Die Stasi ist mit der DDR untergegangen, aber ihre Offiziere, Agenten und IMs sind noch unter uns. Ihre früheren Aktivitäten im Terrorismus sind bis heute nicht aufgeklärt. So bleibt es schwierig, ein lückenloses Bild von den Umtrieben der Geheimdienste im Kalten Krieg zu zeichnen. Regine Igel enthüllt anhand bislang unbeachteter Stasi-Akten, auf welch perfide Weise die Destabilisierung des Feindes im Westen betrieben wurde. Sie zeigt, wie eng der Ostberliner Geheimdienst nicht nur mit Linksterroristen und internationalen Terrorgruppen, sondern auch mit Rechtsterroristen kooperierte und welche Terror-Legenden man erfand, um die wirkliche Motivation der Täter zu verschleiern. Faktenreich, aufklärerisch, brisant.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2013Erheblicher Klärungsbedarf
Einflüsse der DDR-Staatssicherheit auf den linken und rechten Terrorismus der Bundesrepublik
Hat das DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) mit dem deutschen und internationalen Terrorismus konspiriert und kooperiert? Die Journalistin und Terrorismusforscherin Regine Igel bejaht diese Frage in ihrem Buch mit dem provokativen Titel "Terrorismus-Lügen" ohne Vorbehalt und Einschränkung. Nach einer aufwendigen Aktenrecherche in den Hinterlassenschaften der ehemaligen MfS-Hauptabteilung XXII ("Terrorabwehr") ist sie zu der Auffassung gelangt, die Rolle der Stasi im Links- und Rechtsterrorismus sei bis heute nicht aufgeklärt. Es habe "entgegen der Legende einer nur ,gelegentlichen Hilfestellung' eine massive und dauerhafte Unterstützung des deutschen und internationalen Terrorismus gegeben". Das meint die Autorin.
Erwiesen und unbestritten ist, dass die Stasi-Hauptabteilung XXII unter Leitung von Oberst Horst Franz (ab 1985) mit ihren zuletzt 997 hauptamtlichen und 175 inoffiziellen Mitarbeitern nicht nur für die Abwehr möglicher terroristischer Angriffe auf die DDR zuständig war. Sie hat auch Aktivitäten und Aktionen des Terrorismus in West-Berlin, der Bundesrepublik und im Nahen Osten zugelassen und unterstützt, logistisch wie finanziell. Ebenso steht fest, dass deutsche und palästinensische Terroristen von der Stasi zeitweilig in einem Trainingszentrum in Briesen südöstlich von Berlin im Schusswaffengebrauch und in der Handhabung von Sprengstoffen geschult wurden. Unbestritten ist ferner, dass die DDR TransitLand für Terroristen einiger arabischer Länder war sowie Rückzugsraum für sogenannte Aussteiger aus der Terrorszene.
Die Hauptabteilung XXII hat im Zusammenwirken mit der Hauptverwaltung Aufklärung und der für Passkontrolle zuständigen Hauptabteilung VI nicht zuletzt dafür gesorgt, dass im Westen zur Fahndung ausgeschriebene, schwer belastete Mitglieder der Roten Armee Fraktion im Staat der SED dauerhaft Unterschlupf fanden: Inge Viett, Verena Becker, Susanne Albrecht und andere. Die Autorin arbeitet das alles detailliert auf. Problematisch wird ihre Darstellung da, wo sie den Mitgliedern der RAF, die Anfang der 1980er Jahre Zuflucht in der DDR fanden, und den Offizieren der Stasi-Terrorabwehr gemeinsam organisierte Aktionen im Westen zuschreibt. Die Legende von dem Bedürfnis der "Aussteiger" nach einem ruhigen Zivilleben im DDR-Sozialismus hält sie für zweckgerichtete Desinformation. "Der Destabilisierungskampf gegen die feindliche Bundesrepublik trat vielmehr in eine neue Phase."
