"The Big Short" erzählt von der Erfindung einer monströsen Geldmaschine: Ein paar Hedgefond-Manager sehen das katastrophale Platzen der amerikanischen Immobilienblase nicht nur voraus, sondern sie wetten sogar im ganz großen Stil darauf. Den Kollaps des Systems befördern sie unter anderem mittels des sogenannten "shortings", Leerverkäufen von Aktien großer Investmentbanken. Doch zu jeder Wette gehört auf der anderen Seite auch einer, der sie hält.
Lewis entlarvt anhand seiner Protagonisten ein System, das sich verselbständigt und mit moralischen Kategorien wie Habgier oder Maßlosigkeit längst nicht mehr zu fassen ist. Der Zusammenbruch der Finanzmärkte, so lernen wir in diesem Buch, war ein kurzer Moment der Vernunft: Der Wahnsinn hatte sich in den Jahren davor abgespielt.
Lewis entlarvt anhand seiner Protagonisten ein System, das sich verselbständigt und mit moralischen Kategorien wie Habgier oder Maßlosigkeit längst nicht mehr zu fassen ist. Der Zusammenbruch der Finanzmärkte, so lernen wir in diesem Buch, war ein kurzer Moment der Vernunft: Der Wahnsinn hatte sich in den Jahren davor abgespielt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.08.2010Die Bücher und das dumme Geld
Die amerikanische Gegenwartsliteratur unterwirft sich der Figur des Bankers, dem in aktuellen Romanen kleine Denkmäler errichtet werden.
Von Ralph Martin
Als ich Anfang der neunziger Jahre studierte, galt die Wall Street an amerikanischen Universitäten nicht als glamouröser Arbeitsplatz. Amerika erholte sich damals immer noch von dem Börsencrash, der den Swinging Eighties ein Ende gesetzt hatte, und stiernackige Football- oder Hockeyspieler und taschenrechnerschwingende Mathematik-Nerds schienen die Einzigen zu sein, die einseitig interessiert genug waren, ihren Lebensunterhalt mit dem Verschieben von Geldstapeln verdienen zu wollen.
Die Brillanten und Schönen wandten sich dem Journalismus zu, versuchten Romane zu schreiben, gründeten Rockbands. Sie nahmen schlechte Jobs an, um ihre künstlerischen Neigungen zu finanzieren. Ich kannte mehrere angehende Schriftsteller, die in derselben Pizzeria im New Yorker East Village arbeiteten wie ich. Die Literatur gehörte den Bohemiens. "Die geheime Geschichte" von Donna Tartt und "Die Geheimnisse von Pittsburgh" von Michael Chabon waren internationale Bestseller, die sich mit der Suche nach Identität in einer plötzlich unsicher gewordenen Welt befassten. Selbst "Liar's Poker" ("Wall-Street-Poker"), ein Sachbuch-Bestseller, war eine warnende Geschichte von widerwärtigen, moralisch heruntergekommenen Männern bei der Arbeit, deren Exzesse ans Satirische grenzten. Als Höhepunkt dieser Zeit dürfte "American Psycho" von Bret Easton Ellis gelten, dessen Protagonist ein manisch-sadistischer, mordgieriger Investmentbanker ist.
Seit dem Einbruch von 2008 ist downtown New York nichts von einer Krise zu spüren. An der Wall Street verdient man immer noch zig Millionen Dollar an Boni, und die Universität Harvard schickt weiterhin viele ihrer smartesten Absolventen direkt in "The Street". Noch aufschlussreicher ist allerdings die Tatsache, dass die meisten gefeierten neuen Bücher sich geradezu obsessiv mit dem Banker, dieser einst verachteten Figur, befassen.
So hat die angesehene Zeitschrift "N+1" gerade ihr erstes Buch herausgebracht: "Diary of a Very Bad Year: Confessions of an Anonymous Hedge Fund Manager", in dem ein allwissender, aber namentlich nicht genannter Finanzmanager dem, wie er sagt, "literarischen New York" die großen Zusammenhänge erklärt. Michael Lewis, der vor vielen Jahren das amüsante "Liar's Poker" schrieb, hat einen neuen Bestseller, "The Big Short: Wie eine Handvoll Trader die Welt verzockte", das den jüngsten Crash erklärt und eine Reihe von "Außenseitern" porträtiert, die "es kommen sahen" und ihre Schäfchen ins Trockene brachten, bevor das Kartenhaus zusammenfiel.
