Sie waren eines der berühmtesten Paare der Welt: der existentialistische Philosoph Jean-Paul Sartre und die Schriftstellerin, Philosophin und Feministin Simone de Beauvoir. Die gegen viele Tabus öffentlich gelebte Beziehung der beiden Intellektuellen währte über 50 Jahre und beeinflusste ganze Generationen. Anhand privater Aufzeichnungen von Gesprächen und bisher unveröffentlichten Korrespondenzen enthüllt Hazel Rowley in diesem spektakulären Doppelporträt die Realität dieses Paares hinter seiner öffentlichen Fassade.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.05.2008Sei offen, und liebe, wen du willst!
Dass über die gefährlichen Liebschaften von Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre noch nicht alles gesagt ist, zeigt Hazel Rowley im Porträt dieser Lebensbeziehung.
Wo wir gerade beim Aussortieren von Lebenshüten der sogenannten Achtundsechziger sind: Wie glaubwürdig ist eine absolut offene Lebensbeziehung der reinen Transparenz? Wäre diese Frage der Ansatz des Buchs von Hazel Rowley über Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, wäre es überflüssig. Alles ist dazu gesagt, registriert, bewundert, belächelt. Sartre und Beauvoir sind als einzelne Personen und auch als Paar längst eine Ikone - das existentialistische Doppelgespann des zwanzigsten Jahrhunderts mit dem Freiheitsblick und den tabakgelben Fingern. Generationen haben seither bewusst oder unbewusst ihr eigenes Lebens danach auszurichten versucht. Wenn sie in ihrer Beziehung aufrichtig waren, hatten wir recht, ihnen nacheifern zu wollen, und unser Versagen war unser eigenes Verschulden, schrieb der Sartre-Kenner Michel Contat vor einigen Jahren: Sind sie selbst aber gescheitert und haben uns dies verheimlicht, waren sie Betrüger und Hochstapler. Der Autorin dieses Buchs ging es nicht um solche Abrechnungen. Ihr Werk ist eine an den Fakten orientierte Spiegelbiographie und als solche sehr lesenswert.
Enthüllungen, neue Tatsachen und Lebensgeheimnisse braucht man jedoch nicht zu erwarten. Zu bereitwillig haben die beiden Protagonisten in ihren Werken, Briefwechseln, Tagebüchern sich mitgeteilt, und ausführlich haben die Biographen die Episoden seither gegengelesen. Die in London geborene Literaturwissenschaftlerin Hazel Rowley hat aus Gesprächen mit Zeitzeugen und aus den publizierten Texten das Porträt einer Lebensbeziehung gezeichnet, das Theorieexkurse wie moralische Urteile vermeidet und elegant auch der Peinlichkeit des Schlüssellochblicks entgeht für eine Sache, zu der es keine Schlüssel und manchmal auch gar keine Tür gab.
"Heute morgen habe ich zum ersten Mal mit ihr geschlafen", schrieb Sartre Ende Juni 1939 aus Marseille an Simone de Beauvoir. Er sprach von der jungen Wanda Kosakiewicz, der Schwester von Olga, einer Schülerin Beauvoirs, die er seit zwei Jahren hofierte und die ihm offen sagte, wie sehr er sie körperlich abstoße. Die jungen Leute, die in jenen existentialistischen Inkubationsjahren zur "Familie" des Philosophenpaars gehörten und durch deren Betten wanderten, haben in Erinnerungsbüchern teilweise scharf mit ihren Mentoren abgerechnet. Und manche Biographen schlugen moralisch in dieselbe Kerbe. Nicht so Hazel Rowley. Sie begnügt sich zu schildern, wie Sartre gleich nach der lang ersehnten Nacht mit Wanda in ein Marseiller Café eilt, um an Beauvoir zu schreiben, und wie auch diese beim Wandern mit dem "kleinen Bost" durch Savoyen nach den Nächten auf dem Stroh nicht schnell genug eine Tischecke zum Schreiben an Sartre finden kann. Wo andere Autoren vom Zynismus der zwei brillanten Intellektuellen sprechen, beschreibt Rowley diese aus dem Zusammenhang jenes Pakts, den sie - gut zwanzigjährig - miteinander schlossen und der zwischen ihrer "wesentlichen" Beziehung und den "kontingenten Affären" unterschied.
