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Moskau 1937: Die sowjetische Metropole auf dem Höhepunkt der stalinistischen Diktatur. In einem Orkan der Gewalt geht eine Gesellschaft vollständig zugrunde. Karl Schlögel rekonstruiert Monat für Monat, wie sich der Terror eines Notstandsregimes zum "Großen Terror" steigerte, dem binnen eines Jahres anderthalb Millionen Menschen zum Opfer fielen. Doch damit ist noch nicht die ganze Geschichte erzählt: Im Schatten des Terrors will das Regime um Stalin eine neue Gesellschaft aufbauen. Gestützt auf zahllose Dokumente, vergegenwärtigt Schlögel in seinem historischen Meisterwerk eine Zeit, in der Terror und Traum fließend ineinander übergingen.…mehr

Produktbeschreibung
Moskau 1937: Die sowjetische Metropole auf dem Höhepunkt der stalinistischen Diktatur. In einem Orkan der Gewalt geht eine Gesellschaft vollständig zugrunde. Karl Schlögel rekonstruiert Monat für Monat, wie sich der Terror eines Notstandsregimes zum "Großen Terror" steigerte, dem binnen eines Jahres anderthalb Millionen Menschen zum Opfer fielen. Doch damit ist noch nicht die ganze Geschichte erzählt: Im Schatten des Terrors will das Regime um Stalin eine neue Gesellschaft aufbauen. Gestützt auf zahllose Dokumente, vergegenwärtigt Schlögel in seinem historischen Meisterwerk eine Zeit, in der Terror und Traum fließend ineinander übergingen.
Autorenporträt
Karl Schlögel, Jahrgang 1948, hat an der Freien Universität Berlin, in Moskau und Leningrad Philosophie, Soziologie, Osteuropäische Geschichte und Slawistik studiert. Bis 2013 lehrte er als Professor für Osteuropäische Geschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. 2016 erhielt er für Terror und Traum (Hanser, 2008) den Preis des Historischen Kollegs. Er lebt in Berlin. Bei Hanser erschienen zuletzt: Der Duft der Imperien. "Chanel No 5" und "Rotes Moskau" (2020), Entscheidung in Kiew. Ukrainische Lektionen (NA 2022) und American Matrix (2023).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2008

Stalin bekämpfte seine Angst

Mit "Traum und Terror" ist Karl Schlögel ein Buch gelungen, das mit Fug und Recht als herausragend unter allen neueren Werken der Geschichtsschreibung zu loben ist.

Von Michael Jeismann

Keine Menschen, keine Probleme" - in den Jahren 1937 und 1938 machte Stalin seinen absurden Ausspruch in einem bis dahin unvorstellbarem Maß an kalter, administrativer Brutalität zum praktischen Programm. Das geschah nicht allein in den Schauprozessen, in denen die Elite der Kommunistischen Partei sich in "Selbstkritik" erst selbst verurteilte, bevor sie dann abgeurteilt und hingerichtet wurde. Vielmehr wurde in der ganzen Sowjetunion eine Massentötung nach Quoten vollstreckt, systematisch und befördert durch subalternen Fleiß, der sich für das Absurde nie zu schade ist.

Grotesk in der pedantisch-bürokratischen Durchführung ohne Realitätsbezug in Anklage oder Beweisführung, voller körperlicher und seelischer Grausamkeiten verlief dieser systematische Irrsinn. Ganze Familien wurden nach allgemeinen Täterprofilen abtransportiert, für schuldig befunden - wofür auch immer - und massakriert. Am Stadtrand von Moskau, auf dem Schießplatz von Butowo, töteten Mitarbeiter des NKWD zwischen 100 und über 500 Menschen täglich, mit Genickschuss oder anders. Insgesamt wurden allein zwischen August 1937 und Oktober 1938 annähernd zwanzigtausend Männer und mehr als achthundert Frauen auf diese Weise umgebracht.

Auch wer gar nichts tat, lebte in jedem Moment gefährlich.

