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Leonard Bernstein nannte sie "Mozart of today", sie haben weltweit die meisten Schallplatten verkauft, und die Veröffentlichung bisher unbekannten Materials löst heute noch eine wahre Kaufhysterie aus: Die Beatles sind ein Mythos und dieser Mythos ist unsterblich. Wie keine andere Popgruppe haben die "Fab Four" aus Liverpool die Welt verändert. Wie sind die legendären Songs und Platten entstanden? Wie hat das kongeniale Komponistenduo Lennon/McCartney gearbeitet? Mark Hertsgaard bekam als einziger alle Bänder auch der nicht veröffentlichten Musik zu hören, über 400 Stunden, die in Tresoren im…mehr

Produktbeschreibung
Leonard Bernstein nannte sie "Mozart of today", sie haben weltweit die meisten Schallplatten verkauft, und die Veröffentlichung bisher unbekannten Materials löst heute noch eine wahre Kaufhysterie aus: Die Beatles sind ein Mythos und dieser Mythos ist unsterblich. Wie keine andere Popgruppe haben die "Fab Four" aus Liverpool die Welt verändert. Wie sind die legendären Songs und Platten entstanden? Wie hat das kongeniale Komponistenduo Lennon/McCartney gearbeitet? Mark Hertsgaard bekam als einziger alle Bänder auch der nicht veröffentlichten Musik zu hören, über 400 Stunden, die in Tresoren im Abbey Road Studio verwahrt werden. Sein Buch trennt Mythen von Fakten und musikalische Zufälle von genialen Einfällen. So werden beim Lesen die einzelnen Songs in ihrer Komplexität "hörbar", und dahinter entstehen eindringliche Porträts der Musiker, die sie geschaffen haben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.1995

Dreißig Finger und zwei Fäuste
Sämtliche Werke der Beatles / Von Friedmar Apel

Wer in der Nachkriegszeit geboren wurde, schlecht mineralisiert war und in der Kälte der Dinge aufwuchs, wer in den Stunden der Dunkelheit heimlich die Klänge von Radio Luxemburg dechiffrierte wie Signale aus einer fernen heimatlichen Welt, der hatte eines Tages darauf vertraut, daß nicht alles so bleiben muß, wie es ist. Wem also die Rockmusik die Jugend, wenn nicht das Leben gerettet hatte, dem war gelegentlich subversiv ganz wohl, aber er mußte auch so manches ertragen.

Zumal in Deutschland, wo es gar kein Idiom für solche widerständigen Erfahrungen gab. Mit Schaudern erinnert sich derjenige an die deutsche Übersetzung von "Please, please me" (1963): Kein Mädchen ist so süß wie Susie.

Kein Mädchen küßt so süß wie Susie.

Come on, come on, come on, come on Und schaut euch Sweetheart Susie an!

Viel Englisch verstand er ja nicht, aber daß das falsch und verlogen war und mit jenem eigentümlichen Glücksversprechen, das von den ersten Beatles-Liedern unmittelbar und schockartig ausging, nichts zu tun hatte, war ihm sicher.

Es blieb schwierig. Erst die Meckerei der Eltern und Lehrer über die Negermusik (und dabei konnte doch das besungene Mädel nicht schwarzbraun genug sein), dann die konformistische Klatschsucht der Rock-Berichterstattung mit ihrem Whow-Getue (von Leuten, die die wirklich netten Mädchen niemals abkriegten). Das Geraune von der Gegenkultur (von nachmaligen Gewerkschaftsfunktionären oder Werbetextern) mit baldiger Vereinnahmung im Marktgeschrei. Dann sollten die Beatles kommerziell sein, nur weil John Lennon Reichtum auch ganz lustig fand. Dann die avantgardistische Kritik an der Kulturindustrie, die den Beatles-Fan zum regressiven Zombie abstempelte, der nicht merkte, daß ihm nur heruntergekommene Ausdrucksmittel der Tradition angedreht wurden (wobei die Musikologen nicht einmal wußten, ob es sich beim Eingangsakkord von "A Hard Day's Night" um F-Dur oder D-Dur 7 handelt; bei Hertsgaard erfährt man, daß sich die Experten heute noch nicht einig sind).

Und nun die postmoderne Entsorgung des Utopiepotentials und des individuellen Anspruchs im Enthusiasmus für schwäbische Maschinisten mit esoterischen Interessen, der Spott über angebliche Botschaften, die sogenannte Achtundsechziger in der Musik angeblich vernommen oder ausgesandt hätten, was in irgendeinem diffusen Zusammenhang damit stehen soll, daß die schwarzbraune Haselnuß bei jungen Menschen wieder recht populär ist (gern von Leuten geäußert, die das Pilleneinwerfen und das Einfach-Spaß-Haben mit Rohkostdiät und Askeseübungen abbüßen, ohne zu bemerken, wie sie sich zu Tode langweilen).

