An expansive, warmhearted novel about ambition and its limits, about family and friendship and love, and about commitment--to oneself and to others in a baseball story that goes beyond the sport and into hearts and minds.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.01.2012Willkommen in der Topliga, Junge
Amerika ist begeistert von Chad Harbachs Baseball-Roman "The Art of Fielding"
NEW YORK, 23. Januar
Baseball ist eine amerikanische Religion. Von Nichtamerikanern als Sportart missverstanden, soll sie das Geheimnis der Nation in sich bergen. Es dort zu ergründen, haben Filme, Romane und Theaterstücke immer wieder versucht, während zahllose Sachbücher, sportlich getarnt, dabei in die wildesten philosophischen Strudel geraten sind. Jetzt einen Roman zu schreiben, der um einen Feldspieler, einen Shortstop, in einem provinziellen College und eine ihm angemessenen Mannschaft kreist, wäre dennoch keine gute Idee. Baseball entzieht sich den Vergnügungen, die heutzutage als cool empfunden werden. Für Schriftsteller muss das nicht unbedingt abschreckend wirken. Aber dass ihre Leserschaft zum Großteil weiblich sein wird, dürfte sie nicht dazu verleiten, im Biotop testosteronstrotzender Pitcher und Batter auf Metaphernsuche zu gehen.
Chad Harbach hat die Warnsignale souverän übersehen. Und er hat das zu spüren bekommen. Kein Literaturagent wollte dem Roman, an dem er zehn Jahre lang gesessen hatte, eine Chance geben. Erst Ende 2009, als ein junger Agent sich für das Manuskript begeisterte und die New Yorker Verlagswelt in Aufregung versetzte, kam der Umschwung, dann aber mit aller Macht. Bei einer schnell improvisierten Versteigerung sicherte sich das Verlagshaus Little, Brown "The Art of Fielding" für 665 000 Dollar. Scribner hatte zwar eine Dreiviertelmillion geboten, aber Harbach wollte sich lieber Michael Pietsch anvertrauen, der nicht nur Little, Brown leitet, sondern auch David Foster Wallaces Monumentalwerk "Infinite Jest" herausgebracht und dessen nachgelassenes Fragment "The Pale King" für die Veröffentlichung eingerichtet hatte. So war der Vergleich mit Wallace vorgegeben.
Es darf angenommen werden, dass Harbach wusste, was er tat. In Wisconsin aufgewachsen und in Harvard und an der University of Virginia ausgebildet, gab es für ihn nie ein anderes Ziel, als Schriftsteller zu werden. Allen hochfliegenden Plänen zum Trotz schlug er sich zunächst aber in Diensten eines Unternehmensberaters durch, dessen Mitteilungen er in ein anständiges Englisch zu bringen hatte. Zwischendurch half er, die Literatur- und Kulturzeitschrift "n+1" ins Leben zu rufen, was ihm jedoch auch nicht half, die fünfstelligen Dollarschulden seines Studiums abzutragen. Immerhin durfte er sich als prototypisches Mitglied der literarischen Boheme von Brooklyn fühlen, wo er mit seiner ruhigen Art für die introspektive Variante zuständig war.
Das alles wissen wir von seinem Freund Keith Gessen, ebenfalls Autor, der in "All the Sad Young Literary Men" drei Schriftsteller durch den Irrgarten der Selbsterkenntnis jagt, aber für "Vanity Fair" ganz fiktionsfrei die Vorgeschichte von Harbachs spektakulärem Debüt erzählt hat. Allein dass sich das Hochglanzmagazin für die Story interessiert, gibt eine Ahnung von den Wogen, die der Roman immer noch schlägt. Nach Ansicht der "New York Times" gehört er zu den zehn besten Büchern des Jahres 2011, und Michiko Kakutani, die gestrenge Literaturchefin des Blattes, feiert Harbach als "ungemein talentierten Schriftsteller", der die seltenen Fähigkeiten besitze, ernst und gefühlstief zu schreiben, ohne je sentimental zu werden, und verschrobene, verletzliche und voll ausgedachte Charaktere zu erfinden, die sich sofort in unseren Herzen einnisteten. Ebenfalls in der "Times" ruft Gregory Cowles dem neuen Autor zu: "Willkommen in der Topliga, Junge. Jetzt aber raus und fang an zu spielen." Dem "New Yorker" reicht Harbachs Spiel schon, um den metaphorischen Faden der Geschichte über den Baseball hinaus in "unsere historische Gegenwart" zu spinnen, mitten hinein in eine aktuelle Fehlbarkeit.