Eine der zentralen Gestalten dieses Dauermordens war der spätere General Blochin, ein als fröhlich geltender Mann, der sich für die Erschießungen wie ein Metzger anzog, mit brauner Gummischürze und Gummistiefeln. Ein Eimer Wodka war die Tagesration dieser ganz speziellen Scharfrichter. Wer hier umgebracht wurde, hatte in der Regel mit Politik gar nichts zu tun, alle Klassen waren indessen vertreten. Den größten Anteil machten Arbeiter aus, generell fast nur Männer, es folgte die Gruppe der Angestellten in sowjetischen Institutionen, dann Bauern und andere Berufsgruppen. Butowo wurde, wie Karl Schlögel in seinem großartigen Buch über das Moskau im Jahr 1937 schreibt, auch zum Grab einer großen Gruppe von Künstlern, so wie auch das Grab bedeutender Bergsteiger, die als Grenzgänger verdächtig waren. Es ging das Gerücht, dass man Vergasungswagen einsetzte. Als ihr Erfinder galt der ehemalige Leiter der Wirtschaftsverwaltung des Moskauer NKWD, Berg, der dann seinerseits 1938 hingerichtet wurde. Um die Geschehnisse auf dem Schießplatz von Butowo 1937 und 1938 zu erschließen, bedurfte es einer Archäologie, einer Schichtanalyse im Erdreich, die Schlögel dem Leser anschaulich nahebringt.

Überall in der Sowjetunion wurde das Terrorprogramm vollstreckt. Ein Programm, das die Gesellschaft eigentlich zu Eis hätte erstarren lassen müssen und die Angst vor staatlichem Terror und vor Willkür zum festen Bestandteil der sowjetischen Gesellschaft werden ließ. Der Homo sovieticus wurde indessen zum selbstzufriedenen Sklaven. Das aber ist nur die eine Seite, der Terror eben. Daneben gab es den Traum von einer neuen Gesellschaft mit neuen Menschen und neuen Städten. Und im gleichen Zug, wie die Menschen verschwanden und umgebracht wurden, wurde auch, wie Schlögel wunderbar genau zeigt, das alte Moskau zum Verschwinden gebracht und der Raum der Sowjetunion sichtbar gemacht. Da schickte man dann ausgewählte Fahrer in das Abenteuer der Karakum-Rallye: "Aus einem unermesslichen Raum wird überschaubares Territorium."

Zugleich findet auf allen Ebenen eine schier unglaubliche "Homogenisierungsarbeit" statt: durch die mediale Zentrale Moskau, in der die Bilder der Sowjetunion organisiert wurden, durch Feiern und Feste, auf denen nach und nach alle Völker der Sowjetunion im Zentrum Moskaus präsentiert wurden. So waren die Jubiläumsfeste der Jahre 1937 und 1938 - wie etwa das Puschkin-Jubiläum vom 10. Februar 1937 - keine Verbeugung vor einer großen Vergangenheit, sondern dienten der Herstellung eines Kanons: der Herstellung eines gemeinsamen Horizonts und einer gemeinsamen Vergangenheit. Wer sich anders erinnerte und wer anders träumte, lebte gefährlich. Aber auch wer gar nichts tat, lebte gefährlich. Das war das Perfide - und zugleich begründete es die Effizienz des Terrors. Alles dies, der Abbruch wie der Aufbau, die Ermunterung zum Enthusiasmus durch die Glorifizierung des Alltags ebenso wie das Abschlachten vieler Hunderttausender Menschen, geschah unter der straffen Regie Stalins.

Woher aber stammte die ungeheure Energie, die von Stalin umstandslos in die Führungskader und bis hin zum einfachen Sowjetvolk reichte? Es war, wie Schlögel in seinem Werk eindringlich zeigt, eine Energie, die sich aus einer extremen Kriegs- und Vernichtungsangst bei Stalin selbst und einer manipulierten Aufhebung jeglicher Alltagssicherheit speiste. Stalin hat diese Angst in einem paranoiden Akt durch Vernichtung bekämpft. Dass er damit so erfolgreich war, ist ein einziges Rätsel. Schlögel gelingt es aber durch einen Kunstgriff, diesem Rätsel beizukommen. Er präsentiert in vielen kleinen Kapiteln die Gleichzeitigkeit eines widersprüchlichen Geschehens zwischen Albtraum und Euphorie.

Eine stupende Verbindung von Literatur und Wissenschaft.

