Die vorliegende Arbeit fokussiert vor allem die Frage: in welcher inwendigen Beziehung steht diese Lyrik zum Holocaust? Anhand von ausführlichen Einzelinterpretationen legt die Autorin die Tiefenstrukturen frei, die Celans Hermetik wie ein Sekundärphänomen erscheinen lassen. Die Dunkelheit ist keineswegs Ausdruck einer Kommunikationsverweigerung, die vor einem Unsagbaren ohnmächtig verstummt. Celans hermetisches Sprechen birgt in seiner Diskretion letztlich eine die Grenzen und Möglichkeiten von Sprache auslotende Theorie wider das Vergessen. Wie in der jüdischen Mystik gewinnt bei Celan der Text eine Realität perse. Erst die angesichts des Hermetischen erheblich verzögerte Sinnaneignung gewährt einen - flüchtigen - Zugang zu Celans Totenreich aus Text. So liegt in dieser Textwelt das Unfaßbare tatsächlich als Un-faßbares geborgen.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungIn die Grube der Buchstaben
Aufmerksam: Uta Werner klopft Paul Celans geologische Lyrik ab
Das Ungeheuerliche des Dritten Reiches war, daß die Judenvernichtung mit den Lebenden erst ihren Anfang nahm. Der eigentliche Tötungswille galt den schon Toten, deren Spuren von der Erde getilgt werden sollten. Nicht einmal sich selbst durften diese Toten hinterlassen. Deshalb wurden die Überreste verbrannt, verscharrt, verstreut. In den Krematorien der Lager sollte auch ihr Andenken ausgelöscht werden. Ohne Grab mußte sich das Erinnern der Überlebenden ziellos ermüden und schließlich die Vergangenheit preisgeben.
Die Opfer entbehrten eines Ruheortes, wo sie die Erlösung erwarten und ihre Körper wiederauferstehen würden. Das Band zwischen Grab und Gedächtnis, das die griechische Etymologie geknüpft hatte, war durch dieses erpreßte Vergessen zerschnitten. Die Vertreibung aus dem Leben setzte sich über das Grab hinaus fort: Sollte jüdisches Nachleben stattfinden, mußte eine Bestattung dem vorangehen. Die Toten waren nur zu erinnern, wenn sie irgendwo gefunden würden.
Die Lyrik Paul Celans ist eine solche Totensuche. Zwischen "Kluftrose" und "Büßerschnee", "Frostfurche" und "Wüstengeschiebe" steigt sie hinab, um die Unbestatteten in Worthöhlen und Satzgräben aufzuspüren. Mit der Grubenlampe der Buchstäblichkeit unternimmt sie ihre Erderkundungen. Poetische Tiefenbohrungen stoßen auf eine Totenwelt, die der Erlösung harrt. Verdrängung tritt sie mit Füßen. Celans Gedichte arbeiten an einer Erinnerung, die sich nicht nach Auschwitz zurückdenken will. Keine Baracke wird mit ihren Versen wiedererrichtet, keine Rampe läßt den Lesenden selbst in die Krematorien hinabgleiten. Das Lager ist kein Ort mehr, der den Gequälten helfen kann. Vergeblich hoffte man, im mimetischen Nachbau dieser Topographie des Terrors auf Spuren zu stoßen. Die Vertreibung der Toten auch von diesem Ort ist für Celan nicht rückgängig zu machen. Auschwitz ist totenleer, weil es nicht einmal die Asche hinter seinen Stacheldrähten duldete. Deshalb denkt Celans Erinnerung vorwärts. Sein Gedicht "Niedrigwasser" endet mit einer Landgewinnung. Die Strömung eines Flusses verliert mit dem Eintreten ins Meer an Kraft und setzt seine mitgebrachten Schwebstoffe dort ab. Unter der Zeitlupe geologischer Veränderungen entsteht eine Nehrung, die sich der Küste vorlagert und immer neue Partikel aus dem Landinnern anbindet. Vor Danzig verändert sie auf diese Weise die Landkarte immer noch, und auf diese Halbinsel Hela spielen die eingegrabenen Zitate des Gedichts an: Hier kommen die Toten von Auschwitz zu ihrer geologischen Ablagerung und Ruhe. In den Öfen verbrannt, wurde ihre Asche mit Lastwagen in die Weichsel gekippt und sank unter die Oberfläche. Der "Aschen-Shanty" Celans ist ihr begleitender Klagegesang auf dieser Seereise. Das in alle Wasser Verstreute kommt als Nehrung zu neuer Gestalt. Die unsichtbaren Partikel der Verbrannten backen hier zu konkreter Dinglichkeit wieder zusammen. Die Beschreibung des auftauchenden Landes wird darüber zu einem Totengedenken. In seinem "unbefahrbaren Schweigen" entdeckt das Gedicht ein Gräberfeld.