Das mag eine allzu beherzte Interpretation sein, aber der Roman, der auf Deutsch im Herbst unter dem Titel "Die Kunst des Feldspiels" bei Dumont erscheinen wird, verführt dazu, im Baseball das große Welttheater zu entdecken. Fünf Figuren beherrschen die Bühne, allen voran Henry Skrimshander, ein junger Ballzauberer, der auf einmal den Harpooners, der Baseballmannschaft des unbedeutenden Westish College am Michigan-See, sagenhafte Siege in Aussicht stellt. Zusammen mit Mike Schwartz, dem Catcher der Harpooners, weckt er die schönsten Zukunftshoffnungen. Bis ein verpatzter Wurf das Idyll zerstört. Henry verletzt seinen Mannschaftskameraden und Zimmergenossen Owen Dunne und verliert daraufhin die Leichtigkeit, die sein Spiel ausmachte. Nicht bloß auf dem Baseballplatz gerät das Leben aus den Fugen. Guert Affenlight, College-Präsident und Melville-Kenner, verliebt sich in den jungen, unwiderstehlichen Owen, und Pella, Affenlights anstrengende Tochter, kehrt aus ihrer Ehe verwundet unters väterliche Dach zurück, bald bereit, sich mit Mike zu trösten.
Über fünfhundert Seiten instrumentiert Harbach seine Schicksalssinfonie, der er beständig neue Motive hinzufügt. Handlungsmäßig voller Überraschungen, gibt sich der Roman aber nicht mit ihnen zufrieden. Im Buch taucht auch ein Buch auf, das bei Henry die Bibel ersetzt und keinen anderen Titel als "The Art of Fielding" trägt. Sein Autor? Nein, er soll nicht Harbach heißen. Für die quasiphilosophische Abhandlung, die sich auf den Baseball nicht weniger bezieht als aufs Leben, wird als Verfasser Aparicio Rodriguez genannt, ein legendärer, fiktiver Shortstop, der in Pension ging, als Henry zehn Jahre alt war. In kurzen Abschnitten lehrt Rodriguez etwa: "Schlechte Feldspieler stechen nach dem Ball wie nach einem Gegner. Das ist Antagonismus. Der wahre Feldspieler erlaubt dem Weg des Balls, sein eigener Weg zu werden, wodurch er den Ball versteht und das Selbst, das die Quelle alles Leidens und einer schlechten Verteidigung ist, auflöst."
Umso erstaunlicher, dass Harbach mit dem Roman als postmodernem Puzzlespiel wenig im Sinn hat. Vor Wallace mag er auf die Knie gehen, aber nicht zufällig prangt vorn auf dem Buchtitel schon das Lob von Jonathan Franzen: "Erste Romane, die so vollkommen und einnehmend sind, erscheinen sehr, sehr selten." Franzen, der sich nicht scheut, erzählerisch im Retrolook zu schwelgen, muss in Harbach den Seelenverwandten aufgespürt haben. Im auf- und abebbendem Streit zwischen Avantgardisten und Traditionalisten weigert sich der jüngere Kollege aber, ein für alle Mal Position zu beziehen. Sicher, wie auch das Baseballspiel scheut sich "The Art of Fielding" nicht, altmodisch zu sein und langsam und sorgfältig die Lage zu sondieren und sich im Lauf der Dinge zu behaupten und zu bewähren. Franzen und Wallace markieren jedoch für Harbach nicht mehr entgegengesetzte Pole, die eine Entscheidung herausfordern. Beide dienen sie ihm als Fundament, und bei beiden bedient er sich, ohne viel Aufhebens davon zu machen.
Ob oder wie die überschwenglichen Reaktionen der amerikanischen Kritiker und Leser mit Harbachs ästhetischer Offenheit zusammenhängen, sei der Spekulation überlassen. Jedenfalls hat er keine Mühe, zwischen Mainstream und künstlerischen Randlagen die unterschiedlichsten Geschmäcker zu treffen. "The Art of Fielding" ist so unterhaltsam, dass "O, The Oprah Magazine" von einer "wunderbaren Erzählung über Jugend, Ehrgeiz, Liebe und ein kleines, unvorhersehbares Ding namens Leben" schwärmt, und so vielschichtig, dass die Literaturwissenschaft auf Jahre hin mit Harbachs enzyklopädischen Verneigungen vor Melville und seinen Querverweisen auf Emerson und Whitman und manch anderen unsterblichen Meistern beschäftigt sein dürfte. Mit meditativen Passagen und skurrilen Sittenbildern versehen, wird der Campus-, Baseball- und "Coming of age"-Roman zum Kompendium unserer Zeit und Befindlichkeit. Angesichts solcher Verlockungen ist ein Franzen offenbar ebenso wehrlos wie ein Thrillerautor vom Bestsellerrang eines James Patterson.
