Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2020China als Herausforderer
Zeit zu lesen: David Goldblatt sucht in seinem 700 Seiten starken Werk "Das Zeitalter des Fußballs" Antworten auf die aktuellsten Fragen dieses Weltsports.
Fan-Gewalt, Korruption, Rassismus, Wettbetrug: Der Fußballsport ist, so das Fazit von David Goldblatt, in fast allen Ländern in keinem guten Zustand, was allerdings wegen florierender Hochglanzprodukte wie der Weltmeisterschaften für Männer und Frauen wenig Beachtung findet. Den britischen Autoren und Soziologen, der 2006 durch sein Buch "The Ball is Round: A Global History of Football" bekannt wurde, halten einige Rezensenten sogar für den weltweit besten Fußball-Autoren. Auch in "The Age of Football. The Global Game in the Twenty-First Century" enttäuscht er seine Leser nicht. Wer die Geduld hat, sich durch die rund 700 Seiten durchzukämpfen (oder das von Goldblatt selbst besprochene Hörbuch anzuhören), erfährt einen in dieser Form sicher einzigartigen Überblick zum Stand des Sports.
Drei Jahre hat Goldblatt nach eigenen Angaben dafür Presse- und Fachartikel gelesen sowie viele Länder besucht, wobei ein Problem darin bestehe, dass die meisten Quellen zum Männerfußball vorlägen. Einige Staaten bekommen zwangsläufig mehr Aufmerksamkeit als andere. Dabei werden neben den Nationalmannschaften und lokalen Ligen, dem Stand des Männer- und Frauenfußballs immer auch relevante politische, ökonomische und gesellschaftliche Fragen rund um den weltweit beliebtesten Sport erörtert, der allerdings nicht überall die Nummer eins ist. So gilt das Hauptaugenmerk im bevölkerungsreichen Südasien dem Cricket.
Fünf der sechs Weltmeisterschaften der Männer zwischen 1998 und 2018 wurden von europäischen Nationalmannschaften gewonnen. Wenn über eine Globalisierung des Fußballs gesprochen wird, verkennt dies, dass das globale Machtzentrum des Sports in die großen Ligen Europas gerückt ist. Nicht nur kicken die besten Spieler aus aller Welt hier; das Satellitenfernsehen macht vor allem Spiele der englischen Premier League und der Champions League weltweit zugänglich. Ein Effekt, der laut Goldblatt in der Mehrzahl aller nationalen Ligen zu einem teils dramatischen Besucherschwund geführt hat, wozu vielfach auch andere lokale Faktoren wie fehlende Sicherheit beim Stadionbesuch oder, wie in der Türkei, der Bau neuer Stadien jenseits urbaner Zentren beigetragen haben. Allerdings, so betont Goldblatt, hätten gerade einmal zwölf bis 14 Groß-Klubs eine weltweite Fan-Basis.
Etwas optimistisch ist die wenig belegte These von Goldblatt, dass die weltweite Übertragung von Spielen aus Europa den Kosmopolitismus befördert hat. Dagegen sprechen unter anderem der Aufstieg nationalistischer Populisten etwa in Brasilien und Ungarn, die versuchen, den Fußball als Plattform zu nutzen; der Ausschluss von Iranerinnen aus Stadien oder die Politik einiger israelischer Klubs, keine arabischen Spieler zu verpflichten. Der Fußball ist zwar in alle Erdwinkel vorgedrungen, was aber nicht bedeutet, dass er auch für alle Menschen zugänglich ist. Das betrifft vor allem den Mädchen- und Frauenfußball, der insbesondere in weiten Teilen Afrikas und des Nahen Ostens auf kulturelle Barrieren trifft.
Der Fußball hat sich insofern globalisiert, als er zunehmend zu einem Instrument der Außenpolitik geworden ist. Interessant sind die Ausführungen zur Stadion-Diplomatie Chinas, das mit dem Bau und der Finanzierung von mehr als 30 Stadien quer durch den afrikanischen Kontinent seinen Einfluss ausgebaut hat, wobei neben wirtschaftlichen Motiven laut Goldblatt hier vor allem auch das Gewinnen von Bündnispartnern zur internationalen Isolation Taiwans angestrebt wird. Ein weiteres Beispiel sind die Golf-Staaten, die europäische Klubs erworben haben und mit dem Sponsoring mittels ihrer staatlichen Fluggesellschaften weltweit ihr Image aufpolieren wollen.
Während die Lektüre vielfach eine Niedergeschlagenheit beim Leser hinterlässt - zu viele negative Entwicklungen, insbesondere zur Korruption, werden detailliert beschrieben -, gibt es laut Goldblatt auch einige wenige Erfolgsbeispiele: So entpuppt er sich als großer Fan des deutschen Fußballs, der seit der Ära Klinsmann Spieler mit Migrationshintergrund integriert habe, über eine aktive Fanszene verfüge und - dank 50-plus-1 - dubiose Vereinsbesitzer, in vielen anderen im Buch diskutierten Ländern im Spiel, nicht zum Zuge kommen lasse. Allerdings hätte die Dominanz vom VfL Wolfsburg im Frauen- und von Bayern München im Männerfußball sowie die Ursachen auch kritisch besprochen werden können. Ebenfalls positiv werden Japan und die Vereinigten Staaten diskutiert, die internationale Erfolge im Frauenfußball erzielen. Die nationalen Ligen, J1 League und MLS, haben sich etabliert und expandieren; zugleich schaffen viele Talente den Sprung in europäische Top-Ligen. Besonders auffällig ist, dass 40 Prozent der Stadionbesucher in Japan Frauen sind, wobei in den Vereinigten Staaten deutlich mehr Mädchen als in Japan Fußball spielen, statt nur zu konsumieren.
