunzelmann spielte, den die Grünen-Abgeordneten Ströbele und Trittin als einen der Ihren ansahen. Heute tarnt sich dieser Antisemitismus als Kampf gegen einen angeblich "faschistischen Zionismus"; er entzündet sich immer wieder neu am Nahost-Konflikt, in dem Juden als Täter, Palästinenser als Opfer fungieren. Was immer man von der Politik der israelischen Regierung halten mag, die durchaus kritikwürdig ist: Mit Recht weist Steinke darauf hin, dass diese nicht von den Juden in Deutschland bestimmt oder gar verantwortet wird. Er hält es mit Jean Améry, der einmal schrieb, dass der "Antizionismus den Antisemitismus" enthalte, "wie die Wolke den Regen".

Den muslimischen oder islamistischen Antisemitismus behandelt Steinke unter der Überschrift "Kulturrabatt". Das illustriert er an dem Urteil eines Wuppertaler Gerichts über Täter, die einen Brandanschlag auf die dortige Synagoge verübt hatten. Der Richter erkannte zwar an, dass die Brandstifter ihre Wut über Vorgänge in Israel an deutschen Juden ausgelassen hätten, sah darin aber keine Diskriminierung, weil die Brandstifter mit ihrer Tat "die Aufmerksamkeit auf den israelisch-palästinensischen Konflikt" hätten richten wollen. Die Wuppertaler Juden werden sich über diese Begründung für das milde Strafmaß bedankt haben.

Was sich ändern muss, fasst Steinke in vier Punkten zusammen. Sogenannte "hate crimes" müssten härter bestraft werden; rassistische oder antisemitische Motive der Täter müssten strafrechtlich genau so behandelt werden wie etwa Habgier. Wenn Richter wie im Wuppertaler Fall auf die Argumentation der Täter eingingen und aus deren "Betroffenheit" über den Nahostkonflikt einen mildernden Umstand konstruierten, sei dies abwegig. Drittens kritisiert Steinke auch rechtsextreme Seilschaften in den Sicherheitsbehörden. Auch das ist erst vor kurzem in den Fokus der Politik geraten - zuletzt auch mit Blick auf die Bundeswehr. Schließlich fordert er, dass der deutsche Staat seiner Grundfunktion der Gefahrenabwehr nachkommen und die Kosten für den Schutz jüdischer Einrichtungen übernehmen müsse.

Diese Forderungen sind berechtigt und bedrückend zugleich: Sie zeigen, dass der Autor nicht daran glaubt, dass sich der gesellschaftlich tief verwurzelte Antisemitismus ausreißen lassen wird. Da helfen auch Symboldebatten über den Begriff "Rasse" im Grundgesetz nichts.

GÜNTHER NONNENMACHER

Ronen Steinke: "Terror

gegen Juden". Wie

antisemitische Gewalt

erstarkt und der Staat

versagt. Eine Anklage.

Berlin Verlag,

Berlin / München 2020.

256 S., br., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Dass Antisemitismus kein Randphänomen und Übergriffe auf jüdische Menschen in Deutschland keine Einzelfälle sind, führt Ronen Steinke der Rezensentin Hannah Bethke eindrucksvoll vor Augen. Sie erinnert an eine Vielzahl antisemitischer Anschläge von Links und Rechts. Die gegenwärtige Debatte um die Boykottbewegung BDS oder die Abgrenzung des Antisemitismus von der Israelkritik spricht sie in ihrer kurzen Kritik an, sagt aber nicht, inwiefern sich Steinke dazu äußert. Dem wichtigen und eindringlichen Buch hätte allerdings ein gründlicheres Lektorat und etwas mehr sprachliche Eleganz gut getan, meint Bethke.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Steinke zeigt schonungslos auf, dass Antisemitismus kein Randproblem der Gesellschaft ist.« Deutschlandfunk Kultur "Studio 9" 20200817