JORDAN MEJIAS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Amerika ist begeistert von Chad Harbachs Baseball-Roman "The Art of Fielding"
NEW YORK, 23. Januar
Baseball ist eine amerikanische Religion. Von Nichtamerikanern als Sportart missverstanden, soll sie das Geheimnis der Nation in sich bergen. Es dort zu ergründen, haben Filme, Romane und Theaterstücke immer wieder versucht, während zahllose Sachbücher, sportlich getarnt, dabei in die wildesten philosophischen Strudel geraten sind. Jetzt einen Roman zu schreiben, der um einen Feldspieler, einen Shortstop, in einem provinziellen College und eine ihm angemessenen Mannschaft kreist, wäre dennoch keine gute Idee. Baseball entzieht sich den Vergnügungen, die heutzutage als cool empfunden werden. Für Schriftsteller muss das nicht unbedingt abschreckend wirken. Aber dass ihre Leserschaft zum Großteil weiblich sein wird, dürfte sie nicht dazu verleiten, im Biotop testosteronstrotzender Pitcher und Batter auf Metaphernsuche zu gehen.
Chad Harbach hat die Warnsignale souverän übersehen. Und er hat das zu spüren bekommen. Kein Literaturagent wollte dem Roman, an dem er zehn Jahre lang gesessen hatte, eine Chance geben. Erst Ende 2009, als ein junger Agent sich für das Manuskript begeisterte und die New Yorker Verlagswelt in Aufregung versetzte, kam der Umschwung, dann aber mit aller Macht. Bei einer schnell improvisierten Versteigerung sicherte sich das Verlagshaus Little, Brown "The Art of Fielding" für 665 000 Dollar. Scribner hatte zwar eine Dreiviertelmillion geboten, aber Harbach wollte sich lieber Michael Pietsch anvertrauen, der nicht nur Little, Brown leitet, sondern auch David Foster Wallaces Monumentalwerk "Infinite Jest" herausgebracht und dessen nachgelassenes Fragment "The Pale King" für die Veröffentlichung eingerichtet hatte. So war der Vergleich mit Wallace vorgegeben.
Es darf angenommen werden, dass Harbach wusste, was er tat. In Wisconsin aufgewachsen und in Harvard und an der University of Virginia ausgebildet, gab es für ihn nie ein anderes Ziel, als Schriftsteller zu werden. Allen hochfliegenden Plänen zum Trotz schlug er sich zunächst aber in Diensten eines Unternehmensberaters durch, dessen Mitteilungen er in ein anständiges Englisch zu bringen hatte. Zwischendurch half er, die Literatur- und Kulturzeitschrift "n+1" ins Leben zu rufen, was ihm jedoch auch nicht half, die fünfstelligen Dollarschulden seines Studiums abzutragen. Immerhin durfte er sich als prototypisches Mitglied der literarischen Boheme von Brooklyn fühlen, wo er mit seiner ruhigen Art für die introspektive Variante zuständig war.
Das alles wissen wir von seinem Freund Keith Gessen, ebenfalls Autor, der in "All the Sad Young Literary Men" drei Schriftsteller durch den Irrgarten der Selbsterkenntnis jagt, aber für "Vanity Fair" ganz fiktionsfrei die Vorgeschichte von Harbachs spektakulärem Debüt erzählt hat. Allein dass sich das Hochglanzmagazin für die Story interessiert, gibt eine Ahnung von den Wogen, die der Roman immer noch schlägt. Nach Ansicht der "New York Times" gehört er zu den zehn besten Büchern des Jahres 2011, und Michiko Kakutani, die gestrenge Literaturchefin des Blattes, feiert Harbach als "ungemein talentierten Schriftsteller", der die seltenen Fähigkeiten besitze, ernst und gefühlstief zu schreiben, ohne je sentimental zu werden, und verschrobene, verletzliche und voll ausgedachte Charaktere zu erfinden, die sich sofort in unseren Herzen einnisteten. Ebenfalls in der "Times" ruft Gregory Cowles dem neuen Autor zu: "Willkommen in der Topliga, Junge. Jetzt aber raus und fang an zu spielen." Dem "New Yorker" reicht Harbachs Spiel schon, um den metaphorischen Faden der Geschichte über den Baseball hinaus in "unsere historische Gegenwart" zu spinnen, mitten hinein in eine aktuelle Fehlbarkeit.