Im Nachlaß Paul Celans finden sich 14 geologische Fachbücher. Ihre durchgearbeiteten Seiten hat Uta Werner noch einmal auf Spuren hin gelesen. Entdeckt hat sie darüber eine Lyrik, der die wissenschaftliche Analyse der Gesteinswerdung zum poetischen Totenkult verhilft. Fortan darf das Celansche Werk tiefgründig auch in dem Sinne heißen, daß es die versunkenen Opfer in seiner Schrift-Erde aufbewahrt. Celan hat bei den Geologen einen Blick wiedergefunden, der den Raum als sedimentierte Zeit liest. Versprach der Boden bis ins achtzehnte Jahrhundert seine unwandelbare Verläßlichkeit, so beunruhigt seitdem das Wissen um Gesteinsaktivität. Die Erdwissenschaft erzählt eine "Geschichte des Geschichteten", wo sich Abgelagertes verwirft und Untergründiges durchbricht. Gestein beibt in Bewegung und verunsichert den Tritt. lhm eignet eine Dynamik, die nur die lange Dauer eintrübt. Für Bohrungen in seine bewegte Geschichte gibt es keinen standfesten Ort. Im offenen Prozeß seiner Verschiebungen steht auch der Betrachter auf schwankendem Grund.
Die Gedichte Celans speichern genau diese unabgeschlossene Geschichte. Auschwitz ist ihnen kein Vergangenheitssediment, das von der späteren Zeit abgedeckelt wurde. Sie interessieren sich nicht für Lager, sondern die unterirdische Reise seiner verbrannten Insassen. Mit guten Gründen wehrt Werner die nur metaphorische Nähe zur Geologie ab und dringt auf Buchstäblichkeit: Auch die Sprache Celans besitze eine Materialität, der sich die ruhelosen Toten einlagern können. Erst in Versen nehmen die Aschepartikel wieder eine Gestalt an, deren Leiblichkeit von den Überlebenden bestattet und von der Erlösung wiedergefunden werden kann. Erst die "Metamorphose ins Mineral" erschafft den Vernichteten eine wiederfindbare Form. Als Anorganisches erleiden sie einen zweiten Tod, der ihnen zur Rettung wird. Ihre Steinwerdung ist Poesie und kultisches Ritual, Geologie und Gottesdienst. Celans Reim wird zum letzten Dienst eines Überlebenden.
Auch das Spätwerk ändert nichts an dieser geologischen Grablegung. Mit der Vehemenz einer Glaubenden lehnt Werner die Annahme der Forschung ab, seit "Atemwende" ergebe Celan sich einer eskapistischen Unsagbarkeit. Wo man bisher Celan am Eingedenken verzweifeln sah, baut er nun fort an der "Krypta im Kryptischen". In der angeblichen Hermetik dieser letzten Gedichte: dem Verknappen des Verses bis zum Wort, dem Bruch mit dem Leser wie mit der Syntax, erkennt Werner eine eindringliche Bearbeitung der Wirklichkeit. In keinem Moment verletzt Celan seine Treue gegenüber den Toten, gerade weil seine Bestattungslyrik nicht aufgibt. Vermag sie das Ungestaltete auch nur flüchtig ansichtig zu machen, so ist die Rettung für diesen Lektürenaugenblick gelungen. Die Geologie nimmt die Veränderlichkeit beim Wort. Nur der langsame Erdbeobachter kennt die Kürze der Zeit.
