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Produktdetails
  • Verlag: Bloomsbury Trade
  • Erscheinungstermin: Juli 2007
  • Gewicht: 660g
  • ISBN-13: 9780747590972
  • ISBN-10: 0747590974
  • Artikelnr.: 22541256
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2007

Dunkle Wolken über Washington
Al Gore rechnet schonungslos mit der Bush-Administration ab / Von Stefan Fröhlich

Als Mahner im Dienste der Umwelt und für eine gerechtere Weltordnung ist Al Gore schon seit längerem nicht mehr aus der politischen Diskussion in den Vereinigten Staaten wegzudenken. Persönlicher Erfolg und Popularität des ehemaligen Vizepräsidenten unter Bill Clinton stehen vor allem für ökologische und soziale Vernunft in der amerikanischen Politik. Mit seinem neuen Buch präsentiert sich der heute als Berater für verschiedene Unternehmen tätige Gore nunmehr auch als neuer Hoffnungsträger für die Rückbesinnung Amerikas auf die fundamentalen Werte und Grundprinzipien seiner Demokratie. Sein Buch gerät dabei zur Generalabrechnung mit den beiden Amtszeiten George W. Bushs. Schonungslos benennt Gore die verhängnisvollen Fehlentwicklungen bei der Terrorbekämpfung im Inneren wie im Äußeren, bei der Organisation amerikanischer Wahlkämpfe, der Manipulation der Wählerschaft durch korrumpierte Interessenvertreter und Medien, beim Sozialabbau zugunsten der Hochfinanz und Ölindustrie oder beim Vormarsch des christlichen Fundamentalismus im Lande. Durch die Regierung Bush/Cheney sei das traditionelle "politische Immunsystem" der gegenseitigen Machtkontrolle und Machtbalance so tief gestört worden, dass sich die amerikanische Demokratie in einer "gefährlichen Abwärtsspirale" befindet. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sei es durch die im "Patriot Act" vorgesehenen Bestimmungen zu einer in der amerikanischen Geschichte beispiellosen Missachtung der Verfassung und urdemokratischer Grundsätze gekommen. Dabei habe sich der Präsident zu Lasten des Kongresses und unabhängiger Richter wie Medien über die Gesetze des Rechtsstaats gestellt und mit einer "Angst-" und "Lügenkampagne" die Zustimmung der Bevölkerung für die Irak-Intervention erschlichen. Verstöße gegen Völkerrecht und Artikel 3 der Genfer Konvention, massenhafte Tötung von Zivilisten, Folterbilder aus Abu Ghraib, geheime Gefängnisse schließlich hätten den Glauben an die Integrität der amerikanischen Demokratie auf Jahre zutiefst erschüttert und zudem das Land keinesfalls sicherer gemacht.

Bedroht aber sieht Gore die Demokratie im Lande nicht nur durch die fragwürdigen Methoden im Kampf gegen den Terrorismus. Mindestens ebenso gefährdet ist das politische System durch die Missachtung des Verfassungsgrundsatzes, wonach "alle Menschen gleich geboren" sind. So mache das System der Wahlkampffinanzierung durch Hochfinanz und Ölindustrie die politische Kaste in den Vereinigten Staaten abhängig von Partikularinteressen. Gleichzeitig nimmt das große Geld massiven Einfluss auf die Bevölkerung mittels gekaufter Fernsehwerbung. Auf diese Weise verkommt nach Gore der Volkswille "zur Ware", mit der das derzeit regierende "Rechte Netzwerk" seine einzig auf Machterhalt und Dominanz ausgerichteten politischen Ziele verfolgt. "Diese inzestuöse Paarung von Reichtum und Macht", so resümiert Gore, "stellt die tödlichste Bedrohung für die Demokratie dar." Unterstützt wird sie durch die Parolen von ultrakonservativen Religionsführern, denen es in Zeiten der "äußeren Bedrohung" und einer fehlenden kritischen Presse und Öffentlichkeit leichtfällt, den Glauben an eine durch die Religion quasi sanktionierte Politik der Stärke und "moralischen Überlegenheit" - eigentlich gleichsam eine Verletzung der amerikanischen Verfassung - unter den Wählern zu verbreiten.

Viel Neues erfährt man ansonsten bei der Lektüre der durchaus gelungenen Darstellung nicht. Gore hat zwar akribisch Fakten über die längst hinreichend bekannten Manipulationen und Verstöße gegen Verfassungsprinzipien durch die Bush-Administration gesammelt, so dass sich dem Leser am Ende ein tatsächlich düsteres Bild der politischen Wirklichkeit Washingtons in den vergangenen Jahren bietet. Wirklich Konzeptionelles oder gar ein strategisches Konzept aber liefert er nicht, allenfalls beiläufig werden hier und da zwar alle großen Herausforderungen unserer Zeit genannt, aber nicht wirklich weiterführend oder tiefer analysiert. Selbst sein Lieblingsthema, die Klimakrise, reicht über eine nüchterne Bestandsaufnahme der Fakten und einen Vorwurf der Realitätsverweigerung der derzeitigen Administration nicht hinaus. Und so plausibel sein abschließender Appell an die republikanische und demokratische Vernunft des amerikanischen Volkes zur Wiederherstellung einer auf der Gewaltenteilung und dem Rechtsstaatsprinzip basierenden Ordnung auch klingt - es gelingt Gore nicht wirklich, schlüssig nachzuweisen, dass ausgerechnet die amerikanische Außenpolitik traditionell und zu allen Zeiten eher auf die Vernunft denn auf die Emotionen der Bevölkerung gerichtet war.

Schließlich ist auch die mit diesem Appell verbundene Analyse beziehungsweise sein Konzept eines "Marktplatzes der Ideen", auf dem die Kommunikation zwischen Volk und Staatsführung in Form eines echten Dialogs stattfindet, nicht wirklich überzeugend. So richtig es sein mag, dass insbesondere das Fernsehen in den Vereinigten Staaten eine gut informierte Bürgerschaft als Korrektiv einer fehlgeleiteten Politik verhindert, so sehr muss gleichzeitig die Frage gestellt werden, ob nicht die Bürger ausgerechnet im Zeitalter des nahezu uneingeschränkten Zugangs zu Informationen tatsächlich so uninformiert sind. Immerhin sieht auch Gore in den beiden letzten Kapiteln die Rettung durch eine "gut vernetzte Bürgerschaft" über das Internet.

Al Gore: "Angriff auf die Vernunft". Riemann Verlag, Frankfurt am Main 2007. 384 S., 19,- [Euro].

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