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Die Lektüre dieser Verse verspricht mehr als es der voyeuristische Blick in das Atelier eines prominenten Dichters zwischen den Millennien je zu leisten vermöchte. Zu entdecken und hautnah zu erleben gibt es den wunderbaren Michel Butor, geboren 1926, seine lyrischen Dialoge mit der Welt, dem Kosmos und sich selbst, urplötzlich gefangen in einem Universum, wo Schmerz ist, Zweifel und die Trauer der Verlorenen. Oder doch nicht verloren? Die Lektüre der episch sich entfaltenden Gedichte wird zur großen Bilderschau auf medial sich verewigender Leinwand. Und doch ist insgeheim alles aufgerufen,…mehr

Produktbeschreibung
Die Lektüre dieser Verse verspricht mehr als es der voyeuristische Blick in das Atelier eines prominenten Dichters zwischen den Millennien je zu leisten vermöchte. Zu entdecken und hautnah zu erleben gibt es den wunderbaren Michel Butor, geboren 1926, seine lyrischen Dialoge mit der Welt, dem Kosmos und sich selbst, urplötzlich gefangen in einem Universum, wo Schmerz ist, Zweifel und die Trauer der Verlorenen. Oder doch nicht verloren? Die Lektüre der episch sich entfaltenden Gedichte wird zur großen Bilderschau auf medial sich verewigender Leinwand. Und doch ist insgeheim alles aufgerufen, sich selbst zu Grabe zu tragen oder doch noch hereinbrechender Schöpfungsmorgen zu werden. Mit allen Konsequenzen heraufdämmernden Wissens und zehrender Emotionen. Butors neueste Lyrik, entstanden in der gelebten Auseinandersetzung mit dem Tod seiner Liebsten und mit der eignen Vergänglichkeit, will unsere Welt des Abgrunds verheißungsvoll überschreiten. Auf dass es ein Morgen gebe.
Autorenporträt
Michel Butor, geboren 1926, gilt neben Alain Robbe-Grillet und Nathalie Sarraute als der bedeutendste Repräsentant des nouveau roman. Er lebte mehrere Jahre in Ägypten, Griechenland und England, war Gastprofessor in den USA, Kanada, Japan und Deutschland; ab 1970 unterrichtete er französische Literatur an der Universität in Nizza, seit 1975 lehrt Butor in Genf (emeritiert 1991). Er lebt in Lucinges (Frankreich).

Veröffentlichungen: Paris - Passage de Milan (1954), Der Zeitplan (1956), Paris-Rom oder Die Modifikation (1957), Genius loci (bisher 4 Bände, 1958-92), Stufen (1960), Repertoire (Essays, mittlerweile 5 Bände, zwischen 1960 und 1982), Euer Faust. Oper (1962), Illustrationen. Texte zu Bildern (bis jetzt 4 Bände, 1964-76), Bildnis des Künstlers als junger Affe (1967), Mati re de r ves (bis jetzt 5 Bände, 1975-85), Improvisations sur Flaubert (1984), Improvisations sur Henri Michaux (1985), Improvisations sur Rimbaud (1989).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2013

Leuchtkraft der Tiefe
Der Hammer seiner Farben: Neue Gedichte von Michel Butor, zum Glück zweisprachig

Mit seinen 86 Jahren ist Michel Butor ein weitgereister Meteorit, der so fernen Galaxien wie Surrealismus und Nouveau Roman entstammt. Seit dem achtzigsten Geburtstag im Jahr 2006 ist die Denkmalsetzung in vollem Gange: eine Ausstellung in der Bibliothèque nationale de France, die Edition der Gesammelten Werke (Éditions de la Différence), der Grand Prix de littérature der Académie française fürs Lebenswerk. Der Anschein von Versteinerung freilich trügt: Butor ist aktiv, schreibt per Hand und per Computer, reist um den Globus und sagt freundlich, aber deutlich, was er denkt. Das ist konsequent: Er war und ist einer der fruchtbarsten Querschreiber der französischen Literatur. Gattungsgrenzen scheren ihn nicht, die Künste interessieren ihn nur im Dialog; oft begleiten seine Gedichte die Werke von bildenden Künstlern. Kurz: Der Mann mit dem Patriarchenbart ist lebendig wie Quecksilber und ebenso agil.