Uta Werner zitiert das schöne Wort von der Aufmerksamkeit als dem "natürlichen Gebet der Seele". Weil ihr Buch diese Langsamkeit als Leseanweisung versteht, will es auch Exerzitium sein. Ihr Buch entfaltet in den skrupulösen Gedichtanalysen zur immer drängenderen Wiederholung, was schon die bewunderswert präzise Einleitung wußte. Darüber nimmt es selbst den Charakter eines Rituals an. Auch dem eigenen Leser verlangt es eine Aufmerksamkeit ab, die mehr als wissenschaftliche Pflicht sein will. Scheitert der Leser, hat er dies auch als moralisches Versagen zu tragen. Solche Beharrlichkeit ist bemerkenswert, aber sie ist auch bedrängend. Interesseloses Wohlgefallen an Celan wie Werner wird darüber zum blasphemischen Spiel. THOMAS WIRTZ
Uta Werner: "Textgräber". Paul Celans geologische Lyrik. Wilhelm Fink Verlag, München 1998, 210 S., br., 78,- DM
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aufmerksam: Uta Werner klopft Paul Celans geologische Lyrik ab
Das Ungeheuerliche des Dritten Reiches war, daß die Judenvernichtung mit den Lebenden erst ihren Anfang nahm. Der eigentliche Tötungswille galt den schon Toten, deren Spuren von der Erde getilgt werden sollten. Nicht einmal sich selbst durften diese Toten hinterlassen. Deshalb wurden die Überreste verbrannt, verscharrt, verstreut. In den Krematorien der Lager sollte auch ihr Andenken ausgelöscht werden. Ohne Grab mußte sich das Erinnern der Überlebenden ziellos ermüden und schließlich die Vergangenheit preisgeben.
Die Opfer entbehrten eines Ruheortes, wo sie die Erlösung erwarten und ihre Körper wiederauferstehen würden. Das Band zwischen Grab und Gedächtnis, das die griechische Etymologie geknüpft hatte, war durch dieses erpreßte Vergessen zerschnitten. Die Vertreibung aus dem Leben setzte sich über das Grab hinaus fort: Sollte jüdisches Nachleben stattfinden, mußte eine Bestattung dem vorangehen. Die Toten waren nur zu erinnern, wenn sie irgendwo gefunden würden.
Die Lyrik Paul Celans ist eine solche Totensuche. Zwischen "Kluftrose" und "Büßerschnee", "Frostfurche" und "Wüstengeschiebe" steigt sie hinab, um die Unbestatteten in Worthöhlen und Satzgräben aufzuspüren. Mit der Grubenlampe der Buchstäblichkeit unternimmt sie ihre Erderkundungen. Poetische Tiefenbohrungen stoßen auf eine Totenwelt, die der Erlösung harrt. Verdrängung tritt sie mit Füßen. Celans Gedichte arbeiten an einer Erinnerung, die sich nicht nach Auschwitz zurückdenken will. Keine Baracke wird mit ihren Versen wiedererrichtet, keine Rampe läßt den Lesenden selbst in die Krematorien hinabgleiten. Das Lager ist kein Ort mehr, der den Gequälten helfen kann. Vergeblich hoffte man, im mimetischen Nachbau dieser Topographie des Terrors auf Spuren zu stoßen. Die Vertreibung der Toten auch von diesem Ort ist für Celan nicht rückgängig zu machen. Auschwitz ist totenleer, weil es nicht einmal die Asche hinter seinen Stacheldrähten duldete. Deshalb denkt Celans Erinnerung vorwärts. Sein Gedicht "Niedrigwasser" endet mit einer Landgewinnung. Die Strömung eines Flusses verliert mit dem Eintreten ins Meer an Kraft und setzt seine mitgebrachten Schwebstoffe dort ab. Unter der Zeitlupe geologischer Veränderungen entsteht eine Nehrung, die sich der Küste vorlagert und immer neue Partikel aus dem Landinnern anbindet. Vor Danzig verändert sie auf diese Weise die Landkarte immer noch, und auf diese Halbinsel Hela spielen die eingegrabenen Zitate des Gedichts an: Hier kommen die Toten von Auschwitz zu ihrer geologischen Ablagerung und Ruhe. In den Öfen verbrannt, wurde ihre Asche mit Lastwagen in die Weichsel gekippt und sank unter die Oberfläche. Der "Aschen-Shanty" Celans ist ihr begleitender Klagegesang auf dieser Seereise. Das in alle Wasser Verstreute kommt als Nehrung zu neuer Gestalt. Die unsichtbaren Partikel der Verbrannten backen hier zu konkreter Dinglichkeit wieder zusammen. Die Beschreibung des auftauchenden Landes wird darüber zu einem Totengedenken. In seinem "unbefahrbaren Schweigen" entdeckt das Gedicht ein Gräberfeld.