Ein Mutmacher für kleinere Länder ist Island, das nicht einmal halb so viele Einwohner wie Frankfurt hat, aber sich für die Männer-EM 2016 und die WM 2018 qualifizieren konnte. Der nordische Inselstaat hat laut Goldblatt erfolgreich ins Coaching investiert und fast so viele von der Uefa akkreditierte Trainer wie England. An dieser Stelle hätten auch die in den vergangenen Jahren gebauten Hallen-Fußballplätze diskutiert werden können, die wohl auch zum isländischen Erfolg beitrugen. Goldblatt sieht in den kommenden Jahren kein Land und keine Liga, die das europäische Machtzentrum im Männerfußball brechen können. Langfristig glaubt er an China als Herausforderer. Chinesisches Kapital findet zunehmend seinen Weg in den europäischen Fußball. Zeitweilig hatten sowohl Inter Mailand als auch AC Mailand chinesische Besitzer. Die 2004 gestartete Chinese Super League hat eine vergleichsweise positive Entwicklung genommen, mit Guangzhou Evergrande Taobao FC als Serienmeister und Gewinner der asiatischen Champions League 2013 und 2015. Der Einsatz ausländischer Spieler wurde 2017 auf Druck der Staatsführung auf drei pro Team begrenzt, 50 000 Fußballschulen sind im gesamten Land geplant. Dadurch sollen die drei Ziele vom Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, Xi Jinping, erreicht werden: China, das sich erst einmal, 2002, für eine WM qualifizierte, soll zum Stammgast beim Turnier werden. Es soll Gastgeber einer WM sein und diese bis spätestens 2050 gewinnen.
DANYEL REICHE
Der Autor ist Gast-Professor an der Edmund A. Walsh School of Foreign Service der Georgetown University in Qatar.
David Goldblatt, The Age of Football. The Global Game in the Twenty-First Century, Macmillan, 2019, 677 Seiten. 13,92 Euro.
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Zeit zu lesen: David Goldblatt sucht in seinem 700 Seiten starken Werk "Das Zeitalter des Fußballs" Antworten auf die aktuellsten Fragen dieses Weltsports.
Fan-Gewalt, Korruption, Rassismus, Wettbetrug: Der Fußballsport ist, so das Fazit von David Goldblatt, in fast allen Ländern in keinem guten Zustand, was allerdings wegen florierender Hochglanzprodukte wie der Weltmeisterschaften für Männer und Frauen wenig Beachtung findet. Den britischen Autoren und Soziologen, der 2006 durch sein Buch "The Ball is Round: A Global History of Football" bekannt wurde, halten einige Rezensenten sogar für den weltweit besten Fußball-Autoren. Auch in "The Age of Football. The Global Game in the Twenty-First Century" enttäuscht er seine Leser nicht. Wer die Geduld hat, sich durch die rund 700 Seiten durchzukämpfen (oder das von Goldblatt selbst besprochene Hörbuch anzuhören), erfährt einen in dieser Form sicher einzigartigen Überblick zum Stand des Sports.
Drei Jahre hat Goldblatt nach eigenen Angaben dafür Presse- und Fachartikel gelesen sowie viele Länder besucht, wobei ein Problem darin bestehe, dass die meisten Quellen zum Männerfußball vorlägen. Einige Staaten bekommen zwangsläufig mehr Aufmerksamkeit als andere. Dabei werden neben den Nationalmannschaften und lokalen Ligen, dem Stand des Männer- und Frauenfußballs immer auch relevante politische, ökonomische und gesellschaftliche Fragen rund um den weltweit beliebtesten Sport erörtert, der allerdings nicht überall die Nummer eins ist. So gilt das Hauptaugenmerk im bevölkerungsreichen Südasien dem Cricket.
Fünf der sechs Weltmeisterschaften der Männer zwischen 1998 und 2018 wurden von europäischen Nationalmannschaften gewonnen. Wenn über eine Globalisierung des Fußballs gesprochen wird, verkennt dies, dass das globale Machtzentrum des Sports in die großen Ligen Europas gerückt ist. Nicht nur kicken die besten Spieler aus aller Welt hier; das Satellitenfernsehen macht vor allem Spiele der englischen Premier League und der Champions League weltweit zugänglich. Ein Effekt, der laut Goldblatt in der Mehrzahl aller nationalen Ligen zu einem teils dramatischen Besucherschwund geführt hat, wozu vielfach auch andere lokale Faktoren wie fehlende Sicherheit beim Stadionbesuch oder, wie in der Türkei, der Bau neuer Stadien jenseits urbaner Zentren beigetragen haben. Allerdings, so betont Goldblatt, hätten gerade einmal zwölf bis 14 Groß-Klubs eine weltweite Fan-Basis.
