HarperCollins is proud to present its new range of best-loved, essential classics.
'I want - I want somehow to get away with you into a world where words like that - categories like that - won't exist. Where we shall be simply two human beings who love each other, who are the whole of life to each other; and nothing else on earth will matter.'
Newland Archer, a successful and charming young lawyer conducts himself by the rules and standards of the polite, upper class New York society that he resides in. Happily engaged to the pretty and conventional May Welland, his attachment guarantees his place in this rigid world of the elite.
However, the arrival of May's cousin, the exotic and beautiful European Countess Olenska throws Newland's life upside down. A divorcee, Olenska is ostracised by those around her, yet Newland is fiercely drawn to her wit, determination and willingness to flout convention. With the Countess, Newland is freed from the limitations that surround him and truly begins to 'feel' for the first time.
Wharton's subtle exposé of the manners and etiquette of 1870s New York society is both comedic, subtle, satirical and cynical in style and paints an evocative picture of a man torn between his passion and his obligation.
'I want - I want somehow to get away with you into a world where words like that - categories like that - won't exist. Where we shall be simply two human beings who love each other, who are the whole of life to each other; and nothing else on earth will matter.'
Newland Archer, a successful and charming young lawyer conducts himself by the rules and standards of the polite, upper class New York society that he resides in. Happily engaged to the pretty and conventional May Welland, his attachment guarantees his place in this rigid world of the elite.
However, the arrival of May's cousin, the exotic and beautiful European Countess Olenska throws Newland's life upside down. A divorcee, Olenska is ostracised by those around her, yet Newland is fiercely drawn to her wit, determination and willingness to flout convention. With the Countess, Newland is freed from the limitations that surround him and truly begins to 'feel' for the first time.
Wharton's subtle exposé of the manners and etiquette of 1870s New York society is both comedic, subtle, satirical and cynical in style and paints an evocative picture of a man torn between his passion and his obligation.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2015Eine Mädchenseele, die nichts weiß und alles erwartet
Tête-à-tête unter Mumien: Edith Whartons in mancherlei Hinsicht problematischer Liebesverzichtsroman "Zeit der Unschuld" strahlt in der Neuübersetzung von Andrea Ott mit frischer Ironie.
Von Werner von Koppenfels
Das Bild, dem Edith Whartons berühmtester Roman seinen Namen verdankt, stammt von Joshua Reynolds und hängt in der Tate Gallery. Abgebildet ist ein herziges kleines Mädchen, das barfuß und weißgewandet im Gras sitzt und pausbäckig ins Leben schaut. Die Viktorianer machten es unter dem Titel "The Age of Innocence" zu einer Ikone der heilen Kindheit und kopierten es fleißig.
Der Verdacht, dass Wharton dieses Etikett ihrer resignativen Ehegeschichte von 1920 ironisch angeheftet hat, liegt nahe. Der Titel verweist nebenher auch auf das "Gilded Age" der opulenten New Yorker Gesellschaft, die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts, in denen der Roman spielt; und das reimt nun wieder mit "gilded cage", dem vergoldeten Käfig als Hort vermeintlicher Unschuld. Es war das Milieu, aus dem Wharton selbst stammte und von dem sie sich in ihrer Wahlheimat Frankreich befreite und freischrieb. Wie bei ihrem Freund und Mentor Henry James ist der Gegensatz zwischen Alter und (nicht mehr ganz) Neuer Welt für die Handlung ausschlaggebend.
Die blonde Unschuld des Romans, ein perfektes Erzeugnis der vermögenden Gesellschaft, trägt den frühlingshaften Namen May Welland und strahlt von Reinheit und Helle in einer "Welt blasser Artigkeiten", eine Mädchenseele, die "nichts weiß und alles erwartet". Alles erwartet sie von der Heirat mit ihrem Verlobten Newland Archer, dem eher unterbeschäftigten Juniorpartner einer besseren Anwaltskanzlei, der sich, welterfahren, wie er zu sein meint, schon darauf freut, sie durch das erwachsene Leben zu führen. Aber es kommt anders. Schuld ist die Dark Lady der Geschichte, Mays skandalumwitterte Cousine Ellen Olenska, die soeben aus Europa eingereist ist und in der Oper "etwas mehr Schulter und Busen zeigte, als New York zu sehen gewohnt war".
