Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.2024Ihr Feind möchte man nicht sein
Von Frauke Steffens, New York
Nancy Pelosi ballt kurz die Fäuste, lächelt und macht eine kleine boxende Siegesgeste. Ezra Klein von der "New York Times" hat gerade einen Republikaner zitiert: Dessen Partei sei von Kamala Harris' Präsidentschaftskandidatur kalt erwischt worden: "Wir hätten niemals gedacht, dass sie das tun", so der Anonymus - Pelosi freut sich, sie strahlt übers ganze Gesicht. Dass Joe Biden Ende Juli dem Druck seiner Partei nachgab und seine Kandidatur zurückzog, war auch ihr zu verdanken.
Die Abgeordnete, die bis letztes Jahr dem Repräsentantenhaus als Sprecherin vorstand, bewies in den bald fünfundvierzig Jahren ihrer politischen Karriere immer wieder Sinn für Strategie und Timing. Biden hatte noch Anfang Juli in einem Brief darauf beharrt, dass er auch nach seinem schwachen Auftritt beim Fernseh-Duell mit Donald Trump im Rennen bleibe. Doch Pelosi stellte rhetorisch ihren Fuß in die Tür, die der Präsident schon geschlossen glaubte. In einem Fernsehinterview sagte sie zwei Tage nach Bidens Brief, der Präsident müsse seine Entscheidung bald treffen, und die Partei werde ihn unterstützen, egal wie sie ausfalle.
Damit hatte Pelosi die Debatte wieder geöffnet, wenig später gab Biden seinen Rückzug bekannt. Als Pelosi von Klein nach diesem Fernsehauftritt gefragt wird, danach, wie sie den Lauf der Diskussion hinbog, ist da dieses feine Lächeln - Pelosis Feind möchte man nicht sein. Ihr gehe es darum, Trump zu schlagen, der eine Gefahr für die Demokratie sei, sagt die Vierundachtzigjährige dann wieder ernst. Diesem Ziel habe sie alles untergeordnet. Von Bidens Kampagne sei sie zuletzt "nicht beeindruckt" gewesen, sagte sie dem Magazin "The New Yorker". Als Biden sich dann dem Druck gebeugt hatte, ließ Pelosi durchblicken, dass sie eigentlich einen "offenen Prozess" in der Partei befürworte.
Klein gegenüber wiederholt sie das nun lächelnd. Kamala Harris habe aber "sehr schnell gehandelt", was die politischen Fähigkeiten der Vizepräsidentin beweise. Man weiß nicht, ob das vorgeschoben ist - ob Pelosi den offenen Wettbewerb zwischen mehreren Kandidaten wirklich wollte, oder ob sie von Anfang an Harris bevorzugte, aber es für klüger hielt, das Gegenteil zu behaupten. Und dass man das nicht so genau weiß, ist wohl Absicht.
Dabei ist es nicht so, dass Pelosi den Preis für ihre Manöver unterschätzte. Mit Biden, einem ihrer ältesten Weggefährten, hat sie seither nicht gesprochen. Und sie weiß, dass die Beziehung für immer zerbrochen sein könnte. Dem "New Yorker" sagte Pelosi auf die Frage, ob die Freundschaft mit Biden zu retten sei: "Ich hoffe es, ich bete dafür, ich weine dafür", und: "Es bringt mich um den Schlaf." So emotional zu sprechen kann sich Pelosi leisten, weil sie inner- und außerhalb ihrer Partei als Machtpolitikerin gilt, die in der Sache hart bleibt. Was sich in den vergangenen Wochen bei den Demokraten ereignete, wird zu Pelosis Vermächtnis gehören - für manche als taktische Meisterleistung, die möglicherweise noch genauer zeitlich orchestriert war als bislang bekannt, für andere als Intrige.
Was sie selbst als ihr politisches Vermächtnis ansieht, definiert Pelosi auch in ihrem neuen Buch. "The Art of Power" (Die Kunst der Macht) erschien fast parallel mit dem Rückzug von Joe Biden - sicher Zufall, wenn auch ein glücklicher. "Für die Kinder", die kommenden Generationen, mache sie Politik, schreibt Pelosi. Motiviert sei sie von einem im katholischen Glauben verwurzelten Respekt für den "göttlichen Funken", die Würde in allen Menschen. Geboren in Baltimore, führte die Heirat mit dem Unternehmer Paul Pelosi sie nach Kalifornien. Die politische Karriere der fünffachen Mutter begann in den Achtzigerjahren, als viele Demokraten die Steuerpolitik des republikanischen Präsidenten Ronald Reagan stützten und die Republikaner ihr Netz aus Lobbyorganisationen nutzten, um auch kulturell den Ton anzugeben.