In dieser Situation nimmt jener vormalige Radiohörer verschämt, aber nicht ohne Hoffnung das Werk von Mark Hertsgaard zur Hand, das sich puristisch ins Gewand des legendären "White Album" kleidet, mit dem die Beatles ihre eigene Klassizität vorwegnahmen. Im Vergleich zum originalen LP-Format ist der Einband aber verkleinert. Tatsächlich verspricht der Autor, was jenen schwer Geprüften einzig interessiert: "Ich wollte ein Buch schreiben, das die Musik der Beatles ernst nimmt und trotzdem lesbar ist, ein Buch, das den kreativen Prozeß hinter einer Kunst, die das Leben von Millionen verändert hat, beleuchtet und diese Kunst dabei in einen größeren historischen Zusammenhang stellt." Dergleichen existiert bisher nur in unzuverlässiger Form, ist vor allem sprachlich meist eine Fortsetzung der erwähnten Beleidigungen des Verstandes ("die jungen Löwen mit den qualmenden Gitarren aus Liverpool").

Für sein Unternehmen hätte sich der 1956 geborene New Yorker Journalist eine neue Art der Darstellung suchen können und dafür in der jüngeren semiotischen Diskussion manche Anregungen gefunden, die vor allem die Vermittlung von ästhetischer und geschichtlicher Erfahrung betreffen. Auch die wie immer esoterische Deutungskultur, wie sie hierzulande ,Spex' oder ,Heaven sent' präsentieren, hätte methodologisch nützlich sein können. Hertsgaard wählt aber ohne große Umschweife die im neunzehnten Jahrhundert entwickelte Form der Werkbiographie. Das ist der Lesbarkeit sicher dienlich, aber er übernimmt damit bewußt oder unbewußt einen älteren Organik-Begriff, der alle Veränderungen in der Musik der Beatles unter der Vorstellung des Reifens faßt. So erscheint es dann als mehr oder weniger zwangsläufig, daß die Beatles am Ende als "Klassiker ihrer Epoche" erscheinen. Was sich Paul McCartney viel bescheidener erst post mortem wünschte, scheint nun schon gesichert: "Ich möchte, daß man sich, wenn wir tot sind, an vier Leute erinnert, die Musik machten, die gut genug war, daß man sich an sie erinnert."

Nach Hertsgaard beginnen die Beatles 1962 mit einer Art Sturm-und-Drang-Phase unbewußt-genialischer Produktivität, die sich durch gradlinige Einfachheit der Gefühlsaussprache bestimmt ("Please, please me", "A Hard Day's Night") und dabei mit einem wegräumenden Gestus die Komplexität der Welt auf Grundprobleme von Liebe und Sexualität reduziert. Nach einer Zwischenepisode, die sich gleichsam der Neuordnung des Kanons widmet, sich der gültigen Grundlagen der Rock and Roll Music versichert ("Beatles for Sale"), folgt eine Phase raffinierter Einfachheit mit ersten enigmatischen Elementen und spannungsbildenden Energieausbrüchen in der Instrumentalisierung, die sich aber in der Aussageintention noch weitgehend auf die Dancefloor-Sphäre und Jugendkultur beschränkt ("Help!").

Mit "Rubber Soul" und "Revolver" sind die Synergie-Effekte in der Zusammenarbeit der Beatles, zu denen Hertsgaard selbstverständlich den Produzenten George Martin hinzuzählt, schon kalkulierte Methode geworden. Ständige Veränderung wird zum ästhetischen wie lebensweltlichen Programm der Beatles, was mit einer sozialen Öffnung der Lyrik einhergeht, so wenn in "Eleanor Rigby", worin auf der anderen Seite die ersten surrealistischen Metaphern auftauchen, die Probleme alter Menschen geschildert werden. Mit der Einführung der Vierspurtechnik verwandelt sich das Studio langsam in Labor und Werkstatt. Die Arbeit beginnt nun oft nicht mehr mit Melodien oder Textzeilen, sondern mit Motiven, Klangfarben oder rhythmischen Strukturen, denen Baßlinien, Singstimmen und so weiter folgen. George Martin zufolge ist das "der Versuch, hörbare Bilder zu malen". Noch immer konzentriert sich aber alles um die einzigartig magische Kontrafaktur der Stimmen von Lennon-McCartney und ihre auch bei Hertsgaard nicht aufgeklärte traumwandlerische Zusammenarbeit. Freilich betont Hertsgaard den unentbehrlichen Anteil der anderen drei. Vor allem gibt es einmal wieder die Ehrenrettung Ringo Starrs, der gerade aufgrund seiner Beschränktheit einen ganz eigentümlichen Beitrag zur Schlagzeugkultur geleistet habe. Wer wäre je auf die Idee gekommen, einen Einsatz mit fünf blitzschnellen Snare-Drum-Schlägen zu eröffnen ("Rain")? Von der unvergleichlich klaren Emotionalität der Lead-Gitarre Harrisons nicht zu reden.