Ihre europäische Aura von Freiheit und Exotismus zieht Newland mehr und mehr in Bann, und der Vorgeschmack des so fest geplanten Eheglücks wird ihm darüber schal. Er ertappt sich dabei, wie er May mit den Augen eines Fremden betrachtet: "Das Blut, das so dicht unter ihrer hellen Haut floss, war wohl eher ein harmlos flüssiges Element." Seine anstößige Liebe zur ,Anderen' trifft zwar zunehmend auf Ermutigung, bis hin zu ihrem erotischen Höhepunkt, dem Aufknöpfen eines Handschuhs mit folgendem Handkuss, "als küßte er eine Reliquie". Doch zugleich wird sie in einem raffinierten Kammerspiel gesellschaftlicher Impulse hintertrieben, vor allem durch Newlands eigenes Schwanken und Mays untrüglichen Instinkt für das Schickliche. Seine Rückzüge in die Bibliothek und das gelegentliche Aufreißen eines Fensters, wenn er zu ersticken droht, reichen nicht aus zur Selbstbefreiung.
Der auf seinen Wunsch vorverlegte Hochzeitstermin wird genau in dem Moment zur Falle, wo er Bedenkzeit dringend brauchte, und als er sich endlich zu seiner Liebe bekennen will, teilt ihm May mit, sie erwarte ein Kind. Das letzte Tête-à-tête mit Ellen findet unter Mumien und Sarkophagen im Metropolitan Museum statt. Whartons Symbolismus, siehe Mays "zerrissenes und beschmutztes Hochzeitskleid", ist nicht so raffiniert wie der von Henry James, aber er prägt sich ein.
Am Ende ein Zeitsprung von 26 Jahren: Rückblick auf eine glanzlose Karriere - Theodore Roosevelt (ein guter Bekannter der Autorin) hat Newland eigenhändig in die Politik geholt - und auf ein pflichtgemäßes Eheleben. May ist inzwischen gestorben, die Alte Welt hat sich gewandelt, und der Sohn verkörpert den Schwung einer zupackenden neuen Generation. Wie seine Mutter ahnt er das Opfer des Vaters, entführt ihn nach Paris zu einem Wiedersehen mit Ellen, zeigt ihm von der Straße aus ihre Wohnung im vierten Stock eines Mietshauses. Newland geht nicht hinauf.
Andrea Ott, die zu Recht gerühmte Neuübersetzerin englischsprachiger Klassiker, zeigt viel Sinn für das brillante Ironiespiel, das die Erzählerin mit ihrem entscheidungsschwachen Helden und der vieillesse dorée seiner Umgebung treibt. Gelegentlich mischt sie dem Witz der Vorlage noch etwas Pfeffer bei; so, wenn sie den "virginal frame" von Newlands unverheirateter Schwester zum "jungfräulichen Knochengerüst" macht oder im Eherückblick das "courting" zur "kurzen Balzphase"; in der älteren, keineswegs ungenießbaren Fassung, die bei Piper oft aufgelegt wurde, hieß es noch "Liebesfrühling". Auch das Nachwort von Paul Ingendaay und die nur gelegentlich ausufernden Anmerkungen sind ein Gewinn der neuen Ausgabe.
