The Atlantic World provides a comprehensive and lucid history of one of the most important and impactful cross-cultural encounters in human history. It describes the transformation of European, African, and American societies and the growth of new peoples, cultures, economies, and ideas between 1400 and 1900.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.2009Partnerschaft und Ausbeutung gingen Hand in Hand
Thomas Benjamin untersucht, wie Europäer mit Afrikanern und Indianern die Atlantische Geschichte prägten
"Atlantische Geschichte" mausert sich zunehmend auch hierzulande zu einem wichtigen Teilgebiet der Historiographie. Buchreihen, Monographien, auch erste Studiengänge sind dieser Thematik im deutschsprachigen Raum gewidmet. In der anglophonen Welt ist der Bereich seit geraumer Zeit ein Renner. Trotz der Fülle an neueren Studien und Manifesten bereitet die Definition des Untersuchungsraumes aber weiterhin Schwierigkeiten. Wie weit reicht der Raum, auf den sich die "Atlantische Geschichte" bezieht? Geht es ausschließlich um die Geschichte der direkt an den Atlantik angrenzenden Kolonien, Staaten und Territorien? Ein zweites Problem besteht darin, dass sich viele Studien zwar das Etikett "Atlantische Geschichte" anheften, nach üblicher Manier die supranationale Dimension jedoch übersehen. In diesem Sinne liegen zahlreiche Arbeiten vor, die einen "britischen", "niederländischen" oder "spanischen" Atlantik konstruieren, die unverbunden nebeneinander zu existieren schienen.
Es wäre natürlich nicht angemessen, die nationalstaatliche Ebene als gänzlich unwichtig abzutun, doch das eigentlich Faszinierende und Innovative des Konzepts "Atlantische Geschichte" liegt in dem Versuch, enge und einengende nationalstaatliche Barrieren zu überwinden. Dieses Konzept, hebt Thomas Benjamin in seiner gelungenen Überblicksdarstellung hervor, stellt den Versuch dar, die Geschichte eines Sets von Gesellschaften zu analysieren, denen gemeinsam war, dass sie sich ohne ihre Einbindung in das sich im fünfzehnten Jahrhundert etablierende transatlantische Netzwerk fundamental anders entwickelt hätten. Wie der Autor unterstreicht, waren Europäer die treibenden Kräfte bei der Etablierung und Ausgestaltung der atlantischen Welt. Gleichwohl interpretiert er die Atlantische Geschichte als eine von Gesellschaften und Individuen aus Europa, Afrika und den Amerikas "geteilte Geschichte", eine Geschichte, deren Verflechtungen und Interaktionen freilich von Hierarchien und Gewalt geprägt waren. "Partnerschaft und Ausbeutung", schreibt er, "gingen Hand in Hand."
Grundsätzlich gilt: "Als Europäer die zahlreichen Küsten des Atlantiks erreichten, hätten sie sich ohne Kooperation, Handel und Arbeit von Afrikanern und Indianern nie entfalten, oft nicht einmal überleben können." Der Beitrag der Nichteuropäer war in diesem Rahmen bekanntermaßen nicht immer erfreulich. Afrikanische Herrscher und Händler etwa jagten und verschleppten andere Afrikaner, um sie in Zusammenarbeit mit europäischen Kaufleuten in den Atlantischen Sklavenhandel zu überführen. Einheimische Obere in den Amerikas verbündeten sich mit europäischen Militärs, um Krieg gegen andere einheimische Staaten oder Reiche zu führen. In den meisten Sklavengesellschaften in den Amerikas dienten freie "Farbige" in Milizeinheiten, um die Kolonie gegen rivalisierende europäische Mächte oder gegen Sklavenrevolten zu verteidigen. Der Hinweis auf willige einheimische Helfer bedeute keineswegs, so Benjamin, die Rolle der Europäer bei Sklaverei, Krieg und Ausbeutung zu relativieren. Im Übrigen mache es wenig Sinn, Afrikaner und die Bewohner der Amerikas lediglich als Opfer der Europäer zu charakterisieren. "Sie leisteten Widerstand, wehrten sich, suchten die ihnen auferlegten Forderungen zu verhandeln und trotz aller Zwänge und Schrecken ein sinnvolles Leben zu führen."