Die Kernthese, "dass die DDR den Terrorismus sehr wohl und umfassend unterstützt hat", untermauert Regine Igel mit dem Argument, "dass der Terrorismus in den 1980er Jahren nicht nur weiterging, sondern so perfekt und spurenlos weiterging, wie es nur Geheimdiensten gelingen kann": Zeitlich reicht ihre Darstellung zurück bis in die Anfänge des Terrorismus in den späten 1960er Jahren - bis zur Gründung der Bader-Meinhof-Gruppe, der Rote Armee Fraktion und der Bewegung 2. Juni samt aller Mord- und Untaten. In 5 Kapiteln handelt sie die "Vorboten des deutschen Terrorismus" ab, macht das "internationale Netz unter dem Dach von Stasi und KGB" transparent und wendet sich schließlich den Terrorismus-"Aussteigern" zu und der sogenannten Dritten RAF-Generation.
"Rechtsterroristen an der Seite der Stasi" - so überschreibt sie das vierte Kapitel über die Beziehungen des MfS zu Terroristen mit rechtsextremistischer Einstellung. Die sich nach außen prononciert antifaschistisch gerierenden Herrschenden in der DDR hatten keine Skrupel, ihre Geheimpolizei auch mit militanten Rechtsterroristen zusammenwirken zu lassen, mit Odfried Hepp zum Beispiel und Udo Albrecht, die in der Bundesrepublik wegen Sprengstoffanschlägen strafrechtlich verfolgt wurden. Wie Frau Igel akribisch rekonstruiert, fanden sie in den frühen 1980er Jahren in der DDR ein Schutz bietendes Hinterland, von dem aus Sie auch in arabische Länder reisen durften.
Im letzten Kapitel fragt sie provokativ und spekulativ, warum hierzulande Aufklärung "nur bedingt erwünscht" sei, warum also Stasi-Einflüsse im Terrorismus - dem linken wie dem rechten - verdeckt bleiben sollen. Und sie argwöhnt "Geheimdienstmachenschaften des Westens": "Sollten die Ausmaße der RAF-Stasi-Kooperation klein gehalten werden, um Täter der Abteilung ,Terrorabwehr' vor juristischer Verfolgung zu schützen?" Ihre Schlussfolgerung: "Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der halbherzigen Entnazifizierung der Zeit nach 1945 eine halbherzige Entstasifizierung folgte." Überzogene Polemik.
Auch wenn manche ihrer Schlussfolgerungen zu puren Verschwörungstheorien geraten, leistet die Autorin mit ihrem durch faksimilierte Dokumente angereicherten Buch einen diskutablen Beitrag zur Geschichte des Terrorismus und seiner Vernetzungen mit dem MfS und dem KGB. Das Fazit: Offenkundig besteht noch erheblicher Klärungsbedarf.
KARL WILHELM FRICKE
Regine Igel: Terrorismus-Lügen. Wie die Stasi im Untergrund agierte. Verlagsbuchhandlung F. A. Herbig, München 2012, 335 S., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Einflüsse der DDR-Staatssicherheit auf den linken und rechten Terrorismus der Bundesrepublik
Hat das DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) mit dem deutschen und internationalen Terrorismus konspiriert und kooperiert? Die Journalistin und Terrorismusforscherin Regine Igel bejaht diese Frage in ihrem Buch mit dem provokativen Titel "Terrorismus-Lügen" ohne Vorbehalt und Einschränkung. Nach einer aufwendigen Aktenrecherche in den Hinterlassenschaften der ehemaligen MfS-Hauptabteilung XXII ("Terrorabwehr") ist sie zu der Auffassung gelangt, die Rolle der Stasi im Links- und Rechtsterrorismus sei bis heute nicht aufgeklärt. Es habe "entgegen der Legende einer nur ,gelegentlichen Hilfestellung' eine massive und dauerhafte Unterstützung des deutschen und internationalen Terrorismus gegeben". Das meint die Autorin.
Erwiesen und unbestritten ist, dass die Stasi-Hauptabteilung XXII unter Leitung von Oberst Horst Franz (ab 1985) mit ihren zuletzt 997 hauptamtlichen und 175 inoffiziellen Mitarbeitern nicht nur für die Abwehr möglicher terroristischer Angriffe auf die DDR zuständig war. Sie hat auch Aktivitäten und Aktionen des Terrorismus in West-Berlin, der Bundesrepublik und im Nahen Osten zugelassen und unterstützt, logistisch wie finanziell. Ebenso steht fest, dass deutsche und palästinensische Terroristen von der Stasi zeitweilig in einem Trainingszentrum in Briesen südöstlich von Berlin im Schusswaffengebrauch und in der Handhabung von Sprengstoffen geschult wurden. Unbestritten ist ferner, dass die DDR TransitLand für Terroristen einiger arabischer Länder war sowie Rückzugsraum für sogenannte Aussteiger aus der Terrorszene.