Und dann sind da noch die "großen" Romane. Die weithin besprochenen amerikanischen Erfolgstitel der letzten Monate sind ganz verrückt auf Geld und Männer, die sehr viel davon "machen" - "verdienen" wäre hier der falsche Ausdruck. In Adam Hasletts Roman "Union Atlantic" und in Jonathan Dees ähnlich gut aufgenommenem "The Privileges" ist der Banker ein amerikanischer Jedermann, die perfekte Projektionsfläche für die Probleme aktueller amerikanischer Existenz. Diese Bücher sind unterhaltsame Streifzüge durch den Hochkapitalismus, an deren Ende sich mancher fragen wird, ob nicht auch ein elementares Gefühl für Proportionen zu den Opfern des großen Crashs von 2008 gehört.
"Diary of a Very Bad Year" (Tagebuch eines sehr schlechten Jahres) ist eine sonderbare Wahl für das erste Buch, das "N+1" herausgibt, eine nach eigenem Bekunden anspruchsvolle alternative Zeitschrift für eine internationale Leserschaft. Das Buch besteht aus einer Reihe von Gesprächen zwischen Keith Gessen, einem der Gründer der Zeitschrift, und dem anonymen "HFM" (Hedgefonds-Manager). Gessen unterwirft sich dem HFM vollständig und lässt ihn nahezu das ganze Buch diktieren. Hier ein typisches Beispiel: "N+1: Wann fangen Sie morgens mit der Arbeit an? HFM: So um halb sechs oder viertel vor sechs. N+1: Wow!"
HFM beschreibt sehr genau und oft faszinierend, wie das Geld sich um den Erdball bewegt und wie Finanziers Ereignisse und Dinge der realen Welt - Unternehmen, die sich im Auf- oder Abstieg befinden, Währungsverschiebungen, Hypothekenkredite - aufgreifen, um wieder und wieder Profit daraus zu schlagen. Nominell ist zwar Keith Gessen "Autor" des Buchs. Er nahm die Gespräche auf, und HFM beantwortete seine Fragen. Doch HFM ist immer der Überlegene, weil er der Meister ist, der eine Lehre zu erteilen hat, etwa wie der Profithunger der Wall Street Ereignisse in der realen Welt auslöste, zum Beispiel Hypothekenkredite für Leute ohne Einkommen. Doch Gessen ist als Gesprächspartner ein blasser Abklatsch von Oriana Fallaci, die den Mächtigen in ihren Interviews mit Ajatollah Chomeini und anderen die Wahrheit sagte. Gessen versucht gar nicht erst, HFM aus der behaglichen Ecke zu treiben, in der er sich eingerichtet hat. Denn dann würde dieser wohl das Gespräch abbrechen, und es gäbe kein Buch.
"The Big Short" von Michael Lewis, das Anfang Oktober in deutscher Übersetzung im Campus Verlag erscheint, gibt vor, die Geschichte eines großen, durch einen Herdentrieb ausgelösten Wahnsinns zu erzählen, nämlich des Absturzes der Wall Street im Herbst 2008, verwendet letztlich aber mehr Zeit darauf, jene "Außenseiter" zu preisen, die die Finanzkrise kommen sahen und mächtig Geld damit verdienten.
Was den Sachbuch-Chroniken aus der realen Welt indes fehlt, ist ein glamouröser, gutaussehender Held. Diese Lücke füllt die junge Romanliteratur. Adam Hasletts "Union Atlantic", bereits im vergangenen Herbst in Deutschland erschienen, stellt einen skrupellosen Banker namens Doug Fanning in den Mittelpunkt, der aus ärmlichen Verhältnissen zur Kriegsmarine flüchtet, dann in die Finanzwelt geht und rasch ein Vermögen macht, bevor er - unvermeidlich - in Schwierigkeiten gerät und das Schicksal ihn dorthin zurückschickt, woher er gekommen ist. Seitenlang erklärt der Autor die Finanzwelt, einschließlich der argentinischen Schuldenkrise von 2001.