Pelosi wurde 1987 in den Kongress gewählt, nachdem sie sechs Jahre zuvor Vorsitzende der kalifornischen Demokraten geworden war. Als Ehefrau eines Großinvestors hatte sie bereits ein umfassendes Netzwerk und bewies Geschick beim Fundraising. Als erste Frau führte sie von 2007 und nochmals von 2019 an das Repräsentantenhaus als Sprecherin. In ihrer Partei gilt Pelosi als besonders begabt beim Organisieren von Mehrheiten, beim Schmieden von Koalitionen, beim Machterhalt. Kritik an ihr kam besonders von links, etwa weil Pelosi enge Verbindungen zur Wall Street pflegt und den Ruf hat, jüngere linke Kräfte auszubremsen. Man könne progressive Positionen vertreten, wie sie es oft in Abgrenzung zu den vielen konservativen Demokraten der Achtzigerjahre tat, doch regieren müsse man aus der Mitte, sagt Pelosi häufig.
Ihr Talent fürs Taktieren im Hintergrund, das nun Bidens Karriere beendete, soll Pelosi sich dabei nicht nur im Kongress angeeignet haben. Die bekannte Geschichte von der Hausfrau und HIV-Aktivistin in San Francisco, die durch Kontakte politisch aufstieg, beginne zu spät, sagen viele Beobachter, so auch die Pelosi-Biographin Molly Ball. Gelernt habe die Politikerin vieles schon von ihrem Vater, Thomas D'Alesandro Jr., der von 1947 bis 1959 Bürgermeister von Baltimore und davor Kongressabgeordneter war. Die politische Dynastie setzte sich mit Pelosis Bruder fort, der das Bürgermeisteramt seit 1967 bekleidete.
Beide Männer waren für so genannte "machine politics" (etwa: Politik-Apparate) bekannt. Das ist ein Begriff für Politik in lange gewachsenen, in der Regel weißen und patriarchalischen Machtzirkeln, die in amerikanischen Städten häufig mit der Mafia verbandelt waren. Entsprechende Verbindungen der Familie sind aber größtenteils nicht nachgewiesen, sondern eher Stoff von Legenden und Memes. Unbestritten ist, dass die "machines" des zwanzigsten Jahrhunderts von Kommunikation lebten, vom Tauschhandel, vom Deal im Hinterzimmer.
Über Pelosis Familie und deren Kunst des Machterhalts erfährt man in ihrem Buch aber wenig, weil die Politikerin sich nicht auf ihre Lebensgeschichte, sondern auf herausragende Kämpfe im Abgeordnetenhaus konzentriert - zum Beispiel auf die Verabschiedung des "Affordable Care Act", bekannt als "Obamacare"Krankenversicherungssystem. Pelosi beschreibt auch die Jahre der Opposition gegen Trump im Weißen Haus. Sie habe immer geglaubt, dass der damalige Präsident ein Hochstapler ohne Respekt für das Amt sei, was ihn aber auch gefährlich mache. Während seines ersten Amtsenthebungsverfahrens 2019 telefonierte Pelosi zwanzig Minuten lang mit Trump, der sich beklagt und sie gefragt habe: "Warum tun Sie das?" Der Präsident sei im Laufe des Gesprächs immer weinerlicher geworden.
Im Buch findet sich auch eine packende Schilderung der Attacke aufs Kapitol am 6. Januar 2021. Viele Details werden so mitten im Wahlkampf wieder präsent. Pelosi beschreibt zum Beispiel, dass Personenschützer des damaligen Vizepräsidenten Mike Pence angesichts der Morddrohungen von Trumps Unterstützern so viel Sorge um ihr eigenes Leben hatten, dass sie ihre Familien anriefen, um sich zu verabschieden. Pelosi erinnert daran, dass sich Mitglieder von Trumps Regierung weigerten, die Nationalgarde einzuschalten, und die im Kapitol eingeschlossenen Mitarbeiter durch das Erlebnis traumatisiert waren. Trumps Anhänger riefen immer wieder Pelosis Namen und "Wo ist Nancy?". Sie selbst war vom Secret Service evakuiert worden, könne Trump und seinen Anhängern aber nicht verzeihen, was ihren zum Teil sehr jungen Angestellten widerfahren sei. Die Gewalt am 6. Januar sei schockierend und unvergesslich.
Auch der rechte Trump-Anhänger, der Paul Pelosi im Oktober 2022 schwer mit einem Hammer verletzt hat, wollte eigentlich die Politikerin angreifen und als Geisel nehmen. Sie und ihre Familie seien noch immer traumatisiert von diesem Angriff. Nancy Pelosi wird im November dennoch bei den Kongresswahlen wieder antreten - es wäre ihre zwanzigste Legislaturperiode in der Abgeordnetenkammer.