P.S. Zwischen Handlungszeit und Veröffentlichung des Romans fällt die historische Zäsur eines Weltkriegs. Man sucht im Subtext von "Zeit der Unschuld" vergeblich nach Hinweisen auf diese andere Zeit. Die Gesellschaftssatire fällt, was die Hauptfiguren betrifft, eher milder aus als in Whartons früheren Romanen. Die Autorin hatte die Kriegsjahre in Frankreich verbracht und sich leidenschaftlich für die Sache der Wahlheimat und für einen Kriegseintritt der Vereinigten Staaten eingesetzt. 1923, nach dem Pulitzer-Preis, erschien dann ihr Roman "A Son at the Front". Dort rechtfertigt eine Mutter aus tiefster Trauer heraus den Tod ihres Sohnes als Opfer für die Rettung der Zivilisation. Selbst ein Chauvinist wie Kipling war damals schon weiter. Aber er hatte ja wirklich einen Sohn an der Front verloren.
Edith Wharton: "Zeit der Unschuld". Roman.
Aus dem Englisch von Andrea Ott. Nachwort von Paul Ingendaay. Manesse Verlag, München 2015. 394 S., geb., 26,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tête-à-tête unter Mumien: Edith Whartons in mancherlei Hinsicht problematischer Liebesverzichtsroman "Zeit der Unschuld" strahlt in der Neuübersetzung von Andrea Ott mit frischer Ironie.
Von Werner von Koppenfels
Das Bild, dem Edith Whartons berühmtester Roman seinen Namen verdankt, stammt von Joshua Reynolds und hängt in der Tate Gallery. Abgebildet ist ein herziges kleines Mädchen, das barfuß und weißgewandet im Gras sitzt und pausbäckig ins Leben schaut. Die Viktorianer machten es unter dem Titel "The Age of Innocence" zu einer Ikone der heilen Kindheit und kopierten es fleißig.
Der Verdacht, dass Wharton dieses Etikett ihrer resignativen Ehegeschichte von 1920 ironisch angeheftet hat, liegt nahe. Der Titel verweist nebenher auch auf das "Gilded Age" der opulenten New Yorker Gesellschaft, die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts, in denen der Roman spielt; und das reimt nun wieder mit "gilded cage", dem vergoldeten Käfig als Hort vermeintlicher Unschuld. Es war das Milieu, aus dem Wharton selbst stammte und von dem sie sich in ihrer Wahlheimat Frankreich befreite und freischrieb. Wie bei ihrem Freund und Mentor Henry James ist der Gegensatz zwischen Alter und (nicht mehr ganz) Neuer Welt für die Handlung ausschlaggebend.
Die blonde Unschuld des Romans, ein perfektes Erzeugnis der vermögenden Gesellschaft, trägt den frühlingshaften Namen May Welland und strahlt von Reinheit und Helle in einer "Welt blasser Artigkeiten", eine Mädchenseele, die "nichts weiß und alles erwartet". Alles erwartet sie von der Heirat mit ihrem Verlobten Newland Archer, dem eher unterbeschäftigten Juniorpartner einer besseren Anwaltskanzlei, der sich, welterfahren, wie er zu sein meint, schon darauf freut, sie durch das erwachsene Leben zu führen. Aber es kommt anders. Schuld ist die Dark Lady der Geschichte, Mays skandalumwitterte Cousine Ellen Olenska, die soeben aus Europa eingereist ist und in der Oper "etwas mehr Schulter und Busen zeigte, als New York zu sehen gewohnt war".
Ihre europäische Aura von Freiheit und Exotismus zieht Newland mehr und mehr in Bann, und der Vorgeschmack des so fest geplanten Eheglücks wird ihm darüber schal. Er ertappt sich dabei, wie er May mit den Augen eines Fremden betrachtet: "Das Blut, das so dicht unter ihrer hellen Haut floss, war wohl eher ein harmlos flüssiges Element." Seine anstößige Liebe zur ,Anderen' trifft zwar zunehmend auf Ermutigung, bis hin zu ihrem erotischen Höhepunkt, dem Aufknöpfen eines Handschuhs mit folgendem Handkuss, "als küßte er eine Reliquie". Doch zugleich wird sie in einem raffinierten Kammerspiel gesellschaftlicher Impulse hintertrieben, vor allem durch Newlands eigenes Schwanken und Mays untrüglichen Instinkt für das Schickliche. Seine Rückzüge in die Bibliothek und das gelegentliche Aufreißen eines Fensters, wenn er zu ersticken droht, reichen nicht aus zur Selbstbefreiung.