Wandelbarkeit meint nicht Oberflächlichkeit: Butor legt nun 37 Gedichte vor, die mit Zeit, Alter und Tod ringen. Der Dichter steigt in die Hölle hinab, schon im Eingangsgedicht "Des Teufels Schönheit" wird Dante zitiert: Die Abgründe der Menschheit werden vermessen, die eigenen ebenso. Neu ist das nicht, wie Leser von Butors bekanntestem Roman "Paris-Rom oder Die Modifikation" (1957) wissen, wo es unter der Eisenbahn infernalisch brodelt - aber von neuer Intensität. Butor prangert Missstände an: die Zerstörung der Natur ("Saft und Blut"), soziale Ausgrenzung ("Intoleranz"), die Gier der Ära Sarkozy ("Beharrlichkeit"). Berührender ist Persönliches: der alternde Körper, der Spott der Feinde, der Verlust der geliebten Frau.

Die Schlünde haben verschiedene Formen: Der Teufel manifestiert sich in Person, er vereint "Bakterien / und Viren, die nie zuvor / ein Aufhebens um sich gemacht", um die Menschheit zu quälen, "während die Welt verdreckt" ("Des Teufels Schönheit"). Subtiler klafft der Abgrund im "Gesang des Abfalls", wo den Resten eine Stimme gegeben wird, "Bevor ihr uns die Seufzerstiege / der Müllbehälter runterstürzt". Traumhaft-alltäglich öffnet er sich in "Traumfallen": "Wildes Klingeln setzt sich in Gang, / aber der Apparat ist in ein Kellerloch / gefallen, aus dem die Pestilenz / von Schwefel und von Pech aufsteigt." Sogleich meint der Sprecher, Spuren der verlorenen Geliebten auszumachen. Manche Texte sind plakativ, fast immer jedoch gelingt es Butor, den Gang in die Tiefe, der auch geologisch-archäologische Formen annimmt, sprachkräftig zu malen. Die Höllenfahrt wird Dichtung: Explizit benennt Butor das Vorgehen im poetologischen Gedicht "Freilegen", wo die Entfaltung dichterischer Potenz als das Graben eines Stollens verbildlicht wird: "Ich habe meinen Stollen entdeckt, / ich versuche, ihn auszutiefen / in all seinen Verästelungen / mit dem Hammer meiner Farben."

Leider überzeugt die Übertragung nicht rundweg. Die Entscheidung, Zeichen zu setzen, obwohl Butor darauf verzichtet, überrascht; auch verbindet Christof Weiand Strophen, die im Original von Majuskeln getrennt sind. Butor gibt wuchtigen Motiven eine nüchterne Form: meist ungereimte Achtsilber in einem knappen, unprätentiösen Stil. Weiand mag es eher umständlich und getragen; "un ordre" (ein Befehl) wird "ein Es-muß-sein", "vaisseaux devenant gratte-ciels" (Schiffe, die Wolkenkratzer werden) enden als "Schiffe, die wolkenkratzerartig sich auswölben". Aber der des Französischen mächtige Leser wird sich daran freuen, wie Butor der Tiefe ihre Leuchtkraft abtrotzt.

NIKLAS BENDER

Michel Butor: "Textes récents - 37 pages / Neueste Texte - 37 Seiten". Poésie/Gedichte.

Aus dem Französischen übersetzt, kommentiert und eingerichtet von Christof Weiand. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2012. 140 S., br., 10,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Glück für Rezensent Niklas Bender, dass die neuen Gedichte Michel Butors zweisprachig daherkommen. Mit der Übersetzung durch Christof Weiand ist der Rezensent nämlich weniger zufrieden. Zu schwülstig, wo Butor knapp und unprätentiös ist, meint er, außerdem findet er die Zeichensetzung überflüssig, verzichtet der Autor doch auch darauf. Des hochbetagten Autors Agilität spürt Bender indes in beinahe jedem der 37 Texte, in denen es ums Alter geht, um Verlust und Tod, aber auch um Naturzerstörung und soziale Ausgrenzung. Sprachlich kraftvoll erscheint ihm der im Surrealismus und beim Nouveau Roman in die Schule gegangene Butor noch immer.

© Perlentaucher Medien GmbH