"The Atlantic World" besticht insgesamt durch die ausgewogene und kenntnisreiche Behandlung der für den Gegenstand relevanten Themenfelder. Wenig überraschend, nimmt der Sklavenhandel einen gewichtigen Teil der Darstellung ein. In enger Tuchfühlung mit der neueren Forschung analysiert Benjamin die quantitativen Aspekte dieser gewaltigen Zwangsmigration von rund zwölf Millionen Afrikanern in die "Neue Welt", versäumt es aber nicht, auch auf die kulturellen und alltagsgeschichtlichen Dimensionen dieses Prozesses einzugehen. Das - zumindest formale - Ende von Sklavenhandel und Sklaverei im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts ging einher mit dem Ende der bis dahin existierenden atlantischen Welt. Die Entwicklung hing ganz wesentlich mit dem Aufstieg des agrarischen und industriellen Kapitalismus zunächst in Großbritannien und später in Westeuropa und den Vereinigten Staaten zusammen, welcher die Handelsökonomie der atlantischen Welt sukzessiv obsolet machte.
Überraschenderweise geht Benjamin nicht explizit auf eine Strömung in der Forschung ein, die in den vergangenen fünfzehn Jahren in vielen Disziplinen große Resonanz erfahren hat: die Debatte um den "schwarzen Atlantik", welche ihren Ursprung in der Kritik an eurozentrischen Perspektiven auf die Atlantische Geschichte hat. Der Klassiker dieser Richtung, von Benjamin an keiner Stelle erwähnt, ist Paul Gilroys 1993 publiziertes Buch "Black Atlantic", das vor allem auf die Ursprünge "schwarzen" politischen und kulturellen Denkens im atlantischen Raum fokussiert. Diese Lücke schmälert jedoch kaum Benjamins Verdienste.
ANDREAS ECKERT
Thomas Benjamin: "The Atlantic World". Europeans, Africans, Indians, and Their Shared History, 1400-1900. Cambridge University Press, Cambridge, New York 2009. 751 S., br., 44,99 $.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Thomas Benjamin untersucht, wie Europäer mit Afrikanern und Indianern die Atlantische Geschichte prägten
"Atlantische Geschichte" mausert sich zunehmend auch hierzulande zu einem wichtigen Teilgebiet der Historiographie. Buchreihen, Monographien, auch erste Studiengänge sind dieser Thematik im deutschsprachigen Raum gewidmet. In der anglophonen Welt ist der Bereich seit geraumer Zeit ein Renner. Trotz der Fülle an neueren Studien und Manifesten bereitet die Definition des Untersuchungsraumes aber weiterhin Schwierigkeiten. Wie weit reicht der Raum, auf den sich die "Atlantische Geschichte" bezieht? Geht es ausschließlich um die Geschichte der direkt an den Atlantik angrenzenden Kolonien, Staaten und Territorien? Ein zweites Problem besteht darin, dass sich viele Studien zwar das Etikett "Atlantische Geschichte" anheften, nach üblicher Manier die supranationale Dimension jedoch übersehen. In diesem Sinne liegen zahlreiche Arbeiten vor, die einen "britischen", "niederländischen" oder "spanischen" Atlantik konstruieren, die unverbunden nebeneinander zu existieren schienen.
Es wäre natürlich nicht angemessen, die nationalstaatliche Ebene als gänzlich unwichtig abzutun, doch das eigentlich Faszinierende und Innovative des Konzepts "Atlantische Geschichte" liegt in dem Versuch, enge und einengende nationalstaatliche Barrieren zu überwinden. Dieses Konzept, hebt Thomas Benjamin in seiner gelungenen Überblicksdarstellung hervor, stellt den Versuch dar, die Geschichte eines Sets von Gesellschaften zu analysieren, denen gemeinsam war, dass sie sich ohne ihre Einbindung in das sich im fünfzehnten Jahrhundert etablierende transatlantische Netzwerk fundamental anders entwickelt hätten. Wie der Autor unterstreicht, waren Europäer die treibenden Kräfte bei der Etablierung und Ausgestaltung der atlantischen Welt. Gleichwohl interpretiert er die Atlantische Geschichte als eine von Gesellschaften und Individuen aus Europa, Afrika und den Amerikas "geteilte Geschichte", eine Geschichte, deren Verflechtungen und Interaktionen freilich von Hierarchien und Gewalt geprägt waren. "Partnerschaft und Ausbeutung", schreibt er, "gingen Hand in Hand."