Der auf seinen Wunsch vorverlegte Hochzeitstermin wird genau in dem Moment zur Falle, wo er Bedenkzeit dringend brauchte, und als er sich endlich zu seiner Liebe bekennen will, teilt ihm May mit, sie erwarte ein Kind. Das letzte Tête-à-tête mit Ellen findet unter Mumien und Sarkophagen im Metropolitan Museum statt. Whartons Symbolismus, siehe Mays "zerrissenes und beschmutztes Hochzeitskleid", ist nicht so raffiniert wie der von Henry James, aber er prägt sich ein.
Am Ende ein Zeitsprung von 26 Jahren: Rückblick auf eine glanzlose Karriere - Theodore Roosevelt (ein guter Bekannter der Autorin) hat Newland eigenhändig in die Politik geholt - und auf ein pflichtgemäßes Eheleben. May ist inzwischen gestorben, die Alte Welt hat sich gewandelt, und der Sohn verkörpert den Schwung einer zupackenden neuen Generation. Wie seine Mutter ahnt er das Opfer des Vaters, entführt ihn nach Paris zu einem Wiedersehen mit Ellen, zeigt ihm von der Straße aus ihre Wohnung im vierten Stock eines Mietshauses. Newland geht nicht hinauf.
Andrea Ott, die zu Recht gerühmte Neuübersetzerin englischsprachiger Klassiker, zeigt viel Sinn für das brillante Ironiespiel, das die Erzählerin mit ihrem entscheidungsschwachen Helden und der vieillesse dorée seiner Umgebung treibt. Gelegentlich mischt sie dem Witz der Vorlage noch etwas Pfeffer bei; so, wenn sie den "virginal frame" von Newlands unverheirateter Schwester zum "jungfräulichen Knochengerüst" macht oder im Eherückblick das "courting" zur "kurzen Balzphase"; in der älteren, keineswegs ungenießbaren Fassung, die bei Piper oft aufgelegt wurde, hieß es noch "Liebesfrühling". Auch das Nachwort von Paul Ingendaay und die nur gelegentlich ausufernden Anmerkungen sind ein Gewinn der neuen Ausgabe.
P.S. Zwischen Handlungszeit und Veröffentlichung des Romans fällt die historische Zäsur eines Weltkriegs. Man sucht im Subtext von "Zeit der Unschuld" vergeblich nach Hinweisen auf diese andere Zeit. Die Gesellschaftssatire fällt, was die Hauptfiguren betrifft, eher milder aus als in Whartons früheren Romanen. Die Autorin hatte die Kriegsjahre in Frankreich verbracht und sich leidenschaftlich für die Sache der Wahlheimat und für einen Kriegseintritt der Vereinigten Staaten eingesetzt. 1923, nach dem Pulitzer-Preis, erschien dann ihr Roman "A Son at the Front". Dort rechtfertigt eine Mutter aus tiefster Trauer heraus den Tod ihres Sohnes als Opfer für die Rettung der Zivilisation. Selbst ein Chauvinist wie Kipling war damals schon weiter. Aber er hatte ja wirklich einen Sohn an der Front verloren.
Edith Wharton: "Zeit der Unschuld". Roman.