Jonathan Dee schildert in "The Privileges" den Aufstieg eines einzelnen Paars an die Spitze der New Yorker Finanzwelt und Gesellschaft. Adam und Cynthia Morey, mit deren Hochzeit in Pittsburgh der Roman beginnt, sind ein perfektes fiktives Wall-Street-Paar. Über zwei Jahrzehnte hinweg verfolgen wir, wie die beiden mit großen Schritten die Leiter des Erfolgs hinaufsteigen, ohne je zurückzuschauen. Adam lässt sich auf Insidergeschäfte ein, doch als er dies Cynthia gesteht, liebt sie ihn nur umso mehr, weil er bereit ist, alles zu tun, um sie beide reich zu machen. Als das Paar dann endlich einige hundert Millionen Dollar beisammen hat, werden die Kinder zum Problem: die Drogen- und Nachtclub-Eskapaden der Tochter enden in einem blutigen Verkehrsunfall. Die Familie igelt sich ein. Jonathan Dees Stimme scheint bisweilen ganz mit der Wahrnehmung seiner narzisstischen Figuren zu verschmelzen, und manchmal weiß der Leser nicht recht, ob Dee sich in die von ihm entworfenen Geschöpfe verliebt hat oder nur in das viele Geld, das sie aufgehäuft haben.
Es kann unterhaltsam sein, Bücher über diesen Geldwahnsinn zu lesen, vor allem aber spiegelt sich darin auch eine erstaunliche Umorientierung der Schriftsteller. Heute interpretiert kein John Steinbeck oder John Updike mehr das Zustandekommen der Großereignisse, indem er kleine Leute erfindet, die wie Schachfiguren auf dem Spielfeld verschoben werden können. Stattdessen wirft sich der von der Finanzwelt besessene amerikanische Autor heute immer häufiger seinen allmächtigen und selbstbewussten Figuren zu Füßen. Selbst Doug Fanning in "Union Atlantic" usurpiert die Arbeit des Schriftstellers. Er fühlt sich, wie Adam Haslett schreibt, als "ein Künstler der wirklichen Welt . . ., als Herr über Bedingungen, unter denen andere nur zu leiden hatten".
"Das ist so ein Endzeit-Mist", sagt eine Nebenfigur in "The Privileges" mit Blick auf den Reichtum der Moreys. Und tatsächlich wirkt die amerikanische Literatur heute wie eine Afterparty, der die Stimulantien auszugehen drohen. Da bleibt dann nur noch die Satire, auf die wir uns freuen können. Zum Glück erscheint bald der neue Roman Gary Shteyngarts über den Zusammenbruch der Finanzwelt. Der scharfzüngige russisch-stämmige Chronist des Grotesken hat ihm den Titel "Super Sad True Love Story" verpasst und dürfte das Thema in einer Weise aufspießen, wie es noch niemand getan hat.
Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff. Ralph Martin, geboren 1970 in Granville, Ohio, lebt seit 2003 in Berlin. 2009 erschien sein Buch "Ein Amerikaner in Berlin".
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die amerikanische Gegenwartsliteratur unterwirft sich der Figur des Bankers, dem in aktuellen Romanen kleine Denkmäler errichtet werden.
Von Ralph Martin
Als ich Anfang der neunziger Jahre studierte, galt die Wall Street an amerikanischen Universitäten nicht als glamouröser Arbeitsplatz. Amerika erholte sich damals immer noch von dem Börsencrash, der den Swinging Eighties ein Ende gesetzt hatte, und stiernackige Football- oder Hockeyspieler und taschenrechnerschwingende Mathematik-Nerds schienen die Einzigen zu sein, die einseitig interessiert genug waren, ihren Lebensunterhalt mit dem Verschieben von Geldstapeln verdienen zu wollen.
Die Brillanten und Schönen wandten sich dem Journalismus zu, versuchten Romane zu schreiben, gründeten Rockbands. Sie nahmen schlechte Jobs an, um ihre künstlerischen Neigungen zu finanzieren. Ich kannte mehrere angehende Schriftsteller, die in derselben Pizzeria im New Yorker East Village arbeiteten wie ich. Die Literatur gehörte den Bohemiens. "Die geheime Geschichte" von Donna Tartt und "Die Geheimnisse von Pittsburgh" von Michael Chabon waren internationale Bestseller, die sich mit der Suche nach Identität in einer plötzlich unsicher gewordenen Welt befassten. Selbst "Liar's Poker" ("Wall-Street-Poker"), ein Sachbuch-Bestseller, war eine warnende Geschichte von widerwärtigen, moralisch heruntergekommenen Männern bei der Arbeit, deren Exzesse ans Satirische grenzten. Als Höhepunkt dieser Zeit dürfte "American Psycho" von Bret Easton Ellis gelten, dessen Protagonist ein manisch-sadistischer, mordgieriger Investmentbanker ist.