Wenn ein Ergebnis aus diesem Buch ersichtlich wird, dann dies, wie schwer das Leben mit jenem Pakt in der Wirklichkeit oft war, trotz der scheinbar souveränen Mine der Protagonisten. Sartre hatte sein erstes Sexualerlebnis achtzehnjährig mit einer älteren Frau, danach kamen Bordellbesuche, und er war, wie er selber später gestand, "eher ein Frauenmasturbierer als ein Beischläfer". Simone de Beauvoir hatte ihre Jungfräulichkeit in der ersten Liebesnacht mit Sartre verloren und schämte sich dann offenbar beinahe für die erwachte Begierde gegenüber einem Sartre, der oft anderes im Kopf hatte. Sex wurde zwischen ihnen bald sekundär und erlosch, als sie kaum über dreißig waren. Eifersucht aber, jene per Willensanstrengung verbannte Gefühlsregung, blieb hartnäckig. Simone de Beauvoir hatte laut Rowley ihr Leben lang damit zu kämpfen, und auch Sartre war auf seine Art anfällig dafür. In welchem Maß das legendäre Verhältnis zwischen den beiden zeitweise vom Zusammenbruch bedroht war, wird so recht erst aus der Darstellung dieses Buchs deutlich. Sartre war nach dem Krieg derart von der Amerikanerin Dolores Vanetti angetan, dass er sie insgeheim zur Heirat anhielt. Was wäre aus dem Philosophenpaar geworden, hätte die Amerikanerin zugestimmt? Beauvoir litt tapfer lächelnd vor sich hin und flüchtete sich in Arbeit, bevor sie sich mit der Beziehung zum amerikanischen Schriftsteller Nelson Algren revanchierte.
Die gefährlichen Liebschaften dieses Paars sollten durch vollkommene gegenseitige Offenheit getragen werden. Die Transparenz scheint aber nicht nur zur Milderung beigetragen zu haben, sie war zeitweise eher ein zusätzliches Foltermittel. Sieht man das Verhältnis Sartres und Beauvoirs nicht aus unserer nachträglichen Perspektive des mythischen Doppel-Ichs, sondern so, wie es über die Jahrzehnte hin improvisiert wurde - in Hotelzimmern, getrennten Wohnungen, gesonderten Karrierevorstellungen, routinemäßigen Arbeitstreffen, kurzfristig abgesagten Verabredungen, blauen Nächten im Freundeskreis, immer mit einer bedingungslosen gegenseitigen Achtung -, dann kommt hinter dem Mythos plötzlich wieder das offene Abenteuer zum Vorschein.
Dieses Abenteuer nachvollziehbar gemacht zu haben ist das Hauptverdienst des Buchs. Dass sein chronologischer Fortgang mitunter ins Aufzählen verfällt, wo man Motivverknüpfung im Werk erwartet hätte, ist der bescheidene Preis dafür.
JOSEPH HANIMANN
Hazel Rowley: "tête-à-tête". Leben und Lieben von Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre.
Aus dem Englischen von Michael Haupt. Parthas Verlag, Berlin 2007. 510 S., Abb., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dass über die gefährlichen Liebschaften von Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre noch nicht alles gesagt ist, zeigt Hazel Rowley im Porträt dieser Lebensbeziehung.
Wo wir gerade beim Aussortieren von Lebenshüten der sogenannten Achtundsechziger sind: Wie glaubwürdig ist eine absolut offene Lebensbeziehung der reinen Transparenz? Wäre diese Frage der Ansatz des Buchs von Hazel Rowley über Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, wäre es überflüssig. Alles ist dazu gesagt, registriert, bewundert, belächelt. Sartre und Beauvoir sind als einzelne Personen und auch als Paar längst eine Ikone - das existentialistische Doppelgespann des zwanzigsten Jahrhunderts mit dem Freiheitsblick und den tabakgelben Fingern. Generationen haben seither bewusst oder unbewusst ihr eigenes Lebens danach auszurichten versucht. Wenn sie in ihrer Beziehung aufrichtig waren, hatten wir recht, ihnen nacheifern zu wollen, und unser Versagen war unser eigenes Verschulden, schrieb der Sartre-Kenner Michel Contat vor einigen Jahren: Sind sie selbst aber gescheitert und haben uns dies verheimlicht, waren sie Betrüger und Hochstapler. Der Autorin dieses Buchs ging es nicht um solche Abrechnungen. Ihr Werk ist eine an den Fakten orientierte Spiegelbiographie und als solche sehr lesenswert.
Enthüllungen, neue Tatsachen und Lebensgeheimnisse braucht man jedoch nicht zu erwarten. Zu bereitwillig haben die beiden Protagonisten in ihren Werken, Briefwechseln, Tagebüchern sich mitgeteilt, und ausführlich haben die Biographen die Episoden seither gegengelesen. Die in London geborene Literaturwissenschaftlerin Hazel Rowley hat aus Gesprächen mit Zeitzeugen und aus den publizierten Texten das Porträt einer Lebensbeziehung gezeichnet, das Theorieexkurse wie moralische Urteile vermeidet und elegant auch der Peinlichkeit des Schlüssellochblicks entgeht für eine Sache, zu der es keine Schlüssel und manchmal auch gar keine Tür gab.