Aus dem Englisch von Andrea Ott. Nachwort von Paul Ingendaay. Manesse Verlag, München 2015. 394 S., geb., 26,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2015Treibgut, ausgebleicht
Anatomie der feinen Leute: Edith Whartons „Zeit der Unschuld“
An einem Frühlingsmorgen steht der Bräutigam vor den Stufen zum Chor der Grace Church in Manhattan. Die Brautjungfern schweben in der Vorhalle in einer Wolke aus Kirschblüten, die acht Buketts aus weißem Flieder und Maiglöckchen für die Brautjungfern sind rechtzeitig zugestellt worden, in seiner Westentasche steckt der Ring. „Während dieser unvermeidlichen Wartephase musste sich der Bräutigam zum Beweis seiner Ungeduld ganz allein von der versammelten Gemeinde anstarren lassen, und Archer stand diesen Teil der Zeremonie ebenso schicksalsergeben durch wie all die anderen Details, die aus einer Hochzeit im New York des 19. Jahrhunderts ein Ritual wie aus frühgeschichtlichen Zeiten machten.“
Edith Wharton kannte die Gesellschaft, in der ein Mann bei einer solchen Gelegenheit seinen Zylinder und die perlgrauen, schwarz abgesteppten Handschuhe in der linken Hand zu halten hatte. Sie war in der Aristokratie der amerikanischen Ostküste aufgewachsen. Trotzdem betrachtete sie diese Welt mit dem Blick einer Ethnologin.
Die Geschichte ihres Romans „Zeit der Unschuld“ aus dem Jahr 1920 ist schnell erzählt: Eine junger Mann aus bestem New Yorker Hause heiratet eine junge Frau aus einem anderen besten Haus, liebt aber deren Cousine, die nach einer gescheiterten Ehe aus Europa zurückkehrt und nicht viel mit den dort geltenden Konventionen im Sinn hat. Doch wird der Anstand gewahrt, der junge Mann verzichtet, die schöne Cousine auch. Als er schließlich die Gelegenheit hat, sie nach mehr als zwanzig Jahren wiederzusehen, und in Paris nur zu ihrer Wohnung hinaufgehen müsste, setzt er sich lediglich auf eine Bank und schaut hinauf: „Für mich ist es hier wirklicher, als wenn ich hinaufginge.“
Dieses Buch ist der erfolgreichste Roman Edith Whartons. Er wurde mehrmals verfilmt, zuletzt 1993 von Martin Scorsese, was vermutlich weniger an der einfachen Geschichte, als an der Art der Betrachtung liegt: daran, dass jede gehobene Braue, jeder Blumenstrauß, jedes Samtband ein Zeichen darstellt, das man präsentieren und zu verstehen in der Lage sein muss – einmal braucht Edith Wharton fast eine ganze Seite, um den „Code“ des nur scheinbar trivialen Satzes „und du musst unbedingt Ellen besuchen“ zu entziffern.
Darin liegt kein harmloses, sondern ein abgründiges Vergnügen. Denn auf der einen Seite entsteht so das Bild einer von ebenso strengen wie zeitlosen Regeln durchzogenen Oberschicht, deren Rituale der amerikanische Volkswirt und Soziologe Thorstein Veblen in seinem Buch „The Theory of the Leisure Class“ („Theorie der feinen Leute“, 1899) als die Bewegungsgesetze vorhistorischer Sippen und feudaler Gemeinschaften beschrieb. Und Edith Wharton widmet sich diesen Gesetzen, als ginge es darum, einen untergegangenen Stamm wenigstens in der Vorstellung wieder zum Leben zu erwecken.
Auf der anderen Seite aber erscheinen die Riten der feinen Leute auf subtile Weise gebrochen: an einem Verlangen nach Freiheit, an der Liebesleidenschaft, vor allem aber an der Zeit. Schon bei der Hochzeit ist plötzlich von einem Marsch die Rede, der durch die Kirche tost und dabei „das ausgebleichte Treibgut“ vieler Hochzeiten mit sich zu führen scheint. Und später, als die Geliebte dem Helden plötzlich verspricht, ihm einmal – und nur einmal – den Beischlaf zu gewähren, geschieht dies in einem menschenleeren Saal des kurz zuvor eröffneten Metropolitan Museum, in dessen Vitrinen vor allem Trümmer antiken Hausgeräts verwahrt werden. Von diesem Saal ist gegen Ende des Romans noch einmal die Rede. Aber es ist längst eine andere Sammlung darin untergebracht.