Seit dem Einbruch von 2008 ist downtown New York nichts von einer Krise zu spüren. An der Wall Street verdient man immer noch zig Millionen Dollar an Boni, und die Universität Harvard schickt weiterhin viele ihrer smartesten Absolventen direkt in "The Street". Noch aufschlussreicher ist allerdings die Tatsache, dass die meisten gefeierten neuen Bücher sich geradezu obsessiv mit dem Banker, dieser einst verachteten Figur, befassen.
So hat die angesehene Zeitschrift "N+1" gerade ihr erstes Buch herausgebracht: "Diary of a Very Bad Year: Confessions of an Anonymous Hedge Fund Manager", in dem ein allwissender, aber namentlich nicht genannter Finanzmanager dem, wie er sagt, "literarischen New York" die großen Zusammenhänge erklärt. Michael Lewis, der vor vielen Jahren das amüsante "Liar's Poker" schrieb, hat einen neuen Bestseller, "The Big Short: Wie eine Handvoll Trader die Welt verzockte", das den jüngsten Crash erklärt und eine Reihe von "Außenseitern" porträtiert, die "es kommen sahen" und ihre Schäfchen ins Trockene brachten, bevor das Kartenhaus zusammenfiel.
Und dann sind da noch die "großen" Romane. Die weithin besprochenen amerikanischen Erfolgstitel der letzten Monate sind ganz verrückt auf Geld und Männer, die sehr viel davon "machen" - "verdienen" wäre hier der falsche Ausdruck. In Adam Hasletts Roman "Union Atlantic" und in Jonathan Dees ähnlich gut aufgenommenem "The Privileges" ist der Banker ein amerikanischer Jedermann, die perfekte Projektionsfläche für die Probleme aktueller amerikanischer Existenz. Diese Bücher sind unterhaltsame Streifzüge durch den Hochkapitalismus, an deren Ende sich mancher fragen wird, ob nicht auch ein elementares Gefühl für Proportionen zu den Opfern des großen Crashs von 2008 gehört.
"Diary of a Very Bad Year" (Tagebuch eines sehr schlechten Jahres) ist eine sonderbare Wahl für das erste Buch, das "N+1" herausgibt, eine nach eigenem Bekunden anspruchsvolle alternative Zeitschrift für eine internationale Leserschaft. Das Buch besteht aus einer Reihe von Gesprächen zwischen Keith Gessen, einem der Gründer der Zeitschrift, und dem anonymen "HFM" (Hedgefonds-Manager). Gessen unterwirft sich dem HFM vollständig und lässt ihn nahezu das ganze Buch diktieren. Hier ein typisches Beispiel: "N+1: Wann fangen Sie morgens mit der Arbeit an? HFM: So um halb sechs oder viertel vor sechs. N+1: Wow!"
HFM beschreibt sehr genau und oft faszinierend, wie das Geld sich um den Erdball bewegt und wie Finanziers Ereignisse und Dinge der realen Welt - Unternehmen, die sich im Auf- oder Abstieg befinden, Währungsverschiebungen, Hypothekenkredite - aufgreifen, um wieder und wieder Profit daraus zu schlagen. Nominell ist zwar Keith Gessen "Autor" des Buchs. Er nahm die Gespräche auf, und HFM beantwortete seine Fragen. Doch HFM ist immer der Überlegene, weil er der Meister ist, der eine Lehre zu erteilen hat, etwa wie der Profithunger der Wall Street Ereignisse in der realen Welt auslöste, zum Beispiel Hypothekenkredite für Leute ohne Einkommen. Doch Gessen ist als Gesprächspartner ein blasser Abklatsch von Oriana Fallaci, die den Mächtigen in ihren Interviews mit Ajatollah Chomeini und anderen die Wahrheit sagte. Gessen versucht gar nicht erst, HFM aus der behaglichen Ecke zu treiben, in der er sich eingerichtet hat. Denn dann würde dieser wohl das Gespräch abbrechen, und es gäbe kein Buch.