Die Hauptabteilung XXII hat im Zusammenwirken mit der Hauptverwaltung Aufklärung und der für Passkontrolle zuständigen Hauptabteilung VI nicht zuletzt dafür gesorgt, dass im Westen zur Fahndung ausgeschriebene, schwer belastete Mitglieder der Roten Armee Fraktion im Staat der SED dauerhaft Unterschlupf fanden: Inge Viett, Verena Becker, Susanne Albrecht und andere. Die Autorin arbeitet das alles detailliert auf. Problematisch wird ihre Darstellung da, wo sie den Mitgliedern der RAF, die Anfang der 1980er Jahre Zuflucht in der DDR fanden, und den Offizieren der Stasi-Terrorabwehr gemeinsam organisierte Aktionen im Westen zuschreibt. Die Legende von dem Bedürfnis der "Aussteiger" nach einem ruhigen Zivilleben im DDR-Sozialismus hält sie für zweckgerichtete Desinformation. "Der Destabilisierungskampf gegen die feindliche Bundesrepublik trat vielmehr in eine neue Phase."
Die Kernthese, "dass die DDR den Terrorismus sehr wohl und umfassend unterstützt hat", untermauert Regine Igel mit dem Argument, "dass der Terrorismus in den 1980er Jahren nicht nur weiterging, sondern so perfekt und spurenlos weiterging, wie es nur Geheimdiensten gelingen kann": Zeitlich reicht ihre Darstellung zurück bis in die Anfänge des Terrorismus in den späten 1960er Jahren - bis zur Gründung der Bader-Meinhof-Gruppe, der Rote Armee Fraktion und der Bewegung 2. Juni samt aller Mord- und Untaten. In 5 Kapiteln handelt sie die "Vorboten des deutschen Terrorismus" ab, macht das "internationale Netz unter dem Dach von Stasi und KGB" transparent und wendet sich schließlich den Terrorismus-"Aussteigern" zu und der sogenannten Dritten RAF-Generation.
"Rechtsterroristen an der Seite der Stasi" - so überschreibt sie das vierte Kapitel über die Beziehungen des MfS zu Terroristen mit rechtsextremistischer Einstellung. Die sich nach außen prononciert antifaschistisch gerierenden Herrschenden in der DDR hatten keine Skrupel, ihre Geheimpolizei auch mit militanten Rechtsterroristen zusammenwirken zu lassen, mit Odfried Hepp zum Beispiel und Udo Albrecht, die in der Bundesrepublik wegen Sprengstoffanschlägen strafrechtlich verfolgt wurden. Wie Frau Igel akribisch rekonstruiert, fanden sie in den frühen 1980er Jahren in der DDR ein Schutz bietendes Hinterland, von dem aus Sie auch in arabische Länder reisen durften.
Im letzten Kapitel fragt sie provokativ und spekulativ, warum hierzulande Aufklärung "nur bedingt erwünscht" sei, warum also Stasi-Einflüsse im Terrorismus - dem linken wie dem rechten - verdeckt bleiben sollen. Und sie argwöhnt "Geheimdienstmachenschaften des Westens": "Sollten die Ausmaße der RAF-Stasi-Kooperation klein gehalten werden, um Täter der Abteilung ,Terrorabwehr' vor juristischer Verfolgung zu schützen?" Ihre Schlussfolgerung: "Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der halbherzigen Entnazifizierung der Zeit nach 1945 eine halbherzige Entstasifizierung folgte." Überzogene Polemik.
Auch wenn manche ihrer Schlussfolgerungen zu puren Verschwörungstheorien geraten, leistet die Autorin mit ihrem durch faksimilierte Dokumente angereicherten Buch einen diskutablen Beitrag zur Geschichte des Terrorismus und seiner Vernetzungen mit dem MfS und dem KGB. Das Fazit: Offenkundig besteht noch erheblicher Klärungsbedarf.
KARL WILHELM FRICKE
Regine Igel: Terrorismus-Lügen. Wie die Stasi im Untergrund agierte. Verlagsbuchhandlung F. A. Herbig, München 2012, 335 S., 22,99 [Euro].
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