Unter dem Einfluß bewußtseinserweiternder Drogen zeigt sich die Technik in "Sergeant Pepper's Lonely Hearts Club Band" schon auf der Schwelle zur Klassizität. Die Klangfarbe des Traums erhält in der komplexen Fiktionalisierung immer mehr Tiefendimension und Struktur, zeigt in Musik, Sprache und bildlicher Darstellung (auf dem Cover) symbolisch eine Welt, die sich ändern muß und kann. Hier tritt die Musik der Beatles in die klassische Phase ein, weil sie sich aus den Bedingtheiten des Gegebenen zu einem universalen Ausdrucksmittel erhebt. In prometheischer Tradition gab es Hertsgaard zufolge nun kein "das geht nicht" mehr. In "A day in a life" sieht er das Optimum von ästhetischer Verdichtung und Welthaltigkeit erreicht. Und so gehört "Sergeant Pepper" zu den "kulturellen Wahrzeichen des zwanzigsten Jahrhunderts".

Im "White Album" zeigen sich dann "The Beatles" im klassizistischen Ideal der edlen Einfalt und stillen Größe, in jener höchsten und artistischen Einfachheit des Geformtseins, die nur aus dem ästhetisch und natürlich aufgefaßten Leben, aus der Organisation des Chaos, niemals aber aus schulmäßigen Regeln hervorgehen kann. Bis zuletzt beherrschte nur George Martin den Kontrapunkt und konnte Noten lesen. Das ist die festgehaltene Klassizität, aber ohne klassische Dämpfung: In den naturhaft herausgebrüllten Rockstücken wie "Helter Skelter" erinnert man sich der ursprünglichen Impulse aus dem Mythos des Rock and Roll. Und wenn man dann bei den Beatles auch von so etwas wie einer spezifisch klassizistischen Humanität sprechen will, dann bestand sie im Aushalten von Widersprüchen, im Verzicht auf das Absolute ("Revolution").

Nun folgt in Hertsgaards Klassifizierung noch so etwas wie ein Spät- oder Alterswerk ("Abbey Road", "Let it Be") mit Momenten der Entsagung in großartigen Miniaturen wie "I Me Mine", die sich etwa der Erforschung des Ich widmen, "dieses ewigen Problems" (Harrison). "The End" soll dann als die genialische Divination der Auflösung der Gruppe gesehen werden, zugleich aber als bittersüße Besiegelung der eigenen Vollkommenheit und Unwiederholbarkeit, des Endes einer Epoche. Das war 1970, und vierundzwanzig Jahre später wollen viele es immer noch nicht glauben, denn alle hübschen oder bösartigen Dinge, die McCartney, Lennon oder Harrison später machten, erreichten nie wieder jenen aus dem Tiefsten strahlenden Glanz der Klangfarbe des Traums von einer besseren Welt.

Hertsgaard hat eine (auch, was den Anhang mit Bibliographie, Filmverzeichnis, Diskographie und Register betrifft) vorbildlich sachbezogene und zugleich wunderbar warmherzige Darstellung vorgelegt, die nun die Betrachtung der Beatles-Lieder als OEuvre möglich macht. Es ist das Verdienst des Übersetzers Willi Winkler, daß auch der deutsche Text frei von Jargon bleibt und die Emotionalität durchscheinen läßt, ohne in Würdigungskitsch abzugleiten. Die Nobilitierung des Beatles erfreut natürlich das Herz des Enthusiasten, bereitet ihm aber auch Kopfschmerzen. Denn diese als organisch vorgestellte Entwicklung zu einer universalen Gegenwärtigkeit für "Millionen" unterschlägt einen Großteil der komplexen Wechselwirkung zwischen ästhetischer, historischer, politischer und individueller Erfahrung und steht so in Gefahr, die Beatles einem konformistischen Deutungsmuster auszuliefern, das jegliche Widerständigkeit jovial vereinnahmt. Folgt man jedoch dem Autor darin, daß es entgegen sauertöpfischer Kulturkritik in der Rockmusik den intelligenten und kreativen Produzenten wie Rezipienten gibt, so wird sich letzterer den vorschnellen Ganzheiten der Darstellung gegenüber skeptisch verhalten. Als Grundlage einer erneuerten Beschäftigung ist das Werk mit diesen Einschränkungen daher jedem zu empfehlen, der sich für die Entwicklung der Rockmusik interessiert.

Mark Hertsgaard: "The Beatles". Die Geschichte ihrer Musik. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Willi Winkler. Carl Hanser Verlag, München 1995. 260 S., Abb., geb., 58,- DM.

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