Im Nachlaß Paul Celans finden sich 14 geologische Fachbücher. Ihre durchgearbeiteten Seiten hat Uta Werner noch einmal auf Spuren hin gelesen. Entdeckt hat sie darüber eine Lyrik, der die wissenschaftliche Analyse der Gesteinswerdung zum poetischen Totenkult verhilft. Fortan darf das Celansche Werk tiefgründig auch in dem Sinne heißen, daß es die versunkenen Opfer in seiner Schrift-Erde aufbewahrt. Celan hat bei den Geologen einen Blick wiedergefunden, der den Raum als sedimentierte Zeit liest. Versprach der Boden bis ins achtzehnte Jahrhundert seine unwandelbare Verläßlichkeit, so beunruhigt seitdem das Wissen um Gesteinsaktivität. Die Erdwissenschaft erzählt eine "Geschichte des Geschichteten", wo sich Abgelagertes verwirft und Untergründiges durchbricht. Gestein beibt in Bewegung und verunsichert den Tritt. lhm eignet eine Dynamik, die nur die lange Dauer eintrübt. Für Bohrungen in seine bewegte Geschichte gibt es keinen standfesten Ort. Im offenen Prozeß seiner Verschiebungen steht auch der Betrachter auf schwankendem Grund.
Die Gedichte Celans speichern genau diese unabgeschlossene Geschichte. Auschwitz ist ihnen kein Vergangenheitssediment, das von der späteren Zeit abgedeckelt wurde. Sie interessieren sich nicht für Lager, sondern die unterirdische Reise seiner verbrannten Insassen. Mit guten Gründen wehrt Werner die nur metaphorische Nähe zur Geologie ab und dringt auf Buchstäblichkeit: Auch die Sprache Celans besitze eine Materialität, der sich die ruhelosen Toten einlagern können. Erst in Versen nehmen die Aschepartikel wieder eine Gestalt an, deren Leiblichkeit von den Überlebenden bestattet und von der Erlösung wiedergefunden werden kann. Erst die "Metamorphose ins Mineral" erschafft den Vernichteten eine wiederfindbare Form. Als Anorganisches erleiden sie einen zweiten Tod, der ihnen zur Rettung wird. Ihre Steinwerdung ist Poesie und kultisches Ritual, Geologie und Gottesdienst. Celans Reim wird zum letzten Dienst eines Überlebenden.
Auch das Spätwerk ändert nichts an dieser geologischen Grablegung. Mit der Vehemenz einer Glaubenden lehnt Werner die Annahme der Forschung ab, seit "Atemwende" ergebe Celan sich einer eskapistischen Unsagbarkeit. Wo man bisher Celan am Eingedenken verzweifeln sah, baut er nun fort an der "Krypta im Kryptischen". In der angeblichen Hermetik dieser letzten Gedichte: dem Verknappen des Verses bis zum Wort, dem Bruch mit dem Leser wie mit der Syntax, erkennt Werner eine eindringliche Bearbeitung der Wirklichkeit. In keinem Moment verletzt Celan seine Treue gegenüber den Toten, gerade weil seine Bestattungslyrik nicht aufgibt. Vermag sie das Ungestaltete auch nur flüchtig ansichtig zu machen, so ist die Rettung für diesen Lektürenaugenblick gelungen. Die Geologie nimmt die Veränderlichkeit beim Wort. Nur der langsame Erdbeobachter kennt die Kürze der Zeit.
Uta Werner zitiert das schöne Wort von der Aufmerksamkeit als dem "natürlichen Gebet der Seele". Weil ihr Buch diese Langsamkeit als Leseanweisung versteht, will es auch Exerzitium sein. Ihr Buch entfaltet in den skrupulösen Gedichtanalysen zur immer drängenderen Wiederholung, was schon die bewunderswert präzise Einleitung wußte. Darüber nimmt es selbst den Charakter eines Rituals an. Auch dem eigenen Leser verlangt es eine Aufmerksamkeit ab, die mehr als wissenschaftliche Pflicht sein will. Scheitert der Leser, hat er dies auch als moralisches Versagen zu tragen. Solche Beharrlichkeit ist bemerkenswert, aber sie ist auch bedrängend. Interesseloses Wohlgefallen an Celan wie Werner wird darüber zum blasphemischen Spiel. THOMAS WIRTZ
Uta Werner: "Textgräber". Paul Celans geologische Lyrik. Wilhelm Fink Verlag, München 1998, 210 S., br., 78,- DM
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