Das mag eine allzu beherzte Interpretation sein, aber der Roman, der auf Deutsch im Herbst unter dem Titel "Die Kunst des Feldspiels" bei Dumont erscheinen wird, verführt dazu, im Baseball das große Welttheater zu entdecken. Fünf Figuren beherrschen die Bühne, allen voran Henry Skrimshander, ein junger Ballzauberer, der auf einmal den Harpooners, der Baseballmannschaft des unbedeutenden Westish College am Michigan-See, sagenhafte Siege in Aussicht stellt. Zusammen mit Mike Schwartz, dem Catcher der Harpooners, weckt er die schönsten Zukunftshoffnungen. Bis ein verpatzter Wurf das Idyll zerstört. Henry verletzt seinen Mannschaftskameraden und Zimmergenossen Owen Dunne und verliert daraufhin die Leichtigkeit, die sein Spiel ausmachte. Nicht bloß auf dem Baseballplatz gerät das Leben aus den Fugen. Guert Affenlight, College-Präsident und Melville-Kenner, verliebt sich in den jungen, unwiderstehlichen Owen, und Pella, Affenlights anstrengende Tochter, kehrt aus ihrer Ehe verwundet unters väterliche Dach zurück, bald bereit, sich mit Mike zu trösten.
Über fünfhundert Seiten instrumentiert Harbach seine Schicksalssinfonie, der er beständig neue Motive hinzufügt. Handlungsmäßig voller Überraschungen, gibt sich der Roman aber nicht mit ihnen zufrieden. Im Buch taucht auch ein Buch auf, das bei Henry die Bibel ersetzt und keinen anderen Titel als "The Art of Fielding" trägt. Sein Autor? Nein, er soll nicht Harbach heißen. Für die quasiphilosophische Abhandlung, die sich auf den Baseball nicht weniger bezieht als aufs Leben, wird als Verfasser Aparicio Rodriguez genannt, ein legendärer, fiktiver Shortstop, der in Pension ging, als Henry zehn Jahre alt war. In kurzen Abschnitten lehrt Rodriguez etwa: "Schlechte Feldspieler stechen nach dem Ball wie nach einem Gegner. Das ist Antagonismus. Der wahre Feldspieler erlaubt dem Weg des Balls, sein eigener Weg zu werden, wodurch er den Ball versteht und das Selbst, das die Quelle alles Leidens und einer schlechten Verteidigung ist, auflöst."
Umso erstaunlicher, dass Harbach mit dem Roman als postmodernem Puzzlespiel wenig im Sinn hat. Vor Wallace mag er auf die Knie gehen, aber nicht zufällig prangt vorn auf dem Buchtitel schon das Lob von Jonathan Franzen: "Erste Romane, die so vollkommen und einnehmend sind, erscheinen sehr, sehr selten." Franzen, der sich nicht scheut, erzählerisch im Retrolook zu schwelgen, muss in Harbach den Seelenverwandten aufgespürt haben. Im auf- und abebbendem Streit zwischen Avantgardisten und Traditionalisten weigert sich der jüngere Kollege aber, ein für alle Mal Position zu beziehen. Sicher, wie auch das Baseballspiel scheut sich "The Art of Fielding" nicht, altmodisch zu sein und langsam und sorgfältig die Lage zu sondieren und sich im Lauf der Dinge zu behaupten und zu bewähren. Franzen und Wallace markieren jedoch für Harbach nicht mehr entgegengesetzte Pole, die eine Entscheidung herausfordern. Beide dienen sie ihm als Fundament, und bei beiden bedient er sich, ohne viel Aufhebens davon zu machen.
Ob oder wie die überschwenglichen Reaktionen der amerikanischen Kritiker und Leser mit Harbachs ästhetischer Offenheit zusammenhängen, sei der Spekulation überlassen. Jedenfalls hat er keine Mühe, zwischen Mainstream und künstlerischen Randlagen die unterschiedlichsten Geschmäcker zu treffen. "The Art of Fielding" ist so unterhaltsam, dass "O, The Oprah Magazine" von einer "wunderbaren Erzählung über Jugend, Ehrgeiz, Liebe und ein kleines, unvorhersehbares Ding namens Leben" schwärmt, und so vielschichtig, dass die Literaturwissenschaft auf Jahre hin mit Harbachs enzyklopädischen Verneigungen vor Melville und seinen Querverweisen auf Emerson und Whitman und manch anderen unsterblichen Meistern beschäftigt sein dürfte. Mit meditativen Passagen und skurrilen Sittenbildern versehen, wird der Campus-, Baseball- und "Coming of age"-Roman zum Kompendium unserer Zeit und Befindlichkeit. Angesichts solcher Verlockungen ist ein Franzen offenbar ebenso wehrlos wie ein Thrillerautor vom Bestsellerrang eines James Patterson.
JORDAN MEJIAS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main