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Von Frauke Steffens, New York
Nancy Pelosi ballt kurz die Fäuste, lächelt und macht eine kleine boxende Siegesgeste. Ezra Klein von der "New York Times" hat gerade einen Republikaner zitiert: Dessen Partei sei von Kamala Harris' Präsidentschaftskandidatur kalt erwischt worden: "Wir hätten niemals gedacht, dass sie das tun", so der Anonymus - Pelosi freut sich, sie strahlt übers ganze Gesicht. Dass Joe Biden Ende Juli dem Druck seiner Partei nachgab und seine Kandidatur zurückzog, war auch ihr zu verdanken.
Die Abgeordnete, die bis letztes Jahr dem Repräsentantenhaus als Sprecherin vorstand, bewies in den bald fünfundvierzig Jahren ihrer politischen Karriere immer wieder Sinn für Strategie und Timing. Biden hatte noch Anfang Juli in einem Brief darauf beharrt, dass er auch nach seinem schwachen Auftritt beim Fernseh-Duell mit Donald Trump im Rennen bleibe. Doch Pelosi stellte rhetorisch ihren Fuß in die Tür, die der Präsident schon geschlossen glaubte. In einem Fernsehinterview sagte sie zwei Tage nach Bidens Brief, der Präsident müsse seine Entscheidung bald treffen, und die Partei werde ihn unterstützen, egal wie sie ausfalle.
Damit hatte Pelosi die Debatte wieder geöffnet, wenig später gab Biden seinen Rückzug bekannt. Als Pelosi von Klein nach diesem Fernsehauftritt gefragt wird, danach, wie sie den Lauf der Diskussion hinbog, ist da dieses feine Lächeln - Pelosis Feind möchte man nicht sein. Ihr gehe es darum, Trump zu schlagen, der eine Gefahr für die Demokratie sei, sagt die Vierundachtzigjährige dann wieder ernst. Diesem Ziel habe sie alles untergeordnet. Von Bidens Kampagne sei sie zuletzt "nicht beeindruckt" gewesen, sagte sie dem Magazin "The New Yorker". Als Biden sich dann dem Druck gebeugt hatte, ließ Pelosi durchblicken, dass sie eigentlich einen "offenen Prozess" in der Partei befürworte.
Klein gegenüber wiederholt sie das nun lächelnd. Kamala Harris habe aber "sehr schnell gehandelt", was die politischen Fähigkeiten der Vizepräsidentin beweise. Man weiß nicht, ob das vorgeschoben ist - ob Pelosi den offenen Wettbewerb zwischen mehreren Kandidaten wirklich wollte, oder ob sie von Anfang an Harris bevorzugte, aber es für klüger hielt, das Gegenteil zu behaupten. Und dass man das nicht so genau weiß, ist wohl Absicht.
Dabei ist es nicht so, dass Pelosi den Preis für ihre Manöver unterschätzte. Mit Biden, einem ihrer ältesten Weggefährten, hat sie seither nicht gesprochen. Und sie weiß, dass die Beziehung für immer zerbrochen sein könnte. Dem "New Yorker" sagte Pelosi auf die Frage, ob die Freundschaft mit Biden zu retten sei: "Ich hoffe es, ich bete dafür, ich weine dafür", und: "Es bringt mich um den Schlaf." So emotional zu sprechen kann sich Pelosi leisten, weil sie inner- und außerhalb ihrer Partei als Machtpolitikerin gilt, die in der Sache hart bleibt. Was sich in den vergangenen Wochen bei den Demokraten ereignete, wird zu Pelosis Vermächtnis gehören - für manche als taktische Meisterleistung, die möglicherweise noch genauer zeitlich orchestriert war als bislang bekannt, für andere als Intrige.
Was sie selbst als ihr politisches Vermächtnis ansieht, definiert Pelosi auch in ihrem neuen Buch. "The Art of Power" (Die Kunst der Macht) erschien fast parallel mit dem Rückzug von Joe Biden - sicher Zufall, wenn auch ein glücklicher. "Für die Kinder", die kommenden Generationen, mache sie Politik, schreibt Pelosi. Motiviert sei sie von einem im katholischen Glauben verwurzelten Respekt für den "göttlichen Funken", die Würde in allen Menschen. Geboren in Baltimore, führte die Heirat mit dem Unternehmer Paul Pelosi sie nach Kalifornien. Die politische Karriere der fünffachen Mutter begann in den Achtzigerjahren, als viele Demokraten die Steuerpolitik des republikanischen Präsidenten Ronald Reagan stützten und die Republikaner ihr Netz aus Lobbyorganisationen nutzten, um auch kulturell den Ton anzugeben.