Schlögel nutzt für sein Verfahren den Begriff des "Chronotopos", der in ebenjener Zeit vom Literaturtheoretiker Michail Bachtin geprägt wurde. Das hat den unschätzbaren Vorteil, dass immer ein ganzes Panorama an Geschehnissen präsent ist - was beim zwangsläufigen Nacheinander jeder Geschichte nur mit großer Kunst und hoher Sachkenntnis möglich ist. Schlögel ist das gelungen - mit dem Effekt, dass dem Leser die achthundert Seiten niemals lang werden. Es ist, als kopiere dieses Verfahren die sowjetische Welt selbst. Es hält Staunen und Schrecken in einem Werk zusammen, das mit Fug und Recht als herausragend unter allen neueren Werken der Geschichtsschreibung zu loben ist. Es ist in der Kunst seiner Darstellung ein hervorragender Beleg für die Verbindung von Literarizität und Wissenschaft. Es ist auch ein Werk, das in europäischer Perspektive gelesen werden sollte. Nur dann erschließt sich diese sowjetisch-russische Mutation, nur dann wird sichtbar, wie wir nach wie vor zusammenhängen. Es gibt zudem noch eine Pointe: Den schönen Titel "Terror und Traum" hat es bei den Historikern schon einmal gegeben - bei Reinhart Koselleck, in dem 1979 erschienenen Band "Vergangene Zukunft". Dort stand dieser Titel über einer Analyse von Zeiterfahrungen jener, die im Nationalsozialismus später verfolgt und ermordet wurden. Dabei stellte sich heraus, dass im Traum bereits der Terror anwesend war, bevor er noch Wirklichkeit wurde.

Alles ist möglich - ein Spruch aus dem Marketing von heute war damals furchtbarste Drohung. Man sollte sich daran erinnern, wie Versprechen zu Verbrechen führen.

Karl Schlögel: "Terror und Traum". Moskau 1937. Carl Hanser Verlag, München 2008. 812 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Tief eingedrungen ist Cord Aschenbrenner in das Moskau des verfluchten Jahres 1937 mit diesem Buch, in dem sich der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel des dunkelsten Kapitel der sowjetischen Geschichte annimmt. Dabei beleuchtet er, wie der Rezensent informiert, die Zeit des Großen Terrors nicht so sehr aus der Sicht der Exekutoren - Stalin und seine Handlanger - spielen nur am Rande eine Rolle. Worauf es Schlögel ankomme, sei, als eine "Geschichte der Gleichzeitigkeit" das alltägliche Leben der Moskauer darzustellen, die, während Hunderttausende erschossen und in die Lager verbannt wurden, mit Mühe und Not dem Schrecken standhielten, stundenlang nach einem Laib Brot anstanden oder aber "im Gorki-Park tanzen" gingen. Dass Schlögel mit keiner allumfassenden These aufwartet, vermerkt Rezensent Aschenbrenner, übel nimmt er es ihm nicht.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein atemberaubendes Buch, das den Leser in seinen Bann zieht. Ein Geschichtsbuch, das sich wie ein Thriller liest - mit dem Unterschied, dass sich alles tatsächlich zugetragen hat. ... Vor allem aber schafft es Karl Schlögel, die Stimmung zu beschreiben, die hinter den nackten Zahlen und Fakten verborgen liegt." Guido Kalberer, Tages-Anzeiger-Zürich, 13.10.08

"Schlögels meisterhaftes, plastisches "Panorama eines heillosen Geschehens" ist auch ein Widerstand gegen den Furor des Vergessens und Verschwindens." Egbert Hörmann, Tageszeitung, 01.11.08

"Ein Werk, das mit Fug und Recht als herausragend unter allen neueren Werken der Geschichtsschreibung zu loben ist. Es ist in der Kunst seiner Darstellung ein hervorragender Beleg für die Verbindung von Literarizität und Wissenschaft." Michael Jeismann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.11.08

"Wie kaum ein zweiter deutscher Historiker erweckt Karl Schlögel Moskau, die Hauptstadt des Jahres 1937, zum Leben." Jens Bisky, Süddeutsche Zeitung, 14.10.08

"Ein Jahrhundertwerk: Karl Schlögels präzise Vermessung des Jahres 1937 in Stalins Sowjetunion." Wolfgang Templin, Der Tagesspiegel, 15.12.08

"Ein grandioser stereoskopischer Rundblick über Moskau 1937." Gerd Koenen, Literaturen, 1/2 2009

"Eine große Erzählung aus den Zeiten des Terrors. ... Niemand und nichts war sicher in jener Zeit. Das beschreibt Schlögel in seinem Buch meisterhaft. Es ist ein Geschichtsbuch von literarischer Qualität." Liane von Billerbeck, Deutschlandradio, 11.02.09…mehr