Der Verlag spricht davon, dass Edith Wharton das „selbstherrliche Taktieren“ der amerikanischen Aristokratie „entlarve“. Aber das ist nicht wahr. Sie offenbart das Taktieren, aber sie tut es ohne moralische Absichten. Sie legt offen, wie es funktioniert, mit einer Tiefe und Klarheit, dass dem Leser dabei zuweilen schwindlig wird. Aber sie erhebt sich nicht über dieses Taktieren. Im Gegenteil: Sie zeigt, wie innig das Bewusstsein vergehender Zeit an die scheinbar zeitlose Strenge sozialer Regeln gebunden ist. Und sie verrät, wie sich die Leidenschaft an ihrer Unmöglichkeit nährt: „Ich kann dich nur lieben, wenn ich auf dich verzichte“, sagt die Geliebte. An diesem Satz zerbricht nicht nur die Bereitschaft zur Empathie mit dem Gefühl, von der Liebesromane gewöhnlich zehren, sondern auch jede Ideologie der Befreiung, die in diesem Buch ein Manifest weiblicher Selbstbestimmung erkennen will.
Die Verhältnisse liegen komplizierter. Und im Unterschied zur bisherigen Übersetzung, die ursprünglich aus den Dreißigern stammt, verwendet Andrea Ott eine Sprache, die – deutlich näher am englischen Original – dieses Universum der feinen Unterschiede tatsächlich zur Anschauung bringt. Das gilt vor allem für die Beschreibung von Gebäuden, Interieurs und Kleidern, denen Edith Wharton große Aufmerksamkeit widmet: „In ihrem Kleid mit dem hellgrünen Band um die Taille und dem Efeukranz auf dem Hut“, heißt es über einen Auftritt junger Damen beim Bogenschießen, „strahlte sie die gleiche dianahafte Distanziertheit aus wie am Abend ihrer Verlobung im Ballsaal der Beauforts. Seither schien kein Gedanke ihren Geist gestreift zu haben . . . “.
Thorstein Veblenversammelte die Accessoires der gehobenen Lebensführungen unter der Rubrik „conspicious consumption“, die mit der gewöhnlichen Übersetzung „Geltungskonsum“ nur schlecht wiedergegeben ist. Denn in der „Geltung“ steckt auch ein „Verdacht“. Es hat seinen Sinn, wenn sich nach der zitierten Beschreibung die Erzählerin einmischt und aus dem Inneren des Gatten berichtet, er habe die Bogenschützin bei dieser Gelegenheit mit einem „glühenden Besitzerstolz“ betrachtet, „der ihm so oft ein flüchtiges Wohlbefinden vorgaukelte“.
Denn an diesem Satz wird deutlich, dass der „Geltungskonsum“ nicht nur demonstriert, was man alles besitzt und was man sich alles leisten kann, sondern auch, wie dringend man der zumindest halb öffentlichen Darbietung des exklusiven Genusses bedarf – und darin offenbart jener Stolz eine Unfreiheit, die unendlich viel größer ist als die Freiheit, sich mit den besten und teuersten Dingen des Lebens zu umgeben. In solcher Dialektik offenbart Edith Whartons Roman „Zeit der Unschuld“ seine wahre Größe. Sie ist es, die dieses Buch auch heute noch unbedingt lesenswert macht.
THOMAS STEINFELD
Edith Wharton: Zeit der Unschuld. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Andrea Ott. Mit einem Nachwort von Paul Ingendaay. Manesse Verlag, Zürich 2015. 394 Seiten, 26,95 Euro. E-Book 21,99 Euro.
„Ich kann dich nur lieben,
wenn ich auf dich verzichte“ –
das Glück ist immer woanders
Verbotene Liebe:
Michelle Pfeiffer
und Daniel Day-Lewis
in Martin Scorseses
Verfilmung des Romans.
