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A 21st century Bonfire of the Vanities, set in LA.

Produktbeschreibung
A 21st century Bonfire of the Vanities, set in LA.
Autorenporträt
Héctor Tobar is the former Buenos Aires and Mexico City Bureau Chief for the LA Times and shared a Pulitzer for the paper's coverage of the 1992 riots.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.2012

Die anständigen Bürger von Orange County

Im Clash der Kulturen: Héctor Tobars Roman "In den Häusern der Barbaren" ist eine große Gesellschaftsstudie über die Latinos in Amerika.

Von Jan Wiele

Es gibt einen Witz über die Bewohner von Los Angeles und ihre Mentalität, den der amerikanische Moderator Jay Leno einmal erzählt hat: Wenn du einen Gärtner hast, aber selbst als Gärtner arbeitest - dann könntest du ein Angelino sein. Fast so, aber doch ein bisschen anders, verhält es sich auch mit einer Figur am Anfang von Héctor Tobars Roman, dessen Schauplatz Los Angeles ist: Der vermeintlich wohlhabende Familienvater Scott Torres hatte bis vor kurzem noch einen Gärtner. Nun muss er zum ersten Mal seit langem den Rasen auf seinem Anwesen mit Pazifikblick selbst mähen, weil eine "sechsstellige Investition in sogenannte Wertpapiere" in kurzer Zeit auf Taschengeldgröße geschrumpft ist.

Noch ein Roman zu den Folgen der Krise also? Zum Teil, aber im Fokus des Werks steht nicht nur die amerikanische Schicht, die durch die Finanzkrise plötzlich abgestiegen ist, sondern vielmehr jene, die den Aufstieg noch vor sich hat: Es geht um die Latinos in den Vereinigten Staaten und vor allem die illegalen Einwanderer darunter. Personifiziert werden sie durch die Hauptfigur Araceli Ramirez, die nunmehr letzte verbliebene mexikanische Angestellte im Haus von Scott Torres. In der Eröffnungsszene beobachtet sie den rasenmähenden Arbeitgeber durchs Fenster, während sie noch ihrem aus diesem Job wegrationalisierten Landsmann Pepe hinterhertrauert, den sei heimlich verehrt hat.

Der Witz im Verhältnis zwischen Araceli und ihrem Arbeitgeber ist, dass Scott Torres selbst Sohn eines Mexikaners ist - aber er ist Araceli eben diese eine Generation voraus, und nun trennen die beiden Welten. Wie hinter Glas spielt sich für Araceli auch ein Großteil des Familienlebens der Amerikaner ab: Zum Beispiel eine Party, auf der sie den Gästen die Käsehäppchen reichen darf. Der strengen und auch streng gekleideten Araceli erscheinen die amerikanischen Partygäste "in ihren ungebügelten Naturtextilien" überaus suspekt: "Sie waren wie Kinder, die sich an ihre liebste Kuscheldecke oder ihr Lieblingshemd klammerten."

Aus Aracelis Sicht sind die arrivierten Amerikaner mit ihren Eheproblemen und den an Fernseher oder Computer klebenden Kindern also eher degeneriert, vielleicht sogar die Barbaren aus dem Titel des Romans - und doch gehört die mexikanische Hausangestellte zur großen Gemeinschaft derer, die in ebendiesem Amerika ihre Chance auf ein besseres Leben suchen.

Von solchen getrennten Welten kann der Verfasser des Romans ein Lied singen: Héctor Tobar ist selbst Einwandererkind; seine Eltern kamen 1962 aus Guatemala nach Los Angeles, wo er im folgenden Jahr geboren wurde. Die Stadt kennt er wie seine Westentasche, und er hat das Dasein von deren Bewohnern, den "Angelinos", zudem als Journalist in zahlreichen Reportagen geschildert. Für eine über die sogenannten race riots von 1992 erhielt Tobar den Pulitzerpreis.

Von dieser Reportagestärke profitiert auch sein Roman, an dem er lange gearbeitet, den er immer wieder umgeschrieben hat. Das nun endlich fertiggestellte Buch bietet eine ausführliche Soziologie der multiethnischen Großstadt und zeigt auf das genaueste die Lebensumstände einer Fülle von armen und reichen Figuren, verharrt aber nicht bei der Schilderung des Kulturenclashs, sondern nimmt an einem Punkt auch dramatisch Fahrt auf: Als das Ehepaar Torres-Thompson (ethnisch gemischte Doppelnamen sind im Roman das Zeichen fortgeschrittener Amerikanisierung) nach einem derben Ehestreit plötzlich verschwunden ist, findet sich Araceli mit den beiden vorpubertären Söhnen allein im Haus. Da die Eltern auch nach Tagen nicht zurückkommen, muss sie handeln, kann sich aber als Illegale schlecht an die Behörden wenden. Also macht sie sich mit den Kindern auf die Suche nach deren Großvater, was zu allerlei Verwicklungen führt. Es beginnt eine kleine Odyssee durch die Umgebung von Los Angeles, von den noblen Pazifikhöhen in die Niederungen der Arbeiterstadt Huntington Park.

An die Behörden wenden sich allerdings die Eltern, als sie nach Hause zurückkommen und ihre Kinder nicht mehr vorfinden. Was dann passiert, macht den Roman schließlich auch zu einer Anklageschrift gegen die amerikanische Gesellschaft, in der aus einer Vermisstenmeldung mit Beteiligung einer Einwanderin plötzlich der Vorwurf einer Entführung wird, der sich wie ein Lauffeuer über die Medien ausbreitet und zu einer großangelegten Suchaktion nach Araceli führt, die schließlich wie eine Verbrecherin gejagt wird. Die Nachricht von einem vermutlich illegal eingewanderten Kindermädchen, das sich mit zwei typisch amerikanisch aussehenden Jungen abgesetzt habe, heißt es einmal im Roman, "würde die anständigen Bürger und Wähler von Orange County wütender machen als ein Dutzend mexikanischer Gangmorde oder zwanzig gemeingefährliche Trunkenheitsfahrten mit spanischen Nachnamen".

Allerdings ist es ein Amerikaner, der diese Beobachtung ausspricht, "die schmerzhafte Erkenntnis für den Sohn einer alten Demokratenfamilie", einen jungen Staatsanwalt, der es nicht mehr ertragen kann, dass "lateinamerikanische Einwanderer wie Araceli seine Gerichtssäle füllen". Tobars Roman stellt die Dinge stets aus der Sicht völlig verschiedener Menschen und unter Beachtung ihrer Konflikte zwischen Charakter und gesellschaftlicher Funktion dar.

Er setzt dafür einen allwissenden Erzähler ein, vor dem kein Geheimnis von Los Angeles verborgen bleibt, und stellt zudem noch häufig die Gedanken seiner Figuren als erlebte Rede in Kursivschrift dar. Dieser epische Totalitätsanspruch ist wohl angemessen bei einem derart komplexen soziologischen Gegenstand, er macht den Roman allerdings - sosehr dessen Thema ganz in einer für viele Weltgegenden repräsentativen Gegenwart verankert ist - zu einem Leseerlebnis des neunzehnten Jahrhunderts.

Héctor Tobar: "In den Häusern der Barbaren". Roman.

Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Piper Verlag, München 2012. 490 S., geb., 19,99 [Euro].

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