"Heute morgen habe ich zum ersten Mal mit ihr geschlafen", schrieb Sartre Ende Juni 1939 aus Marseille an Simone de Beauvoir. Er sprach von der jungen Wanda Kosakiewicz, der Schwester von Olga, einer Schülerin Beauvoirs, die er seit zwei Jahren hofierte und die ihm offen sagte, wie sehr er sie körperlich abstoße. Die jungen Leute, die in jenen existentialistischen Inkubationsjahren zur "Familie" des Philosophenpaars gehörten und durch deren Betten wanderten, haben in Erinnerungsbüchern teilweise scharf mit ihren Mentoren abgerechnet. Und manche Biographen schlugen moralisch in dieselbe Kerbe. Nicht so Hazel Rowley. Sie begnügt sich zu schildern, wie Sartre gleich nach der lang ersehnten Nacht mit Wanda in ein Marseiller Café eilt, um an Beauvoir zu schreiben, und wie auch diese beim Wandern mit dem "kleinen Bost" durch Savoyen nach den Nächten auf dem Stroh nicht schnell genug eine Tischecke zum Schreiben an Sartre finden kann. Wo andere Autoren vom Zynismus der zwei brillanten Intellektuellen sprechen, beschreibt Rowley diese aus dem Zusammenhang jenes Pakts, den sie - gut zwanzigjährig - miteinander schlossen und der zwischen ihrer "wesentlichen" Beziehung und den "kontingenten Affären" unterschied.
Wenn ein Ergebnis aus diesem Buch ersichtlich wird, dann dies, wie schwer das Leben mit jenem Pakt in der Wirklichkeit oft war, trotz der scheinbar souveränen Mine der Protagonisten. Sartre hatte sein erstes Sexualerlebnis achtzehnjährig mit einer älteren Frau, danach kamen Bordellbesuche, und er war, wie er selber später gestand, "eher ein Frauenmasturbierer als ein Beischläfer". Simone de Beauvoir hatte ihre Jungfräulichkeit in der ersten Liebesnacht mit Sartre verloren und schämte sich dann offenbar beinahe für die erwachte Begierde gegenüber einem Sartre, der oft anderes im Kopf hatte. Sex wurde zwischen ihnen bald sekundär und erlosch, als sie kaum über dreißig waren. Eifersucht aber, jene per Willensanstrengung verbannte Gefühlsregung, blieb hartnäckig. Simone de Beauvoir hatte laut Rowley ihr Leben lang damit zu kämpfen, und auch Sartre war auf seine Art anfällig dafür. In welchem Maß das legendäre Verhältnis zwischen den beiden zeitweise vom Zusammenbruch bedroht war, wird so recht erst aus der Darstellung dieses Buchs deutlich. Sartre war nach dem Krieg derart von der Amerikanerin Dolores Vanetti angetan, dass er sie insgeheim zur Heirat anhielt. Was wäre aus dem Philosophenpaar geworden, hätte die Amerikanerin zugestimmt? Beauvoir litt tapfer lächelnd vor sich hin und flüchtete sich in Arbeit, bevor sie sich mit der Beziehung zum amerikanischen Schriftsteller Nelson Algren revanchierte.
Die gefährlichen Liebschaften dieses Paars sollten durch vollkommene gegenseitige Offenheit getragen werden. Die Transparenz scheint aber nicht nur zur Milderung beigetragen zu haben, sie war zeitweise eher ein zusätzliches Foltermittel. Sieht man das Verhältnis Sartres und Beauvoirs nicht aus unserer nachträglichen Perspektive des mythischen Doppel-Ichs, sondern so, wie es über die Jahrzehnte hin improvisiert wurde - in Hotelzimmern, getrennten Wohnungen, gesonderten Karrierevorstellungen, routinemäßigen Arbeitstreffen, kurzfristig abgesagten Verabredungen, blauen Nächten im Freundeskreis, immer mit einer bedingungslosen gegenseitigen Achtung -, dann kommt hinter dem Mythos plötzlich wieder das offene Abenteuer zum Vorschein.
Dieses Abenteuer nachvollziehbar gemacht zu haben ist das Hauptverdienst des Buchs. Dass sein chronologischer Fortgang mitunter ins Aufzählen verfällt, wo man Motivverknüpfung im Werk erwartet hätte, ist der bescheidene Preis dafür.
JOSEPH HANIMANN
Hazel Rowley: "tête-à-tête". Leben und Lieben von Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre.
Aus dem Englischen von Michael Haupt. Parthas Verlag, Berlin 2007. 510 S., Abb., geb., 28,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Joseph Hanimann stellt zufrieden fest, dass es Hazel Rowley gelungen ist, über das Paar Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre ein aufschlussreiches Doppelporträt zu schreiben, obwohl deren legendäre offene Beziehung ein durch die Nachwelt gründlich beackertes Feld darstellt. Sichtlich erfreut registriert der Rezensent, dass die britische Autorin weder einen moralischen oder voyeuristischen Standpunkt einnimmt, noch allzu theorielastig wird. Dafür gelingt es ihr deutlich zu machen, dass die zum Mythos gewordene, offene Liebesbeziehung ihren Protagonisten mitunter auch ein hohes Maß an Leidensfähigkeit abverlangte und wiederholt fast zerbrach, so Hanimann. Besonders aber beeindruckt ihn, dass die Autorin spürbar machen kann, was für ein "Abenteuer" diese Art der Beziehung darstellte, und dafür nimmt der Rezensent auch in Kauf, dass der Erzählweise dieser Doppelbiografie mitunter etwas allzu Additives anhaftet, wie er leise moniert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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