Foto: Columbia
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Anatomie der feinen Leute: Edith Whartons „Zeit der Unschuld“
An einem Frühlingsmorgen steht der Bräutigam vor den Stufen zum Chor der Grace Church in Manhattan. Die Brautjungfern schweben in der Vorhalle in einer Wolke aus Kirschblüten, die acht Buketts aus weißem Flieder und Maiglöckchen für die Brautjungfern sind rechtzeitig zugestellt worden, in seiner Westentasche steckt der Ring. „Während dieser unvermeidlichen Wartephase musste sich der Bräutigam zum Beweis seiner Ungeduld ganz allein von der versammelten Gemeinde anstarren lassen, und Archer stand diesen Teil der Zeremonie ebenso schicksalsergeben durch wie all die anderen Details, die aus einer Hochzeit im New York des 19. Jahrhunderts ein Ritual wie aus frühgeschichtlichen Zeiten machten.“
Edith Wharton kannte die Gesellschaft, in der ein Mann bei einer solchen Gelegenheit seinen Zylinder und die perlgrauen, schwarz abgesteppten Handschuhe in der linken Hand zu halten hatte. Sie war in der Aristokratie der amerikanischen Ostküste aufgewachsen. Trotzdem betrachtete sie diese Welt mit dem Blick einer Ethnologin.
Die Geschichte ihres Romans „Zeit der Unschuld“ aus dem Jahr 1920 ist schnell erzählt: Eine junger Mann aus bestem New Yorker Hause heiratet eine junge Frau aus einem anderen besten Haus, liebt aber deren Cousine, die nach einer gescheiterten Ehe aus Europa zurückkehrt und nicht viel mit den dort geltenden Konventionen im Sinn hat. Doch wird der Anstand gewahrt, der junge Mann verzichtet, die schöne Cousine auch. Als er schließlich die Gelegenheit hat, sie nach mehr als zwanzig Jahren wiederzusehen, und in Paris nur zu ihrer Wohnung hinaufgehen müsste, setzt er sich lediglich auf eine Bank und schaut hinauf: „Für mich ist es hier wirklicher, als wenn ich hinaufginge.“
Dieses Buch ist der erfolgreichste Roman Edith Whartons. Er wurde mehrmals verfilmt, zuletzt 1993 von Martin Scorsese, was vermutlich weniger an der einfachen Geschichte, als an der Art der Betrachtung liegt: daran, dass jede gehobene Braue, jeder Blumenstrauß, jedes Samtband ein Zeichen darstellt, das man präsentieren und zu verstehen in der Lage sein muss – einmal braucht Edith Wharton fast eine ganze Seite, um den „Code“ des nur scheinbar trivialen Satzes „und du musst unbedingt Ellen besuchen“ zu entziffern.
Darin liegt kein harmloses, sondern ein abgründiges Vergnügen. Denn auf der einen Seite entsteht so das Bild einer von ebenso strengen wie zeitlosen Regeln durchzogenen Oberschicht, deren Rituale der amerikanische Volkswirt und Soziologe Thorstein Veblen in seinem Buch „The Theory of the Leisure Class“ („Theorie der feinen Leute“, 1899) als die Bewegungsgesetze vorhistorischer Sippen und feudaler Gemeinschaften beschrieb. Und Edith Wharton widmet sich diesen Gesetzen, als ginge es darum, einen untergegangenen Stamm wenigstens in der Vorstellung wieder zum Leben zu erwecken.
Auf der anderen Seite aber erscheinen die Riten der feinen Leute auf subtile Weise gebrochen: an einem Verlangen nach Freiheit, an der Liebesleidenschaft, vor allem aber an der Zeit. Schon bei der Hochzeit ist plötzlich von einem Marsch die Rede, der durch die Kirche tost und dabei „das ausgebleichte Treibgut“ vieler Hochzeiten mit sich zu führen scheint. Und später, als die Geliebte dem Helden plötzlich verspricht, ihm einmal – und nur einmal – den Beischlaf zu gewähren, geschieht dies in einem menschenleeren Saal des kurz zuvor eröffneten Metropolitan Museum, in dessen Vitrinen vor allem Trümmer antiken Hausgeräts verwahrt werden. Von diesem Saal ist gegen Ende des Romans noch einmal die Rede. Aber es ist längst eine andere Sammlung darin untergebracht.