Etwas optimistisch ist die wenig belegte These von Goldblatt, dass die weltweite Übertragung von Spielen aus Europa den Kosmopolitismus befördert hat. Dagegen sprechen unter anderem der Aufstieg nationalistischer Populisten etwa in Brasilien und Ungarn, die versuchen, den Fußball als Plattform zu nutzen; der Ausschluss von Iranerinnen aus Stadien oder die Politik einiger israelischer Klubs, keine arabischen Spieler zu verpflichten. Der Fußball ist zwar in alle Erdwinkel vorgedrungen, was aber nicht bedeutet, dass er auch für alle Menschen zugänglich ist. Das betrifft vor allem den Mädchen- und Frauenfußball, der insbesondere in weiten Teilen Afrikas und des Nahen Ostens auf kulturelle Barrieren trifft.
Der Fußball hat sich insofern globalisiert, als er zunehmend zu einem Instrument der Außenpolitik geworden ist. Interessant sind die Ausführungen zur Stadion-Diplomatie Chinas, das mit dem Bau und der Finanzierung von mehr als 30 Stadien quer durch den afrikanischen Kontinent seinen Einfluss ausgebaut hat, wobei neben wirtschaftlichen Motiven laut Goldblatt hier vor allem auch das Gewinnen von Bündnispartnern zur internationalen Isolation Taiwans angestrebt wird. Ein weiteres Beispiel sind die Golf-Staaten, die europäische Klubs erworben haben und mit dem Sponsoring mittels ihrer staatlichen Fluggesellschaften weltweit ihr Image aufpolieren wollen.
Während die Lektüre vielfach eine Niedergeschlagenheit beim Leser hinterlässt - zu viele negative Entwicklungen, insbesondere zur Korruption, werden detailliert beschrieben -, gibt es laut Goldblatt auch einige wenige Erfolgsbeispiele: So entpuppt er sich als großer Fan des deutschen Fußballs, der seit der Ära Klinsmann Spieler mit Migrationshintergrund integriert habe, über eine aktive Fanszene verfüge und - dank 50-plus-1 - dubiose Vereinsbesitzer, in vielen anderen im Buch diskutierten Ländern im Spiel, nicht zum Zuge kommen lasse. Allerdings hätte die Dominanz vom VfL Wolfsburg im Frauen- und von Bayern München im Männerfußball sowie die Ursachen auch kritisch besprochen werden können. Ebenfalls positiv werden Japan und die Vereinigten Staaten diskutiert, die internationale Erfolge im Frauenfußball erzielen. Die nationalen Ligen, J1 League und MLS, haben sich etabliert und expandieren; zugleich schaffen viele Talente den Sprung in europäische Top-Ligen. Besonders auffällig ist, dass 40 Prozent der Stadionbesucher in Japan Frauen sind, wobei in den Vereinigten Staaten deutlich mehr Mädchen als in Japan Fußball spielen, statt nur zu konsumieren.
Ein Mutmacher für kleinere Länder ist Island, das nicht einmal halb so viele Einwohner wie Frankfurt hat, aber sich für die Männer-EM 2016 und die WM 2018 qualifizieren konnte. Der nordische Inselstaat hat laut Goldblatt erfolgreich ins Coaching investiert und fast so viele von der Uefa akkreditierte Trainer wie England. An dieser Stelle hätten auch die in den vergangenen Jahren gebauten Hallen-Fußballplätze diskutiert werden können, die wohl auch zum isländischen Erfolg beitrugen. Goldblatt sieht in den kommenden Jahren kein Land und keine Liga, die das europäische Machtzentrum im Männerfußball brechen können. Langfristig glaubt er an China als Herausforderer. Chinesisches Kapital findet zunehmend seinen Weg in den europäischen Fußball. Zeitweilig hatten sowohl Inter Mailand als auch AC Mailand chinesische Besitzer. Die 2004 gestartete Chinese Super League hat eine vergleichsweise positive Entwicklung genommen, mit Guangzhou Evergrande Taobao FC als Serienmeister und Gewinner der asiatischen Champions League 2013 und 2015. Der Einsatz ausländischer Spieler wurde 2017 auf Druck der Staatsführung auf drei pro Team begrenzt, 50 000 Fußballschulen sind im gesamten Land geplant. Dadurch sollen die drei Ziele vom Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, Xi Jinping, erreicht werden: China, das sich erst einmal, 2002, für eine WM qualifizierte, soll zum Stammgast beim Turnier werden. Es soll Gastgeber einer WM sein und diese bis spätestens 2050 gewinnen.
DANYEL REICHE
Der Autor ist Gast-Professor an der Edmund A. Walsh School of Foreign Service der Georgetown University in Qatar.
David Goldblatt, The Age of Football. The Global Game in the Twenty-First Century, Macmillan, 2019, 677 Seiten. 13,92 Euro.
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David Goldblatt is not merely the best football historian writing today, he is possibly the best there has ever been The Sunday Times