Grundsätzlich gilt: "Als Europäer die zahlreichen Küsten des Atlantiks erreichten, hätten sie sich ohne Kooperation, Handel und Arbeit von Afrikanern und Indianern nie entfalten, oft nicht einmal überleben können." Der Beitrag der Nichteuropäer war in diesem Rahmen bekanntermaßen nicht immer erfreulich. Afrikanische Herrscher und Händler etwa jagten und verschleppten andere Afrikaner, um sie in Zusammenarbeit mit europäischen Kaufleuten in den Atlantischen Sklavenhandel zu überführen. Einheimische Obere in den Amerikas verbündeten sich mit europäischen Militärs, um Krieg gegen andere einheimische Staaten oder Reiche zu führen. In den meisten Sklavengesellschaften in den Amerikas dienten freie "Farbige" in Milizeinheiten, um die Kolonie gegen rivalisierende europäische Mächte oder gegen Sklavenrevolten zu verteidigen. Der Hinweis auf willige einheimische Helfer bedeute keineswegs, so Benjamin, die Rolle der Europäer bei Sklaverei, Krieg und Ausbeutung zu relativieren. Im Übrigen mache es wenig Sinn, Afrikaner und die Bewohner der Amerikas lediglich als Opfer der Europäer zu charakterisieren. "Sie leisteten Widerstand, wehrten sich, suchten die ihnen auferlegten Forderungen zu verhandeln und trotz aller Zwänge und Schrecken ein sinnvolles Leben zu führen."
"The Atlantic World" besticht insgesamt durch die ausgewogene und kenntnisreiche Behandlung der für den Gegenstand relevanten Themenfelder. Wenig überraschend, nimmt der Sklavenhandel einen gewichtigen Teil der Darstellung ein. In enger Tuchfühlung mit der neueren Forschung analysiert Benjamin die quantitativen Aspekte dieser gewaltigen Zwangsmigration von rund zwölf Millionen Afrikanern in die "Neue Welt", versäumt es aber nicht, auch auf die kulturellen und alltagsgeschichtlichen Dimensionen dieses Prozesses einzugehen. Das - zumindest formale - Ende von Sklavenhandel und Sklaverei im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts ging einher mit dem Ende der bis dahin existierenden atlantischen Welt. Die Entwicklung hing ganz wesentlich mit dem Aufstieg des agrarischen und industriellen Kapitalismus zunächst in Großbritannien und später in Westeuropa und den Vereinigten Staaten zusammen, welcher die Handelsökonomie der atlantischen Welt sukzessiv obsolet machte.
Überraschenderweise geht Benjamin nicht explizit auf eine Strömung in der Forschung ein, die in den vergangenen fünfzehn Jahren in vielen Disziplinen große Resonanz erfahren hat: die Debatte um den "schwarzen Atlantik", welche ihren Ursprung in der Kritik an eurozentrischen Perspektiven auf die Atlantische Geschichte hat. Der Klassiker dieser Richtung, von Benjamin an keiner Stelle erwähnt, ist Paul Gilroys 1993 publiziertes Buch "Black Atlantic", das vor allem auf die Ursprünge "schwarzen" politischen und kulturellen Denkens im atlantischen Raum fokussiert. Diese Lücke schmälert jedoch kaum Benjamins Verdienste.
ANDREAS ECKERT
Thomas Benjamin: "The Atlantic World". Europeans, Africans, Indians, and Their Shared History, 1400-1900. Cambridge University Press, Cambridge, New York 2009. 751 S., br., 44,99 $.
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