Der Verlag spricht davon, dass Edith Wharton das „selbstherrliche Taktieren“ der amerikanischen Aristokratie „entlarve“. Aber das ist nicht wahr. Sie offenbart das Taktieren, aber sie tut es ohne moralische Absichten. Sie legt offen, wie es funktioniert, mit einer Tiefe und Klarheit, dass dem Leser dabei zuweilen schwindlig wird. Aber sie erhebt sich nicht über dieses Taktieren. Im Gegenteil: Sie zeigt, wie innig das Bewusstsein vergehender Zeit an die scheinbar zeitlose Strenge sozialer Regeln gebunden ist. Und sie verrät, wie sich die Leidenschaft an ihrer Unmöglichkeit nährt: „Ich kann dich nur lieben, wenn ich auf dich verzichte“, sagt die Geliebte. An diesem Satz zerbricht nicht nur die Bereitschaft zur Empathie mit dem Gefühl, von der Liebesromane gewöhnlich zehren, sondern auch jede Ideologie der Befreiung, die in diesem Buch ein Manifest weiblicher Selbstbestimmung erkennen will.
Die Verhältnisse liegen komplizierter. Und im Unterschied zur bisherigen Übersetzung, die ursprünglich aus den Dreißigern stammt, verwendet Andrea Ott eine Sprache, die – deutlich näher am englischen Original – dieses Universum der feinen Unterschiede tatsächlich zur Anschauung bringt. Das gilt vor allem für die Beschreibung von Gebäuden, Interieurs und Kleidern, denen Edith Wharton große Aufmerksamkeit widmet: „In ihrem Kleid mit dem hellgrünen Band um die Taille und dem Efeukranz auf dem Hut“, heißt es über einen Auftritt junger Damen beim Bogenschießen, „strahlte sie die gleiche dianahafte Distanziertheit aus wie am Abend ihrer Verlobung im Ballsaal der Beauforts. Seither schien kein Gedanke ihren Geist gestreift zu haben . . . “.
Thorstein Veblenversammelte die Accessoires der gehobenen Lebensführungen unter der Rubrik „conspicious consumption“, die mit der gewöhnlichen Übersetzung „Geltungskonsum“ nur schlecht wiedergegeben ist. Denn in der „Geltung“ steckt auch ein „Verdacht“. Es hat seinen Sinn, wenn sich nach der zitierten Beschreibung die Erzählerin einmischt und aus dem Inneren des Gatten berichtet, er habe die Bogenschützin bei dieser Gelegenheit mit einem „glühenden Besitzerstolz“ betrachtet, „der ihm so oft ein flüchtiges Wohlbefinden vorgaukelte“.
Denn an diesem Satz wird deutlich, dass der „Geltungskonsum“ nicht nur demonstriert, was man alles besitzt und was man sich alles leisten kann, sondern auch, wie dringend man der zumindest halb öffentlichen Darbietung des exklusiven Genusses bedarf – und darin offenbart jener Stolz eine Unfreiheit, die unendlich viel größer ist als die Freiheit, sich mit den besten und teuersten Dingen des Lebens zu umgeben. In solcher Dialektik offenbart Edith Whartons Roman „Zeit der Unschuld“ seine wahre Größe. Sie ist es, die dieses Buch auch heute noch unbedingt lesenswert macht.
THOMAS STEINFELD
Edith Wharton: Zeit der Unschuld. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Andrea Ott. Mit einem Nachwort von Paul Ingendaay. Manesse Verlag, Zürich 2015. 394 Seiten, 26,95 Euro. E-Book 21,99 Euro.
„Ich kann dich nur lieben,
wenn ich auf dich verzichte“ –
das Glück ist immer woanders
Verbotene Liebe:
Michelle Pfeiffer
und Daniel Day-Lewis
in Martin Scorseses
Verfilmung des Romans.
Foto: Columbia
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de