Pelosi wurde 1987 in den Kongress gewählt, nachdem sie sechs Jahre zuvor Vorsitzende der kalifornischen Demokraten geworden war. Als Ehefrau eines Großinvestors hatte sie bereits ein umfassendes Netzwerk und bewies Geschick beim Fundraising. Als erste Frau führte sie von 2007 und nochmals von 2019 an das Repräsentantenhaus als Sprecherin. In ihrer Partei gilt Pelosi als besonders begabt beim Organisieren von Mehrheiten, beim Schmieden von Koalitionen, beim Machterhalt. Kritik an ihr kam besonders von links, etwa weil Pelosi enge Verbindungen zur Wall Street pflegt und den Ruf hat, jüngere linke Kräfte auszubremsen. Man könne progressive Positionen vertreten, wie sie es oft in Abgrenzung zu den vielen konservativen Demokraten der Achtzigerjahre tat, doch regieren müsse man aus der Mitte, sagt Pelosi häufig.
Ihr Talent fürs Taktieren im Hintergrund, das nun Bidens Karriere beendete, soll Pelosi sich dabei nicht nur im Kongress angeeignet haben. Die bekannte Geschichte von der Hausfrau und HIV-Aktivistin in San Francisco, die durch Kontakte politisch aufstieg, beginne zu spät, sagen viele Beobachter, so auch die Pelosi-Biographin Molly Ball. Gelernt habe die Politikerin vieles schon von ihrem Vater, Thomas D'Alesandro Jr., der von 1947 bis 1959 Bürgermeister von Baltimore und davor Kongressabgeordneter war. Die politische Dynastie setzte sich mit Pelosis Bruder fort, der das Bürgermeisteramt seit 1967 bekleidete.
Beide Männer waren für so genannte "machine politics" (etwa: Politik-Apparate) bekannt. Das ist ein Begriff für Politik in lange gewachsenen, in der Regel weißen und patriarchalischen Machtzirkeln, die in amerikanischen Städten häufig mit der Mafia verbandelt waren. Entsprechende Verbindungen der Familie sind aber größtenteils nicht nachgewiesen, sondern eher Stoff von Legenden und Memes. Unbestritten ist, dass die "machines" des zwanzigsten Jahrhunderts von Kommunikation lebten, vom Tauschhandel, vom Deal im Hinterzimmer.
Über Pelosis Familie und deren Kunst des Machterhalts erfährt man in ihrem Buch aber wenig, weil die Politikerin sich nicht auf ihre Lebensgeschichte, sondern auf herausragende Kämpfe im Abgeordnetenhaus konzentriert - zum Beispiel auf die Verabschiedung des "Affordable Care Act", bekannt als "Obamacare"Krankenversicherungssystem. Pelosi beschreibt auch die Jahre der Opposition gegen Trump im Weißen Haus. Sie habe immer geglaubt, dass der damalige Präsident ein Hochstapler ohne Respekt für das Amt sei, was ihn aber auch gefährlich mache. Während seines ersten Amtsenthebungsverfahrens 2019 telefonierte Pelosi zwanzig Minuten lang mit Trump, der sich beklagt und sie gefragt habe: "Warum tun Sie das?" Der Präsident sei im Laufe des Gesprächs immer weinerlicher geworden.
Im Buch findet sich auch eine packende Schilderung der Attacke aufs Kapitol am 6. Januar 2021. Viele Details werden so mitten im Wahlkampf wieder präsent. Pelosi beschreibt zum Beispiel, dass Personenschützer des damaligen Vizepräsidenten Mike Pence angesichts der Morddrohungen von Trumps Unterstützern so viel Sorge um ihr eigenes Leben hatten, dass sie ihre Familien anriefen, um sich zu verabschieden. Pelosi erinnert daran, dass sich Mitglieder von Trumps Regierung weigerten, die Nationalgarde einzuschalten, und die im Kapitol eingeschlossenen Mitarbeiter durch das Erlebnis traumatisiert waren. Trumps Anhänger riefen immer wieder Pelosis Namen und "Wo ist Nancy?". Sie selbst war vom Secret Service evakuiert worden, könne Trump und seinen Anhängern aber nicht verzeihen, was ihren zum Teil sehr jungen Angestellten widerfahren sei. Die Gewalt am 6. Januar sei schockierend und unvergesslich.
Auch der rechte Trump-Anhänger, der Paul Pelosi im Oktober 2022 schwer mit einem Hammer verletzt hat, wollte eigentlich die Politikerin angreifen und als Geisel nehmen. Sie und ihre Familie seien noch immer traumatisiert von diesem Angriff. Nancy Pelosi wird im November dennoch bei den Kongresswahlen wieder antreten - es wäre ihre zwanzigste Legislaturperiode in der Abgeordnetenkammer.
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