"The Big Short" von Michael Lewis, das Anfang Oktober in deutscher Übersetzung im Campus Verlag erscheint, gibt vor, die Geschichte eines großen, durch einen Herdentrieb ausgelösten Wahnsinns zu erzählen, nämlich des Absturzes der Wall Street im Herbst 2008, verwendet letztlich aber mehr Zeit darauf, jene "Außenseiter" zu preisen, die die Finanzkrise kommen sahen und mächtig Geld damit verdienten.
Was den Sachbuch-Chroniken aus der realen Welt indes fehlt, ist ein glamouröser, gutaussehender Held. Diese Lücke füllt die junge Romanliteratur. Adam Hasletts "Union Atlantic", bereits im vergangenen Herbst in Deutschland erschienen, stellt einen skrupellosen Banker namens Doug Fanning in den Mittelpunkt, der aus ärmlichen Verhältnissen zur Kriegsmarine flüchtet, dann in die Finanzwelt geht und rasch ein Vermögen macht, bevor er - unvermeidlich - in Schwierigkeiten gerät und das Schicksal ihn dorthin zurückschickt, woher er gekommen ist. Seitenlang erklärt der Autor die Finanzwelt, einschließlich der argentinischen Schuldenkrise von 2001.
Jonathan Dee schildert in "The Privileges" den Aufstieg eines einzelnen Paars an die Spitze der New Yorker Finanzwelt und Gesellschaft. Adam und Cynthia Morey, mit deren Hochzeit in Pittsburgh der Roman beginnt, sind ein perfektes fiktives Wall-Street-Paar. Über zwei Jahrzehnte hinweg verfolgen wir, wie die beiden mit großen Schritten die Leiter des Erfolgs hinaufsteigen, ohne je zurückzuschauen. Adam lässt sich auf Insidergeschäfte ein, doch als er dies Cynthia gesteht, liebt sie ihn nur umso mehr, weil er bereit ist, alles zu tun, um sie beide reich zu machen. Als das Paar dann endlich einige hundert Millionen Dollar beisammen hat, werden die Kinder zum Problem: die Drogen- und Nachtclub-Eskapaden der Tochter enden in einem blutigen Verkehrsunfall. Die Familie igelt sich ein. Jonathan Dees Stimme scheint bisweilen ganz mit der Wahrnehmung seiner narzisstischen Figuren zu verschmelzen, und manchmal weiß der Leser nicht recht, ob Dee sich in die von ihm entworfenen Geschöpfe verliebt hat oder nur in das viele Geld, das sie aufgehäuft haben.
Es kann unterhaltsam sein, Bücher über diesen Geldwahnsinn zu lesen, vor allem aber spiegelt sich darin auch eine erstaunliche Umorientierung der Schriftsteller. Heute interpretiert kein John Steinbeck oder John Updike mehr das Zustandekommen der Großereignisse, indem er kleine Leute erfindet, die wie Schachfiguren auf dem Spielfeld verschoben werden können. Stattdessen wirft sich der von der Finanzwelt besessene amerikanische Autor heute immer häufiger seinen allmächtigen und selbstbewussten Figuren zu Füßen. Selbst Doug Fanning in "Union Atlantic" usurpiert die Arbeit des Schriftstellers. Er fühlt sich, wie Adam Haslett schreibt, als "ein Künstler der wirklichen Welt . . ., als Herr über Bedingungen, unter denen andere nur zu leiden hatten".
"Das ist so ein Endzeit-Mist", sagt eine Nebenfigur in "The Privileges" mit Blick auf den Reichtum der Moreys. Und tatsächlich wirkt die amerikanische Literatur heute wie eine Afterparty, der die Stimulantien auszugehen drohen. Da bleibt dann nur noch die Satire, auf die wir uns freuen können. Zum Glück erscheint bald der neue Roman Gary Shteyngarts über den Zusammenbruch der Finanzwelt. Der scharfzüngige russisch-stämmige Chronist des Grotesken hat ihm den Titel "Super Sad True Love Story" verpasst und dürfte das Thema in einer Weise aufspießen, wie es noch niemand getan hat.
Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff. Ralph Martin, geboren 1970 in Granville, Ohio, lebt seit 2003 in Berlin. 2009 erschien sein Buch "Ein Amerikaner in Berlin".
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.12.2010Die großen
Helden
Wenn es ein Buch gibt, das die Wall Street beschreibt, wie sie wirklich ist, dann ist es dieses: „The Big Short“ von Michael Lewis. Es handelt von Spekulanten, die die Finanzkrise kommen sahen – und das schamlos ausnutzten. Warum auch nicht? Sie wollten Geld verdienen. Und wurden zu Helden.
Da ist zum Beispiel Steve Eismann, ein ätzender, aber fleißiger Rüpel, der Anleihen bewertet, die durch Ramsch-Hypotheken gedeckt sind. Eismann macht sich die Mühe, das Kleingedruckte bei hoch komplexen Finanzprodukten zu lesen. Die heißen CDO – die drei Buchstaben werden schließlich zum traurigen Synonym für die Probleme am US-Immobilienmarkt. „Der ganze Sinn der CDO war es, die Risiken schlechter Hypothekenkredite zu waschen, die die Firmen nicht offen und direkt verkaufen konnten“, schreibt Lewis. Und was macht Eismann? Er analysiert die Ramschkredite, die hinter den CDO stehen und wettet gegen sie. Kein Wunder, dass er in der Krise so viel verdient, wie die meisten anderen verlieren.
Jetzt kann man natürlich fragen, ob Lewis sich das Ganze ausgedacht hat oder ob es tatsächlich so war. Es war so. Der Finanzjournalist Lewis hat selbst erlebt, worüber er schreibt. Er ging nach dem Studium zu Salomon Brothers, jener Investmentbank, die sich in den achtziger Jahren den Ruf erwarb, besonders aggressiv und rücksichtslos zu agieren. Drei Jahre arbeitete Lewis dort. Dann kündigte er und schrieb sein erstes Buch: „Liar’s Poker“ (Deutsch: „Wall-Street-Poker“).
Seither sind die Spekulanten sein Thema, die wie Stars durch die Handelsräume dieser Welt ziehen. „The Big Short“ zeichnet ihr Handwerk nach. „To short“ bedeutet, auf den sinkenden Kurs eines Wertpapiers zu setzen. Eine Aktie lässt sich shorten, indem man sie „leer“ verkauft: Der Spekulant leiht sich das Papier und verkauft es zum gegenwärtigen Kurs in der Hoffnung, dass er es zu einem späteren Zeitpunkt zurückgeben kann. Eine Anleihe shortet man, wenn man darauf wettet, dass der Emittent pleitegeht. Und dazu braucht man ein Instrument mit drei Buchstaben: CDS. Genau damit beginnt die Geschichte des Big Short – und das Verständnis für das, was wir Finanzkrise nennen.
Alexander Mühlauer
Michael Lewis: The Big Short, Campus, 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Helden
Wenn es ein Buch gibt, das die Wall Street beschreibt, wie sie wirklich ist, dann ist es dieses: „The Big Short“ von Michael Lewis. Es handelt von Spekulanten, die die Finanzkrise kommen sahen – und das schamlos ausnutzten. Warum auch nicht? Sie wollten Geld verdienen. Und wurden zu Helden.
Da ist zum Beispiel Steve Eismann, ein ätzender, aber fleißiger Rüpel, der Anleihen bewertet, die durch Ramsch-Hypotheken gedeckt sind. Eismann macht sich die Mühe, das Kleingedruckte bei hoch komplexen Finanzprodukten zu lesen. Die heißen CDO – die drei Buchstaben werden schließlich zum traurigen Synonym für die Probleme am US-Immobilienmarkt. „Der ganze Sinn der CDO war es, die Risiken schlechter Hypothekenkredite zu waschen, die die Firmen nicht offen und direkt verkaufen konnten“, schreibt Lewis. Und was macht Eismann? Er analysiert die Ramschkredite, die hinter den CDO stehen und wettet gegen sie. Kein Wunder, dass er in der Krise so viel verdient, wie die meisten anderen verlieren.
Jetzt kann man natürlich fragen, ob Lewis sich das Ganze ausgedacht hat oder ob es tatsächlich so war. Es war so. Der Finanzjournalist Lewis hat selbst erlebt, worüber er schreibt. Er ging nach dem Studium zu Salomon Brothers, jener Investmentbank, die sich in den achtziger Jahren den Ruf erwarb, besonders aggressiv und rücksichtslos zu agieren. Drei Jahre arbeitete Lewis dort. Dann kündigte er und schrieb sein erstes Buch: „Liar’s Poker“ (Deutsch: „Wall-Street-Poker“).
Seither sind die Spekulanten sein Thema, die wie Stars durch die Handelsräume dieser Welt ziehen. „The Big Short“ zeichnet ihr Handwerk nach. „To short“ bedeutet, auf den sinkenden Kurs eines Wertpapiers zu setzen. Eine Aktie lässt sich shorten, indem man sie „leer“ verkauft: Der Spekulant leiht sich das Papier und verkauft es zum gegenwärtigen Kurs in der Hoffnung, dass er es zu einem späteren Zeitpunkt zurückgeben kann. Eine Anleihe shortet man, wenn man darauf wettet, dass der Emittent pleitegeht. Und dazu braucht man ein Instrument mit drei Buchstaben: CDS. Genau damit beginnt die Geschichte des Big Short – und das Verständnis für das, was wir Finanzkrise nennen.
Alexander Mühlauer
Michael Lewis: The Big Short, Campus, 24,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Nikolaus Piper hat sich von einer Spielart der Aufklärung anstecken lassen, die von Zynismus nicht ganz frei zu sein scheint. Er empfiehlt das Buch des amerikanischen Finanzjournalisten und ehemaligen Investmentbankers Michael Lewis, in den USA bereits zum Bestseller avanciert, als "leicht lesbare Pflichtlektüre für jeden der über Wirtschaftsfragen mitreden will". En detail und mit Insiderkenntnissen ausgestattet schildert Piper, wie Spekulanten, die in den USA aufgrund ihrer "Rudeness" angeblich "den Ruf von Popstars genießen", noch das letzte Hemd mexikanischer Saisonarbeiter verzockt haben, die ihrerseits nicht in der Lage waren das "KLEINGEDRUCKTE bei Finanzprodukten zu lesen".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Wenn keiner an die Krise glaubt, lohnt es erst recht, auf sie zu setzen "Dieses Buch wird man einmal zu den wichtigsten über die jüngste globale Finanzkrise zählen." (Rezension der Originalausgabe) (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.07.2010) Als die Wall Street überschnappte "Eines der besten Bücher zur Finanzkrise ... Es ist hervorragend recherchiert und leicht lesbar, Pflichtlektüre für jeden, der über Wirtschaftsfragen mitreden will." (Süddeutsche Zeitung, 05.10.2010) Von den Helden des Untergangs "Lewis nimmt seine Leser mit in die verrückte Welt der Spekulanten Ihm gelingt es dabei, eine Geschichte zu erzählen, der die Leser gern folgen, unterhaltsam und spannend - alles andere als ein dröges Wirtschaftsbuch." (Handelsblatt, 15.10.2010) Aufarbeitung der Krise "Ein wunderbares Buch, ich kann es nur empfehlen." Bernd Niquet (finanztreff.de, 12.11.2010) Die großen Helden "Wenn es ein Buch gibt, das die Wall Street beschreibt, wie sie wirklich ist, dann dieses." (Süddeutsche Zeitung, 22.12.2010) Krisengewinnler "Lewis gelingt eine ungewöhnlich detaillierte Darstellung der Ereignisse, teilweise brüllend komisch und trotz der trockenen Materie durchgehend unterhaltsam zu lesen." (NZZ am Sonntag, 30.01.2011) Bücher zur Finanzkrise: Blicke in den Abgrund "Das Buch liest sich wie ein spannender Wirtschaftskrimi." (Falter, 18.03.2011) Monströse Geldmaschine "In seinem US-Bestseller erzählt der Journalist Michael Lewis, wie es zur bisher schlimmsten Wirtschaftskrise seit den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts kommen konnte - und findet dafür einen äußerst originellen, anschaulichen Zugang." (Profil, 28.03.2011) Wie der Wahnsinn seinen Anfang nahm "Eine detailreiche Schilderung der Entstehung vin Subprime- und Bankenkrise ... Wer das Debakel wirklich begreifen will, kommt am Werk von Lewis nicht vorbei." (Neue Zürcher Zeitung, 03.08.2011)